Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in der Neuzeit (6, Die Neuzeit ; Erste Periode / 1927)

§ 27. Die alten Gemeinden und die neue Kolonie in Hamburg 
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§ 27. Die Not der alten Gemeinden und die neue Kolonie 
in Hamburg 
Zu einer ähnlichen Tragödie wie in Frankfurt kam es um die 
selbe Zeit auch in der Stadt Worms, dem ältesten Diasporazentrum 
in Deutschland, das zu Beginn des XVII. Jahrhunderts etwa i5oo 
Juden beherbergte. In den Tagen, da die Räubergesellen in Frank 
furt, durch den kaiserlichen Machtspruch noch nicht zur Vernunft 
gebracht, sich ihres Sieges über das zertrümmerte Ghetto sicher 
wähnten, fanden sie in der alten Stadt am Rhein würdige Nach 
eiferer. Auch hier war die judenfeindliche Bewegung aufs engste mit 
dem Kampf der Handwerkerzünfte gegen die bürgerlichen Patrizier 
verknüpft. Von dem Juristen Chemnitz, einem Doppelgänger des be 
rüchtigten Weitz, auf gehetzt, schoben die Wormser Zünfte, gleich 
denen von Frankfurt, die Notlage der christlichen Handwerker aus 
schließlich den Juden in die Schuhe und drangen mit aller Energie 
auf ihre Austreibung. Der Kampf verlief hier allerdings in weniger 
barbarischen Formen. Der Zünfteausschuß von Worms versuchte zu 
nächst, den Juden mit legalen Mitteln, durch strengste Handhabung 
alter und durch Einführung neuer erniedrigender Vorschriften, beizu 
kommen. So ließ er die aus dem Ghetto in die Stadt führenden Aus 
gänge versperren, untersagte den Juden, vor ein Uhr nachmittags 
Lebensmittel, selbst Milch für Säuglinge auf dem Markte einzukau 
fen, und ordnete an, das Ghetto aufs strengste zu bewachen, um sei 
nen Insassen die Fortschaffung ihrer Habe unmöglich zu machen. 
Noch schlimmere Unterdrückungsmaßnahmen befürchtend, rief die 
Wormser Gemeinde durch ihren Vertreter Löb Oppenheim die Hilfe 
des Kaisers Matthias an, der hierauf an die Bürger von Worms den 
strengen Befehl ergehen ließ, jedwede Belästigung der Juden zu un 
terlassen. Die kaiserlichen Drohungen sollten jedoch die Lage nur 
noch verschärfen. Die Aufwiegler versammelten eine große Volks 
menge auf dem Marktplatze um sich und forderten die Juden auf, 
sich „mit Sack und Pack“ unverzüglich fortzuscheren. Ungeachtet 
dessen, daß der Magistrat gegen die Gewaltmaßnahme ausdrücklich 
protestierte, waren die Juden genötigt, die Stadt zu verlassen (io. 
April i6i5). Nach ihrem Abzüge zerstörte der christliche Pöbel die 
alte Wormser Synagoge sowie viele Denkmäler auf dem jüdischen 
Friedhof. Die Vertriebenen fanden Aufnahme in dem benachbarten
	        
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