Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in der Neuzeit (6, Die Neuzeit ; Erste Periode / 1927)

§ 26. Das Frankfurter Ghetto. Die Judenhetze im Jahre 16ib 
waffen Gebrauch, auf beiden Seiten gab es zahlreiche Verwundete, 
doch behielten die Mordbrenner schließlich die Oberhand. Der sie be 
fehligende Fettmilch hatte übrigens mehr Verwüstung und Plünde 
rung als Mord im Sinne. Dabei ging er selbst mit dem Beispiel vor 
an, packte sich seine Taschen mit entwendeten Kostbarkeiten voll und 
ließ alles, was ihm sonst noch wertvoll schien, von seiner Bande in 
sein Haus schaffen. Der eingebrochene Mob eiferte ihm nach und 
trug die jüdische Habe wahllos weg, als wäre sie herrenloses Gut. 
Auch die Synagoge blieb nicht verschont; die Thorarollen wurden 
zum Teil vernichtet, zum Teil von Buchbindern entwendet, die das 
Pergament für Einbände gut gebrauchen konnten. Die Zerstörungs 
und Plünderungsorgie nahm erst am nächsten Morgen ein Ende. 
Die Frankfurter Patrizier besannen sich nämlich, daß es höchste 
Zeit sei, den Wütenden Einhalt zu gebieten, da die entfesselte Raub 
gier der Menge auch für die vornehmen christlichen Stadtviertel ge 
fährlich zu werden drohte. Die kühnsten der Bürger begaben sich 
nun mit dem Bürgermeister an der Spitze in das Judenviertel und 
die Banden der Räubergesellen mußten vor den wohlbewaffne 
ten Patriziern demütig zurückweichen. Die Hilfe kam freilich, 
nachdem das ganze Ghetto bereits in Trümmer gelegt war, reich 
lich spät. 
Trotz alledem blieb die Machtstellung des Fettmilch unerschüt 
tert. So ließ er die obdachlos gewordenen Juden auf den außerhalb 
der Stadt gelegenen Friedhof treiben und mit einer Wache umgeben. 
Auf die Ausplünderung folgte so die Internierung. In der Nähe des 
Konzentrationslagers berieten die Sieger unter Anführung des Fett 
milch über das Los der Gefangenen: während die einen den Vor 
schlag machten, sie allesamt niederzumetzeln, sprachen sich die an 
deren für ihre Vertreibung aus. Die in Schrecken versetzten Juden 
bereiteten sich schon auf den Märtyrertod vor und viele legten, wie 
einst ihre Vorfahren zur Zeit der Kreuzzüge, Sterbegewänder an. 
Endlich ward den Unglückseligen von dem „rasenden Vincenz“ 
(Fettmilch) ihr Schicksal verkündet: im Namen des Zünfteausschus 
ses eröffnete er ihnen, daß sie die Stadt verlassen müßten, da die 
Bürgerschaft sie nicht länger „dulden“ wolle und ihnen jeglichen 
Schutz versage . . . Das Gejohle des um den Friedhof lagernden 
Stadtmobs bildete gleichsam die düstere Begleitung zu der Rede des 
Häuptlings. Die Juden waren froh, wenigstens mit dem Leben davon- 
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