Die politische Leitung
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störend in den Vordergrund schiebt, denn immer ist es der Mensch
mit seinen guten und bösen Eigenschaften, der die Maschine beherrscht
und ja auch zu beherrschen hat.
Das Verhältnis zu England hat schon über die Anfangswochen
des Krieges, soweit die oberste deutsche Kriegsleitung in Frage kam,
die dunkelsten Schatten geworfen. Bethmann Hollwegs Wort vom
4. August 1914 über das Belgien geschehene Unrecht bildete den
Ausgangspunkt für scharfe Angriffe von den verschiedensten Seiten.
Nicht lange, und man gab ihm die Schuld, den rechtzeitigen Einsatz
der deutschen Flotte gegen England aus einem falsch verstandenen
Schonungsbedürfnis gegen diesen Hauptgegner verschuldet zu haben,
obwohl gerade in dieser Frage ganz zweifellos der Kaiser als Ober¬
ster Kriegsherr die höchste Entscheidung zu treffen hatte. Je länger
dann der Krieg dauerte, um so stärker wurden die — hauptsächlich
militärisch gespeisten — Angriffe gegen den Kanzler, bis er schlie߬
lich im Juli 1917 vom Platze zu weichen gezwungen wurde.
Bethmann Hollweg hat mit allen drei Obersten Heeresleitungen,
mit Moltke, Falkenhayn und dem Feldherrnpaar Hindenburg und
Ludendorff, zusammengearbeitet. Er war somit während der ersten
drei Kriegsjahre der ruhende Pol in der Erscheinungen Flucht und
konnte sich bei seinem nahen persönlichen Verhältnis zum Kaiser
und bei der Wertschätzung, die er bei ihm genoß, in den außenpoli¬
tischen Fragen stark zur Geltung bringen. Hierin lag geradezu eine
Verstärkung der obersten Kriegsleitung überhaupt, da der Monarch
dadurch in die Lage gesetzt wurde, auf Grund eigenen Urteils und
gestützt durch die Beratung des Reichskanzlers in wichtigen Fragen
selbst die Entscheidung zu treffen. Für die rein außenpolitischen
Dinge fußte der Reichskanzler auf der Tätigkeit und dem Urteil des
Staatssekretärs v. Jagow und des Unterstaatssekretärs Zimmer¬
mann, in deren Händen hauptsächlich auch die Weiterpflege der
diplomatischen Beziehungen mit den in Berlin beglaubigten Vertre¬
tern ruhte.
Die Erste O.H.L.
Gegenüber dieser schon im Frieden betätigten Zusammenarbeit
der maßgebenden Staatsmänner hatte die Erste Oberste Heereslei¬
tung unter Generaloberst v. Moltke die militärischen Gesichtspunkte
des Weltkrieges zu vertreten. Rur mit Zögern hatte sich Moltke,
als 1905 die Berufung des Kaisers an ihn erging, die Nachfolge des
Generalfeldmarschalls Grafen Schliessen zu übernehmen2, zu der
Annahme dieser mit der höchsten Verantwortung belasteten Stelle
bereit erklärt. Es fehlte ihm in keiner Weise an den geistigen Vor¬
aussetzungen zur Ausfüllung seiner Stellung. Mit Recht hebt Wolf-
* Die endgültige Ernennung erfolgte am 1. Januar 1906.