Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

§ 7. Die Not der englischen Juden unter Heinrich 111. 
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persönlich verantwortlich mache. So wurden die Abgeordneten samt 
und sonders zu königlichen Steuereinnehmern degradiert. Trotz aller 
Bemühungen vermochten jedoch viele Gemeinden ihren Anteil zum 
festgesetzten Termin nicht aufzubringen; die Folge war, daß die be 
treffenden Abgeordneten mit Weib und Kind so lange gefangen ge 
halten wurden, bis sie die geforderte Summe aus eigenen Mitteln er 
legten. Auf diese Weise kam auch der für den pünktlichen Eingang 
der Steuern verantwortliche jüdische Ober-„Presbyter“ zu Schaden: 
der König nahm Aaron von York, der das Unglück hatte, damals die 
ses Amt zu bekleiden, die hohe Summe von 32 ooo Mark ab. 
Auch noch unter einem anderen Übel hatten die englischen Juden 
um diese Zeit schwer zu leiden: immer häufiger wurden gegen sie 
Beschuldigungen religiösen und „rituellen“ Charakters erhoben. So 
schuldigte man im Jahre i2 3o die Juden von Norwich an, einen fünf 
jährigen Knaben, den Sohn des christlichen Arztes Benedikt, entführt 
und der Beschneidung unterzogen zu haben. Die Täter brachten zu 
ihrer Rechtfertigung vor, daß sie den Knaben als dem Alten Bunde 
angehörig betrachtet hätten (wohl aus dem Grunde, weil er ein Nach 
komme gewaltsam Getaufter war). Daraufhin wurden dreizehn jüdi 
sche Notabein von Norwich in Anklagezustand versetzt. Der Ange 
legenheit wurde eine solche Wichtigkeit beigemessen, daß man die 
Angeklagten nach London über führte, wo sich ein Kollegium unter 
Beteiligung des Königs, des Erzbischofs von Canterbury sowie anderer 
weltlicher und geistlicher Würdenträger mit der Sache befaßte. Zehn 
lange Jahre schmachteten die Angeklagten im Kerker, bis man 
schließlich einige von ihnen zum Tode durch den Strang verurteilte; 
vom Kerker bis zum Richtplatz wurden die Unglücklichen, an Pferde 
schweife gebunden, durch den Straßenkot geschleift. Der langwierige 
Prozeß ging überdies nicht ohne Erpressungen an den Angehörigen 
der Angeklagten ab. Im Jahre 12 44 machte man den Versuch, auch 
in London selbst einen Ritualmordprozeß zu inszenieren. Auf irgend 
eine Denunziation hin wurde die Leiche eines christlichen Kindes 
ausgegraben, auf der man seltsame Zeichen vorfand. In der Meinung, 
es seien jüdische Schriftzeichen, rief man getaufte Juden als Sach 
verständige herbei, doch konnten sie die Schriftzüge nicht entziffern. 
Auf Grund überaus zweifelhafter Aussagen wurde nun als wahr unter 
stellt, daß das Kind den Juden verkauft worden sei, worauf es zum 
Märtyrer erklärt und seine Leiche als „heilige Reliquie“ in der
	        
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