Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

§ 7. Die Not der englischen Juden unter Heinrich 111. 
gerichteten zufiel, wie auch der Klerus der Lincolner Kirche, in die 
dank der in ihr aufgestellten „wunderwirkenden Reliquie“ unzählige 
Wallfahrer mit frommen Gaben aus dem ganzen Lande herbei 
strömten. 
All diese blutigen Religionsverfolgungen bildeten den geeigneten 
Boden für das Übergreifen religiöser Wahnideen auch auf die jüdi 
schen Yolksmassen. So geschah es einst in der Universitätsstadt Oxford, 
daß ein von einer solchen Psychose befallener Jude sich einer Kirchen 
prozession entgegenwarf, dem Priester das Kruzifix aus der Hand riß 
und es mit den Füßen zerstampfte (1268). Der Zwischenfall hätte 
leicht zu einer neuen gerichtlichen Hetze, Avenn nicht gar zu Straßen 
exzessen Anlaß geben können, doch sah diesmal sogar der König 
selbst ein, daß man für die Tat eines Wahnsinnigen nicht eine ganze 
Gemeinschaft verantwortlich machen könne, und so begnügte man 
sich in diesem Falle mit einer verhältnismäßig milden Strafe: die jü 
dische Gemeinde von Oxford erhielt den Befehl, der Universität ein 
silbernes Kreuz darzubringen und mußte überdies an dem Tatort ein 
großes Marmorkreuz errichten. 
Die schweren Verfolgungen und Erpressungen, denen die engli 
schen Juden unaufhörlich ausgesetzt waren, brachten viele auf den 
Gedanken, England zu verlassen und in anderen Ländern Zuflucht zu 
suchen. Die Auswanderung war aber den Juden als den Leibeigenen 
des Königs von Gesetzes wegen untersagt, und so mußten sie um die 
Ausreisebewilligung wie um eine besondere Gnade nachsuchen. Im 
Jahre 1254, als Heinrich III. ihnen von neuem überaus schwer 
lastende Sondersteuern auferlegte, deren Eintreibung er seinem Bru 
der, Richard von Cornwall, auf trug, traten die Juden mit einer Kollek 
tivbitte hervor, in der sie ihrem Wunsche, das Land zu verlassen, be 
redten Ausdruck gaben. Der Presbyter Elias, der an der Spitze der 
jüdischen Abordnung vor Richard erschienen war, soll sich an diesen 
mit der folgenden Rede gewandt haben, die, wenn auch nicht ganz 
authentisch, die Stimmung der englischen Juden jener Epoche den 
noch getreu widerspiegelt: „Es ist uns augenscheinlich — erklärte 
er — daß unser Herr, der König, uns vom Erdboden vertilgen will. 
So flehen wir ihn denn in Gottes Namen an, uns von dannen ziehen 
zu lassen und uns einen Geleitbrief zur Ausreise aus seinem König 
reiche zu gewähren, damit wir an einem anderen Orte, unter der Ge 
walt eines den Gefühlen des Mitleids und der Gerechtigkeit sich nicht 
5 Dubnow, Weltgeschichte des jüdischen Volkes, Bd. V 
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