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- WM
Das Weltkriegsende
Gedanken
über die deutsche Kriegführung 1918
Von
Bernhard Schwertfeger
Generalmajor a. D., Dr. phil. h. c.
Siebente neu durchgesehene Auflage
Rütten L Loentng Verlag, Potsdam
Vorwort.
Dieses Buch ist keiner Persönlichkeit zu Liebe oder zu Leide ge-
schrieben. Es will nur einer Sache dienen, der Sache unseres deut-
schen Vaterlandes, das durch den Ausgang des Weltkrieges in das
grauenhafteste Elend gestürzt worden ist, aus dem es lange Jahre
hindurch kaum einen Wiederaufstieg zu geben schien. Die gewichtigste
Weltkriegsfrage, die wir noch zu lösen haben, ist die nach den eigent-
lichen Ursachen für Deutschlands Zusammenbruch 1918 und für seinen
Weg nach Versailles.
Das vorliegende Werk beabsichtigt nicht, zu den zahlreichen be-
reits erschienenen militärischen Darstellungen des Weltkrieges eine
neue hinzuzufügen. Ich bin mir dessen bewußt, daß die Zeit für eine
endgültige, nach jeder Richtung hin befriedigende Darstellung des
Weltkrieges noch nicht gekommen ist. Es mangelt noch an dem zeit-
lichen Abstande, und das große Werk des Reichsarchivs ist erst bis zum
Jahre 1916 gelangt. Andererseits fehlt bis auf den heutigen Tag
eine mehr ins Einzelne gehende Untersuchung der politisch-militäri-
schen Hauptfragen des Jahres 1918, da die bisher vorliegenden Dar-
stellungen sich meist auf die rein militärischen Dinge beschränken
und ihr Zusammenwirken mit den anderen großen Fragen mehr
oder weniger außer acht lassen. Die militärischen Geschehnisse sind
aber — gerade für das Jahr 1918 — von den politischen Entwick-
lungen gar nicht zu trennen.
Für die Ausfüllung dieser Lücke galt es alles zu sammeln, was
an Äußerungen der zum Handeln berufen gewesenen Persönlichkei-
ten noch zu erlangen war. Besonderer Wert wurde hierbei darauf
gelegt, in jedem Einzelfalle klar hervortreten zu lassen, welche Per-
sönlichkeit zu einer bestimmten Zeit für diese oder jene Anordnung
Vorwort
dern ihn auch tatsächlich durchzusetzen vermochte. Wir gelangen auf
diesem Wege, wie ich glaube, zu neuen Erkenntnissen über die wahre
Bedeutung der führenden Persönlichkeiten im letzten, entscheidenden
Jahre des Weltkrieges. Hierbei beschränke ich mich bewußt und streng
auf das Gebiet der obersten politischen und militärischen Führung,
ohne auf die Nebengebiete und die weltanschaulichen Fragen näher
einzugehen.
Ich widme dieses Buch dem Gedächtnis unserer herrlichen alten
Armee, voll berechtigten Stolzes, ihr dreißig Jahre angehört zu haben.
Bernhard Schwertfeger.
Vorbemerkung zur 7. Auflage.
In verhältnismäßig kurzer Frist nach dem Erscheinen des
„Weltkriegsendes" ist jetzt die 7. Auflage nötig geworden. Sie er-
scheint im Wesentlichen in unveränderter Form. Die Betrachtung
über die erste O.H.L. aus Seite 16/17 hat eine etwas andere Fassung
erhalten; kleinere Zusätze und Änderungen finden sich auf den
Seiten 8, 31, 67, 101, 113.
Hannover, im November 1938.
Bernhard Schwertfeger.
Einleitung.
Was lohnt es zu leben, wenn man nur vegetiert?
Was lohnt es zu sehen, wenn man nur Tatsachen
in seinem Gedächtnis anhäuft? Was nützt die Er-
fahrung, wenn sie nicht durch Nachdenken fruchtbar
gemacht wird?
Friedrich der Große in seinen „Betrachtungen über die
Taktik und einige Seiten der Kriegführung".
Es ist eine alte Klage, daß die Einzelnen ebensowenig wie die
Völker aus der Geschichte lernen wollen. Dabei kann es im Leben
der Völker nichts Wichtigeres geben als die Erkenntnis der wahren
Gründe für Sieg und Niederlage, da der Ausgang der großen
Kriege für das Schicksal der von ihnen betroffenen Völker auf lange
Zeit hinaus maßgebend bleibt. Von Friedrich dem Großen ist bekannt,
daß er auf Grund seiner in den Schlesischen Kriegen gemachten Er-
fahrungen 1753 die Generalprinzipien vom Kriege niederschrieb und
als Begründung dafür angab, er habe über die Prinzipien dieser
großen Kunst gründlich nachgedacht, „durch welche verschiedene
Reiche und Staaten emporgebracht, verschiedene hergegen gestürtzet
und übern Haussen geworffen worden". Je mehr er in seiner Er-
kenntnis vorwärtsschritt, um so weniger war er geneigt, die Dinge
nur nach dem Erfolge zu bewerten. So erörterte er 1759, als ein
heftiger Gichtanfall ihm im vierten Jahre seines großen Krieges eine
unerwünschte körperliche Muße aufzwang, die Schicksale des Schwe-
denkönigs Karls XII., um daraus zu entnehmen, bei welcher Gele-
genheit man ihn ohne Gefahr nachahmen könne, und bei welcher
man es vermeiden müsse, ihn zum Muster zu nehmen.
Sicherlich muß in der Kriegsgeschichte der Erfolg eine bedeutende
Rolle spielen. Alles, was dem Endziel der Kriegführung, also dem
Siege, förderlich erscheint, verdient Lob und wird in der Geschichte
zumeist als Erfolg gepriesen. Nur zu oft wird dabei übersehen, wie
viel von dem erreichten Erfolge wirklich ehrlich verdient, wieviel
vielleicht nur unerwarteten und gar nicht in Rechnung gestellten
Fehlern und Unterlassungen des Feindes zu danken ist. Der vor-
6
Einleitung
nehmste Nutzen, den eine sachliche Betrachtung der Kriegsgeschichte
zu stiften vermag, ist es, wenn sie die erreichten Erfolge auf ihr ver-
dientes Maß zurückführt und damit verhindert, daß Maßnahmen
etwa nur ihres Erfolges wegen gepriesen und als Lehren für die
Zukunft aufgestellt werden. Gewiß ist jeder Erfolg im Kriege von
hohem Wert und wird von der obersten Kriegsleitung mit Dank an-
genommen, aber es wäre eine verhängnisvolle Irrlehre, wahllos
mit dem Erfolge zugleich die vielleicht fehlerhaften Mittel zu preisen,
die ihn verursacht haben.
Am lehrreichsten, aber auch am bittersten sind verlorene Kriege.
Bei ihnen handelt es sich darum, die Ursachen des Scheiterns fest-
zustellen. Diese Aufgabe ist besonders schwierig, wenn es sich, wie
im Weltkriege, nicht um rein militärische Vorgänge handelt, son-
dern wenn das gesamte geistige und wirtschaftliche Leben, Denken,
Fühlen und Handeln des Volkes mit in Betracht gezogen werden
muß. Rein militärisch wird der Weltkrieg uns deutschen Menschen
niemals als eine Niederlage erscheinen. „Im Felde unbesiegt", „Auf
See unbesiegt", unter diesem Titel und in dieser Gedankenrichtung
erschienen nach Abschluß des Krieges zahlreiche Bücher, die eine
militärische Niederlage Deutschlands im Weltkriege verneinten. Sie
trafen damit gefühlsmäßig das Richtige, denn die Bewährung der
deutschen Kampfkraft im Weltkriege war eine so überragende ge-
wesen, daß es bis in den November 1918 hinein gelungen ist, den
deutschen Boden vom Feinde freizuhalten. Aber dennoch ging der
Weltkrieg verloren.
Es müssen also andere Wege für die Erkenntnis dieses End-
ergebnisses gewählt werden als eine rein militärische Betrachtung
der Kriegsereignisse. In höchstem Maße gilt dies für das Jahr 1918.
Alles kam damals darauf an, den deutschen Weltkriegsgegnern im
Frühjahr und Sommer 1918 den Beweis zu liefern, daß Deutsch-
lands Widerstandskraft noch ungebrochen war. Gelang es der
Entente nicht, die weit vorgeschobenen Stellungen der deutschen
Armeen aus Belgien und Frankreich zurückzuschieben, so bedeutete
dies im Endergebnis den Sieg Deutschlands und mußte den Entente-
mächten den Gedanken nahelegen, eine Beendigung des Krieges an-
zubahnen. Es hätte sich dann um einen Verständiaungsfrieden ge-
handelt, der auf beiden Seiten ein gewisses Entgegenkommen, be-
sonders hinsichtlich der Kriegsziele, zur zwingenden Voraussetzung
hatte.
Einleitung
7
In der heutigen Zeit, in der soviel von der „Totalität des Krie-
ges" gesprochen wird, ist die Erkenntnis dafür gewachsen, daß die
Lehre vom Kriege aus ihrer bisherigen militärischen Begrenzung stär-
ker hinausgehoben werden muß, als es früher vorstellbar gewesen
ist. Wenn man von den an den höchsten Stellen tätigen Soldaten im
Kriege fordern muß, daß sie auch für politische Zusammenhänge das
nötige Verständnis besitzen und vielleicht sogar auf diesem schwieri-
gen Gebiete bestimmend sein sollen, so muß der kriegsgeschichtliche
Forscher in der Lage sein und das Herz haben, die politischen
Probleme mit der gleichen Unbefangenheit zu erörtern wie die mili-
tärischen. Rücksichtsloser Wahrheitsdrang muß ihn leiten, denn es
bleibt die erste und vornehmste Pflicht der Kriegsgeschichte wie aller
Geschichtsschreibung überhaupt, der Nachwelt einen treuen Spiegel
der Vergangenheit vorzuhalten, worin Personen und Dinge ihrem
wahren Werte gemäß erscheinen. Wenn schon im Privatleben jeder
Einzelne beansprucht, von seinen Mitmenschen gerecht beurteilt zu
werden, so dürfen mit noch viel höherem Recht diejenigen Persön-
lichkeiten, die durch ihre Geistesgaben und ihre Stellung zu Führern
ihres Volkes in schwerster Zeit berufen sind, eine unparteiische Wür-
digung fordern. Untrennbar ist ihr Wohl und Wehe mit dem Schick-
sal ihres Volkes verknüpft, und die Kritik wird, wie Moltke es in
dem klassischen Vorwort zur Geschichte des Italienischen Feldzuges
1859 so schön ausgesprochen hat, „ihr im Vergleich zum Handeln so
geringes Verdienst in völliger Unparteilichkeit und in gewissenhafter
Wägung und Benutzung aller Nachrichten zu suchen haben, welche
Licht über die Begebenheiten verbreiten. Es verschwindet nämlich
in der Regel das geradezu unzweckmäßig und widersinnig Erschei-
nende ganz, sobald man die Motive, die tausend Reibungen und
Schwierigkeiten übersieht, welche sich der Ausführung im Kriege ent-
gegengestellt haben" *. In diesem Geiste Moltkescher Sachlichkeit
haben wir Deutschen in der amtlichen Geschichtsschreibung der er-
folgreichen großen deutschen Einigungskriege von 1866 und 1870/71
den Ursachen unserer Erfolge nachgespürt.
Heute haben wir ein anderes und wichtigeres Ziel. Aus unse-
ren Mißerfolgen im Weltkriege und ganz besonders aus dem ab-
schließenden und für den Gesamtausgang bestimmend gewordenen
Endjahre 1918 müssen wir für die Zukunft lernen. Wir können an 1
1 Der italienische Feldzug des Jahres 1859. Herausgegeben von der histo-
rischen Abteilung des Generalstabes der Preußischen Armee. Berlin, im
Januar 1862.
8
Einleitung
diese Aufgabe ohne Scheu herantreten, da die Großtaten unseres
viereinhalbjährigen Ringens in aller Welt unbestritten sind. Kei-
nerlei persönliche Empfindlichkeit der noch unter den Lebenden wei-
lenden Generation des Weltkrieges darf für uns bestimmend sein.
Wir alle müssen uns beugen unter das Gesetz der ganzen Volkheit.
Wir können uns dazu um so eher entschließen, als wir uns dessen
bewußt sind, daß im Weltkriege auf deutscher Seite bei keiner der
maßgebenden Stellen ein böswilliges, eigensüchtiges oder schuldhaf-
tes Verhalten vorgelegen hat. Nirgends zeigten sich bei den Führern
Verfehlungen gegen das oberste Gesetz jedes deutschen Menschen,
gegen die Pflicht, für das bedrohte Vaterland bis zur völligen Hin-
gabe der eigenen Person das Äußerste zu leisten.
Hierbei möchte ich nicht unterlassen, auf das Urteil hinzuweisen,
das Theodor v. Bernhardi in seinen berühmten „Denkwürdigkeiten
aus dem Leben des kaiserlich russischen Generals von der Infanterie
Carl Friedrich Grafen von Toll" über die Erinnerungen des Gene-
rals C. Frhr. v. Müffling gen. Weiß „Aus meinem Leben" (Berlin
1851) gefällt hat: „Beiträge zur Zeitgeschichte, die von bedeutenden
Männern herrühren, von solchen, die selbst namhaften Anteil an den
Taten der Zeit genommen und wenigstens immer dem leitenden
Mittelpunkt der Dinge nahe gestanden haben, verdienen die größte
Aufmerksamkeit, fordern aber auch zugleich die strengste, gewissen-
hafteste Prüfung. Denn gerade der Irrtum, der von einer solchen
Autorität ausgeht, ist gefährlich, und kann nur zu leicht Bürgerrecht
in der Geschichte gewinnen."1
Für die Armee selbst aber gelten unverbrüchlich die Worte, die
der Führer und Reichskanzler Adolf Hitler ihr in seinem Buche
„Mein Kampf" (S. 182) gewidmet hat: „Mögen Jahrtausende ver-
gehen, so wird man nie von Heldentum reden und sagen dürfen,
ohne des deutschen Heeres des Weltkrieges zu gedenken. Dann wird
aus dem Schleier der Vergangenheit heraus die eiserne Front des
grauen Stahlhelms sichtbar werden, nicht wankend und nicht wei-
chend, ein Mahnmal der Unsterblichkeit." 1
1 Denkwürdigkeiten aus dem Leben des kaiserl. russ. Generals von der
Infanterie Carl Friedrich Grafen von Toll. Von Theodor v.
Bernhardi. 2. Auflage. Band IV, 2, Seite 431.
tyolitif und Kriegführung
bis zur Großen Schlacht
in Frankreich 1918
Das Problem des Feldherrntums bis zum Weltkriege.
Von einer deutschen „Obersten Kriegsleitung" im Sinne einer
festumriffenen zugleich politischen und militärischen Einrichtung darf
im Weltkriege nicht die Rede sein. Die Zuständigkeit der obersten
Gewalten im Weltkriege fußte durchaus auf den Grundlagen, die
sich aus den preußisch-deutschen Kriegserfahrungen des 19. Jahr-
hunderts ergeben hatten. Die deutsche Reichsverfassung kannte eine
Verantwortlichkeit des deutschen Kaisers im Frieden nicht. Für alle
politischen Handlungen trug der Reichskanzler, für alle militärischen
der Königlich Preußische Kriegsminister die Verantwortung. Im
Kriege aber führte der König von Preußen in seiner Eigenschaft
als deutscher Kaiser den Oberbefehl über alle deutschen Truppen ein-
schließlich der Bayern. Ihm zur Seite stand der preußische Chef des
Generalstabes der Armee als Chef des Generalstabes des Feldheeres.
An dieser grundlegenden Einrichtung ist vom Beginn des
Weltkrieges bis zu seinem Ende nichts geändert worden. Wir er-
blickten in dem Triumvirat des Obersten Kriegsherrn, des Reichs-
kanzlers und des Generalstabschefs die beste Lösung der obersten
Leitung, darin ganz der Anschauung des Feldmarschalls Grafen
Schliessen folgend: „Endlich fand in Preußen das Problem des Feld-
herrntums feine Lösung. Der König tritt 1866 selbst an die Spitze
der von ihm geschaffenen, ihm eigenen Armee. Ihm zur Seite steht
ein Staatsmann und ein Chef des Generalstabes. Keiner der drei
Männer erfüllt alle an einen Feldherrn zu stellenden Bedingun-
gen, aber jeder besitzt ein größeres oder geringeres Maß von Eigen-
schaften, die einen solchen ausmachen, und kann die der anderen er-
gänzen." Aber nachdenklich fügt Schliessen seinen Bemerkungen, die
in dem berühmt gewordenen Aufsatze „Feldherr" in dem „Handbuch
für Heer und Flotte", herausgegeben von General v. Alten, ent-
halten sind, den Satz hinzu: „Daß der Feldherr durch ein Trium-
virat dargestellt wird, ist 1866 und 1870 geglückt, braucht aber nicht
immer zu glücken. Eines wenigstens der Mitglieder des Komitees,
das gegenwärtig den Feldherrn zu ersetzen hat, muß etwas von dem
Salböl Samuels abbekommen haben."
Gedanklich stand bei uns fest, daß der Politik auch im Kriege
der Vorrang gebühre. Wir folgten darin ganz der Auffassung des
Generals Carl v. Claufewitz, der das Unterordnen des politischen
Gesichtspunktes unter den militärischen als widersinnig erklärt hatte,
„denn die Politik hat den Krieg erzeugt; sie ist die Intelligenz, der
12 Politik und Kriegführung bis zur Großen Schlacht in Frankreich 1918
Krieg aber bloß das Instrument und nicht umgekehrt. Es bleibt also
nur das Unterordnen des militärischen Gesichtspunktes unter den
politischen möglich." Die Führung des Krieges in seinen Hauptum-
rissen war für Clausewitz die Politik selbst, „welche die Feder mit
dem Degen vertauscht, aber darum nicht aufgehört hat, nach ihren
eigenen Gesetzen zu denken."
Staatsmännisches und militärisches Denken sind grundverschie-
den. Politisches Denken und Handeln erwächst aus geschichtlich ver-
tiefter Erkenntnis staatlicher Zusammenhänge. Die Arbeit des
Staatsmannes ist auf die Zukunft gerichtet. Sie muß Dauerhaftig-
keit anstreben und kann somit eigentlich nie auf kurze Sicht arbeiten.
Grundlegend anders denkt der Soldat. Wo steht der Feind,
wie ist die gegenwärtige Lage? Das ist seine erste Frage. Von ihrer
Beantwortung hängt es ab, was der Soldat seinerseits zu tun ge-
denkt, um binnen einer möglichst kurzen Frist eine neue günstigere
Lage zu schaffen. Sein Ziel ist die Niederwerfung des Feindes:
diese aber wiederum schafft der Staatskunst die Möglichkeit, im
Sinne Friedrichs des Großen möglichst bald zu einem vorteilhaften
Frieden zu gelangen. Der Krieg ist also niemals Selbstzweck. Poli-
tisches Denken bestimmt seinen Anfang und sein Ende.
Kann so an einer grundsätzlich bedingten Gegensätzlichkeit poli-
tischen und militärischen Denkens nicht gezweifelt werden, so muß-
sich eigentlich Mittel und Wege finden lassen, die ein erfolg-
reiches und jedenfalls erträgliches Zusammenarbeiten der politischen
und militärischen Ratgeber des Obersten Kriegsherrn gewährleiste-
ten. Wir wissen aber aus der Kriegsgeschichte, besonders aus den
preußisch-deutschen Feldzügen von 1866 und 1870/71, daß eine sach-
gemäße, zugleich politische und militärische, Zusammenarbeit in der
Praxis des Krieges die größten Schwierigkeiten bietet. Soldatischem
Denken erscheint die abwägende Arbeitsform des Staatsmannes nur
zu leicht als „von des Gedankens Blässe angekränkelt", als der fri-
schen Tatkraft ermangelnd, die der Soldat nun einmal als eine uner-
läßliche Voraussetzung für jeden Erfolg betrachtet.
Man hat oft darüber geklagt, daß es im Weltkriege auf deut-
scher Seite an einem Staatsmanne vom Ausmaß des eisernen Bis-
marck gefehlt habe. Aber wir wissen doch von Bismarck selbst, wie
schwere Kämpfe es auch für ihn gekostet hat, wenn er den Vorrang
Politik in der Kriegführung durchzusetzen suchte. Die Gering-
schätzung des politischen Geschäfts war in Preußen schon seit den
Befreiungskriegen eine von glänzenden Namen getragene Anschau-
ung. Unvergessen lebten in der Kriegsgeschichte jener Zeit die schwe-
ren Konflikte zwischen der preußischen Staats- und Heeresleitung
fort, die sich nach dem siegreichen Abschluß des Feldzuges von 1815
Das Problem des Feldherrntums bis zum Weltkriege
13
mals brachte der alte Blücher im Juli 1815 bei jenem berühmt ge-
wordenen Diner, das der Herzog von Wellington den in Paris an-
wesenden Ministern und Generalen gab, den Trinkspruch aus: „Ich
leere dieses Glas auf die Erfüllung des frommen Wunsches, daß die
Diplomaten nicht zum zweiten Male verderben mögen, was die
Armeen mit ihrem Blute siegreich erkämpft." Hier begegnet uns
etwa die gleiche Anschauung, in der Schiller seinen Max Piccolomini
in die Worte ausbrechen läßt: „O, diese Staatskunst, wie verwünsch'
ich sie!" Diese Anschauung von der schwächlichen, unfähigen, viel-
leicht auch hinterhältigen Politik und Diplomatie hat das ganze
19. Jahrhundert und das unsrige bis zum Abschluß des Weltkrieges
und darüber hinaus beherrscht und häufig zu den ungerechtesten Ver-
allgemeinerungen geführt.
Der größte Dienst, den die Politik schon vor Beginn eines Krie-
ges der Heerführung zu leisten vermag, besteht in einer staatlichen
Gruppierung, die für das eigene Land günstig, für die voraussicht-
lichen Kriegsgegner nachteilig ist. Bismarck suchte die Sicherung für
sein deutsches Vaterland bei dessen ganz besonders gefährdeter Lage
im europäischen Raum in einer bis ins Letzte durchdachten Bündnis-
politik. Wenn man die Wege, auf denen der eiserne Kanzler nach
1870 von der anfänglichen Anlehnung an Rußland allmählich zum
näheren Anschluß an Österreich-Ungarn und schließlich zum Drei-
bunde unter Mitbeteiligung Rumäniens gelangt ist, aufmerksam
daraufhin prüft, was sie für die Sicherstellung Deutschlands bedeu-
teten, so erkennen wir als Leitmotiv die immer im Vordergründe
Bismarckschen Denkens stehende Verhinderung des franko-ruffischen
Zweibundes. Diesem Hauptzweck hat der Kanzler alle Nebenerwä-
gungen untergeordnet und gelegentlich — so ganz besonders 1879,
im Jahre des deutsch-österreichischen Bündnisses — die schwere Ver-
stimmung seines greisen Monarchen in Kauf genommen, um nur
dieses Hauptziel, die Sicherung Deutschlands, unter allen Umständen
zu erreichen.
Nach Bismarcks Abgang schlug die deutsche Außenpolitik an-
dere Wege ein, die schließlich in den Jahren des Reichskanzlers Für-
sten Bülow zur völligen Vereinsamung Deutschlands in Europa
führten. Kam es einmal zum Kriege, so mußte das Deutsche Reich
an der Seite seines schwachen österreich-ungarischen Bundesgenossen
sich in der Hauptsache auf sich selbst verlassen. Seit 1902 und den
Absprachen des unermüdlichen und tatkräftigen französischen Bot-
schafters Barrere in Rom mit dem Außenminister Prinetti bildete
Italien eigentlich nur noch eine tote Belastung des Dreibundes, und
gewaltig wuchs die Bedeutung Englands empor, das aus seiner
„glänzenden Vereinsamung" heraustrat und an den europäischen
I
14 Politik und Kriegführung bis zur Großen Schlacht in Frankreich 1918
Dingen tätigen Anteil zu nehmen begann. Der Bülowschen Kanzler-
zeit blieb es vorbehalten, das allmähliche Hineinwachsen des Insel-
reiches in die Verflechtungen der europäischen Politik, die Ent-
stehung der Entente cordiale vom 8. April 1904 und der russisch-
englischen Vereinbarungen vom August 1907 als kaum interessierte
Zuschauerin so gefährlichen Geschehens zu erleben.
Deutschland hat den Weltkrieg nicht gewollt. Es hatte, wie es
der belgische Gesandte in Berlin wenige Wochen vor Kriegsausbruch
am 12. Juni 1914 nach Brüssel berichtete, einen Krieg nicht nötig.
Wörtlich erklärte er* bei seiner Betrachtung der deutsch-französischen
Gegensätze: „In wenigen Jahren wird ein Gleichgewicht der Kräfte
zwischen Deutschland und seinen Nachbarn nicht mehr möglich sein.
Deutschland braucht sich nur zu gedulden, braucht nur in Frieden
seine wirtschaftliche und finanzielle Macht dauernd weiter zu stei-
gern, braucht nur die Wirkungen seines Geburtenüberschusses abzu-
warten, um ohne Widerspruch und ohne Kampf in ganz Mittel-
europa zu herrschen." Als der Weltkrieg nun doch kam, zeigte sich
sofort, unter welcher schweren Anfangslage Deutschland, von allen
Seiten umringt, seinen Kampf zu führen hatte. England stand auf
der Gegenseite: das war die herbste Enttäuschung des Reichskanzlers
v. Bethmann Hollweg, dem es eine unparteiische Geschichtsschreibung
später einmal bestätigen wird, daß er kein Mittel unversucht gelassen
hat, um die ihm von Bülow überkommene außerordentlich schwere
Erbschaft mindestens durch Abbau des deutsch-englischen Gegensatzes
ein wenig günstiger zu gestalten.
Die politische Leitung.
Daß es der deutschen Politik im Sommer 1914 nicht gelang,
wenigstens die Neutralität Englands sicherzustellen, ist zweifellos der
Ausgangspunkt für die Ablehnung Bethmann Hollwegs durch die
Männer der militärischen Leitung gewesen. So war in dem Trium-
virat der deutschen obersten Kriegsleitung von vornherein ein Ge-
gensatz vorhanden, der schließlich auch den Personenwechsel in den
maßgebenden Stellen überdauert hat. Dabei konnte kaum eine Frage
wichtiger sein als die dauernde vertrauensvolle Zusammenarbeit
zwischen den politischen und militärischen Trägern der Verantwort-
lichkeit. Auf die Auswahl der Persönlichkeiten an den leitenden
Stellen kam es in allererster Linie an; sie waren es, die dem tat-
sächlichen Geschehen die eigentliche Richtung geben mußten. Keine
friedensmäßige Vorarbeit aber kann die Sicherheit dafür geben, daß
in den Bewährungsstunden eines großen Krieges Reibungen perso-
neller Art ausbleiben. Im Gegenteil beweist es gerade die Geschichte,
daß in solchen Zeitläuften Menschliches, Allzumenschliches sich häufig
1 Baron Beyens.
Die politische Leitung
15
störend in den Vordergrund schiebt, denn immer ist es der Mensch
mit seinen guten und bösen Eigenschaften, der die Maschine beherrscht
und ja auch zu beherrschen hat.
Das Verhältnis zu England hat schon über die Anfangswochen
des Krieges, soweit die oberste deutsche Kriegsleitung in Frage kam,
die dunkelsten Schatten geworfen. Bethmann Hollwegs Wort vom
4. August 1914 über das Belgien geschehene Unrecht bildete den
Ausgangspunkt für scharfe Angriffe von den verschiedensten Seiten.
Nicht lange, und man gab ihm die Schuld, den rechtzeitigen Einsatz
der deutschen Flotte gegen England aus einem falsch verstandenen
Schonungsbedürfnis gegen diesen Hauptgegner verschuldet zu haben,
obwohl gerade in dieser Frage ganz zweifellos der Kaiser als Ober-
ster Kriegsherr die höchste Entscheidung zu treffen hatte. Je länger
dann der Krieg dauerte, um so stärker wurden die — hauptsächlich
militärisch gespeisten — Angriffe gegen den Kanzler, bis er schließ-
lich im Juli 1917 vom Platze zu weichen gezwungen wurde.
Bethmann Hollweg hat mit allen drei Obersten Heeresleitungen,
mit Moltke, Falkenhayn und dem Feldherrnpaar Hindenburg und
Ludendorff, zusammengearbeitet. Er war somit während der ersten
drei Kriegsjahre der ruhende Pol in der Erscheinungen Flucht und
konnte sich bei seinem nahen persönlichen Verhältnis zum Kaiser
und bei der Wertschätzung, die er bei ihm genoß, in den außenpoli-
tischen Fragen stark zur Geltung bringen. Hierin lag geradezu eine
Verstärkung der obersten Kriegsleitung überhaupt, da der Monarch
dadurch in die Lage gesetzt wurde, auf Grund eigenen Urteils und
gestützt durch die Beratung des Reichskanzlers in wichtigen Fragen
selbst die Entscheidung zu treffen. Für die rein außenpolitischen
Dinge fußte der Reichskanzler auf der Tätigkeit und dem Urteil des
Staatssekretärs v. Jagow und des Unterstaatssekretärs Zimmer-
mann, in deren Händen hauptsächlich auch die Weiterpflege der
diplomatischen Beziehungen mit den in Berlin beglaubigten Vertre-
tern ruhte.
Die Erste O.H.L.
Gegenüber dieser schon im Frieden betätigten Zusammenarbeit
der maßgebenden Staatsmänner hatte die Erste Oberste Heereslei-
tung unter Generaloberst v. Moltke die militärischen Gesichtspunkte
des Weltkrieges zu vertreten. Rur mit Zögern hatte sich Moltke,
als 1905 die Berufung des Kaisers an ihn erging, die Nachfolge des
Generalfeldmarschalls Grafen Schliessen zu übernehmen2, zu der
Annahme dieser mit der höchsten Verantwortung belasteten Stelle
bereit erklärt. Es fehlte ihm in keiner Weise an den geistigen Vor-
aussetzungen zur Ausfüllung seiner Stellung. Mit Recht hebt Wolf-
* Die endgültige Ernennung erfolgte am 1. Januar 1906.
16 Politik und Kriegführung bis zur Großen Schlacht in Frankreich 1918
gang Foerster in seiner vortrefflichen Studie „Graf Schlieffen und
der Weltkrieg"' hervor, daß Moltke sich in den Jahren vor dem
Weltkriege nicht nur, sondern überhaupt in seinem militärischen Le-
ben in ernster Friedensarbeit das Verständnis für die Grundbedin-
gungen moderner Kriegführung, für die wesentlichen Unterschieds-
merkmale zwischen Theorie und Praxis angeeignet und in diesem
Sinne auf die ihm unterstellten Generalstabsoffiziere eingewirkt
hat. „Den Kaiser wußte Moltke geschickter und besser als jeder an-
dere zu nehmen, namentlich in der Richtung des Verzichtes auf über-
raschende persönliche Eingriffe." Aber Foerster fügt doch hinzu, daß
in der Charakterbildung des Generals und in seinem Gemütsleben,
seinem „tiefem, zartem, fast weichem Empfinden voll Selbstlosiigkeit
und Bescheidenheit" Eigenschaften vorhanden waren, die bei seinem
durch körperliche Leiden geschwächten Gesundheitszustände seine
geistige Frische und Spannkraft beeinträchtigen mußten.
Den stärksten Beweis dafür, daß Moltke der fast übermenschlich
schweren Ausgabe eines Generalstabschefs in Kriegszeiten nicht ge-
wachsen gewesen ist, erbrachte sein Verhalten angesichts der politi-
schen Entwicklungen unmittelbar vor Ausbruch des Weltkrieges und
insbesondere beim Eintreffen der Nachrichten über Englands Teil-
nahme oder Nichtbeteiligung am Kriege. Auch die Fragen, die mit
der Forderung des deutschen Durchmarsches durch Belgien zusam-
menhingen, haben auf den General tief und schädigend eingewirkt.
Um so wichtiger wäre es gerade für ihn gewesen, beim Beginn der
Kriegshandlungen einen Mann seines besonderen Vertrauens als
Eeneralquartiermeister an seiner Seite zu wissen. Seine Wahl war
auf den General v. Stein gefallen, der in der Armee und im Ge-
neralstabe hohes Ansehen genoß. Stein war in jeder Beziehung für
den schwierigen Posten des Generalquartiermeisters vorgebildet:
erwachsen in der Schule des Grafen Schlieffen, der große Stücke auf
ihn hielt, war er später die rechte Hand Moltkes geworden, der ihn
sehr hoch einschätzte. Stein war jahrelang Chef der 2. Abteilung des
Großen Generalstabes gewesen, um dann als Oberquartiermeister I
unmittelbarer Vorgesetzter Ludendorfss zu werden, der nach ihm die
Aufmarschabteilung übernahm. Mit General v. Moltke verband ihn
persönliche Freundschaft; die beiden Charaktere ergänzten sich in
günstiger Weise. So glaubte denn General v. Moltke 1914 das Amt
des Generalquartiermeisters bei General v. Stein in besten Händen.
Aus diesem und keinem anderen Grunde wurde General Lu-
dendorff bei Ausspruch der Mobilmachung 1914 noch nicht General-
quartiermeister. Hätte General v. Moltke ihn gleich von Anfang an
in diese Stellung berufen wollen, so wäre seinem Wunsche seitens 3
3 Mittler & Sohn, Berlin 1925. 2. Auflage.
Die Erste O.H.L.
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des Militärkabinetts sicherlich entsprochen worden. Bekanntlich hat
Moltke den General Ludendorff immer besonders geschätzt und ihn
deshalb auch im Juni 1913, als Ludendorff bereits Kommandeur des
Niederrheinischen Füsilier-Regiments Nr. 39 in Düsseldorf gewor-
den war, durch einen dem Militärkabinett unterbreiteten Vorschlag
in die wichtige Stellung als Direktor des Allgemeinen Kriegsdepar-
tements im Kriegsministerium zu bringen versucht. Wie Moltke
über Ludendorsf dachte, kommt am deutlichsten in seinem Brief vom
22. August 1914 bei der Entsendung des Generals nach dem östlichen
Kriegsschauplatz zum Ausdruck: „Ich weiß keinen anderen Mann, zu
dem ich so unbedingtes Vertrauen hätte als wie zu Ihnen. Vielleicht
retten Sie im Osten noch die Lage." Rückblickender Betrach-
tung der Ereignisse kann es daher vom heutigen Standpunkt
der Erkenntnis aus bedauerlich erscheinen, daß Moltke im Welt-
kriege den General nicht von Anfang an zu unmittelbarer Mit-
arbeit innerhalb der Obersten Heeresleitung berufen hat.
Im dienstlichen Verkehr mit anderen Persönlichkeiten, auch mit
dem Reichskanzler v. Bethmann Hollweg, hat Moltke bei seiner ruhi-
gen, sachlichen Art in wesentlichen Fällen seine Ansicht durchgesetzt.
So war in den kritischen Stunden vor dem Kriegsausbruch der
Kriegsminister, General v. Falkenhayn, dagegen, eine Kriegserklä-
rung an Rußland zu erlassen. Moltke widersprach ihm, da der für
den Zweifrontenkrieg berechnete Aufmarschplan die sofortige Vor-
nahme kriegerischer Handlungen gegen Belgien im Falle der Ver-
weigerung des deutschen Durchmarschbegehrens vorsah und, wie
Moltke gegenüber dem Reichskanzler hervorhob, Deutschlands Aus-
sichten in dem Ringen gegen eine so gewaltige zahlenmäßige Über-
macht allein von der äußersten Schnelligkeit des Handelns abhingen.
Dieser ihm zwingend erscheinenden Auffassung Moltkes hat Beth-
mann Hollweg sich gebeugt.
Die Zweite O.H.L.
Schon am 14. September 1914, also wenige Tage nach dem
Rückzüge von der Marne, mußte der bisherige Kriegsminister Ge-
neral Erich v. Falkenhayn an die Stelle Moltkes treten, der den
ungeheuren Belastungen des Krieges nicht mehr gewachsen war. Mit
ihm trat ein jugendlicher General von ungebrochener Arbeitskraft,
großer körperlicher Energie und hohem militärischem Ehrgeiz in die
oberste Kriegsleitung ein. In seinem durchaus objektiv und unper-
sönlich gehaltenen Buche „Die Oberste Heeresleitung 1914—1916 in
ihren wichtigsten Entschließungen"' hat er sich über die Aufgaben,
die er damals zu übernehmen hatte, eingehend geäußert. In dem
* Berlin, E. S. Mittler & Sohn, 1920.
Schrvertfeger, Das Welrkrregsende 2
18 Politik und Kriegführung bis zur Großen Schlacht in Frankreich 1918
Obersten Kriegsherrn sah er die eigentliche Verkörperung der Ober-
sten Heeresleitung. Ihm unterstanden für die Landstreitkräfte der
preußische Chef des Generalstabes des Feldheeres, für die Seestreit-
kräfte der deutsche Chef des Admiralstabes, „wobei stillschweigend
angenommen wurde, daß die Stimme des Generalstabschefs in Fra-
gen, welche die Land- und Seekriegführung gemeinsam berührten,
ausschlaggebend wäre". Auch in dieser Fassung tritt die aus der
Entwicklung der Marine in der Vorkriegszeit überkommene An-
schauung von der Selbständigkeit des Marineressorts zutage.
Falkenhayn hat sich immer für alle Handlungen oder Unter-
lassungen der Obersten Heeresleitung persönlich und allein verant-
wortlich gefühlt. Seine Deckung fand er im Obersten Kriegsherrn,
den er fortlaufend über die Kriegsvorgänge unterrichtete, und dessen
Entscheidung er vor wichtigen Entschlüssen immer rechtzeitig herbei-
zuführen wußte.
Den politischen Fragen gegenüber wahrte Falkenhayn eine auf
innerster Überzeugung beruhende Zurückhaltung. Zwar mußte auch
er als Generalstabschef sich oft mit politischen Dingen befassen, hat
es aber bis auf wenige unvermeidliche Ausnahmen streng vermieden,
sich bei ihrer Ausführung zu beteiligen. Er lebte der Überzeugung,
„daß keines einzelnen Mannes Kraft ausreichen konnte, dauernd ne-
ben den Geschäften der O.H.L. noch andere Ämter zu betreuen". Er
hielt unsere Lösung der Leitung eines großen neuzeitlichen Staats-
wesens im Kriege für eine dem Grundsatz nach glückliche, meinte
jedenfalls, daß eine bessere auch bei unseren Weltkriegsgegnern nir-
gends bestanden habe. „Ob sich die Lösung auch im Leben bewährte,
das hing freilich, wie in allen Dingen auf dieser unvollkommenen
Erde, in erster Linie von den Männern ab, welche die Grundsätze in
die Wirklichkeit zu übertragen hatten."
Zwischen Bethmann Hollweg und Falkenhayn waren vom Herbst
1914 bis zum Frühjahr 1916 grundlegende Meinungsverschieden-
heiten kaum vorhanden. Ein scharfer Zwiespalt aber entstand, wie
Bethmann Hollweg selbst berichtet, über den U-Bootkrieg, den Fal-
kenhayn zur Entlastung seiner Verdunstrategie in unbeschränkter
Form forderte, während Bethmann ihn wegen ungenügender Stärke
an U-Booten ablehnte. Eine besondere innere Harmonie hat zwischen
Bethmann Hollweg und Falkenhayn nicht bestanden.
Die Dritte O.H.L.
AIs Falkenhayn, dem unbestreitbar das Verdienst zukommt,
1914 in schwerer Lage mit starken Nerven und großer Willenskraft
die Oberste Heeresleitung wieder straff zusammengefaßt zu haben,
nach dem Scheitern seiner Verdunstrategie und beim Kriegseintritt
Rumäniens von seinem Platze weichen mußte, ging ein Wunschtraum
Die Dritte O.H.L.
19
Bethmann Hollwegs in Erfüllung, nämlich die Berufung der Heer-
führer des Ostens, Hindenburg und Ludendorff, an die oberste Stelle.
In seinen „Betrachtungen zum Weltkriege" hebt Bethmann Hollweg
nachdrücklich hervor, daß die Dritte Oberste Heeresleitung zunächst
die Absicht gehabt habe, unter tunlichster Trennung der militärischen
und politischen Funktionen vertrauensvoll mit der politischen Lei-
tung zusammenzuarbeiten. Nach seiner Ansicht konnte eine geeigne-
tere Wahl für die militärische Oberste Heeresleitung nicht gefunden
werden, als wenn die durch ihre unerhörten Erfolge auf dem öst-
lichen Kriegsschauplatz zu größtem Ansehen gelangten Generale
v. Hindenburg und Ludendorff an die maßgebende Stelle gebracht
wurden. Das ganze deutsche Volk hing an ihnen mit gläubigem Ver-
trauen, und ihre Berufung mußte sich daher auch für die Erhaltung
des inneren Burgfriedens vorteilhaft auswirken.
Blieb ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen dem Reichskanz-
ler und den Männern der O.H.L. für die Zukunft bestehen, so hätte
das eine fast ideale Lösung des Problems der obersten Führung im
Weltkriege bedeutet. Zum Unheil Deutschlands kam es anders.
Schon elf Monate nach der Berufung Hindenburgs und Ludendorffs
war es so weit, daß die Generale sich berechtigt, ja sogar verpflichtet
glaubten, den Abgang des Kanzlers zu erzwingen, obwohl ein ge-
eigneter Nachfolger für ihn nicht vorhanden war und die hierfür
am meisten genannten Persönlichkeiten, der ehemalige Reichskanzler
Fürst Bülow und der Großadmiral v. Tirpitz, kaum Aussicht hatten,
vom Kaiser zum Nachfolger Bethmann Hollwegs ernannt zu werden.
Die weitere Entwicklung der Dinge im Weltkriege, auf der einen
Seite große militärische Erfolge, auf der anderen Seite unverhält-
nismäßig große Schwierigkeiten, mit denen die Staatsverwaltung
sich abzumühen hatte, um den Anforderungen des Krieges auch nur
einigermaßen zu entsprechen, alles dies erwarb den von der öffent-
lichen Meinung Deutschlands vergötterten Generalen ein sich immer
noch steigerndes Maß allgemeinen Ansehens. Es zeigte sich, in wie
hohem Maße gerade das deutsche Volk zur Heldenverehrung neigt.
Angesichts der gewaltigen Opfer, die vom deutschen Volke bei der
Schwere der Kriegslage immer wieder gefordert werden mußten,
hatte das eine große Bedeutung. Eine schädliche Auswirkung dieses
Vertrauens ist es aber zweifellos gewesen, wenn bald von allen Sei-
ten her Wünsche an die Oberste Heeresleitung herangebracht wor-
den sind, die ausgesprochen politischen Charakter trugen und häufig
mit der Kriegführung an sich nur in losem Zusammenhang standen.
Immer wieder ertönten aus der Heimat und aus dem Munde solcher
Persönlichkeiten, die den Männern der O.H.L. als unbestrittene Sach-
verständige galten oder als hohe Intelligenzen erschienen, Wünsche,
mitunter sogar Forderungen, die es als eine Pflicht gegen das Va-
20 Politik und Kriegführung bis zur Großen Schlacht in Frankreich 1918
terland hinstellten, der an anderen Stellen herrschenden Rat- und
Tatlosigkeit mit dem Kraftüberschuß und dem Ansehen der Obersten
Heeresleitung auszuhelfen. Da alles, was mit der Leitung der Ope-
rationen zusammenhing, einer öffentlichen Kritik, während die Waf-
fen sprachen, unmöglich unterzogen werden durfte, politische Ange-
legenheiten aber sehr oft eine breite und unbefangene Erörterung
fanden, wurde es für die zur politischen Führung berufenen Per-
sönlichkeiten immer schwerer, ihren Entschließungen Geltung zu ver-
schaffen. Das Schlagwort von der unfähigen und energielosen Di-
plomatie wurde sehr bald gefühlsmäßig fast unterschiedslos den Ver-
tretern der politischen Leitung angehängt und erschwerte ihnen häu-
fig die Betätigung ihres politischen Willens.
Cs wäre verfehlt, aus dieser Entwicklung den Schluß ziehen zu
wollen, daß Feldmarschall v. Hindenburg, der während der ganzen
Kriegszeit von der Übernahme der Obersten Heeresleitung im August
1916 an mit seinem Ersten Generalquartiermeister General Luden-
dorff eine völlige innere Einheit bildete, sich aus eigener Neigung
oder aus einem gewissen Kraftwillen heraus in die Politik einge-
mischt habe. Seine Auffassung war, daß die diplomatische Beschäf-
tigung an uns Deutsche geradezu wesensfremde Anforderungen
stelle, ebenso wie auch von ihm bekannt ist, daß er sich in seinen Er-
innerungen „Aus meinem Leben" selbst als eine im Grunde unpoli-
tische Natur bezeichnet hat. Andererseits hielt er in einem solchen
Koalitionskriege, wie es der Weltkrieg nun einmal war, mit seinen
unendlich vielen und mannigfaltigen, auf die Kriegführung wirken-
den Entscheidungen eine völlige Zurückhaltung der Kriegsleitung von
der Politik für unmöglich. „Ich würde es vor meinem Gewissen nicht
haben verantworten können, wenn ich nicht meine Anschauungen in
all den Fällen zur Geltung gebracht hätte, in denen die Bestrebun-
gen anderer uns nach meiner Überzeugung auf eine bedenkliche Bahn
führten, wenn ich nicht da zur Tat getrieben hätte, wo ich Taten-
losigkeit oder Tatenunlust zu bemerken glaubte, wenn ich endlich
meine Ansichten für Gegenwart und Zukunft nicht dann mit aller
Schärfe vertreten hätte, wenn die Kriegführung und die zukünftige
militärische Sicherheit meines Vaterlandes durch politische Maßnah-
men berührt oder gar gefährdet wurden. Man wird mir zugeben,
daß die Grenzen zwischen Politik und Kriegführung sich wohl nie
mit voller Schärfe ziehen lassen werden. Beide müssen schon im
Frieden zusammenwirken, da ihre Gebiete eine wechselseitige Ver-
ständigung unbedingt verlangen. Sie müssen sich im Kriege, in dem
ihre Fäden tausendfach verschlungen sind, gegenseitig ununterbrochen
ergänzen. Dieses schwierige Verhältnis wird sich nie durch Bestim-
mungen regeln lassen. Auch der lapidare Stil Bismarcks läßt die
Grenzlinien ineinander überfließend erscheinen. Es entscheidet eben
Die Dritte O.H.L.
21
in diesen Fragen nicht nur die sachliche Materie, sondern auch der
Charakter der an ihrer Lösung arbeitenden Persönlichkeiten."
Als Hindenburg im Winter 1914/15 den Reichskanzler v. Beth-
mann Hollweg zum ersten Male in Posen als Gast begrüßen konnte,
gewann er die Überzeugung, es mit einem klugen und gewissenhaf-
ten Manne zu tun zu haben. Die Anschauungen der beiden Männer
von den damaligen Kriegsnotwendigkeiten deckten sich in allen we-
sentlichen Punkten. „Ein tiefes Verantwortungsgefühl sprach aus
allen Äußerungen des Kanzlers. Diesem Gefühl schrieb ich es zu,
wenn mir in der Beurteilung der Kriegslage durch Herrn v. Beth-
mann nach meinem soldatischen Empfinden etwas zuviel Bedenken
und infolgedessen etwas zu wenig Zuversichtlichkeit entgegentraten."
Als bei der Berufung des Generalfeldmarschalls v. Hindenburg
zum Nachfolger Falkenhayns General Ludendorff als Erster Gene-
ralquartiermeister sich die volle Mitverantwortlichkeit ausbedang,
war das Triumvirat der obersten Kriegsleitung um eine weitere
Persönlichkeit von besonderer militärischer Bedeutung bereichert. Die
militärische Leitung erfuhr dadurch eine wesentliche Verstärkung und
damit auch rein gefühlsmäßig gegenüber der öffentlichen Meinung
ein sich immer schärfer ausprägendes Übergewicht gegenüber den
Männern des politischen Geschäfts. Mit Recht weist Wolfgang Foer-
ster darauf hin°, daß in der Geistesgemeinschaft Hindenburgs und
Ludendorffs nur ein Gedanke, ein Wille, ein Ziel zum Ausdruck ka-
men. „Man trifft sich im Denken wie im Handeln, — so hat es Hin-
denburg selbst geformt — und die Worte des einen sind oftmals nur
der Ausdruck der Gedanken und Empfindungen des anderen." Hin-
denburg erblickte daher eine seiner vornehmsten Aufgaben darin, „den
geistvollen Gedankengängen, der nahezu übermenschlichen Arbeits-
kraft und dem nie ermattenden Arbeitswillen meines Chefs soviel
als möglich freie Bahn zu lasten und sie ihm, wenn nötig, zu schaf-
fen. Freie Bahn in der Richtung, in der unser gemeinsames Sehnen,
unsere gemeinsamen Ziele lagen: der Sieg unserer Fahnen, das Wohl
unseres Vaterlandes, ein Friede, wert der Opfer, die unser Volk ge-
bracht hatte... Auf die Harmonie unserer kriegerischen und politi-
schen Überzeugungen gründete sich die Einheitlichkeit unserer An-
schauungen in dem Gebrauch unserer Streitmittel. Verschiedenhei-
ten der Auffassungen fanden ihren natürlichen Ausgleich und Ab-
gleich, ohne daß das Gefühl gemachter Nachgiebigkeiten auf einer
oder der anderen Seite jemals störend dazwischentrat. Die gewaltige
Arbeit meines Generalstabschefs setzte unsere Gedanken und Pläne
auf das Räderwerk unserer Armeeführung um und später auf das 5
5 Graf Schliessen und der Weltkrieg, 2. Ausl., S. 238.
22 Politik und Kriegführung bis zur Großen Schlacht in Frankreich 1818
der gesamten Obersten Heeresleitung, nachdem diese uns anvertraut
worden war."
Von den Anschauungen, die General Ludendorff in den Jahren
nach dem Weltkriege über seine Zusammenarbeit mit dem General-
feldmarschall v. Hindenburg verschiedentlich öffentlich bekundet hat,
braucht hier an dieser Stelle nicht gesprochen zu werden, da für die
Beurteilung der Vorgänge im Weltkriege nur das damalige ge-
genseitige Verhältnis der beiden maßgebenden Männer der O.H.L.
in Frage kommt. In seinen „Kriegserinnerungen" hat Ludendorff
die „tiefste Harmonie" gepriesen, in der er mit dem Feldmarschall
zusammengearbeitet habe. Er selbst empfand es mit tiefinnerer Ge-
nugtuung, daß Hindenburg „die Idealgestalt dieses Krieges für das
deutsche Volk, die Verkörperung des Sieges für jeden Deutschen"
wurde. Von Ludendorff selbst stammen die Worte: „Der Ruhm des
Eeneralfeldmarschalls steht fest in den Herzen des deutschen Volkes.
Ich habe ihn hoch verehrt und ihm treu gedient, seinen vornehmen
Sinn ebenso geschätzt wie seine Königsliebe und feine Verantwor-
tungsfreudigkeit." Daran wollen wir uns halten. Es sei ergänzend
nur noch hinzugefügt, wie General Ludendorff nach Ausweis seines
1922 erschienenen Buches „Kriegführung und Politik" über die Ge-
staltung des Verhältnisses zwischen Politik und Kriegführung im
Weltkriege gedacht hat. Für die Zusammenarbeit zwischen Kanzler
und Heerführer forderte er die engste Zusammenarbeit zwischen den
maßgebenden Persönlichkeiten. „Der Reichskanzler hatte die Auf-
gabe und die Pflicht, die geeinte Kraft des deutschen Volkes der
Kriegführung zum Siege auf dem Schlachtfelde immer wieder zuzu-
führen. Die Kriegführung mußte der Politik, d.h. dem Reichskanz-
ler, mitteilen, was sie zur Erringung des Sieges brauchte. Die Po-
litik wurde Gehilfin der Kriegführung, nicht nur, wie bisher, im
Bereitstellen der Truppen im Frieden, sondern, man kann sagen, auf
fachtechnischem Gebiet. Arbeiten und Handeln der Regierung ge-
wannen eine ebensolche kriegsentscheidende Bedeutung wie das Ar-
beiten und Handeln der O.H.L. ... Die Zeit war vorüber, in der
die Politik der Kriegführung sagen konnte: .Gewinne Du den Krieg,
das andere ist meine Sache', als Kriegführung und Politik noch je
eine Staatshandlung war, der die andere untätig zusehen durfte.
Kriegführung und Politik waren eins geworden. Es konnte kein
Zweifel mehr darüber bestehen, daß die Gesamtpolitik des Staates
dem Kriege zu dienen und dessen Anforderungen zu erfüllen habe.
Ich sage dem .Kriege' und nicht der .Kriegführung', weil ich nicht
der Ansicht bin, der Reichskanzler habe sich der militärischen Krieg-
führung unterstellen sollen. Diese war nur ein Teil der Gesamt-
kriegführung geworden, gewiß immer noch ein sehr wesentlicher ge-
blieben. Das Wesen des Krieges verlangt nicht nur, daß .eine ge-
Die Dritte O.H.L.
23
wisse Einsicht in das Kriegswesen der Führung des politischen Ver-
kehrs nicht fehlen solle', sondern der Reichskanzler mußte von sol-
chen Anschauungen über den Krieg beseelt sein, daß er sich selbst an
die Spitze der Gesamtkriegführung stellte und sie der Politik als
übergeordnet ansah. Nur in der Erreichung des Friedens durfte die
äußere Politik besondere, der Kriegführung in gewissem Umfange
übergeordnete Wege gehen." Danach hätte sich für den Reichskanz-
ler die Forderung ergeben, wenn er sich an die Spitze der Gesamt-
kriegführung stellte, nunmehr die ihm obliegende politische Aufgabe
als der Gesamtkriegführung nachgeordnet anzusehen. Das wäre nur
dann richtig, wenn die Politik, und im Kriege besonders die Außen-
politik, eine untergeordnete Art staatlicher Betätigung darstellte.
Auch für Ludendorff bildete die Verkörperung der obersten
Kriegsleitung in der Person des Kaisers als des Obersten Kriegs-
herrn die Voraussetzung für eine erfolgreiche Arbeit des Triumvirats.
Er tadelt in diesem Zusammenhange, daß es „in dem Ringen der
Kriegführung mit der Politik" an der Entscheidung der Krone ge-
fehlt habe. „Seine Majestät der Kaiser, von seiner nächsten Um-
gebung lange Zeit allein im Sinne des Reichskanzlers beeinflußt,
ließ ihm im Innern vollständig freie Hand. Die O.H.L. erkannte
dies. So wurde es letzten Endes die Schuld der O.H.L., nicht zur
Rettung des Staates und der Monarchie mit deren Zustimmung die
Diktatur ergriffen und die unfähige Regierung ersetzt zu haben."
Zum Verständnis dieser Auffassung ist noch ein Blick auf die
Gedankenwelt des Heeres erforderlich. In der preußisch-deutschen
Armee galt entschlossenes Handeln als erstes Erfordernis im Kriege.
In diesem Sinne hieß es in der für die ganze Armee gültigen Feld-
dienstordnung: „Ein jeder — der höchste Führer wie der jüngste
Soldat — muß sich stets bewußt fein, daß Unterlassen und Versäum-
nis ihn schwerer belasten als ein Fehlgreifen in der Wahl der Mittel."
War es da nicht Pflicht, zum Besten des Vaterlandes zu handeln,
so lange es noch Zeit war? Von einer solchen Anschauung aus war
es kein weiter Schritt, wenn die Oberste Heeresleitung im Sommer
1917 den Abgang des Reichskanzlers v. Bethmann Hollweg erzwang,
ohne einen geeigneten Nachfolger für ihn bereit zu haben. Das
Kräfteverhältnis zwischen den obersten Gewalten hatte sich zu un-
gunsten der Politik, aber besonders auch zu ungunsten der monar-
chischen Spitze verschoben.
Es liegt in der Natur der Dinge, daß für die gewaltigen Ar-
beitsgebiete eines großen Krieges zahlreiche intelligente und tat-
kräftige Persönlichkeiten zur Mitarbeit herangezogen werden müssen.
Je größer ihre Befähigung und ihr persönlicher Ehrgeiz, um so leich-
ter kann vaterländisches Wollen sie über die Grenzen hinausführen,
24 Politik und Kriegführung bis zur Großen Schlacht in Frankreich 1918
die ihrem Wirken nach den Gesetzen der Hierarchie gezogen sind.
Darin lag die Gefahr, daß in der freieren Atmosphäre des Krieges
Nachgeordnete Persönlichkeiten zu großem sachlichen und persönlichen
Einfluß gelangen konnten. Zu allen Zeiten und in allen Feldherrn-
stäben ist die gleiche Erscheinung beobachtet worden, wenn auch na-
turgemäß in den kleineren Armeen früherer Jahrhunderte alles sich
in kleinerem Rahmen abspielte, so daß im Großen meist nur von der
Persönlichkeit des an höchster Stelle Verantwortlichen die Rede war.
Selbst ein Mann wie Bismarck hatte 1866 und 1870/71 erhebliche
Energie aufzuwenden, um sich gegen die höheren Generalstabsoffi-
ziere im Großen Hauptquartier durchzusetzen. Trotzdem ist er nicht
so weit gegangen, den selbständigen und kriegerischen Geist, den er
sich als Gegner gegenüberfand, grundsätzlich zu verwerfen, sondern er
hat es sogar für bedauerlich erklärt, „wenn diese Wirkung kriegeri-
schen Geistes in der Armee nicht stattfände". Dieser werde gefähr-
lich, meinte er, „nur unter einem Monarchen, dessen Politik das
Augenmaß und die Widerstandsfähigkeit gegen einseitige und ver-
fassungsmäßig unberechtigte Einflüsse fehlt".
Unter den Persönlichkeiten, die über den Rahmen ihrer eigent-
lichen Dienststellung im Großen Hauptquartier hinaus einen größe-
ren Einfluß nicht nur erstrebten, sondern ausübten, ist in erster Linie
der nach dem Weltkriege beim Kapp-Putsch beteiligte und später in
China tragisch aus dem Leben geschiedene Oberst Bauer zu nennen.
Ihm unterstand in der Hauptsache bei Beginn des Weltkrieges die
Beschaffung der artilleristischen Ergänzung. Mit der stetig wachsen-
den Ausgestaltung seines wichtigen Arbeitsgebietes, das er vortreff-
lich betreute, gewann er immer größeren Einfluß, den er alsbald
auch auf die Personenfrage ausdehnte. So hat er nach Ausweis sei-
nes Buches „Der große Krieg in Feld und Heimat. Erinnerungen
und Betrachtungen" (Tübingen 1921) an der Ersetzung des Generals
Falkenhayn durch das Feldherrnpaar Hindenburg und Ludendorff
einen nicht unerheblichen Anteil gehabt und zum Sturze des Reichs-
kanzlers v. Bethmann Hollweg wesentlich beigetragen. Er war auch,
wie hier vorgreifend bemerkt sei, die Hauptveranlassung dafür, daß
der Kaiser im Januar 1918 sich von seinem Chef des Zivilkabinetts
trennen mußte, hätte auch gern den Reichskanzler Grafen Hertling
beseitigt, stieß hierbei aber auf den Widerspruch des Generals Lu-
dendorff, der ihm erklärte, sie hätten sich Zusammenarbeit gelobt,
und er wolle dieses Versprechen loyal halten. In dem Kronprinzen
Wilhelm, dem er nahestand, erblickte Bauer den einzigen Mann, „der
sah und sehen wollte". Ihm erklärte Oberst Bauer anfangs Februar
1918, daß „der Kaiser unser Verhängnis sei, wei* er weder selbst
zugriffe, noch fähige Leute an die entscheidende Stelle setze. Wir gin-
gen in die Revolution und seines Erachtens müsse der Kaiser zu-
Die Dritte O.H.L.
25
packen oder die Zügel der Regierung für einige Zeit niederlegen."
Nach Bauers Darstellung hat es damals der Kronprinz Wilhelm ab-
gelehnt, irgendwie gegen seinen Vater Stellung zu nehmen, und
auch General Ludendorff hielt den von Bauer vorgeschlagenen Weg
für unmöglich. Bauer schließt seine Darlegungen über diese tragisch
wichtige Frage mit den Worten: „So ging das Unheil seinen Lauf,
unsere einzige Hoffnung war die bevorstehende Offensive."
Wie die Dinge sich allmählich gestaltet hatten, blieb den Trägern
der politischen Verantwortung nichts anderes übrig, als in wich-
tigen Fragen zu versuchen, sich von Fall zu Fall durchzusetzen. Auch
sie standen meist in ihrem Denken und Fühlen der Armee nahe, hat-
ten in ihr gedient oder dem Beurlaubtenstande angehört. Äußerlich
sichtbare Erfolge hatten sie bisher im Weltkriege nicht aufzuweisen.
Im Gegenteil, man machte sie sowohl für den Eintritt Englands in
den Weltkrieg wie für das Verhalten Italiens mehr oder weniger
verantwortlich. Wenn Hindenburg bei seiner stets beherrschten
Mäßigung im Urteil in seinen Erinnerungen „Aus meinem Leben"
von seiner „Abneigung gegen alles Diplomatische" spricht und hin-
zufügt, daß nach seinem Empfinden die diplomatische Beschäftigung
wesensfremde Anforderungen an uns Deutsche stelle, so ist die Auf-
fassung Ludendorffs, daß die O.H.L. zur Rettung des Staates und
der Monarchie mit deren Zustimmung damals die Diktatur hätte er-
greifen und die unfähige Regierung ersetzen müssen, davon nicht weit
entfernt. Bis zu der Anschauung von der Politik als einem „Produkt
aus Feigheit und Unfähigkeit", wie sie gelegentlich im Kasinojargon
laut wurde, ist dann nur ein kleiner Schritt.
Von den Veränderungen, die sich aus der geschilderten Entwick-
lung für die Stellung des Obersten Kriegsherrn ergab, wird weiter
unten — bei Schilderung des Zustandes bei Beginn des Jahres 1918
— die Rede sein. Wir wenden uns nun den Männern der politischen
Leitung zu.
Die Männer der politischen Leitung.
Der Reichskanzler v. Bethmann Hollweg war ein Mann von
feiner Geistigkeit und tiefem Verantwortungsgefühl. Vor seiner Be-
rufung zum Reichskanzleramt, das er als ein schweres Erbe vom
Fürsten Bülow zu übernehmen hatte, war ihm selten Geleaenheit
gegeben, sich mit außenpolitischen Fragen zu beschäftigen. Mit der
ihm eigenen Gründlichkeit arbeitete er sich in das ihm fremde Ge-
biet ein und erkannte bald, daß es für Deutschland bei seiner außen-
politisch sehr gefährdeten Lage die Hauptsache sei, den englischen Ge-
gensatz möglichst zu beschwören. Hierbei trat ihm die gerade in seiner
Amtszeit als Reichskanzler so scharf betonte Entwicklung der deut-
26 Politik und Kriegführung bis zur Großen Schlacht in Frankreich 1918
schen Marine hindernd in den Weg, nicht zum wenigsten, weil der
Kaiser den Aufbau der Flotte als sein ureigenstes Gebiet, ja als
seine ihm von der Vorsehung bestimmte Lebensaufgabe betrachtete.
Trotzdem hat der Kanzler für den Ausgleich des englisch-deutschen
Gegensatzes getan, was in seinen Kräften stand.
Den Eintritt Englands in den Weltkrieg betrachtete Bethmann
nicht nur als ein nationales Unglück, sondern er erblickte in ihm ge-
radezu den Zusammenbruch seiner eigensten außenpolitischen Vor-
kriegspolitik. In dem schönen Briefe, den er am 3. Dezember 1917 an
den Chef des Zivilkabinetts v. Valentini gerichtet hat, finden sich die
Worte: „Was an der Seele nagt, bleibt, daß man diese Weltkata-
strophe nicht abzuwenden verstand. Aber darüber können nicht Men-
schen, sondern nur Gott urteilen." Immer suchte er nach den letzten
Gründen, darin ein wahrer Philosoph, und sicherlich hat ihm gerade
diese Besonderheit seines Wesens persönliche Auseinandersetzungen
und Machtkämpfe, zumal wenn sie ihm aussichtslos erschienen, all-
mählich immer mehr verleidet. Aber so lange er das Amt des Reichs-
kanzlers bekleidete, wollte er nicht nur für die großen Entscheidungen
der Außenpolitik, sondern auch für alle Fragen die Verantwortung
übernehmen, die auf die Erzielung einer möglichst hohen deutschen
Kraftleistung im Kriege ausgingen. Dabei sollten nach seinem Wil-
len und seiner strengen Beamtenauffassung die Ressortgrenzen nach
Möglichkeit innegehalten werden.
Für die außenpolitischen Fragen stand seit Januar 1913 Staats-
sekretär v. Jagow an der Spitze des Auswärtigen Amtes. Erwachsen
in der Schule der deutschen Diplomatie hat er jederzeit dem Reichs-
kanzler zur Verfügung gestanden und nach dessen Weisungen die
Außenpolitik geleitet. Persönlich trat er nicht weiter hervor. Als
er am 25. November 1916 aus dem Dienst schied, rückte der bisherige
Unterstaatssekretär Zimmermann in seine Stelle, dessen Nachfolger
am 5. August 1917 der bisherige Botschafter in Konstantinopel
v. Kühlmann geworden ist.
Der Sturz des Reichskanzlers v. Bethmann Hollweg im Juli
1917 erfolgte, wie in der bisher erschienenen Literatur, besonders in
den Erinnerungswerken Hindenburgs und Ludendorffs, sowie in den
von mir herausgegebenen Erinnerungen des Kabinettschefs Rudolf
v. Valentini, nach jeder Richtung hin klargestellt ist, auf unmittel-
bare Veranlassung der Obersten Heeresleitung. Sowohl Hindenburg
wie LuLendorff hatten aus seiner Entlassung eine Kabinettsfrage ge-
macht und dabei die Unterstützung des Kronprinzen Wilhelm gefun-
den. Wie ernst es den beiden Generalen darum zu tun gewesen ist,
nun bei dem Wechsel des Reichskanzlers endlich zu einer möglichst
reibungslosen Zusammenarbeit öer politischen und militärischen Lei-
Die Männer der politischen Leitung
27
tung zu gelangen, ergab sich sofort aus der Art, wie sie dem neuen
Reichskanzler Michaelis gegenübertraten. Versuche, die unternom-
men waren, um den damals bereits 74jährigen Grafen Hertling für
den Kanzlerposten zu gewinnen, waren gescheitert. Hertling hatte
abgelehnt, da er sich als Süddeutscher und als Katholik nicht imstande
fühlte, „auf die Dauer die zahlreichen Hemmungen zu überwinden,
die sich ihm als Kanzler entgegenstellen würden, und mit der O.H.L.
erfolgreich zusammenzuarbeiten, deren Eingreifen in die Führung der
Politik ja schon unter Bethmann zu den schwersten Kämpfen geführt
hatte"«.
Drei schwere Kriegsjahre lagen bereits hinter Deutschland und
den mit ihm verbündeten Mächten, als der bisherige Staatskommis-
sar für Volksernährung, Unterstaatssekretär Michaelis, das Amt des
Reichskanzlers übernahm. Schon am 10. August 1917 sandte der
Generalfeldmarschall v. Hindenburg dem Reichskanzler eine Denk-
schrift, die mit den Worten begann: „Wie Heer und Flotte im Kriege
zusammenstehen müssen, so müssen auch Reichsleitung und Oberste
Heeresleitung unbedingt gemeinsame Wege gehen. Leider war dies
bisher nicht der Fall." Hindenburg bekannte sich dann ausdrücklich
dazu, gegen die Reichsleitung Stellung genommen, auf ihre Maß-
nahmen einen gewissen Druck ausgeübt zu haben. Hierzu habe ihn
die Entwicklung der Gesamtlage gezwungen und schließlich in ihm
die Überzeugung erweckt, daß wir trotz aller militärischen Erfolge
unfehlbar dem Abgrunde zugingen. Aus diesem Grunde habe er
pflichtmäßig beim Kaiser gegen Herrn v. Bethmann Hollweg auftre-
ten müssen. „Ich habe lange gezögert, da ein derartiges Heraus-
treten aus meinem Wirkungskreis gegen eine einzelne Person mich
schwere innere Kämpfe gekostet hat."
Hindenburg belegte es sodann im einzelnen, daß er in verschie-
denen Fragen, so hinsichtlich der Ernährung, der Kohlen, der Pro-
duktionssteigerung, der Reichsleitung Anregungen habe geben müs-
sen, da sonst gar nichts oder jedenfalls nichts Ausreichendes geschehen
wäre. Wörtlich fuhr er fort: „Die Ansicht, daß Politik und Heer-
führung sich trennen lassen, war schon immer falsch. Sie ist grund-
verkehrt in einem Kriege, an dem das ganze Volk mitarbeitet. Ich
hätte also nur dann schweigen können, wenn die Reichsleitung von
sich aus alles Nötige getan hätte. Der Vorwurf, der, wie mir gesagt
ist, gegen mich erhoben ist, daß ich ganz allgemein eine Abhängigkeit
der Reichsleitung von der Obersten Heeresleitung erstrebe, ist sinnlos.
Ich wäre der Erste gewesen, der mit einer zielbewußten Reichslei- 6
6 Rittmeister Graf von Hertling, „Ein Jahr in der Reichskanzlei".
Freiburg i. Br., 1919, S. 11.
28 Politik und Kriegführung bis zur Großen Schlacht in Frankreich 1918
tung zusammengegangen wäre... Nachdem nun Euere Exzellenz die
Reichsleitung übernommen haben, betone ich nochmals, daß, wie Heer
und Volk zusammengehören, so auch die beiden leitenden Stellen
eng zusammenarbeiten und Vertrauen zueinander haben müssen.
Wie dies Bestreben bei mir herrscht, so setze ich es auch bei Euer
Exzellenz voraus. Es ist aber auch nötig, daß die unterstellten Or-
gane beiderseits in gleichem Sinne arbeiten."
Die Denkschrift machte dann weiter den ehrlichen Versuch, der
nunmehrigen Reichsleitung des Reichskanzlers Michaelis das Gefühl
zu nehmen, als wenn sie etwa nur eine Beauftragte der Obersten
Heeresleitung darstellen sollte. Hindenburg bot an, Michaelis möge,
falls ihm das erwünscht erscheine, in Einzelfragen die Vorgänge durch
Vertreter seines Dienstbereichs nachprüfen lasten. Zum Schluß be-
zeichnete die Denkschrift einige Fragen als besonders dringlich, näm-
lich Maßnahmen für die Leitung der Presse, für die Aufklärungs-
tätigkeit im Volke und für die Sicherstellung der Stetigkeit in der
Kriegsindustrie, wozu die Erfassung aller Arbeitskräfte und der Er-
satz der Wehrfähigen in den Fabriken gehörten. Von hoher Bedeu-
tung war die Sicherung der Kohlenversorgung für Volk, Heer und
Rüstungsindustrie und die Ernährungsfrage.
Unter den einzelnen Beschwerden, auf die sich die Oberste Hee-
resleitung zur Erklärung ihres bisherigen Verhaltens gegenüber der
Reichsleitung stützte, wog am schwersten, daß von einer Schädigung
des Ansehens der Monarchie durch Abschließung des Kaisers, von
einem überragenden Einfluß des Kabinetts und von dem Sichdrän-
genlaffen zu Entschließungen die Rede war. Bisher sei die deutsche
Volkskraft nicht genügend ausgenutzt worden; es fehle eine zielbe-
wußte Leitung im Innern und eine hinreichende Aufklärung, daher
machten sich Demoralisation — Wucher, Genußsucht, Verwirrung der
Begriffe von Recht und Pflicht —, Pessimismus, Pflichtvergessen-
heit, Verkommen in Alllagssorgen und Fehlen eines jeden Verständ-
nisses für die Größe und den Ernst der Zeit bemerkbar. Eine ganz
andere Beeinflussung der Presse sei daher erforderlich.
Die O.H.L. suchte damals also mit allen Mitteln für eine mög-
lichst straffe oberste Kriegsleitung zu sorgen. Leider verschob sich das
Machtverhältnis hierbei noch mehr zu ungunsten nicht nur der Poli-
tik, sondern auch der monarchischen Spitze des Triumvirats. Mit
dem Sturze des Reichskanzlers v. Bethmann Hollweg, den der Kai-
ser sich trotz schwerer innerer Hemmungen von außen her aufzwingen
ließ, verzichtete er bereits auf einen wesentlichen Teil seiner Führer-
tätigkeit. Im übrigen stellte es sich sehr bald heraus, daß auch der
Reichskanzler Michaelis die Dinge nicht im Sinne der O.H.L. zu
meistern vermochte. Hindenburg selbst hat sich darüber in seinen Le-
benserinnerungen ausgesprochen und damit zugegeben, daß die Fol-
Die Männer der politischen Leitung 29
gen von Bethmanns Rücktritt bedenkliche gewesen sind: „Der bisher
nach außen hin aufrechterhaltene Schein des politischen Burgfriedens
zwischen den Parteien hörte auf. Es bildete sich eine Mehrheitspartei
mit dem ausgesprochenen Anschluß nach links. Die Versäumnisse,
die angeblich in früheren Zeiten in der Weiterentwicklung unserer
innerstaatlichen Verhältnisse begangen waren, wurden nunmehr im
Kriege und unter dem Druck einer politisch ungeheuer schwierigen
äußeren Lage des Vaterlandes dazu benutzt, um von der Regierung
immer weitere Zugeständnisse zugunsten einer sogenannten parlamen-
tarischen Entwicklung zu erpressen. Wir mußten auf diesem Wege
an innerer Festigkeit verlieren. Die Zügel der Staatsleitung gerie-
ten allmählich in die Hände extremer Parteien"'.
Der Reichstag.
An dieser Stelle ist es angezeigt, einen Blick auf den Reichstag
zu werfen. Von einer Parlamentarisierung der deutschen Regierungs-
verhältnisse konnte in den ersten Kriegsjahren durchaus keine Rede
sein: der Reichstag war wohl vorhanden, aber seine Tätigkeit er-
schöpfte sich im Reden, nicht im Handeln. Immerhin verblieb ihm als
Hauptaufgabe die Bewilligung der gewaltigen Kriegskredite, wobei
ihm die Möglichkeit gegeben war, über diese oder jene Frage Auf-
klärung zu verlangen. In der allgemeinen Begeisterung der ersten
Kriegsjahre hatte sich hierzu weniger Anlaß geboten: der „Burg-
friede" Bethmann Hollwegs und die strenge Handhabung der Presse
hinderten die Parteien an einer allzu rücksichtslosen Bekundung ihrer
Sonderauffassungen. Die Kriegskredite wurden eigentlich immer an-
standslos bewilligt — im Ganzen haben sie während des ganzen
Krieges nicht weniger als 154 Milliarden Mark ausgemacht —, wo-
bei auch die sozialdemokratische Fraktion an Gebefreudigkeit hinter
den anderen Parteien nur wenig zurückstand. Die gemeinsame Über-
zeugung des uns aufgezwungenen Verteidigungskampfes einigte die
Parteistandpunkte. Aber mit Bethmanns Rücktritt hörte das auf.
Die erste schwere Belastungsprobe, die Michaelis in seiner kurzen
Amtszeit zu bestehen hatte, ergab sich aus der Friedensresolution
vom 19. Juli 1917. Michaelis stellte sich bei dieser Gelegenheit dem
Reichstage — es handelte sich um die Beratung eines Nachtrages
zum Reichshaushaltsetat 1917 — zum ersten Male als Reichskanzler
vor und hatte nun gleich zu der vom Abgeordneten Erzberger am
6. Juli in einer Sitzung des Hauptausschusses gehaltenen Rede Stel-
lung zu nehmen. Erzberger hatte an jenem Tage mit einer Deut-
lichkeit über die Kriegslage gesprochen, wie sie damals noch als ganz 7
7 Aus meinem Leben", S. 285.
30 Politik und Kriegführung bis zur Großen Schlacht in Frankreich 1918
unerhört galt. Mit größtem Nachdruck vertrat er den Standpunkt
des Verteidigungskrieges, wie er am 1. August 1914 ausgesprochen
worden sei. Er empfahl eine Entschließung des Reichstages in dem
Sinne, daß der Reichstag einen Frieden des Ausgleichs anstrebe, der
die durch den Krieg gewordenen Machtverhältnisse berücksichtige,
einen Frieden, der keine zwangsweise Unterdrückung von Völkern
und Grenzteilen bringe; wenn der Reichstag das der Reichsregierung
sagen könne, so sei das der beste Weg zum Frieden. Hierzu erklärte
der Reichskanzler Michaelis: „Wir können den Frieden nicht noch-
mals anbieten. Die ehrlich ausgestreckte Hand hat einmal ins Leere
gegriffen 8. Aber mit dem gesamten Volke und der deutschen Armee
und ihren Führern, die mit dieser Erklärung einverstanden sind, ist
die Regierung sich dessen bewußt. Wenn die Feinde ihrerseits von
ihren Eroberungsgelüsten, ihren Niederwerfungszielen ablassen und
in Verhandlungen einzugehen wünschen, werden wir ehrlich und frie-
densbereit hören, was sie uns zu sagen haben. Bis dahin müssen wir
ruhig und geduldig und mutig ausharren."
Mit der Friedensresolution hatte der Reichstag sich aus seiner
bisherigen Zurückhaltung herausgewagt und in einer wichtigen Frage
der Gesamtkriegführung zugunsten eines baldigen Friedens seine
Stimme vernehmen lassen. Wenn auch die Oberste Heeresleitung
mit diesem Schritt, von dem sie eine Lähmung des Kampfgeistes be-
fürchtete, keineswegs einverstanden war, so hat sie sich doch in Rück-
sicht auf die Stellung des Reichskanzlers Michaelis bei seinem ersten
Auftreten damit einverstanden erklärt.
Der Einfluß des Reichstages auf die öffentliche Meinung zur
damaligen Zeit war kaum zu überschätzen. Gewiß: für die Armee,
besonders für das Offizierkorps, war der Reichstag die „Schwatz-
bude". Man verkannte aber auch in der Armee keineswegs den gro-
ßen Einfluß der Parteiführer auf die Geschlossenheit im Innern.
Wollte man bei der unerwartet langen Kriegsdauer auf ein
weiteres williges Mitgehen der gesamten Bevölkerung rechnen, so
durften Konflikte mit dem Reichstage nicht entstehen. In diesem
Sinne hatten Hindenburg und Ludendorff am 11. September 1917
eine grundlegende Aussprache mit dem Reichskanzler Michaelis, an
der auch der Kaiser teilnahm. Für den Kanzler war es vielleicht die
wichtigste Voraussetzung seines Kanzleramtes, genau zu wissen, zu
welchen Kriegszielen die damalige Lage an den Fronten und im In-
nern des Reiches berechtigte. Michaelis hat sich nach Abschluß der
Besprechungen tags darauf schriftlich bei den Generalen dafür be-
dankt, daß sie beide „in so weitsichtiger Weise und weitab vom ein- 9
9 Anspielung auf das von der Entente abgelehnte Friedensangebot der
Mittelmächte vom 12'. Dezember 1916.
Der Reichstag
fettigen Standpunkt militärischer Gesichtspunkte" ihn darin unter-
stützt hätten, „maßvolle Kriegsziele für den Fall zu umgrenzen", daß
wir bald, etwa im Herbst oder Frühwinter, zu Friedensverhandlungen
gelangen könnten. Michaelis bat die Männer der O.H.L., in besänf-
tigendem Sinne auf die Vertreter einer einseitigen annexionistischen
Richtung, so auf den Grafen Westarp, einzuwirken, wenn sie gele-
gentlich ins Große Hauptquartier kämen. Aus seinem Schreiben
sprach der ernste Wille nach möglichster Abkürzung des Krieges, wenn
es zum Schluß hieß: „Unsere Stürmer und Dränger sollen sich be-
ruhigen! Wenn wir auf obiger Grundlage unserem armen, gequäl-
ten Volke und der Welt den Frieden verschaffen können, dann sollen
wir es tun, und nicht einen Monat länger eines noch so wertvollen
Stützpunktes wegen Krieg führen. Helfen Sie also bitte für Auf-
klärung sorgen!"
Eine wesentliche Rolle spielte bei diesen Erörterungen die Zu-
kunft Belgiens. Es lag tatsächlich so, daß man damals besonders in
der Marine und in weiten patriotischen Kreisen einen Verzicht auf
die flandrische Küste als einen schweren Schlag empfand. Sollte es
dazu kommen, so dachte man an einen gewissen Ausgleich durch die
Erlangung von Vorzugsplätzen im Hafen von Antwerpen, durch die
Ausschaltung des englischen Einflusses an den Küsten Flanderns und
Nordfrankreichs und durch die Rückgabe der Kolonien an Deutsch-
land. Eine wirtschaftliche Angliederung Belgiens hielten die Heer-
führer, wie aus dem Antwortschreiben Hindenburgs an Michaelis
vom 15. September 1917 hervorging, ohne eine mehrjährige Okku-
pation nicht für möglich. Über diese Okkupation hinaus sollte die
deutsche Stellung in Lüttich wirken, die als unmittelbarer militäri-
scher Schutz des niederrheinisch-westfälischen Industriegebietes gedacht
war. Rur wenn wir in Lüttich „als Besitzer" unbeschränkte Herren
der Lage blieben, könnten wir die erforderlichen militärischen und
verwaltungstechnischen Maßregeln treffen. Rach Ansicht der Heer-
führer war daher an die Räumung von Lüttich „in irgend einer ab-
sehbaren und vertragsmäßig festgesetzten Zeit" nicht zu denken.
Hindenburg fügte seinem Antwortschreiben an Michaelis vom
15. September 1917 eine Denkschrift Ludendorffs vom 14. Septem-
ber über die Kriegsziele bei. Danach beurteilte er Deutschlands Lage
im Inneren in bezug auf Futter und Kohle als schwierig, — die
Finanzwirtschaft sei außerordentlich angespannt, — durch die Reichs-
tagsmehrheit sei unsere Lage im Inneren zu einer wenig erfreulichen
geworden, — die Arbeiter- und damit auch die Ersatzfrage habe sich
verschärft. Ludendorff glaubte aber an die Möglichkeit, diese inneren
Schwierigkeiten durch die feste Leitung der jetzigen Regierung zu
überwinden. Alles in allem hielt er unsere damalige militärische
Lage für günstiger als die der Entente, unser Bündnis für fester und
32 Politik und Kriegführung bis zur Großen Schlacht in Frankreich 1918
die Schwierigkeiten im Inneren für geringer als bei der Entente.
Durch das Ausscheiden Rußlands feien wir sehr entlastet; in Italien
und Frankreich drohe Kohlennot; in England werde die Ernährung
schwierig und starke soziale Schwierigkeiten wirkten für Friedens-
stimmung. Amerika durfte nach seiner Ansicht nicht unterschätzt,
aber auch nicht überschätzt werden. Einen Frieden vor Beginn des
Winters 1917/18 hielt auch Ludendorff für erstrebenswert, aber nur,
wenn er uns in eine militärische und wirtschaftliche Lage versetze,
die uns einem neuen Verteidigungskriege mit Ruhe ins Auge sehen
lasse.
Von einem Verzicht auf Belgien war bei den Heerführern somit
noch keine Rede. In diesem Sinne äußerte sich auch Großadmiral
v. Tirpitz, der seit der am 2. September 1917 erfolgten Begründung
der „Vaterlandspartei" einen großen Einfluß auf die öffentliche
Meinung gewonnen hatte, in einem Schreiben vom 15. September
1917 an den Reichskanzler. Ihm erschien der Besitz von Belgien als
eine Existenzbedingung für Deutschland, während diese ganze Frage
für England nach seiner Ansicht dem europäischen Kontinent gegen-
über nur eine Machtfrage bedeutete. Tirpitz riet daher dem Reichs-
kanzler, die Nerven zu behalten, da der U-Bootkrieg wirke, und noch
kein Desinteressement an Belgien zu erklären: das sei vielmehr Eng-
lands Sache.
Stand es bei uns nun so, daß die politische Leitung des Reiches
sich von den Kriegszielen der O.H.L. ohne weiteres freizumachen ver-
mochte, so lag selbst in ausschweifenden Kriegszielen keine Gefahr.
Der eben erst ernannte Reichskanzler Michaelis befand sich aber nicht
in dieser Lage. Sein Vorgänger war durch die Männer der O.H.L.
aus seiner Stellung verdrängt worden, da diese sachlich mit ihm nicht
übereinstimmten. Das mußte ihm eine Warnung fein.
Ehe noch Michaelis seine Ansichten zu verwirklichen vermochte,
wurde er durch denselben Reichstag, in dem er sich mit der Friedens-
resolution eingeführt hatte, gestürzt. Am 9. Oktober 1917 wurde
im Reichstage über eine „Interpellation Antrick und Genossen, be-
treffend Agitation durch Vorgesetzte im Heere zugunsten alldeutscher
Politik" verhandelt. Den Ausgangspunkt bildete die vaterländische
Aufklärungsarbeit im Heere, mit der Offiziere nach Annahme der
Friedensresolution im Reichstage beauftragt worden waren. Durch
diese Vorträge sollte der Mut zum Durchhalten gestärkt werden, eine
Maßregel, deren Erfolg angesichts der langen Kriegsdauer und des
Lebensalters zahlreicher Soldaten zweifelhaft erschien. Reichskanzler
Michaelis hatte auf die Angriffe des Abgeordneten Dittmann von
der Unabhängigen Sozialdemokratie gegen die „Alldeutsche Propa-
ganda im Heere" zunächst noch mit einer gewissen Zurückhaltung
geantwortet. Dann brachte der Staatssekretär des Reichsmarine-
Der Reichstag
33
amtes, Admiral v. Capelle, zur Sprache, daß der Versuch gemacht
worden sei, Mannschaften der Flotte zur Gehorsamsverweigerung zu
verleiten, um so die Flotte lahmzulegen und den Frieden zu er-
zwingen. Da hierbei drei Abgeordnete der Unabhängigen Sozial-
demokratie persönlich des Zusammenspiels mit den Matrosen be-
schuldigt wurden, und der Reichskanzler die Partei der Unabhängi-
gen als jenseits der Linie der Vaterländischen Front stehend bezeich-
nete, entwickelte sich ein schwerer Konflikt zwischen ihm und dem
Reichstage, der nunmehr seinerseits zu einer aktiven Politik über-
ging. Der Rücktritt des Reichskanzlers Michaelis erschien dabei ge-
radezu als eine Selbstverständlichkeit. Durch Vermittlung des Chefs
des Zivilkabinetts v. Valentini wurde dem Kaiser am 23. Oktober
ein Schriftstück der Mehrheitsparteien überreicht, das den Kanzler-
wechsel bereits als unabänderlich erscheinen ließ. Wörtlich hieß es
darin: „Sollte Seine Majestät der Kaiser zu dem Entschluß kom-
men, einen Kanzlerwechsel eintreten zu lassen, so dient es dem höch-
sten Staatsinteresse, für ruhige innerpolitische Entwicklung bis
Kriegsende volle Gewähr zu schaffen. Rur hierdurch kann diejenige
Geschlossenheit hergestellt werden, deren das Volk in Waffen und in
der Heimat dringend bedarf. Der Weg zu diesem Ziel ist eine ver-
trauensvolle Verständigung über die äußere und innere Politik des
Reiches bis zum Kriegsende. Die innerpolitischen Schwierigkeiten
der letzten Monate sind auf den Mangel einer solchen Verständigung
zurückzuführen."
Der Anspruch des Reichstages auf Mitberatung trat alsdann
deutlich in den Schlußworten zutage: „Seine Majestät den Kaiser
bitten wir daher, vor der von ihm zu treffenden Entschließung die
zur Leitung der Reichsgeschäfte in Aussicht genommene Persönlich-
keit zu beauftragen, sich mit dem Reichstag zu besprechen." Das be-
deutete den ersten Vorstoß auf dem Wege zur Parlamentarisierung
der Reichsleitung.
Am 1. November 1917 genehmigte der Kaiser den Rücktritt
des Reichskanzlers Michaelis und berief den bayerischen Minister-
präsidenten Grafen Hertling an seine Stelle. Dieser hatte, wie bereits
mitgeteilt, im Juli 1917 die Nachfolge des Reichskanzlers v. Beth-
mann Hollweg abgelehnt. Nunmehr waren so dringende Ruse des
Kaisers und des Königs von Bayern an ihn ergangen, daß er sich in
vaterländischem Interesse verpflichtet fühlte, die schwere Bürde des
Kanzleramtes im Alter von 74 Jahren auf sich zu nehmen. Sein Ent-
schluß wurde ihm dadurch erleichtert, daß „die O.H.L. feierlichst er-
klärt hatte, sich in die Führung der Politik nicht mehr einmischen zu
wollen" 9
9 „Ein Jahr in der Reichskanzlei", S. 14.
Schwertfeger. Das Weltkrlegsende
3
34 Politik und Kriegführung bis zur Großen Schlacht in Frankreich 1918
Graf Hertling war ein abgesagter Feind des Parlamentarismus
und übernahm fein Amt ohne irgend welche Bindungen in der
Außenpolitik. „Ungebrochen focht noch die deutsche Kraft mit dem
Schwerte in der Hand um die Existenz des Deutschen Reiches, und
staunend sah die ganze Welt auf die Leistungen des deutschen Heeres
und ihrer Führer. Das war auch das Einzige, was Graf Hertling zu
tun wußte. Als guter deutscher Patriot kam ihm noch nicht der Ge-
danke, an einem deutschen Siege zu zweifeln. Voll unbegrenzten
Vertrauens folgte er den Gedankengängen der beiden Feldherren,
die damals die Geschicke des deutschen Volkes lenkten. Die politische
Reichsleitung ließ der Obersten Heeresleitung völlig den Vorrang,
und wenn jemals eine Übereinstimmung in den Grundanschauungen
der Feldherren und des Reichskanzlers bestanden hat, so war es da-
mals. Dieses gute Einvernehmen ist auch in keiner Weise gestört
worden durch den Reichstag. Dieser hat unter dem Grafen Hertling
keinen Versuch mehr unternommen, die Auswärtige Politik in die
Hand zu nehmen"10.
In der inneren Politik aber entfernten sich die Parteien des
Reichstages immer mehr von einander. Angesichts der Auffassung
der äußersten Rechten — Siegfrieden — und der äußersten Linken
— Frieden um jeden Preis — schwankte die zwischen ihnen stehende
Mehrheit haltlos zwischen Optimismus und Pessimismus hin und
her. Auch hier fehlte daher jeder Halt, auf den sich vielleicht eine
anlehnungsbedürftige Regierung hätte stützen können. Grundsätzlich
bejahte Graf Hertling das Vorrecht der Politik. Sein hohes Alter,
sein körperlicher Zustand und sein unerschütterlicher Glaube an die
militärischen Leistungen Deutschlands aber veranlaßten ihn zu einer
großen persönlichen Zurückhaltung, die nun wiederum die tatsäch-
lichen Entscheidungen hauptsächlich in die Hände der Obersten Hee-
resleitung legte. Graf Hertling war, wie er selbst wiederholt bekannt
hat, „keine Kampfnatur", und sein Einfluß reichte nach seinen eigenen
Worten nur so weit, „als sich etwas durch Vernunft und gütliches Zu-
reden erreichen läßt."
Wichtige Entscheidungen standen infolge der Lage im Osten nach
dem Ausscheiden Rußlands aus der Kampflinie gerade damals be-
tinr* AWrt-C -trirt S QT m 4- Srt/r CT? rrTryn-rTslvc: i t Ti 0 V Tt st Ti TYt
Der Kompetenzstreit um die Verantwortlichkeit 35
Der Kompetenzstreit um die Verantwortlichkeit.
Bei den Friedensschlüssen von Brest-Litowsk und Bukarest hatte
die politische Leitung des Reichskanzlers Grafen Hertling, der am
1. November 1917 sein schweres Amt übernommen hatte, sich zum
ersten Male an einer großen Aufgabe zu bewähren. In den Kreuz-
nacher Besprechungen vom 18. Dezember 1917 hatte der Kaiser eine
Mitwirkung der O.H.L. bei den Friedensverhandlungen in Brest-
Litowsk angeordnet. Mit dem Augenblick, wo hier zum ersten Male
im Weltkriege Friedensbesprechungen größeren Umfanges stattfan-
den, gewann die Zuständigkeitsfrage ausschlaggebende Bedeutung.
Die Verhandlungen standen insofern für Deutschland unter einem
ungünstigen Stern, als von ihrem schnellen Abschluß die militäri-
schen Pläne für eine Offensive an der deutschen Westfront abhingen.
Man konnte daher die Dinge nicht zur Reife gelangen lassen, son-
dern mußte die Gegenseite unter Druck stellen. Hing doch nicht nur
die Zahl und Art der im Osten freiwerdenden Streitkräfte, sondern
auch der zeitliche Beginn der geplanten großen Offensive im Westen
davon ab. Hier lag sogar eine doppelte Einengung der deutschen
Bewegungsfreiheit vor, denn es mußte auch auf den immer stärker
werdenden Einsatz amerikanischer Truppen gerechnet werden, nach-
dem die Vereinigten Staaten am 6. April 1917 in den Kriegszustand
getreten waren.
Auf die Einzelheiten des nunmehr einsetzenden Kompetenzstrei-
tes um die Mitwirkung der politischen und militärischen Führer bei
den Friedensverhandlungen im Osten braucht hier nicht näher ein-
gegangen zu werden. Die beste Einführung in die ganze Frage bil-
det ein am 7. Januar 1918 vom Generalfeldmarschall v. Hindenburg
an den Kaiser gerichtetes Schreiben, in dem er davon ausging, daß
die verantwortliche Mitwirkung der beiden Heerführer an den Frie-
densverhandlungen einem kaiserlichen Befehle entspreche. „Euer
Majestät haben uns damit das Recht und die Pflicht übertragen,
darüber mitzuwachen, daß das Ergebnis des Friedens den Opfern
und Leistungen des deutschen Volkes und Heeres entspricht und der
Frieden uns materiell so kräftigt und uns so starke Grenzen bringt,
daß unsere Gegner nicht so bald einen neuen Krieg zu entfesseln
wagen werden."
Von dieser Feststellung ausgehend äußerte nunmehr Hinden-
burg schwere Bedenken hinsichtlich der Einsicht und der Tatkraft der
politischen Leiter. In Brest-Litowsk hatten am 22. Dezember 1917
die Friedensunterhandlungen begonnen. Hierbei sollte Staatssekre-
tär v. KUhlmann mit den deutschen Unterhändlern „mehr diploma-
tisch als kraftvoll" aufgetreten sein. Daraus hätten die russischen
Unterhändler den Schluß gezogen, daß Deutschland den Frieden eben-
36 Politik und Kriegführung bis zur Großen Schlacht in Frankreich 1918
so brauche wie Rußland. Der gleiche Eindruck herrsche bei vielen
Stellen des Heeres. Da das Heer nun Hindenburg und Ludendorff
dafür verantwortlich mache, fei das nachgiebige Verhalten der deut-
fchen Unterhändler in Brest-Litowsk wohl geeignet, eine ungünstige
Beurteilung auch der Generale der O.H.L. hervorzurufen, denn der
lange Schllhengrabenkrieg und die zerfahrenen Verhältnisse im In-
nern hätten auch im Heere die Lust an der Kritik gesteigert. Hin-
denburg fuhr wörtlich fort: „Ich vermag die Befürchtung nicht zu
unterdrücken, daß die Art der Verhandlungen und das Ergebnis in
Brest die Stimmung des Heeres ungünstig beeinflussen. Diese wird
jetzt auf die größte Probe gestellt. Um uns die politische und wirt-
schaftliche Weltstellung zu sichern, deren wir bedürfen, müssen wir
die Westmächte schlagen. Dazu haben Euer Majestät die Angriffs-
schlacht im Westen befohlen. Es bedeutet dies die allergrößte An-
strengung, die wir im ganzen Kriege gemacht haben; die allerschwer-
sten Opfer werden gefordert werden. Ob wir dann den Gewinn für
Deutschland im Friedensschluß erhalten, den unsere Machtstellung
erfordert und der unserer Opfer wert ist, muß ich nach den Vor-
gängen in Brest bezweifeln. Eine ungeheure Enttäuschung des heim-
kehrenden Heeres und des Volkes, das unerschwingliche Steuerlasten
tragen müßte, würde die unausbleibliche Folge sein."
Rach einigen Bemerkungen, die ein scharfes Mißtrauen der
O.H.L. gegen den Staatssekretär des Auswärtigen Amtes v. Kühl-
mann erkennen kaffen, hieß es weiter: „Solange nur. beraten und
nicht gehandelt wird, treten die Gegensätze scheinbar zurück. Wird
aber, wie jetzt in der austro-polnischen Lösung gegen Österreich oder
in Brest gegen die Russen, zur Tat geschritten, so zeigen sich die ge-
gensätzlichen Auffassungen in ihrer ganzen Schärfe. Bei jeder Gele-
genheit wird sich dies und damit die jetzige Lage wiederholen. Euer
Majestät hohes Recht ist es, zu entscheiden. Aber Euer Majestät
werden nicht befehlen, daß aufrichtige Männer, die Euer Majestät
und dem Vaterlande treu gedient haben, sich mit ihrer Autorität
und mit ihrem Namen an Handlungen beteiligen, die sie aus inner-
ster Überzeugung als schädlich für Krone und Reich erkannt haben.
Die schwere Aufgabe, die Euer Majestät den Männern auferlegen,
die die Operationen im Westen nach Euer Majestät Weisung vor-
zubereiten und zu führen haben, bedingt, daß sie des uneingeschränk-
ten, persönlichen Vertrauens Euer Majestät sicher sind. Sie und das
Heer müssen dabei von dem Gefühl getragen werden, daß der poli-
tische Erfolg dem militärischen Erfolge entsprechen wird. Euer
Majestät bitte ich alleruntertänigst, Allerhöchst sich g"undlegend zu
entscheiden. Meine und des Generals Ludendorff Person dürfen bei
Staatsnotwendigkeiten keine Rolle spielen."
Der Kompetenzstreit um die Verantwortlichkeit
37
Dieses überaus gewichtige Schreiben bedeutet nichts anderes,
als daß die Männer der O.H.L. dem Monarchen als dem Obersten
Kriegsherrn die Entscheidung darüber aufzwangen, welcher Kurs
nunmehr gesteuert werden sollte. Die Machtfrage zwischen politischer
und militärischer Leitung war gestellt. Der Kaiser mußte sich jetzt
fragen, ob er dem Reichskanzler Grafen Hertling und seinem außen-
politischen Berater, dem Staatssekretär v. Kühlmann, oder den Auf-
fassungen der O.H.L. den Vorrang geben wollte. Aber auch an den
Grafen Hertling und Herrn v. Kühlmann trat die Notwendigkeit
heran, sich grundlegend zu äußern.
Auf die einzelnen Phasen des nunmehr beginnenden Kompe-
tenzkampfes braucht hier nicht näher eingegangen zu werden. Auf
Grund von Bemerkungen des Staatssekretärs v. Kühlmann vom
10. Januar 1918, die er in Brest-Litowsk niederschrieb, entstand eine
Denkschrift, die der Reichskanzler Graf Hertling am 23. Januar 1918
dem Kaiser übersandte. Den Gipfelpunkt dieser Denkschrift bildeten
die Worte: „Der Staatssekretär des Auswärtigen Amtes treibt keine
eigene Politik, er führt die von niir auf Befehl Euer Majestät ge-
leitete Politik aus. Ich darf aber für mich in Anspruch nehmen,
daß ich Euer Majestät zu keiner Politik zu raten imstande wäre,
die dahin führen würde, Deutschland von der Höhe herabzuführeu,
auf die Euer Majestät und Allerhöchstderen Vorfahren es geleitet
haben." — Dieser Vorwurf war in Hindenburgs Schreiben vom
7. Januar 1918 angedeutet worden. — „Im Gegensatz zu den exak-
ten Wissenschaften kennt die Politik nicht eine einzige unumstößlich
richtige Lösung gestellter Probleme, sie wird immer von der subjek-
tiven Überzeugung geleitet werden, daß jeder die für das Heil des
Vaterlandes richtige Politik vertritt. Die Entscheidung, welcher
Kurs eingehalten werden soll, liegt bei Euer Majestät. Ich stehe
nicht an zu glauben, daß, wie bisher, auch künftig es der Weisheit
Euer Majestät gelingen wird, die für das Vaterland nützlichste Po-
litik durch Abwägen der von Allerhöchstderen Ratgebern vorgetra-
genen Gründe zu bestimmen und den Männern, die auf militäri-
schem Gebiet Euer Majestät und dem Vaterlande so unermeßliche
Dienste geleistet haben, das Gefühl zu erhalten, daß sie das Ver-
trauen ihres Allerhöchsten Kriegsherrn in vollem Umfang genießen.
Anderseits dürfen aber auch die durch das ehrenvolle Vertrauen
Euer Majestät ausgezeichneten politischen Ratgeber beanspruchen,
daß ihnen auch seitens der militärischen Stellen dasselbe Vertrauen
auf ihre Leistungsfähigkeit und ihr durch langjährige Erfahrung er-
worbenes und gebildetes politisches Urteil entgegengebracht wird."
Dem Schreiben war eine „Erklärung über die Abgrenzung der
Verantwortlichkeit" beigelegt, auf die sich Graf Hertling und die
O.H.L. geeinigt hatten. Sie lautete:
38 Politik und Kriegführung bis zur Großen Schlacht in Frankreich 1918
„1. Die staatsrechtliche Verantwortung für die Friedensver-
handlungen trägt nach der Reichsverfassung allein der
Reichskanzler. Eine Teilung der staatsrechtlichen Verantwor-
tung ist unmöglich. Die Verantwortung des Reichskanzlers für
die Friedensverhandlungen bezieht sich auf die zu erstrebenden
Ziele, die in Anwendung gebrachte Taktik und die Ergebnisse.
2. Die obersten militärischen Stellen, d. h. der Chef des
Generalstabes des Feldheeres, der Erste Generalquartiermeister,
der Kriegsminister und der Chef des Admiralstabes der Marine,
haben, soweit die Friedensverhandlungen die militärischen In-
teressen berühren, das Recht und die Pflicht, in beratender
Weise an den Verhandlungen einschließlich der zur Anwendung
zu bringenden Taktik mitzuwirken.
Der Umkreis der militärischen Interessen ist nicht auf die
militärischen Angelegenheiten im engeren Sinne beschränkt,
sondern umfaßt auch die Fragen der Änderung der Reichsgren-
zen, Fragen unserer künftigen Beziehungen zu anderen Staa-
ten und — soweit diese mit der Führung dieses oder eines künf-
tigen Krieges im Zusammenhang stehen — Fragen unserer in-
neren Politik, wirtschaftliche Fragen, Ernährungsfragen, Fra-
gen des Handels- und Verkehrswesens, der Arbeiterinteressen,
endlich die moralische Wirkung der zu treffenden Maßnahmen
auf Heer und Marine.
Die militärischen Stellen können ihre Forderungen nach
dieser Richtung jederzeit aus eigener Initiative vorbringen,
jedoch immer nur im Sinne von Anregungen, Ratschlägen, Be-
denken oder Warnungen. Der Reichskanzler wird alsdann bei
seiner Entscheidung darauf Bedacht nehmen, daß Forderungen,
die die militärische Durchführung des gegenwärtigen Krieges
berühren, vor allen anderen Forderungen den Vorrang erhalten.
3. Sollten die militärischen Stellen glauben, auf einer von
dem Reichskanzler abgelehnten Forderung bestehen zu müssen,
und wird auf dem Wege der gegenseitigen Aussprache eine Eini-
gung nicht erzielt, so ist die Entscheidung Seiner Majestät des
Kaisers einzuholen."
Den Abschluß des Kompetenzstreites bildete ein Schreiben des
Obersten Kriegsherrn an den Generalfeldmarschall v. Hindenburg
vom 24. Januar 1918. Der Kaiser dankte den Generalen darin für
den soldatischen Freimut und die rückhaltlose Klarheit, mit denen
sie für ihre Überzeugung eingetreten seien. „Sie sowohl als der Ge-
neral Ludendorff, den Sie als gleichgesinnt nennen, haben sich auch
hierin als Männer gezeigt, deren völlige Hingabe und Tatkraft mir
Der Kompetenzstreit um die Verantwortlichkeit 39
zur weiteren Führung des Krieges unentbehrlich sind. Mein Ver-
trauen zu Ihnen beiden kann auch nicht erschüttert werden dadurch,
daß Ich und mein politischer Ratgeber, der Reichskanzler, in man-
chen Punkten von Ihren Darlegungen abweichen. Daß Soldat und
Staatsmann inmitten des gewaltigsten Koalitionskrieges, den je die
Welt sah, in den einzelnen Fragen der Kriegsziele und der Art, wie
sie zu erreichen sind, einen verschiedenen Standpunkt vertreten, liegt
in der Natur der Sache und ist eine alte, durch die Geschichte oft
erwiesene Erscheinung, die mich auch jetzt nicht überrascht hat. Es ist
Ihr gutes Recht und Ihre Pflicht, Ihre Ansichten energisch zur Gel-
tung zu bringen, ebenso wie es Pflicht des verantwortlichen Staats-
mannes, ist, seine anders geartete Anschauung mir vorzutragen.
Die Entscheidung liegt bei mir."
Das Wesentlichste bei der Erledigung dieser Verantwortlichkeits-
frage war, daß der Kaiser sich ganz auf die Seite der politischen Lei-
tung stellte und den Wunsch aussprach, daß es den Generalen ge-
lingen möge, „weitere Bedenken fallen zu lassen, um sich unbeein-
flußt den Aufgaben der eigentlichen Kriegführung widmen zu kön-
nen". Durch die anerkennende Form, in der der Kaiser den Feld-
marschall bat, seinen wertvollen Rat ihm auch fernerhin nicht vor-
zuenthalten wurde die Angelegenheit in der denkbar freundlichsten
Form beigelegt, und ein Rücktritt der Generale konnte nicht mehr
in Frage kommen
Formell war nunmehr seitens des Obersten Kriegsherrn alles
geschehen, um den politischen Ratgebern des Reiches ihre Aufgabe
zu erleichtern. Hierbei muß in Betracht gezogen werden, daß der
Kaiser damals gar nicht in der Lage gewesen wäre, das Rücktritts-
gesuch der beiden Generale anzunehmen. Die überwältigende Mehr-
heit des deutschen Volkes stand hinter den Männern der O.H.L., und
im Heere wäre trotz aller Kriegsverdrossenheit und bedenklicher wei-
terer Symptome der Rücktritt der Generale, jedenfalls Hindenburgs,
gar nicht verstanden worden. Der Kaiser mußte daher einen Weg
suchen, wie er die Forderungen der Politik mit denen der O.H.L.
versöhnte. Wie weit er damals gegangen ist, um dieses Ziel zu er-
reichen, erhellt vielleicht am deutlichsten daraus, daß er den von der
O.H.L. gewünschten Rücktritt des ihm nahestehenden und in voller
Übereinstimmung mit ihm arbeitenden Chefs des Zivilkabinetts
v. Valentini am 16. Januar 1918 genehmigte. Der Kaiser hat die
Notwendigkeit dieses ihm aufgezwungenen Nachgebens persönlich
sehr stark empfunden und geriet nunmehr in steigendem Maße in
jene Vereinsamung hinein, die Kronprinz Wilhelm in seinen Er-
innerungen so anschaulich geschildert hat. Von nun an ließ er die
Dinge in der Hauptsache gehen, erteilte formell seine Zustimmung,
wo es ihm nötig erschien, nahm aber nur noch selten bestimmenden
40 Politik und Kriegführung bis zur Großen Schlacht in Frankreich 1918
Anteil an den zu fassenden Entschlüssen. Von einem Triumvirat
zwischen Monarchen, politischem und militärischem Führer im Sinne
der Auffassungen des Grafen Schliessen konnte man nicht mehr spre-
chen. Eine eigene politische Saite ließ der Kaiser kaum mehr anklin-
gen, und auf dem militärischen Gebiete hatte er sich des Hauptteiles
seiner Einwirkung begeben. Immer aber verblieb dem Monarchen
das Recht und die Pflicht der Ernennung der maßgebenden Persön-
lichkeiten, so daß seine persönliche Verantwortung für alles, was
weiter geschah, in nichts gemildert wurde.
Unter solchen Zeichen begann das entscheidende Kriegsjahr 1918.
Betrachten wir noch einmal das Triumvirat:
An der Spitze der Kaiser als Oberster Kriegsherr, aber in
seinen Befugnissen wesentlich eingeengt, dennoch formal ver-
antwortlich und im besonderen für die Besetzung der obersten
Stellen allein zuständig;
darunter die Männer der politischen Leitung: Reichskanz-
ler Graf Hertling, in hohem Maße von den Gedankengängen
der O.H.L. beeinflußt und in vollem Vertrauen auf ihren end-
gültigen Erfolg. Unter ihm Staatssekretär v. Kühlmann, ganz
Politiker und als solcher, hauptsächlich auf Grund seiner bereits
gemachten Erfahrungen, skeptisch gegen die O.H.L. eingestellt;
schließlich das Feldherrnpaar, auf dem die ganze militärische
Verantwortung für die kommende Offensive lastete.
Für die wirkungsvolle Zusammenarbeit zwischen der Politik
und der Kriegführung in den bevorstehenden entscheidenden Mona-
ten wurden nun weitere Vorbereitungen getroffen. Da der Reichs-
kanzler durch seine Dienstgeschäfte meist in Berlin festgehalten war,
entsandte er als seinen Vertreter im Großen Hauptquartier den
Landrat a. D. Grafen Limburg-Stirum. Als Vertreter der O.H.L.
beim Reichskanzler war seit August 1917 der ehemalige Militär-
attache in Paris, Oberst v. Winterfeldt, befehligt. Er verfügte über
alle Nachrichten der O.H.L. und stand in dauerndem dienstlichen
Verkehr mit Ludendorff und den maßgebenden Abteilungschefs der
O.H.L. Uber die Lage an der Front hat Winterfeldt den Reichs-
kanzler auf Grund der ihm zugehenden Nachrichten täglich unter-
richtet, sich auch mehrfach zur O.H.L. begeben und von dort ausge-
dehnte Fahrten an die Front unternommen, um persönliche Ein-
drücke für den Vortrag beim Reichskanzler zu sammeln.
Auch das Auswärtige Amt verfügte über besondere Verbindun-
gen mit der militärischen Leitung. In Berlin befand sich Oberst
v. Haeften als Vertreter der O.H.L. Er leitete die „militärische
Stelle des Auswärtigen Amtes", die vom Mai 1918 an zu klarerer
Der Kompetenzstreit um die Verantwortlichkeit 41
Betonung ihrer Zuständigkeit als „Ausländsabteilung der O.H.L."
bezeichnet wurde. Oberst v. Haeften stand mit dem Großen Haupt-
quartier, besonders mit General Ludendorff, in steter persönlicher
oder telephonischer Verbindung. Zwischen ihm und dem General be-
stand ein nahes Vertrauensverhältnis. AIs Vertreter des Auswär-
tigen Amtes befand sich im Großen Hauptquartier Legationsrat
Frhr. v. Lersner, während die unmittelbare Verbindung des Aus-
wärtigen Amtes mit dem Kaiser durch den Wirklichen Legationsrat
Frhr. v. Grünau hergestellt wurde.
Für die Verbindung zwischen den Männern der politischen und
militärischen Leitung waren also überall geeignete Persönlichkeiten
vorhanden. Soweit die O.H.L. für die Stellenbesetzung zuständig
gewesen ist, hat sie hierfür Männer ihres vollsten Vertrauens und
von ausgezeichneter Generalstabsbildung gewählt.
Die rein militärische
oberste Kriegsleitung
Bis zum 29. September 1918
Zur Vorgeschichte der großen Schlacht in Frankreich.
Am Anfange des entscheidenden Kriegsjahres 1918 stand die
gewaltige geistige Propaganda Wilsons, des Präsidenten der
Vereinigten Staaten.
Ein Jahr war bereits vergangen, seit Wilson in seiner Bot-
schaft vom 22. Januar 1917 zum ersten Mal als Ziel des Weltkrieges
die Begründung eines Völkerbundes angekündigt hatte. In dieser
Botschaft fanden sich die Worte:
„Ein Sieg würde einen Frieden bedeuten, der dem Unter-
legenen aufgezwungen wird, das dem Besiegten auferlegte Ge-
setz des Siegers. Er würde als Demütigung, als Härte, als uner-
trägliches Opfer angenommen werden, er würde einen Stachel,
Nachsucht, ein bitteres Gedenken hinterlassen, auf dem das Frie-
densgebäude nicht in dauerhafter Weise, sondern nur wie auf
Flugsand ruhen würde. Nur ein Frieden unter Gleichen kann
Dauer haben. Nur ein Frieden, dessen Grundprinzip Gleich-
heit und gemeinsame Teilhaberschaft am gemeinen Nutzen ist,
ist die richtige Geistesverfassung. Ich schlage mithin vor, es
mögen sich die Völker einmütig die Doktrin des Präsidenten
Monroe als Doktrin der Welt zu eigen machen, daß kein Volk
danach streben sollte, seine Regierungsform auf irgend ein an-
deres Volk oder eine andere Nation zu erstrecken, und daß es
vielmehr jedem Volke, einem kleinen sowohl wie einem großen
und mächtigen, freistehen sollte, seine Regierungsform und sei-
nen Entwicklungsgang unbehindert, unbedroht und unerschrocken
selbst zu bestimmen."
Das war im Januar 1917 gewesen. Der am 31. Januar erfolg-
ten Ankündigung des unbeschränkten Il-Bootkrieges durch Deutsch-
land und Österreich-Ungarn war sodann am 3. Februar der Abbruch
der diplomatischen Beziehungen durch die Vereinigten Staaten und
am 8. April der Kriegszustand gefolgt. Mit Hochdruck bereitete man
sich in Nordamerika auf den Eintritt in den Weltkrieg vor. Von
vornherein aber war Wilson entschlossen, den Kampf nicht nur mit
den Waffen zu führen, sondern ihn mit den Mitteln einer in solcher
Art noch unbekannten geistigen Propaganda vorzubereiten und zu
unterstützen.
So kam es, daß am Anfang des letzten Kriegsjahres Wilsons
14 Punkte gestanden haben, die er am 8. Januar in einer Botschaft
Die teilt militärische oberste Kriegsleitung
an den amerikanischen Senat bekanntgab, und daß am Ende des
deutschen Ringens die Lansingnote vom 5. November 1918 Deutsch-
lands völlige Unterwerfung vorbereitete.
Am Anfang und am Ende des deutschen Ringens im Jahre
1918 stand Wilson. Was dazwischen liegt, ist der Heldenkampf des
deutschen Volkes um seine Behauptung in der Welt nach vier schwe-
ren Kriegsjahren.
Mit dem Gefühl, den überwiegenden Teil der öffentlichen Mei-
nung in der deutschen Heimat und die ganze Armee hinter sich zu
haben, hatte sich die O.H.L. zu einer großen Offensive entschlossen,
die im Frühjahr 1918, noch rechtzeitig vor dem Eintreffen namhaf-
ter amerikanischer Streitkräfte, beginnen sollte. Man war sich im
Großen Hauptquartier der ungeheuren Schwierigkeiten eines auf
Kriegsentscheidung gestellten Angriffs voll bewußt, hoffte sie aber
zu überwinden, da es im Frühjahr 1918 zum ersten Mal möglich
war, den Heeren der Entente im Westen in zahlenmäßig gleicher
Stärke, an den Brennpunkten der Entscheidung vielleicht sogar mit
Überlegenheit entgegenzutreten. Durch die Friedensschlüsse von
Brest-Litowsk und Bukarest war gerade noch rechtzeitig die Sorge
um den Osten behoben: Deutschland kämpfte zum ersten Mal seit
Kriegsbeginn mit gesichertem Rücken. Zwar waren uns unsere West-
gegner in der Gesamtausrüstung, in der Ausstattung mit Flugzeugen
und Tanks, Bekleidungsgegenständen, Munition und vor allem hin-
sichtlich ihrer Verpflegung erheblich überlegen. Trotzdem erhoffte die
O.H.L. den Sieg und baute hierbei auf die Zauberkraft der Offen-
sive. Bis in die Reihen der Grabenkämpfer hinein wurde tatsächlich
im gesamten Heere das Ende des Stellungskrieges und der Entschluß
zum Angriff erwartungsvoll und freudig begrüßt, da er den kaum
mehr ertragbaren Leiden des Dauerkampfes in den Zonen einer nun
schon Jahre andauernden Verwüstung ein Ende zu bereiten ver-
sprach. Ein weiteres Stehenbleiben in passiver Abwehr konnte für
die deutsche Oberste Heeresleitung nicht mehr in Frage kommen, da
die Überlegenheit unserer Gegner mit Kampfmitteln aller Art den
Stellungskrieg schließlich zu unseren Ungunsten hätte entscheiden
müssen. Hieran ließ der Ausgang der großen Materialschlachten im
Jahre 1917 keinen Zweifel. Gesellte sich zu den jetzt vorhandenen
Kräften der Entente im Westen noch der Zustrom frischer amerikani-
scher Truppen, so war auf einen kriegsentscheidenden Erfolg im We-
sten bei einer lediglich auf Abwehr eingestellten Kampfform, mochte
sie auch mit Offensivstößen gepaart sein, kaum mehr zu rechnen.
Von rein militärischem Standpunkt aus war somit gegen den
Entschluß zur Offensive nichts einzuwenden. Es fragte sich nur, ob
Zur Vorgeschichte der Großen Schlacht in Frankreich 47
es für die politische Leitung nicht Mittel und Wege gegeben hätte,
ohne eine solche Offensive, die mit Sicherheit große Verluste fordern
mußte, auszukommen.
In den Wintermonaten, die der Offensive vorausgingen, waren
Friedensmöglichkeiten nicht sichtbar geworden. Verschiedene Ver-
suche von Einzelpersönlichkeiten waren gescheitert. Schriftliche Ein-
gaben besorgter Patrioten, so z.B. eine solche, die von Friedrich
Naumann, Professor Iäckh, Dr. Robert Bosch und anderen am
11. Februar 1918 an den General Ludendorff gerichtet war, beton-
ten wohl die Gefahr einer solchen Offensive und empfahlen eine poli-
tische Offensive Deutschlands zur Brechung des feindlichen Kriegs-
willens, kamen aber über die Tatsache nicht hinweg, daß sich im Aus-
lande nirgends Friedensmöglichkeiten zeigten.
General Ludendorff konnte daher auf die an ihn gerichtete Ein-
gabe vom 11. Februar 1918 nur antworten: „Wir haben nicht die
Wahl zwischen Frieden und Krieg, solange wir ein wirtschaftlich
starkes und gesichertes Vaterland erstreben. Aber wir haben im
Westen zum ersten Male seit dem Einmarsch in Frankreich die Wahl
zwischen Verteidigung und Angriff. Sie darf nicht schwer fallen,
auch wenn die Aufgabe eine gewaltige ist. Nur Handeln bringt Er-
folg. Das haben die Waffenerfolge auf den anderen Kriegsschau-
plätzen bewiesen und jetzt der Vormarsch nach Ablauf des Waffen-
stillstandes. Darum wollen und dürfen wir nicht abwarten, bis die
Entente sich mit amerikanischer Hilfe stark genug fühlt, uns anzugrei-
fen. Der Krieg wird dadurch abgekürzt, Geld und auch Blut gespart
werden... Der Angriff ist noch immer die Fechtweise des Deutschen
gewesen. Das deutsche Heer, das den Frieden genau so will wie die
deutsche Heimat, freut sich der Aussicht, aus dem Stellungskrieg
herauszukommen. Die Offensive wird nicht die Offensive des deut-
schen Generalstabes, sondern die Offensive des deutschen Heeres und
so auch die Offensive des deutschen Volkes sein, und darum, so Gott
will, gelingen."
Gegen diese Antwort Ludendorffs, die auf den Gedanken einer
politischen Offensive gar nicht einging, ist von militärischem Stand-
punkte nichts einzuwenden. Es war richtig, daß uns im Westen zum
ersten Mal seit unserem Einmarsch in Frankreich die Wahl zwischen
Verteidigung und Angriff freistand, und daß dem ganzen deutschen
Heere eine Offensive schon aus dem Grunde willkommen war, weil
sie den Truppen die Aussicht gewährte, aus dem Stellungskriege
endlich herauszukommen.
Auf ein Erlahmen des französischen Kampfwillens durfte die
deutsche oberste Heeresleitung nicht mehr rechnen, seitdem das baldige
Eingreifen amerikanischer Streitkräfte in sicherer Aussicht stand. Be-
sonders die Rede, die Clemenceau zur Abwehr sozialistischer, gegen
48
Die rein militärische oberste Kriegsleitung
seine Politik gerichteter Angriffe am 8. März 1918 in der franzö-
sischen Kammer hielt, konnte auf deutscher Seite nur die Überzeugung
stärken, daß von Frankreich und seinen Verbündeten für den Frieden
nichts zu hoffen fei. Für Clemenceau galt es damals, den Kriegswillen
des französischen Volkes durch den Hinweis auf die unersättlichen
Kriegsziele der Deutschen in Brest-Litowsk auf den Gipfelpunkt zu
steigern: „Meine auswärtige und meine innere Politik sind ganz das-
selbe. Innere Politik: ich führe Krieg. Auswärtige Politik: ich führe
Krieg. Ich führe immer Krieg... Mein Bestreben ist, mich mit unseren
Verbündeten in einem Vertrauensverhältnis zu erhalten. Rußland
verrät uns: ich führe weiter Krieg. Das unglückliche Rumänien ist ge-
zwungen zu kapitulieren: ich führe weiter Krieg, und ich werde wei-
ter Krieg führen bis zur letzten Viertelstunde, denn uns wird die
letzte Viertelstunde gehören."
Bemerkenswert ist eine Niederschrift, die der durch seine Be-
richterstattungen im „Berner Bund" berühmt gewordene Hermann
Stegemann am 16. Februar 1918 dem Reichsabgeordneten Conrad
Haußmann übergab. Haußmann war nach vorheriger Verständigung
mit dem Reichskanzler Grafen Hertling für einige Tage nach der
Schweiz gereist und dort, einem Rate des Staatssekretärs v. Kühl-
mann folgend, auch mit englischen Parlamentariern in Verbindung
getreten. Deutschlands militärische Lage wurde damals von Stege-
mann, wie auch überall in der Welt als sehr günstig angesehen. Man
nahm die militärische Überlegenheit Deutschlands als etwas Selbst-
verständliches hin, sprach aber der kommenden Offensive den Cha-
rakter einer deutschen Verteidigungsmaßregel ab und steigerte sich
in die Vorstellung hinein, daß gerade nach einer siegreichen deutschen
Offensive der Haß der Entente noch viel größer und der Friede noch
viel ferner sein würde. Rach Stegemanns Auffassung konnte selbst
ein siegreicher Ausgang der Offensive Deutschlands Friedensaussich-
ten nicht verbessern. Auch Conrad Haußmann war überzeugt, „daß
ein Friedensschluß nach einer siegreichen Offensive schwerer als
vor einer drohenden und für erfolgreich gehaltenen Offensive fein
werde."
Diese Auffassungen standen zu denen der deutschen O.H.L. in
denkbar schärfstem Gegensatz. Für Hindenburg und Ludendorff stellte
sich die Lage so dar, daß angesichts der feindlichen Ungeneigtheit zu
Friedensbesprechungen überhaupt nur noch der Weg der militärischen
Entscheidung offen blieb. Nachdem das Für und Wider der bevor-
stehenden Offensive nach allen Richtungen hin erörtert und in Ge-
genwart des Obersten Kriegsherrn der Entschluß zur Offensive ge-
faßt worden war, lag es der militärischen Leitung nur noch ob, durch
eine möglichst gründliche Vorbereitung der Offensive ihre Erfolgs-
aussichten so weit zu steigern, wie es nur irgend möglich war.
Zur Vorgeschichte der Großen Schlacht in Frankreich 49
Ließen nicht aber die berühmten 14 Punkte Wilsons vom 8. Ja-
nuar 1918 eine Hoffnung auf Vermeidung der Offensive offen? Die
Worte, die der Reichskanzler Graf Hertling am 24. Januar im
Hauptausschuß des Reichstages den 14 Punkten Wilsons widmete,
wurden damals fast allgemein als ein Versuch aufgefaßt, über den
trennenden Ozean hinweg eine Brücke der Verständigung zu schla-
gen. Verschiedene Punkte des Wilson-Programms wurden darin
ohne weiteres angenommen, und eine Ablehnung erfolgte hauptsäch-
lich nur in der elsaß-lothringischen und in der polnischen Frage, in
letzterer, weil Graf Hertling eine Einmischung der Entente in die
Befreiung Polens, die mit deutschem Blute erkämpft war, ablehnte.
Auf eine bedingungslose Annahme sämtlicher Wilsonscher Punkte,
besonders auf die Rückgabe der Reichslande an Frankreich, konnte
damals der deutsche Reichskanzler unmöglich eingehen. Verschiedene
Nachrichten aus dem Auslande bestärkten ihn außerdem in der Über-
zeugung, daß ein Verständigungswille auf der Gegenseite nicht vor-
lag. Dadurch wurde die Waffenentscheidung unvermeidlich.
Graf Hertling war viel zu klug, um sich nicht zu sagen, daß ein
Scheitern der Offensive vielleicht den Verlust des ganzen Krieges
herbeiführen konnte. Er beauftragte daher seinen Sohn, der im No-
vember 1917 als Adjutant zu ihm kommandiert war, an einen be-
kannten höheren Truppenführer zu schreiben, „der in den vergange-
nen Kriegsjahren mit großem Glücke auf den verschiedensten Kriegs-
schauplätzen gekämpft hatte, und dessen Urteil von um so größerem
Werte erschien, als uns derselbe nicht als annexionslüsterner Mili-
tärpolitiker, sondern als sachlich und nüchtern denkender Mann be-
kannt war, der mit seinen hervorragenden militärischen Eigenschaf-
ten eine kritische Urteilsgabe verband."' Auf eine Reihe ihm ge-
stellter militärischer Fragen antwortete der General mit einer Dar-
legung, die mir wegen ihrer maßgebenden Einwirkung auf den
Reichskanzler so bedeutungsvoll erscheint, daß ich sie hier in vollem
Umfange anfüge. Er schrieb:
„Von einem Verständigungsfrieden kann eigentlich nur dann gesprochen
werden, solange keine der beiden Parteien unter dem ,Zwang' steht, Frieden
schließen zu muffen, sondern jede der Parteien noch Aussicht oder Hoffnung
hat, den Krieg gewinnen zu können, sich aber freiwillig unter Verzicht auf
die Auswirkung dieser Hoffnung zur Verständigung entschließt.
^ Ein Jahr in der Reichskanzlei. Erinnerungen an die
Kanzlerschaft meines Vaters. Von Graf von Hertling, Rittmeister. Herdersche
Verlagshandlung, Freiburg i. B. 1919. Ich bin dem Grafen von Hertling zu
großem Dank dafür verpflichtet, daß er mir den Verfaffer der Denkschrift ge-
nannt hat. Es handelt sich um den in der bayerischen Armee in hohem Ansehen
stehenden, inzwischen verstorbenen General der Infanterie Paul Ritter
v. K n e u ß l, der vor dem Weltkriege mehrere Jahre Kommandeur der
bayerischen Kriegsakademie in München gewesen war.
Schwertsegcr, Das Wcitkrtegsende
4
so
Die rein militärische oberste Kriegsleitung
Dieser Zustand wäre meines Erachtens zurzeit zwischen den Mittel-
mächten und den Westmächten gegeben.
Liegt bei einer Partei einmal wirklich ein mehr oder minder großer
Zwang zum Frieden vor, so kann man eigentlich schon nicht mehr von einem
Verständigungsfrieden sprechen, wenn die dazu gezwungene Partei auch den
'Schein eines freiwilligen Friedens zu wahren suchen wird; es wird ihr dies
um so leichter sein, wenn der Zwang nicht mit einem Schlage entscheidend
und für die Welt offenkundig eintritt, wie z. B. bei einer vernichtenden mili-
tärischen Niederlage, sondern erst langsam ausreift, z. B. aus wirtschaft-
lichen oder innerpolitischen Gründen usw.
Wie hierin schon angedeutet, wird dieser Zwang keineswegs ausschließ-
lich durch eine militärische Niederlage bedingt, sondern kann durch die ver-
schiedensten anderen, allein oder als Folge militärischer Mißerfolge auftre-
tenden Ursachen ausgelöst werden.
Ich für meinen Teil glaube nicht daran, daß zwischen den Mittel-
und den Westmächten der Krieg je durch einen wirklichen Verständigungs-
frieden im obigen Sinne beendet werden wird, mit andern Worten, daß der
Friede freiwillig zustande kommt, solange beide Parteien wie bisher noch
an den eigenen Endsieg glauben. Dazu sind die Gegensätze zu groß gewor-
den und während des langen Krieges einander allmählich zu schroff gegen-
übergetreten.
Jedenfalls scheint mir nach den jüngst bekannt gewordenen Kriegs-
zielen beider Parteien mindestens zurzeit die Möglichkeit eines Verstän-
digungsfriedens mit den Westmächten ausgeschloffen. Ich für mein Teil
weiß ja nun allerdings nicht, wie es hinter den Kulissen aussieht, und ob
ein Zwang zum Friedenschließen nicht da oder dort in höherem Maße vor-
liegt, als man in der Öffentlichkeit ahnt, wobei ich — ausdrücklich gesagt —
nicht an Deutschland denke.
Mit Rücksicht auf unsere Zukunft ist es wohl unbedingt nötig, daß
Deutschland den Krieg gewinnen muß, oder, als äußerste Mindestforderung
ausgedrückt, daß es wenigstens nicht unterliegen darf.
Es fällt uns also die Aufgabe zu, nun auch noch bei den Westmächten
durch geeignete Mittel den Zwang zu erzeugen, der jene zum Friedens-
schluß veranlassen wird.
Um wenigstens das eine Ziel zu erreichen, nicht zu unterliegen, könnte
man an passive Abwehr denken. Wir haben aber aus vielen Gründen doch
allen Anlaß, den Krieg bald zu beenden, was auf dem Wege der Abwehr
nicht zu erreichen ist. Die Zeit ist, wenn vielleicht auch nicht gerade gegen
uns, so doch nicht in solch ausschlaggebendem Maße für uns, daß wir in
reiner Passivität sie allein für uns arbeiten lassen könnten.
Welches sind nun die geeigneten Mittel, um beim Feinde den nötigen
Zwang zum Nachgeben zu erzeugen?
„Der Krieg ist die Fortsetzung der Politik mit andern Mitteln".
Die Politik bleibt aber auch während der Zeit der Wirksamkeit dieser
andern Mittel das Richtunggebende. Stets wird sie, wo und wann nur
irgend möglich, immer wieder einzusetzen, um zu ihrem Ziele zu gelangen, ohne
die „andern" äußersten und an sich unerwünschten Mittel weiter in An-
spruch nehmen zu müssen.
Daß zurzeit eine Möglichkeit bestünde, auf rein politischem Wege zum
Frieden (ohne Nachteile für uns) zu gelangen, erscheint, soweit ich es be-
urteilen kann, ausgeschlossen.
Also müssen die „andern Mittel" weitersprechen.
Zur Vorgeschichte der Großen Schlacht in Frankreich
51
Militärische Erfolge sind naturgemäß das wirksamste Mittel, die Wei-
terführung der Politik in der Richtung eines günstigen Friedens zu unter-
stützen.
Welches Maß militärischen Erfolges nötig ist, um den Feind zum
Nachgeben zu zwingen, ist wohl überhaupt niemals im voraus zu bestim-
men, zumal im Gefolge militärischer Niederlagen andere Erscheinungen
(Friedensverlangen des Volkes, innerpolitische Umtriebe, Revolution usw.)
nebenhergehen, die sich jeder Voraussage entziehen.
Eine solche Vernichtung (Außergefechtsetzung der feindlichen Armee)
ist der einzige militärische Erfolg, von dem man mit Sicherheit sagen kann,
daß er unbedingt zum Nachgeben führen muß (Franzosen 1870/71).
Ob wir hierzu im Weltkriege den Franzosen oder (noch unwahrschein-
licher) den Engländern gegenüber gelangen können, entzieht sich völlig mei-
ner bestimmten Beurteilung, da ich nicht einmal das Stärkeverhältnis der
beiden Parteien kenne. Ich halte jedoch eine solche völlige Lahmlegung einer
der beiden Heeresgruppen nicht für wahrscheinlich, anderseits aber für un-
sern Zweck auch durchaus nicht für nötig.
Ich glaube, es wird lediglich erforderlich sein, den Feinden durch un-
sere Erfolge (nicht durch passive Abwehr) die Hoffnung zu benehmen, daß
sie den Krieg noch gewinnen können, und in ihnen die Befürchtung zu er-
wecken, daß sie schließlich noch offenkundig unterliegen möchten. Sind sie
so weit, dann werden sie unbedingt den Zwang zum Friedenschließen emp-
finden und ihm nachgeben. Ob dazu ein Zurückdrängen der Franzosen bis
Paris oder eine Besitznahme von Calais nötig sein wird, weiß heute wohl
niemand. Ich halte es keineswegs für ausgeschloffen, daß der Zwang be-
trächtlich früher eintritt, besonders wenn der Feind in den ersten kommen-
den Schlachten nachdrücklich unsere jetzige Überlegenheit empfunden haben
sollte. Eines nur scheint mir unwahrscheinlich, daß die Entente zur Schluß-
bilanz sich entschließen wird, zumal wenn diese sich allmählich ungünstiger
zu gestalten beginnt, ehe die Frage der amerikanischen Hilfe geklärt ist. Er-
hofft die Entente von dieser noch einen Umschwung, wenn auch erst 1919,
so ist es schon doch sehr wohl denkbar, daß sie selbst bei ungünstigem Aus-
gang der vor Eintreffen der Amerikaner stattfindenden Kämpfe einem
„Zwang" zum Friedensschluß noch nicht erliegt.
Mir fehlen, wie gesagt, alle irgendwie verläffigen Unterlagen zur Be-
urteilung unserer Aussichten auf Erfolg. Wenn ich aber berücksichtige, was
im Osten an Kräften frei geworden ist, und daß die Amerikaner allem An-
scheine nach doch noch nicht so sehr bald und mit wirklich erdrückender
Macht erscheinen werden, so halte ich rein subjektiv unser bevorstehendes
Unternehmen für aussichtsvoll.
Jedenfalls aber scheint es mir, daß wir zurzeit überhaupt keine andere
Wahl haben, wollen nicht w i r uns zum Nachgeben unter empfindlichen
Opfern und unter Verzicht auf eine befriedigende Zukunft entschließen.
Die beabsichtigte gewaltige Schlußoffensive reiht sich in den Verlauf
des ganzen Krieges, wie er sich nach der Marneschlacht gestaltet hat, nach
militärischen Begriffen sicher ganz logisch ein. Mit einigen kurzen vernich-
tenden Schlägen war die gegen uns aufgestandene riesige Feindesmacht nun
nicht mehr zu überwinden. Stückweise, im Osten beginnend, wurden nun die
einzelnen Kettenglieder der feindlichen Umklammerung zerschlagen: Serbien,
Rumänien, Rußland und zum Teil Italien. Nun haben wir dort freie
Hand, und die ganze Wucht des letzten Entscheidungsschlages wendet sich
gegen Westen.
4
52
Die rein militärische oberste Kriegsleitung
Daß die Teilsiege gegen Rumänien, Italien usw. politisch noch nicht
zu einem vollen Erfolg über die ganze Entente sich auswerten ließen, ist
nicht zu verwundern. Diese Schläge trafen nur einzelne, mehr untergeord-
nete Glieder des Feindes: sein Kern, Frankreich, England, war noch nicht
bezwungen. Trifft diese jetzt ein mächtiger Schlag, so liegt die Sache be-
trächtlich anders. Dieser Stoß ist gegen das Herz des Feindes gerichtet.
Immerhin aber waren jene Teilerfolge doch wohl die Voraussetzung, durch
die uns dieser letzte Schlag erst ermöglicht wurde; auch politisch werden sie
als wertvolle Beträge auf der Habenseite unserer ganzen Abrechnung ge-
bucht sein.
Eine „militärische Entscheidung des Weltkrieges" halte ich also für
Ich verstehe darunter nicht eine, an sich nicht erforderliche völlige
Vernichtung der feindlichen Armeen, sondern nur die Herbeiführung derart
gewichtiger Waffenerfolge, daß durch diese und ihre Begleiterscheinungen
dem Feinde die Aussicht auf Gewinnung des Krieges endgültig genommen
wird und er sich unter den Zwang gestellt fühlt, den Krieg durch einen
Friedensschluß zu beendigen. Dann wird unsere Politik freie Bahn haben,
die günstige militärische Lage zu einem befriedigenden Frieden auszuwer-
ten. Der Zweck des Aufgebotes der „anderen Mittel" für die Fortsetzung
der Politik ist erreicht.
Hoffentlich hält die Heimat so lange durch!"
In diesem Schreiben war das Wesentliche, daß die Politik als
das Richtunggebende bezeichnet wurde, die immer wieder einzusetzen
habe, „um zu ihrem Ziele zu gelangen, ohne die .andern' äußersten
und an sich unerwünschten Mittel weiter in Anspruch nehmen zu
müssen". Die militärischen Erfolge erschienen naturgemäß als „das
wirksamste Mittel, die Weiterführung der Politik in der Richtung
eines günstigen Friedens zu unterstützen". Danach kam es jetzt
darauf an, den Feinden durch unsere militärischen Erfolge die Hoff-
nung zu benehmen, den Krieg noch zu gewinnen, und sie dadurch
friedenswillig zu machen. Hierfür handelte es sich nicht um eine
völlige Vernichtung der feindlichen Armeen, sondern um den auf die
Feinde ausgeübten Zwang, den Krieg durch einen Friedensschluß zu
beendigen. Die Denkschrift hat das Ihrige dazu beigetragen, den
verantwortlichen Führer der deutschen Politik, den Reichskanzler
Grafen Hertling, vollständig von der Notwendigkeit einer großen
Offensive im Westen zu überzeugen.
Alles hing nunmehr davon ab, ob der große Schlag im Westen
gelang. Noch ehe die Offensive einsetzte, traten aber Symptome zu-
tage, die auf einen Rückgang der Kriegsstimmung im Volke hindeu-
teten, nämlich die großen Streiks im Februar 1918.
Unter dem Eindruck der Verhandlungen von Brest-Litowsk und
der skrupellosen Agitation linksstehender Radikaler batte sich seit der
Iabreswende 1917/18 in der deutschen Arbeiterschaft ein kür die
möglich.
Zur Vorgeschichte der Großen Schlacht in Frankreich 53
reitet. In ihrer Monatsschrift „Spartakus" vom Januar 1918 ver-
kündete die Liebknecht-Gruppe: „Der allgemeine Friede läßt sich ohne
Umsturz der herrschenden Macht in Deutschland nicht erreichen. Nur
mit der Fackel der Revolution, nur im offenen Massenkampfe um die
politische Macht, um die Volksherrschaft und die Republik in Deutsch-
land läßt sich jetzt das erneute Auflodern des Völkermordens und
der Triumph der deutschen Annexionisten im Osten und Westen ver-
hindern. Die deutschen Arbeiter sind jetzt berufen, die Botschaft der
Revolution und des Friedens vom Osten nach dem Westen zu
tragen."
Auch aus Österreich kamen, wie hier vorgreifend bemerkt sei,
immer wieder bedenkliche Nachrichten. Or. Victor Naumann berich-
tete auf Grund einer Wiener Reise am 21. Februar 1918 dem
Reichskanzler, in Österreich habe Kaiser Wilhelm jede Popularität
eingebüßt, und General Ludendorff gelte in der Donaumonarchie
als der bestgehaßte Mann. In der österreichischen Entwicklung liege
eine große Gefahr für die Weiterführung des Krieges, zumal auch
die deutsche Sozialdemokratie betont habe, wenn in den nächsten
vier Wochen die preußische Wahlreform nicht sehr erhebliche Fort-
schritte mache und man nicht den ehrlichen Friedenswunsch der Re-
gierung und ihre Festigkeit gegenüber annexionistischen Plänen be-
merke, so seien die deutschen Sozialdemokraten ebenso machtlos wie
ihre österreichischen Kollegen, kommende Ereignisse aufzuhalten, ob-
wohl sie deren Eintreten aus vielen Gründen auf das Äußerste be-
kämpften und befürchteten.
Die deutsche politische Reichsleitung war im Winter 1917/18
fest davon überzeugt, daß der Krieg nur in Übereinstimmung mit der
Sozialdemokratie weitergeführt werden könne. Ein Schreiben des
Unterstaatssekretärs v. Radowitz vom 17. Januar 1918 betonte die-
sen Gedanken und warnte davor, die sozialdemokratischen Wähler,
besonders bei den Gewerkschaften, in die Hände der Unabhängigen
gleiten zu lassen s. Es könnten sonst in der Heimat Streiks eintreten,
an deren Möglichkeit die O.H.L. nicht glauben wolle. Hierzu be-
merkte Radowitz: „Die Gefahr ist tatsächlich nicht vorhanden, solange
die Sozialdemokraten im Gegensatz zu den Unabhängigen stehen. Sie
tritt aber sofort ein, wenn die Sozialdemokraten mit den Unabhän-
gigen gemeinsame Sache machen und unter dem Motto der Kriegs-
verlängerung und der Parole Wahlrecht, Hunger und Frost auf die
Massen einwirken."
2 Die Konstituierung der „unabhängigen sozialdemokratischen Partei" war
am 8. April 1917 erfolgt. Ihr Ziel war die internationale Verständigung unter
Überwindung des Militarismus, während die Mehrheitssozialisten den Weiter-
kampf für nötig hielten, dabei aber einen Verständigungsfrieden grundsätzlich
bejahten.
54
Die rein militärische oberste Kriegsleitung
Für die O.H.L. war es eine üble Überraschung, daß am 28. Ja-
nuar 1918 in Berlin tatsächlich ein großer Streik von etwa 500 000
Arbeitern ausbrach. Die Regierung zeigte Energie; sie verhängte
den verschärften Belagerungszustand, so daß der Streik nach etwa
acht Tagen zusammenbrach. In der Arbeiterschaft aber zitterte nach
den Darlegungen des Generals v. Wrisberg (Der Weg zur Revolu-
tion 1914—1918. Leipzig 1921, S. 102) eine starke Erregung nach,
die sich in unvermindertem Mißtrauen gegen die Absichten der Reichs-
leitung in der äußeren Politik und gegen die Festigkeit der preußi-
schen Regierung in der Wahlrechtsfrage äußerte.
Die große Gefahr des Streiks lag darin, daß eine Anzahl von
Truppen und von Ersatzmannschaften im Jnlande festgehalten wurde,
deren die O.H.L. an der Front dringend bedurfte. Außerdem konnte
die gesamte Rüstungsindustrie unter Umständen in Mitleidenschaft
gezogen werden. Besorgt schrieb Hindenburg am 17. Februar 1918
an den Reichskanzler, er sei fest überzeugt, daß es nur durch Stärke
und Festigkeit der Regierung gelingen könne, auf die Dauer größere
Streiks zu verhindern. Er halte es für wichtig, sich in voller Öffent-
lichkeit dazu zu bekennen, daß Streik während des Krieges Landes-
verrat sei. Es sei vielleicht möglich, die Gewerkschaftsführer und die
sozialdemokratischen Abgeordneten zu einer klaren Antwort aufzu-
fordern, ob sie den Streik während des Krieges unbedingt verur-
teilten oder nicht. Sie müßten Farbe bekennen. Lehnten sie die
grundsätzliche Verurteilung des Streiks ab, so seien sie als Landes-
verräter anzusehen, und die Festnagelung dieser Tatsache in Presse
und Parlament würde voraussichtlich nicht nur ihre Anhängerschaft
erheblich verringern, sondern auch die große Mehrheit des Volkes
endlich über die staatszersetzenden Ideen der radikalen Sozialdemo-
kratie aufklären. Vielleicht gelinge es auch, die wirtschaftsfriedlichen
Arbeiterorganisationen zusammenzufassen und ihnen die gleiche
staatliche Anerkennung zu geben wie den freien Gewerkschaften. Von
größter Bedeutung aber sei es, die arbeitswilligen Arbeiter bei
Streiks vor dem Terrorismus der Streikenden zu schützen. In die-
sem Sinne wendete sich General Ludendorff tags darauf an den
Kriegsminister v. Stein in Berlin und betonte die Notwendigkeit,
unter Umständen gegen den Terrorismus mit schärfster Gewalt vor-
zugehen. Wenn auch die Hoffnung bestehe, daß man in Zukunft ohne
Waffengewalt werde auskommen können, so sei es doch nötig, sich
für diese Fälle vorzubereiten, und dieser Grund sei auch für ihn be-
stimmend gewesen, die gewünschten Truppen in Deutschland zu be-
lassen oder bereitzustellen.
Am 13. Februar 1918 fand zu Homburg in Gegenwart des
Kaisers eine große Aussprache statt, bei der durch Vizekanzler
Zur Vorgeschichte der Großen Schlacht in Frankreich 55
v. Payer geschildert wurde, welche Mühe es mache, die Sozialdemo-
kraten und Pazifisten für militärische Operationen im Westen fest-
zuhalten; sie würden es nicht verstehen, daß der Krieg aus militäri-
schen Gründen auch im Osten fortgesetzt werden müsse. Die Bespre-
chung führte dazu, daß aus militärischen Gründen trotzdem die Wie-
deraufnahme der Operationen im Osten beschlossen wurde, um dort
möglichst schnell Ruhe zu schaffen und Kräfte für die Westoffensive
freizumachen. Demgemäß erfolgte am 23. Februar ein Ultimatum
der Mittelmächte an Rußland, nachdem fünf Tage vorher die Feind-
seligkeiten an der großrussischen Front wieder begonnen hatten.
Nunmehr erklärte sich der russische Rat der Volksbeauftragten zur
Unterzeichnung der Friedensbedingungen bereit. Am 3. März konnte
der Friede zu Brest-Litowsk zwischen Rußland und den Mittelmäch-
ten unterzeichnet werden. Zwei Tage später am 5. März wurde der
Vorfriede zwischen Rumänien und den Mittelmächten zu Bukarest
beschlossen, dem am 7. Mai der eigentliche Friedensschluß folgte. Die
Lage im Osten war somit noch vor Beginn der großen Schlacht in
Frankreich klargestellt.
AIs am 21. März 1918 die große Schlacht im Westen begann,
hing Deutschlands Schicksal nur noch von dem Erfolge der eingelei-
teten Operationen ab. Deutschland hatte alles auf eine Karte gesetzt.
Ging der große Schlag fehl, so mußte mit Zersetzungserscheinungen
in Heer und Heimat gerechnet werden.
Wie man damals im Kreise der Armeeführer über die Aus-
sichten der kommenden Offensive dachte, zeigt ein Brief des Kron-
prinzen Rupprecht von Bayern vom 25. Januar 1918 an seinen Va-
ter, den König Ludwig. Darin hieß es: „Wohl hat sich unsere Lage
gegen früher unvergleichlich verbessert; während wir früher im We-
sten dem Gegner an Truppenzahl stets weit unterlegen waren, stehen
sich jetzt an der Westfront ungefähr gleich starke Kräfte gegenüber.
In der Güte der Truppen besteht hüben wie drüben kein nennens-
werter Unterschied, wohl aber glauben wir, in der Führung dem
Gegner überlegen zu sein. Es kann daher mit Sicherheit auf einen
großen Erfolg gerechnet werden; nur ein wirklicher Durchbruch aber
kann die Entscheidung des Krieges bringen. Jeder andere, noch so
große Erfolg würde, wie die Dinge liegen, wegen der unvermeid-
lichen gewaltigen Verluste für den Angreifer unsere Gesamtlage nicht
verbessern, sondern verschlechtern. Ob uns ein Durchbruch gelingen
wird, kann niemand voraussagen; bisher ist er unseren Gegnern nicht
einmal bei großer Überlegenheit gelungen."
So lag es in der Tat: gelang der operative Durchbruch nicht, so
mußte eine sehr schwierige Lage entstehen. Nach einem etwaigen
Mißlingen des großen Angriffs bestand für Deutschland keine Aus-
56 Die rein militärische oberste Kriegsleitung
sicht mehr, den Krieg siegreich zu beenden. Das Wesentlichste, wor-
auf es dann ankam, war vollste und rücksichtsloseste Klarheit über die
wahre Lage, denn dann galt es, die feindlichen Heere vom Vor-
marsch über den Rhein abzuhalten. Hierfür wären stark ausgebaute
rückwärtige Stellungen eine gute Vorsichtsmaßregel gewesen. Der
rechtzeitige Ausbau einer großen zusammenhängenden Stellung in
der Linie Antwerpen—Nomur—Sedan—Metz hätte auch eine poli-
tisch sehr eindrucksvolle Maßregel darstellen können. Vor dem gan-
zen Heere und Volk wäre dadurch der defensive Charakter des Ent-
scheidungskampfes bekundet und der O.H.L. ein hohes Maß opera-
tiver Sicherheit gegeben worden. Leider ist dieser Ausbau nicht recht-
zeitig erfolgt, für den die noch im Osten stehenden, für den Kampf
an der Westfront nicht vollwertigen Divisionen vielleicht hätten Ver-
wendung finden können.
Sollte die nunmehr beginnende Offensive den Krieg zu einem
für Deutschland günstigen Ende bringen, so war von ihrem Beginn
an die denkbar engste Fühlung zwischen der Obersten Heeresleitung
und den Männern der politischen Leitung erforderlich. Wo alles in
so hohem Maße auf eine Karte gesetzt war, mußten die leisesten
Schwankungen der Kriegsaussichten der politischen Leitung mitge-
teilt werden, damit ja keine Gelegenheit verpaßt wurde, wo es mög-
lich war, mit den Mitteln der Politik das Endziel, die Erringung
eines möglichst vorteilhaften Friedens, in Angriff zu nehmen. Was
zur Erreichung dieses Zweckes durch die Auswahl geeigneter Per-
sönlichkeiten zur Verbindung zwischen der militärischen und politi-
schen Leitung geschehen konnte, war, wie wir gesehen haben (vergl.
S. 40/41) geschehen.
Die Große Schlacht in Frankreich.
Selten wohl in der Kriegsgeschichte ist ein großes militärisches
Unternehmen in monatelanger Arbeit so gründlich vorbereitet wor-
den wie die Große Schlacht in Frankreich. Man macht sich keiner
Übertreibung schuldig, wenn man ausspricht, daß die militärischen
Vorbereitungen der O.H.L. und sämtlicher Nachgeordneten Stellen
in Heer und Heimat, vor allem aber auch bei den für die Kampf-
handlungen bestimmten Truppen mustergültig gewesen sind. Sie
trugen der Entwicklung der Kriegslage ebenso Rechnung wie den
taktischen Kampfformen des modernen Materialkrieges. Mit er-
schütternder Klarheit erkennen wir beim Studium der Vorbereitun-
gen für die große Offensive, in welcher überaus schwierigen Lage
sich die deutschen Heere im Westen gegenüber der mit allen moder-
nen Hilfsmitteln überreich ausgestatteten Entente befunden haben.
Organisatorische Leistung, geistige Durchdringung der Kampfvor-
Die Große Schlacht in Frankreich
57
bereitungen, immer erneute Schulung der Truppen, Eingewöhnung
des jungen Nachersatzes und der von anderen Fronten herangezoge-
nen Verbände waren die Voraussetzung des Gelingens. Trotz aller
Bemühungen blieben aber auf dem wichtigen Gebiete der Ernäh-
rung und Bekleidung bei der deutschen Angriffsarmee Lücken, die
selbst durch den besten Willen nicht auszufüllen waren. Das Be-
denklichste waren der Mangel an Tanks und an Flugzeugen und
das bevorstehende Einrücken der Amerikaner in die Front der
Alliierten, während in Deutschland bereits auf die Neunzehnjähri-
gen zurückgegriffen werden mußte.
Man hat der O.H.L. gelegentlich vorgeworfen, gerade 1918
mit ihrem Willen zur militärischen Lösung der Entscheidung die
oberste Reichsleitung vergewaltigt zu haben. Dieser Vorwurf ist
durchaus unberechtigt. Reichskanzler Graf Hertling ließ die O.H.L.
nicht nur gewähren, sondern teilte ihre Auffassung, wonach nur
ein entscheidender Sieg Deutschland den Frieden verschaffen konnte.
Nicht Sache der Militärs war es, die Frage zu prüfen, wie Deutsch-
land aus dem Kriege wieder herauskommen sollte. Ihre Sache war
es, den Krieg zu führen und womöglich zu gewinnen. Ob die Früh-
jahrsoffensive 1918 politisch möglich war, und ob sie daher über-
haupt gemacht werden durfte, das unterlag nicht ihrer Entscheidung.
Wenn sie ihrerseits die Hoffnung vertraten, zu einem „durchschla-
genden Erfolge" zu kommen, so war das militärisch richtig gedacht.
Nur eine überlegene politische Leitung wäre in der Lage gewesen,
andere Wege zu weisen und vielleicht die kommende Offensive nur
als Hauptdruckmittel für Friedensverhandlungen auszunutzen. Das
ist deutscherseits nicht geschehen. Die oberste Reichsleitung stand
neben und hinter der O.H.L. Die ganz außerordentlich schwierige
Lage Deutschlands mußte ihr aber ohne weiteres klar sein, auch
wenn die Männer der Heerführung sich über die kommende Offen-
sive zuversichtlich äußerten. Es bedeutet eine völlige Verkennung
der soldatischen Geistesrichtung, wenn man fordern wollte, daß die
führenden Militärs immer hauptsächlich auf die Schwierigkeiten der
Lage hätten hinweisen sollen. Mut und Zuversicht gehören zu den
berufsnotwendigen Eigenschaften des Soldaten, und niemand durfte
nach so ungeheuren Leistungen im Felde von den Heerführern er-
warten, daß sie immer nur die Kehrseite der Medaille zeigten. Diese
zu berücksichtigen, war Sache der Politik.
Jetzt hatten die Waffen das Wort.
Am 21. März 1918 begann bei den Heeresgruppen Kronprinz
Rupprecht und Deutscher Kronprinz zwischen Scarpe und Oise die
auf einen Durchbruch der feindlichen Front und eine Aufrollung der
englischen Stellungen durch Vorgehen in nordwestlicher Richtung
58
Die rein militärische oberste Kriegsleitung
abzielende Große Schlacht in Frankreich, der sogenannte
Michaelangriff. Seitens der Heeresgruppe des Kronprinzen
Rupprecht waren die 17. und 2. Armee, von der Heeresgruppe Deut-
scher Kronprinz die 18. Armee beteiligt. Letzterer fiel die Aufgabe
zu, die linke Flanke der eigentlichen Stoßtruppe zu decken. Über-
raschend groß waren die Erfolge des durch artilleristische Massen-
wirkung vorbereiteten Angriffs, besonders bei der 18. Armee, wäh-
rend die 2. und 17. Armee langsamer vorwärtskamen. In wenigen
Tagen drangen die Angreifer 60 Irin tief in die feindliche Stellung
ein. Unermeßliche Beute fiel ihnen in die Hände, ungefähr 90 000
Gefangene wurden gemacht. Dem Reichskanzler wurde am 23. März
8 Uhr abends gemeldet, die Schlacht bei Monchy-Cambrai, St.
Quentin und La Fere fei gewonnen und Ham genommen. Der
Reichskanzler bedankte sich tags darauf für die ihm auf Befehl des
Kaisers gemachte Mitteilung und brachte feine Wünsche für einen
guten Fortgang der Kämpfe zum Ausdruck.
Am 25. März ging der Befehl des Kaisers ein, „anläßlich des
Sieges in der Schlacht bei Monchy—Cambrai—St. Quentin—La
Fere zu flaggen und Viktoria zu schießen." Die taktischen Erfolge
des Angriffs waren so groß, daß der Oberste Kriegsherr aus der
Fülle seines dankbaren Herzens heraus sich dazu entschloß, ganz
ungewöhnliche Auszeichnungen des Generalfeldmarschalls v. Hin-
denburg und des Generals Ludendorff zu verfügen. An Hindenburg
richtete der Monarch ein Handschreiben folgenden Inhalts:
„Lieber Feldmarfchall!
In wohl der größten Schlacht der Weltgeschichte ist in die-
sen drei Tagen ein großer Teil des englischen Heeres aus seinen
Stellungen geworfen und von unseren heldenmütigen Truppen
geschlagen worden. Ihre hohe Feldherrnkunst hat sich hierbei
wieder auf das glänzendste bewährt. Für den Sieg von Belle-
Alliance erhielt der Feldmarschall Fürst Blücher das besonders
für ihn gestiftete Eiserne Kreuz mit goldenen Strahlen. Dieses
nur einmal verliehene höchste Ordenszeichen Ihnen heute zu
verleihen, ist mir eine ganz besondere Herzensfreude. Mit dem
gesamten Vaterlande weiß ich mich eins, daß diese hohe Aus-
zeichnung niemandem mehr gebührt als Ihnen, dem auch heute
wieder alle deutschen Herzen in Dankbarkeit, Verehrung und Ver-
trauen entgegenschlagen.
Ihr dankbarer König Wilhelm R."
Die Große Schlacht in Frankreich
59
Dem General Ludendorff sprach der Oberste Kriegsherr mit
folgendem Schreiben seinen Dank aus:
„Mein lieber General Ludendorffl
Die unvergleichlichen, herrlichen Erfolge, welche unsere hel-
denmütigen Truppen in diesen Tagen gegen das englische Heer
errungen haben, sind ein glänzendes Zeugnis für Ihre unüber-
troffene klare Voraussicht und nie versagende Tatkraft, mit der
Sie in zielbewußter Arbeit die Grundlagen für diese Siege ge-
schaffen haben. In dankbarer Anerkennung Ihrer hohen, dem
Vaterland erneut in treuester, selbstloser Hingabe geleisteten
Dienste verleihe ich Ihnen mit besonderer Freude das Groß-
kreuz des Eisernen Kreuzes.
Ihr dankbarer König Wilhelm R."
Als diese ungewöhnlichen Auszeichnungen verliehen wurden,
war die Große Schlacht in Frankreich noch in der Entwicklung. Sie
hatte immer größere Breite angenommen, weil die Angriffsziele
stark nach Süden ausgedehnt wurden, ohne daß eine entsprechende
Einschränkung am nördlichen Teil des Angriffs stattfand. Die An-
griffsrichtungen liefen, wie der damals an der Leitung der Opera-
tionen bei der Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht als Generalstabs-
chef hervorragend beteiligte General v. Kühl in seinem großen zu-
sammenfassenden Werke „Der Weltkrieg 1914—1918" (Verlag Tra-
dition, Berlin 1929) überzeugend darlegt, strahlenförmig nach
Nordwesten, Westen und Südwesten auseinander. Die Gefahr der
Zersplitterung wurde sichtbar. Während die O.H.L. noch am
26. März weitgespannte Ziele für die Angrisfsarmeen bekanntgab,
wobei die 2. Armee die Richtung auf Amiens erhielt, um dort an
der Nahtstelle der gegnerischen Front die Engländer von den Fran-
zosen zu trennen, stockte am 30. März der Angriff fast überall. Der
Sieg war mit schweren Opfern erkauft, da etwa 90 Divisionen im
ganzen hatten eingesetzt werden müssen. Aber strategisch war der
Angriff nicht gelungen. Die deutschen Stellungen, die errungen
worden waren, sprangen nunmehr in einem weiten Bogen nach
Westen vor. Die Ausdehnung der Front hatte sich stark vergrößert,
so daß sehr viel stärkere Kräfte zu ihrer Besetzung notwendig wur-
den. Allein bei der 18. Armee hatte sich die anfängliche Frontbreite
von 35 km etwa verdreifacht. Es entstand die Schwierigkeit, mit
den bereits erschöpften Truppen, denen man gern Ruhe gegönnt
hätte, die soviel verbreiterten und an vielen Stellen taktisch ungün-
stiger gewordenen Stellungen zu besetzen.
Ein für die deutsche Sache sehr ungünstiges Ergebnis des Sie-
ges war es ferner, daß die Entente in ihrer höchsten Not einen ein-
60
Die rein militärische oberste Kriegsleitung
heitlichen Oberbefehl schuf und am 26. März in Doullens dem Ge-
neral Fach die Gesamtleitung der Operationen übertrug. Ihm ist
es gelungen, die von den Deutschen in die Front der Verbündeten
geschlagene Lücke zu schließen, den Widerstand der englischen und
französischen Kampffront neu zu stärken und Amiens zu retten. Die
deutsche O.H.L. mußte anfangs April den Angriff auf Amiens end-
gültig einstellen.
Für die Erkenntnis der Auswirkung des taktisch unbestreitbar
großen Sieges in der Angriffsschlacht vom 21. März im Sinne
unserer Arbeit ist es notwendig, noch auf den Eindruck einzugehen,
der sich aus den Gnadenbeweisen des Obersten Kriegsherrn an Hin-
denburg und Ludendorff ergeben hat. Bei seinem Vortrage in Hom-
burg am 13. Februar 1918 hatte General Ludendorff dem Kaiser
und dem Reichskanzler gesagt, die bevorstehende Offensive werde
eine lange Zeit in Anspruch nehmen, es werde ein gewaltiges Rin-
gen, das an einer Stelle beginne, sich an der anderen fortsetze: es
werde schwer, aber siegreich sein. Run hatten die beiden Kabinetts-
ordres vom 25. März die bisher erreichten Erfolge schon gewisser-
maßen als etwas Abgeschlossenes erscheinen lassen. Die verliehenen
Auszeichnungen waren ungewöhnlich hoch. Der Sieg von Waterloo-
Belle Alliance, für den Blücher das Eiserne Kreuz mit goldenen
Strahlen erhielt, beendete endgültig die Epoche der Befreiungs-
kriege gegen Frankreich, und das Großkreuz des Eisernen Kreuzes
wurde früher nur für eine siegreiche Schlacht oder Belagerung n a ch
dem Abschluß der Kampfhandlungen verliehen. Wenn diese Aus-
zeichnungen der von der öffentlichen Meinung vergötterten Heer-
führer jetzt bereits am 25. März erfolgten, so konnte das überall
kaum anders verstanden werden, als wenn die Hauptschwierigkeiten
der großen Frühjahrsoffensive nunmehr überwunden seien. Hier-
durch wurde in der öffentlichen Meinung eine Anschauung erzeugt,
die sich bei längerer Dauer der Kämpfe und bei gelegentlichen Rück-
schlägen verhängnisvoll auswirken konnte. Bei der damals in
Deutschland herrschenden Hochstimmung konnte sich eine falsche Ein-
stellung zu den zu erreichenden Kriegszielen daraus ergeben.
Die zweite deutsche Offensive.
Während in Bukarest die Diplomaten an der Schaffung des
Friedens mit Rumänien arbeiteten, wobei sich tiefe Meinungsver-
schiedenheiten zwischen den Wünschen der O.H.L. auf baldiges Frei-
werden der deutschen Streitkräfte gegenüber Rumänien und der
diplomatischen Verhandlungstätigkeit des Staatssekretärs v. Kühl-
mann ergaben, begann am 9. April die zweite große Offensive im
Westen, die „Schlacht an der Lys", mit der Richtung auf
Die zweite deutsche Offensive
61
Armentiöres bei der 4. und 6. Armee des Kronprinzen Rupprecht
von Bayern. Wiederum war alles geschehen, was unter den gege-
benen Umständen und in der verfügbaren Zeit möglich war. Trotz-
dem zwang der Verbrauch an Menschen und Kriegsmitteln bei der
ersten großen Offensive jetzt schon dazu, eine Reihe abgekämpfter
Divisionen von der Michaelfront bei dem neuen Angriff wieder zu
verwenden. Die Zufuhr aus der Heimat und der Munitionsersatz
begannen zu stocken.
Der am 9. April begonnene Angriff der 6. Armee führte am
10. zur Erkämpfung des Überganges über die Lys und machte auch
in den nächsten Tagen gute Fortschritte. Der linke Flügel blieb
indes hängen, und schon am 19. April mußte die Heeresgruppe
Kronprinz Rupprecht die Einstellung des Angriffes und den Über-
gang zur Abwehr beantragen. Dieser Antrag wurde von der O.H.L.
genehmigt, die indes noch die Wegnahme von Festubert und
Givenchy wünschte. Während diese mißlang, glückte es der 4. Armee,
am 25. April den Kemmel zu stürmen. Der Angriff des XVIII. und
X. Reservekorps wurde nach starker Artillerievorbereitung gegen
den 156 Meter über die flandrische Ebene hervorragenden Kemmel
mit glänzendem Erfolge durchgeführt. Es erwies sich aber als un-
möglich, weiter vorzudringen, da der Feind sich erheblich verstärkte.
So mußte auch bei der 4. Armee der Kampf abgebrochen und am
1. Mai der Angriff eingestellt werden.
Die „Schlacht von Armentieres" war zu Ende und damit die
zweite Phase der großen Angriffsbewegung. Mit nur 36 Divisionen
hatte der Angriff in einer Breite von rund 40 km angesetzt werden
können. Jetzt waren nach großen taktischen Erfolgen günstige Aus-
gangspunkte für eine spätere Fortsetzung der Offensive erreicht wor-
den. Aber bei Armentieres war ein neuer, für die Verteidigung
ungünstiger Bogen entstanden, und der Gegner vermochte die neuen
Stellungen unter flankierendes Feuer zu nehmen.
Da neue Kräfte und frische Angriffsmittel für eine weitere
Offensive einstweilen in genügender Zahl nicht zur Verfügung stan-
den, mußte notgedrungen eine längere Pause in den Operationen
eintreten. Trotz taktischer Erfolge hatte sich Deutschlands Gesamt-
lage an der Westfront wiederum verschlechtert. Die großen Verluste
waren bedenklich. Die Ersatzlage litt nicht nur unter der tatsäch-
lichen Erschöpfung des Mannschaftsbestandes, sondern auch unter der
nachlassenden Kriegsfreudigkeit. Im besonderen waren die aus der
Kriegsindustrie zurückgezogenen Arbeiter und die aus der russischen
Kriegsgefangenschaft zurückkehrenden Mannschaften für die schweren
Kampfaufgaben im Westen keineswegs ein zufriedenstellender Ersatz.
Schon in einem Schreiben der O.H.L. vom 15. Mai 1918 an die
62 Die rein militärische oberste Kriegsleitung
Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht von Bayern hieß es: „Schwere
Verluste können wir nicht mehr ertragen, Menschen sind knapp, Mu-
nition ist da." Die O.H.L. mußte sich grundlegend entscheiden, wie
die Operationen im Westen weitergeführt werden sollten.
Treffend kennzeichnet General v. Kühl in seinem bereits er-
wähnten Werke „Der Weltkrieg 1914—1918" die Schwere der da-
maligen strategischen Lage: „Im Westen defensiv in den bisherigen
Stellungen stehen zu bleiben, war nicht möglich. Der Geländege-
winn, den wir in den Schlachten gemacht hatten, wurde uns zum
Verhängnis. Der ausspringende große Bogen bei Montdidier lud
den Gegner zum Flankenangriff ein. Das ganze soeben mit schweren
Opfern eroberte Gebiet wieder aufzugeben, war aus Gründen der
Moral ausgeschlossen. Und was sollte dann weiter geschehen? Ab-
warten, was der Gegner über uns verhängte? Warten, bis die Ame-
rikaner eingetroffen waren? Eine Beschränkung auf die Verteidi-
gung wäre gleichbedeutend mit dem Verlust des Krieges gewesen.
Wollten wir uns auf den vorgeschobenen Posten in Flandern und
bei Montdidier behaupten, dann mußten wir die Initiative weiter-
hin wahren, der Angriff mußte fortgesetzt werden. Eine Verständi-
gung mit dem Gegner war schon vor der ersten Offensive ausge-
schlossen gewesen, sie war es nach dem Scheitern des Durchbruchs
erst recht. Die Zeit drängte, die amerikanischen Divisionen waren
in Sicht. Ernste Bedenken standen dem Entschluß zur Fortsetzung
der Offensive gewiß entgegen. Aber es galt, sie mit frischem Mut
zu überwinden und nicht das Gesetz vom Gegner zu nehmen."
(II, S. 351/52.)
Die O.H.L. entschloß sich zur Fortsetzung der Offensive. Bei
der Ausschau nach einem schwachen Punkte in der weitgestreckten
Front des Gegners glaubte man einen solchen in der Gegend von
Soissons am. „Chemin des Dames" zu finden. Gegen diesen sollte
Ende Mai ein Ablenkungsangriff und sodann in Flandern ein gro-
ßer Schlag gegen die Engländer geführt werden. Schon am 19. April
hatten Besprechungen darüber im Großen Hauptquartier stattgefunden.
Die O.H.L. bestimmte am 29. April als Zeitpunkt des Angriffs am
Chemin des Dames den 20. Mai. Durch den Angriff auf den Chemin
des Dames sollte die Einheitsfront der Entente vor der Heeres-
gruppe Kronprinz Rupprecht aufgelockert und damit die Möglich-
keit für eine erfolgreiche Wetterführung der Offensive gegen die Eng-
länder im Norden geschaffen werden. Auch Generalfeldmarschall
v. Hindenburg maß diesem Angriff gegen die Engländer kriegsent-
scheidende Bedeutung bei. „Gelangten wir an die Küste des Kanals,
so berührten wir die Lebensadern Englands unmittelbar. Wir kamen
nicht nur in die denkbar günstigste Lage zur Bekämpfung seiner See-
Die zweite deutsche Offensive
63
Verbindungen, sondern wir vermochten von dort aus mit unseren
schwersten Geschützen sogar einen Teil von Britanniens Südküste
unter Feuer zu nehmen."
Recht bedenklich war die große Pause, die man jetzt schon im-
mer wieder in die Kriegshandlungen einfügen mußte. Die Englän-
der erhielten dadurch Zeit, sich von ihrer schweren ersten Niederlage
in der Großen Schlacht in Frankreich zu erholen und die Verluste
aufzufüllen. Vor allem aber rückte der Zeitpunkt für das Erscheinen
der amerikanischen Truppen drohend näher.
Politisches Zwischenspiel.
War die Lage Deutschlands für die Erreichung eines günstigen
Friedens durch die beiden Offensiven günstiger geworden? Diese
Frage muß verneint werden. Freilich hatten die großen Angriffs-
operationen der Deutschen gewaltige Erfolge gezeitigt. Andrerseits
aber war der schwere Druck der Ungewißheit, was von deutscher
Seite geschehen würde, von unseren Weltkriegsgegnern genommen.
Sie hatten schwere Verluste erlitten, den ihnen zugedachten Durch-
bruch aber doch immer noch zu verhindern gewußt. Wenn man diese
Tatsache richtig würdigte, konnte man auf deutscher Seite nicht des
Glaubens leben, der Erreichung eines günstigen Friedens näher-
gekommen zu sein.
Es schien an der Zeit, die geistige Front der Gegenseite nach
Friedensmöglichkeiten abzutasten. Dieser schwierigen, aber in ihrer
Bedeutung kaum zu überschätzenden Aufgabe unterzog sich Oberst
v. Haeften, der seit Sommer 1916 die militärische Stelle des Aus-
wärtigen Amtes leitete und infolge seiner geistigen und menschlichen
Eigenschaften in höchstem Maße das Vertrauen des Generals Luden-
dorff besaß.
Schon vor Beginn der Offensive 1918 war Haeften zur Be-
sprechung von Propagandafragen im Auslande gewesen und hatte
dort mit einer Persönlichkeit gesprochen, die über die Ziele und Ab-
sichten der englischen und amerikanischen amtlichen Stellen unter-
richtet war. Rach seiner Rückkehr berichtete Oberst v. Haeften dem
General Ludendorff über seine Eindrücke. Danach waren die damals
genannten Bedingungen von einer solchen Härte gewesen, daß nur
ein geschlagenes Deutschland sie hätte annehmen können.
Wenige Tage nach dem Abbruch der Kemmel-Offensive sprach
Haeften sich anfangs Mai mit einer dem Staatssekretär v. Kühl-
mann nahestehenden Persönlichkeit des Auswärtigen Amtes über
die Notwendigkeit aus, den Krieg bald zu beenden. Er bat ihn,
Kühlmann auf den Ernst der Lage hinzuweisen und ihn zu ersuchen,
sich bald mit dem General Ludendorff in Verbindung zu setzen. Herr
64
Die rein militärische oberste Kriegsleitung
v. Kühlmann, der am 16. April bei einem Besuche im Großen
Hauptquartier in Spa den Eindruck empfing, daß er das Vertrauen
des Kaisers noch besitze, hielt ein jedes Vorwärtskommen in der
Friedensfrage für ausgeschlossen, solange General Ludendorff in der
belgischen Frage seinen ablehnenden Standpunkt beibehalte. Haef-
ten gab sich hiermit nicht zufrieden und betonte die Möglichkeit einer
Einigung mit Ludendorff. Nach einem Bericht, den Oberst v. Haef-
ten Ende 1918 der O.H.L. über seine Tätigkeit in diesem Kriegs-
jahre erstattet hat, ließ ihm Kühlmann erwidern, wenn General
Ludendorff politische Wünsche habe, so möge er sich selber an ihn
wenden. Die Schärfe der persönlichen Verstimmungen zwischen den
beiden Männern hatte damals schon einen solchen Grad erreicht, daß
ein vertrauensvolles Zusammenarbeiten unmöglich war, ein Beweis
dafür, welche ungeheure Tragweite im Kriege den Persönlichkeits-
fragen zukommt.
Nach Ansicht Haeftens war es jetzt Zeit, die Pause, die zwischen
den verschiedenen militärischen Operationen notgedrungen eintrat,
politisch tatkräftiger auszunutzen als bisher. Der Friede von Bu-
karest war am 7. Mai unterzeichnet worden. Wenige Tage darauf
begab sich Haeften ins Große Hauptquartier, wo Ludendorff, seiner
Gewohnheit gemäß, die gesamte Lage mit ihm genau erörterte und
sich sehr ernst über die Ersatzlage aussprach. Nur wenn die Heimat
bald noch etwa 200 000 Mann brauchbaren Ersatzes dem Feldheere
zur Verfügung stelle, bestehe eine Aussicht, die Entscheidung des
Krieges militärisch herbeizuführen. Ludendorff fügte hinzu, daß er
sowohl den Reichskanzler wie den Kriegsminister auf den Ernst der
Ersatzlage hingewiesen habe; sie könnten aber beide keine Abhülfe
schaffen. Diese Äußerungen ließen Haeften die dringende Notwen-
digkeit einer baldigen Kriegsbeendigung klar erkennen: „Es war
klar, der Krieg konnte mit militärischen Machtmitteln allein
nicht mehr entschieden werden; es bedurfte hierzu der politischen
und diplomatischen Unterstützung." Haeften kehrte nach Berlin
zurück und begann mit der Ausarbeitung einer Denkschrift, Die auf
die Einleitung einer allgemeinen Friedensoffensive hinausging.
Im Großen Hauptquartier in Spa fanden am 11. Mai Bespre-
chungen statt, zu denen man den Reichskanzler Grasen Hertling
hergebeten hatte. Ihn begleiteten der Staatssekretär v. Kllhlmann,
Unterstaatssekretär v. Radowitz und Oberst v. Winterfeldt. General
Ludendorff schilderte den Verlauf der bisherigen Offensiven, die nun
an anderer Stelle fortgesetzt werden müßten. Hat der Reichskanzler
Graf Hertling aus seinen Darlegungen den Eindruck entnommen,
daß es Zeit sei, nunmehr mit anderen Mitteln als den Waffen zum
Frieden zu kommen? Nach den Aufzeichnungen des Rittmeisters
Grafen Hertling, der den Besprechungen beiwohnte, ist das nicht der
Politisches Zwischenspiel
65
Fall gewesen. Wörtlich heißt es dort: „Den Feind da zu schlagen,
da empfindlich zu treffen, wo dazu die beste Aussicht bestand, das
war das mitgeteilte Leitmotiv. Davon, daß auch nur allmählich
daran zu gehen sei, an einen Friedensschluß zu denken, war von
seiten der O.H.L. mit keinem Worte die Rede, weder von Luden-
dorff noch auch von Hindenburg. Es sind auch keinerlei dahinzielende
Äußerungen getan worden. Ebensowenig wurden die leisesten mili-
tärischen Bedenken geäußert, als habe die Fortsetzung der Offensive
keinen Wert mehr. Im Gegenteil. Man mußte unter dem Ein-
drücke stehen, der erste Akt derselben sei soeben abgelaufen, nun
stehe man in der Pause vor dem nächsten Akt, der das bisher Ge-
spielte an anderer Stelle, mit anderen Mitteln wiederholen werde...
Die Frage eines Friedensschlusses — zu dem übrigens immer noch
zwei Parteien gehört haben — war mit keinem Worte gestreift wor-
den. Mit dem Gefühl, über die militärische Lage an allen Fronten
eingehend und offen unterrichtet worden zu sein, haben mein Vater
und ich das Generalstabsgebäude verlassen." (Ein Jahr in der Reichs-
kanzlei, S. 103 ff.)
Tags darauf, am 12. Mai, traf der österreichische Kaiser zu
seinem „Canossagange" ein. Das Bündnis mit Österreich-Ungarn,
das durch die heimlichen Verhandlungen des Kaisers Karl mit Frank-
reich — Sixtus-Affäre — einen schweren Stoß erhalten hatte, wurde
durch neue Abmachungen befestigt. Man einigte sich auch auf einen
sogenannten Waffenbund, der von den führenden Männern der
beiden Heeresleitungen unterschrieben wurde. Am 13. Mai traf
König Ludwig III. von Bayern zum Besuch in Spa ein. Er empfing
dort ernste Eindrücke, über die er sich tags darauf mit seinem Sohne,
dem Kronprinzen Rupprecht, aussprach. In seinem Kriegstagebuchs
vermerkte Kronprinz Rupprecht hierüber: „Im Gegensatz zu früher
sieht mein Vater nun ein, daß Anlaß zu ernsten Besorgnissen be-
steht, und daß Ludendorfss Kriegsziele nicht fest umschrieben sind.
Eie wechseln je nach der militärischen Lage. Gewiß muß diese von
der Leitung der äußeren Politik in Rechnung gezogen werden, sie
darf aber die Politik nicht bestimmen und in ihrem Kurse beirren."
(Bd. II, S. 398.)
Am 14. Mai kehrte der Reichskanzler mit seinem Gefolge nach
Berlin zurück.
Die dritte deutsche Offensive.
Im Großen Hauptquartier wurden nunmehr alle Vorbereitun-
gen für die dritte große Offensive getroffen. „Wir müssen
versuchen", so kennzeichnete der Chef der Operationsabteilung,
Oberstleutnant Wetzell, den Grundgedanken der kommenden Kämpfe,
Schwertfeger, Das Weltkriegsende
5
66 Die rein militärische oberste Kriegsleitung
eine Auffassung, die Hindenburg in seinem Buche „Aus meinem
Leben" fast wörtlich übernommen hat, „durch großzügige, eng zu-
sammenhängende Teilschläge das feindliche Gebäude derart zu er-
schüttern, daß es gelegentlich doch einmal zusammenbricht". In einer
Denkschrift vom 21. Mai über den „Blücher"- und „Hagen"-Angriff
erklärte Wetzell, der großzügig angelegte „Hagen"-Angriff werde mit
Rücksicht auf unsere Ersatzlage bis weit in den Herbst hinein der
letzte entscheidende Schlag sein, den wir führen könnten. Deshalb
müßten für „Hagen" alle Vorbereitungen zu einem großen Siege
unbedingt herbeigeführt werden. „Läuft sich der Angriff schon früh-
zeitig fest, so bedeutet dies einen Fehlschlag, den unsere Lage nicht
mehr verträgt." Die Folgen einer Menschenmaterialschlacht könnten
für die deutsche Armee unübersehbar werden.
Schließlich kam es auf die Maioffensive zwischen Soissons und
Reims hinaus, von der man hoffte, sie würde einen solchen Kräfte-
verbrauch des Feindes herbeiführen, daß sodann die Fortsetzung des
entscheidenden Angriffs in Flandern möglich würde. Leider war es
hierbei nötig, den Angriff in zwei Abschnitte zu zerlegen.
In glänzendem Schwünge erstürmte die Armee des deutschen
Kronprinzen am zweiten Tage der dritten Offensive, am
27. Mai, den Chemin des Dames. Der Geländegewinn der deutschen
Truppen betrug 20 km an einem einzigen Tage. Die O.H.L. er-
weiterte daher am 29. Mai ihre Angriffsziele und suchte schließlich
auch Reims durch beiderseitige Umklammerung zu Fall zu bringen.
Am 30. und 31. Mai wurde zwar die Marne erreicht, gegen Reims
aber kam man nicht vorwärts und konnte auch den Wald von Vil-
lers-Cotterets nicht nehmen. Am 5. Juni wurde es nötig, das Vor-
gehen einzustellen, nachdem in vier Tagen ein Einbruch von 60 km
Tiefe in die feindliche Front erfolgt war. Auch der im Anschluß an
die Offensive auf den Chemin des Dames unternommene Angriff
auf Compiögne am 9. Juni scheiterte und mußte am 11. unter der
Einwirkung eines französischen Gegenstoßes abgebrochen werden.
Immerhin wurden in der Schlacht bei Royon weitere 13 000 Gefan-
gene gemacht. Man war nur noch drei Tagemärsche von Paris ent-
fernt. Die ganze Front Montdidier—Reims wurde nunmehr auf
Abwehr eingestellt, und Mitte Juni trat eine verhältnismäßige
Ruhe ein.
Bedenklich war trotz der wiederum großen taktischen Erfolge
der dritten Offensive und der erheblichen Beute an Gefangenen und
Geschützen — über 50 000 Gefangene und 600 Geschütze — die neue
Linienführung. Ein weit bis zur Marne vorspringender Bogen war
entstanden, der noch ungünstiger war als der bei Montd'dier nach
der ersten Offensive. Die deutschen Stellungen bei Villers-Cotterets
und Reims waren stark gefährdet. Man konnte daher in den ge-
Die dritte deutsche Offensive
67
wonnenen Stellungen nicht stehen bleiben, wenn man nicht sämtliche
bisher erzielten Erfolge preisgeben und die Offensive als gescheitert
erklären wollte. Hieraus ergab sich der Zwang zu weiterem Vor-
gehen. Auch war wiederum die Frontlinie im Angriffsgelände durch
ihre Ausbauchung nach vorwärts angewachsen, auf der Strecke zwi-
schen Reims und Royon von 100 auf 150 Ion. Es war ein schmaler
tiefer Sack, eine auf die Dauer unmögliche Stellung entstanden.
Groß war indes die moralische Wirkung der in solcher Nähe von
Paris unternommenen Offensive auf die Franzosen und Engländer.
In der Kammer wurde der Ministerpräsident Clemenceau interpel-
liert. Seine berühmte Antwort vom 4. Juni 1918 lautete: „Wir
werden den Sieg davontragen, wenn die öffentlichen Gewalten auf
der Höhe ihrer Aufgaben stehen. Ich schlage mich vor Paris, ich
schlage mich in Paris, ich werde mich hinter Paris fchlagenl"
Die deutsche O.H.L. beschloß die Fortsetzung des Angriffs. Die-
ser sollte Mitte Juli beiderseits Reims erfolgen. Glückte er, so
konnten dadurch vielleicht auch die rückwärtigen Verbindungen der
7. Armee zwischen Aisne und Marne verbessert werden. Aus die-
sem Vorgehen heraus beabsichtigte Ludendorff, die Artillerie-, Mi-
nenwerfer- und Fliegerformationen an die Flandernfront zu wer-
fen, um dann hier, wenn möglich, vierzehn Tage später den Angriff
zu beginnen. „Es bestand die Hoffnung auf entscheidende Schwä-
chung des Feindes in Flandern, wenn der Schlag bei Reims gelang."
(Ludendorff, Meine Kriegserinnerungen. S. 515.)
Ehe es zu diesem vierten Akte der großen Angriffsschlachten in
Frankreich kam, hatte der als Entlastung für die deutsche Westfront
gedachte österreichische Angriff in Italien an der Brenta und der
Piave, der am 15. Juni begann und völlig scheiterte, die Lage der
Mittelmächte noch verschlechtert. Inzwischen hatten Versuche ein-
gesetzt, die Mittel der Politik stärker als bisher zur Geltung zu
bringen.
Die Friedensoffensive des Obersten v. Haeften und die Entlassung
des Staatssekretärs v. Kühlmann.
Rach dem Abschluß der drei großen Offensiven, und noch wäh-
rend die dritte Offensive zwischen Soissons und Reims nicht völlig
abgeschlossen war, wendete sich Kronprinz Rupprecht von Bayern,
über die allgemeine Lage besorgt und in dieser Auffassung durch den
Besuch seines Vaters im Großen Hauptquartier am 13. Mai noch
bestärkt, am 1. Juni an den Reichskanzler Grafen Hertling. Seine
Darlegungen sind für das uns interessierende Problem zu wichtig,
als daß sie hier fehlen dürften.
Die rein militärische oberste Kriegsleitung
1. Juni 1918.
„Sehr verehrte Exzellenz!
Wohl weiß ich, daß ich nicht berufen bin, in politischen Din-
gen mitzureden, und dennoch scheint es mir eine vaterländische
Pflicht, Euer Exzellenz meine Meinung nicht vorzuenthalten,
die ich mir nach fast vierjährigem Verweilen an einer der Hcmpt-
kampffronten im Westen gebildet habe, wenn diese Meinung viel-
leicht auch nicht übereinstimmt mit jener anderer Stellen.
So günstig unsere militärische Lage auch augenblicklich ist,
kranken wir doch an zwei Übeln, denen nicht abzuhelfen ist, dem
allmählich eingetretenen Mangel an Ersatzmannschaften und an
Pferden, ein Mangel, der sich immer mehr steigern muß. Wir
werden zwar in der Lage sein, dem Gegner im Westen noch ein
paar gewaltige Schläge zu versetzen, kaum aber, ihm eine ent-
scheidende Niederlage zu bereiten, so daß zu erwarten steht, daß
der Kampf in einigen Monaten wieder den Charakter des schlep-
penden Stellungskrieges annehmen wird. Wer in diesem schließ-
lich siegt, hängt vor allem davon ab, wer am längsten mit seinen
Mannschaftsbeständen auszukommen vermag, und in dieser Hin-
sicht sind meiner Überzeugung nach unsere Gegner besser daran,
dank der amerikanischen Hilfe, die freilich erst allmählich wirksam
zu werden vermag. Ich habe diese meine Ansicht schon vor der
Märzoffensive Seiner Majestät dem Kaiser ziemlich unverblümt
vorgetragen und ich will sie nun auch Eurer Exzellenz nicht vor-
enthalten, denn es ist meines Erachtens der Zeitpunkt gekommen
zur Anbahnung von Friedensverhandlungen. Jetzt haben wir
noch Trümpfe in der Hand — nämlich die Drohung mit in Bälde
sich verwirklichenden neuen Angriffen —, später, wenn diese An-
griffe einmal erfolgt sind, nicht mehr. — General Ludendorff ist
gleichfalls der Ansicht, daß aller Wahrscheinlichkeit nach ein ent-
scheidender, den Gegner vernichtender Sieg sich nicht mehr wird
erringen lassen; er hofft jedoch auf die rettende Hilfe eines Oeuo
ex machina, nämlich auf den plötzlichen inneren Zusammenbruch
einer der Westmächte nach Art des Zusammenbruchs des russi-
schen Reiches. Ost und West sind aber grundverschieden, und
keiner der westlichen Staaten ist so morsch, wie das Russische Reich
schon vor dem Kriege es war. Ich selbst vertrat einst den Ge-
danken der Angliederung Belgiens an das Deutsche Reich in
irgendwelcher Form, jetzt aber bin ich, abgesehen von andern
Gründen, schon deshalb davon abgekommen, weil ich der Über-
zeugung bin, daß der einzige Weg, der uns zum Frieden führen
kann, der ist, daß wir erklären, die Selbständigkeit Belgiens un-
angetastet erhalten zu wollen. Gewiß ist das Sichbefcheiden mit
Friedensoffensive Haeften und Kühlmanns Entlaffung 69
dem 8tatus quo ante im Westen für UNS keine erfreuliche Lö-
sung, aber ich glaube nicht, daß eine günstigere sich wird erreichen
lassen, da wir hierzu nicht die Kräfte besitzen, und so meine ich,
daß wir uns mit dem im Osten Erreichten begnügen müssen.
Damit, daß der eine Gegner im Osten vöüig erledigt ist, sind
wir die Sieger; auch selbst ein Friede, der uns im Westen keiner-
lei Gewinn brächte, wäre ein siegreicher Friede. Müssen wir
über den Winter weiterkämpfen, wird dies auf den Geist der
Truppe nachteilig wirken, bei der allgemein die Hoffnung be-
steht, daß der Krieg bis zum Herbste beendigt sein wird.
Ich hätte nicht geschrieben, würde ich nicht Eile für geboten
erachten, und jede Woche ist kostbar.
Sollten Eure Exzellenz mich zu sprechen wünschen, könnte
ich ganz gut auf ein paar Stunden nach Brüssel kommen, Spa ist
für mich zu weit, oder der Sohn Eurer Exzellenz könnte mich in
meinem Quartier aufsuchen. Ich stelle es dem Belieben Eurer
Exzellenz anheim, von dem Inhalte dieses Briefes gelegentlich
Seiner Majestät dem Kaiser Kenntnis zu geben, und verbleibe
Eurer Exzellenz aufrichtig ergebener
Rupprecht, Kronprinz von Bayern."
Das Bemerkenswerteste an diesem Briefe war, daß einer der
ruhmumkränzten Heerführer, der vom ersten Tage des Krieges an
in der Front stand, den Zeitpunkt für gekommen hielt, Friedens-
verhandlungen anzubahnen. Gerade aus dem Munde eines Sol-
daten, des zukünftigen bayerischen Königs, mußte der Gedankengang
auf den ehemaligen bayerischen Ministerpräsidenten auf das Stärkste
wirken, daß wir jetzt noch Trümpfe in der Hand hätten, nämlich die
Drohung mit neuen Angriffen, später, wenn diese Angriffe einmal
erfolgt wären, aber nicht mehr. Eine durchaus notwendige Feststel-
lung war es auch, gerade angesichts der sehr überspannten Kriegs-
ziele weiter Kreise Deutschlands, daß selbst ein Friede, der uns im
Westen keinerlei Gewinn brächte, ein siegreicher Friede sein würde.
Kronprinz Rupprecht lehnte es in seinem Schreiben an Hert-
ling ab, sich in politische Dinge einzumischen. Aber er erfüllte doch
in bestem Sinne eine vaterländische Pflicht, wenn er mit seiner
Meinung nicht zurückhielt. Um so merkwürdiger wirkt auf uns die
Tatjache, daß Hertling, aus seiner Siegeszuversicht heraus, die Anre-
gungen des Kronprinzen Rupprecht nicht für so dringlich hielt.
Dieser erklärte am 1. Juni Eile für geboten und hielt jede Woche
für kostbar. Der Kanzler antwortete ihm erst am 5. Juni, eigentlich
ausweichend, und bot einen Besuch im Juli, also einen vollen Mo-
nat später, in Spa an. In weitgehendem Optimismus vertrat er
70 Die rein militärische oberste Kriegsleitung
die Auffassung, „daß eine Fortsetzung der für die militärische Macht
Frankreichs und Englands vernichtenden Schläge schließlich doch in-
nerhalb der Bevölkerung eine gegen die eigenen Regierungen ge-
richtete kraftvolle Bewegung auslösen wird, die zusammen mit den
in den beiden Ländern schon jetzt vorhandenen und an Stärke zu-
nehmenden pazifistischen Strömungen die Anbahnung von Friedens-
verhandlungen in die Nähe rücken werden, zumal wenn die Einsicht
zum Durchbruch gelangt, daß eine Verwirklichung der auf die ame-
rikanische Hilfe gerichteten Hoffnung so rasch nicht zu erwarten ist".
Beruhigend fügte er hinzu, es werde nichts versäumt werden, um
den richtigen Moment für Friedensverhandlungen sofort zu er-
greifen. Sollte der Kronprinz eine Besprechung schon vor Juli wün-
schen, so würde der Kanzler seinen Sohn zu ihm entsenden. Der
Kronprinz antwortete darauf, daß er sich freuen würde, den Reichs-
kanzler gelegentlich seines Aufenthaltes in Spa zu sehen.
Die Begegnung hat sodann tatsächlich erst am 19. Juli in Brüs-
sel stattgefunden. Der Kronprinz stellte dem Reichskanzler mit ein-
dringlichen Worten die Mißlichkeit der militärischen Lage dar —
inzwischen war ja bereits die große vierte Offensive bei Reims ge-
scheitert — und wies darauf hin, daß wir bei einem längeren Hin-
ausschieben des Krieges nichts zu gewinnen, aber alles zu verlieren
hätten. Daraufhin beteuerte der Reichskanzler, daß er alles daran
setzen werde, noch in diesem Jahre, ja noch in diesem Herbst, zum
Frieden zu gelangen. Hindenburg habe ihm auf seine Frage, ob es
möglich sei, England niederzuringen, mit einem Achselzucken geant-
wortet. Auf welche Weise und mit wem Friedensunterhandlungen
anzuknüpfen seien, darüber war sich Hertling noch im Unklaren, teilte
aber die Meinung des Kronprinzen Rupprecht, daß sich eher mit den
Engländern oder Amerikanern verhandeln lassen würde als mit den
Franzosen. In seinem Tagebuche vermerkte der Kronprinz: „Wäre
Graf Hertling jünger und seine Tatkraft seiner hohen Intelligenz
entsprechend, ständen die Dinge besser für uns."'
Wir sind mit der Schilderung der Aussprache zwischen dem
Kronprinzen Rupprecht und dem Grafen Hertling den Ereignissen
bereits vorausgeeilt und müssen nunmehr bis zum Anfang des Mo-
nats Juni zurückkehren.
Im Anschluß an seine Unterredung im Großen Hauptquartier
mit General Ludendorff, die Mitte Mai stattfand (vergl. o. S. 64),
hatte sich Oberst v. Haeften an die Ausarbeitung eines Vorschlages
Friedensoffensive Haeften und Kühlmanns Entlassung 71
zu einer Friedensoffensive begeben. Er besprach sie gelegentlich einer
Dienstreise mit einigen älteren, erfahrenen deutschen Diplomaten,
die sich damals in der Schweiz aufhielten. Daraufhin erhielt der
bereits in Ludendorffs „Urkunden der Obersten Heeresleitung über
ihre Tätigkeit 1916/18" abgedruckte „Vorschlag des Obersten v. Haef-
ten vom 3. Juni 1918 für eine deutsche politische Offensive" seine
endgültige Form. Haeften forderte darin ganz ähnlich, wie er es
bereits im Januar 1918 getan hatte (vergl. o. S. 63), eine poli-
tische Offensive gegen die feindliche Heimatfront. Als bester Zeit-
punkt hierfür erschien ihm eine Pause in den Operationen, „am
besten vor dem Schlußakt unserer großen Offensive des Jahres 1918".
Es mußte allerdings schwer sein, diese Zeit genau zu bestimmen,
denn von dem kriegerischen Verlaufe hing es ab, ob eine Offensive
als Schlußakt bezeichnet werden konnte oder nicht. Der Fall war
möglich — und ist zu Deutschlands Unglück im Sommer 1918 tat-
sächlich eingetreten —, daß die Initiative des militärischen Han-
delns auf den Gegner überging. Mit diesem Augenblick war auf
die Wirkung einer politischen Friedensoffensive, wie sie Haeften vor-
schwebte, nicht mehr zu rechnen, denn ihre Voraussetzung war eine
mindestens aussichtsvolle Lage an der Front. Als Hauptmittel für
die Anbahnung einer Verständigung betrachtete Haeften öffentliche
Kundgebungen angesehener Persönlichkeiten, aus denen der Feind,
ohne die Regie zu merken, immer wieder dieselben Grundgedanken
heraushören sollte. So sollten die deutsche Ostpolitik im Sinne eines
Schutzes der unterdrückten osteuropäischen Völker gegen die zerstö-
renden Kräfte des Bolschewismus dargestellt und die wahren Vor-
gänge, die zum Frieden von Brest-Litowsk geführt hätten, der Welt
immer wieder eingehämmert werden. Rur so war nach Haeftens
Ansicht die Ententepropaganda zu besiegen, die dauernd bestrebt war,
den Frieden von Brest-Litowsk als einen annexionistischen Macht-
srieden hinzustellen.
In den von Haeften bearbeiteten Richtlinien fanden sich aus-
gezeichnete Gedanken, so hinsichtlich der Kriegsziele der Satz, daß
größte Mäßigung in politischen Forderungen
trotz glänzender militärischer Erfolge eine be-
währte Tradition altpreußischer Politik sei.
Deutschland sollte seiner Ansicht nach damals schon, wenn es bei sei-
nen Gegnern ehrlichen Verständigungswillen fand, zu einem auch
mit der Ehre und den Interessen unserer Gegner zu vereinbarenden
Frieden bereit sein.
Rach Haeftens Überzeugung war durch die deutschen Waffen-
erfolge, namentlich durch die jüngsten, eine große Wirkung bei unse-
ren Feinden insofern bereits eingetreten, als das Vertrauen zur
72
Die rein militärische oberste Kriegsleitung
politischen und militärischen Führung der Entente einen schweren
Stoß erlitten hatte. Daran anschließend prägte Haeften den bedeut-
samen Satz: „Wir dürfen uns nicht wie bisher von den Ereignissen
treiben lassen und warten, ob uns eines schönen Tages die poli-
tischen Früchte unserer Siege in den Schoß fallen. Ohne das Ein-
setzen einer planmäßig handelnden Staatskunst vor Abschluß der
militärischen Operationen kann der staatsmännische Friede nicht
sichergestellt werden, der allein unserem Interesse entspricht." Von
militärischen Erfolgen allein war ein Friede nach Haeftens Ansicht
nicht zu erhoffen, und ebenso durfte man nicht auf eine Torschluß-
panik der Gegner rechnen, wenn nicht die Politik das Ihrige tat. „Ein
solches Ergebnis wird unsere siegreiche Offensive allein ohne poli-
tische Unterstützung nicht herbeiführen." Von der deutschen Regie-
rung forderte Haeften, daß sie die Friedensbewegung in der Heimat
fest in der Hand behalten und sie selbst leiten sollte, sonst könne die
Friedensbewegung der Heimat zu einer Friedenskatastrophe führen.
„Das ist keine Schwarzseherei, sondern pflichtmäßiges Bestreben, die
Dinge anzusehen, wie sie wirklich sind."
Als Oberst v. Haeften am 8. Juni 1918 seine Denkschrift in
Avesnes dem General Ludendorff vorlegte, standen die Heerführer
noch unter dem Eindruck des glänzend gelungenen Sturmes auf den
Chemin des Dames. Ludendorff las die Denkschrift aufmerksam
durch, billigte ihren Inhalt und ließ sie noch am 8. Juni mit einem
Anschreiben dem Reichskanzler Grafen Hertling zugehen. Er be-
tonte darin, daß die Kämpfe zeitweise abflauen würden, ehe wir zu
einem neuen Schlage ausholten; zu welchen weiteren Ergebnissen
dieser dann führen würde, sei nicht zu übersehen; der ganze Kampf
mit Englands und Frankreichs Wehrmacht erstrecke sich somit über
eine weite Zeitspanne, die Höhepunkte und Ruhepausen umschließe.
„Zeitlich und sachlich muß neben unserer militärischen die politische
Handlung schreiten. Besonders in den Kampfpausen, die Gelegen-
heit geben, den Erfolg militärischer Siege politisch auszunutzen, muß
die politische Handlung zielbewußt einsetzen." Die Denkschrift des
Obersten v. Haeften zeige hierfür einen gangbaren Weg. Wichtig ist,
daß Ludendorff mit ihrem Gesamtinhalt auch den Satz deckte, daß
die militärischen Erfolge allein uns den Frieden nicht bringen wür-
den. Er bat schließlich den Reichskanzler, ihn in umfassender Weise
über beabsichtigte Maßnahmen durch den zu ihm kommandierten
Obersten v. Winterfeldt zu unterrichten. Dieser solle dann in Zu-
sammenarbeit mit Oberst v. Haeften und Major Würz, dem Chef
des Kriegspresseamtes, „die diesen Stellen verfügbaren Kräfte zur
Förderung der von uns gemeinsam gebilligten Maßnahmen" ein-
setzen.
Friedensoffensive Haeften und Kühlmanns Entlastung
73
Nach Berlin zurückgekehrt trug Haeften die ganze Angelegen-
heit dem Reichskanzler vor. Vizekanzler v. Payer, Staatssekretär
v. Kühlmann und Unterstaatssekretär v. Radowitz waren zugegen.
Er konnte mitteilen, daß auch hinsichtlich der noch strittigen belgi-
schen Frage jetzt eine Übereinstimmung zwischen der politischen und
militärischen Leitung zu erzielen sein würde. Alle anwesenden Her-
ren hielten nunmehr eine Friedensoffensive für durchführbar und
aussichtsreich: Kühlmann schlug Haeften als Leiter der Friedens-
offensive vor. Dieser erklärte sich auf eine Anfrage des Reichskanz-
lers zur Übernahme dieser rein politischen Aufgabe bereit, voraus-
gesetzt, daß der Generalfeldmarschall und General Ludendorff ihre
Genehmigung erteilten. Beide erklärten sich noch am gleichen Tage
einverstanden.
Für die nunmehr einsetzende Friedensoffensive war engste Füh-
lung zwischen den Männern der politischen und militärischen Lei-
tung die unentbehrliche Voraussetzung. Leider bestanden nach wie
vor scharfe Gegensätze zwischen der O.H.L. und dem Staatssekretär
v. Kühlmann. Als Staatssekretär Helfferich am 17. Juni mit einem
der O.H.L. nahestehenden höheren Offizier über die Gesamtlage
sprach, setzte ihm dieser auseinander, daß die politische Ausnutzung
der deutschen militärischen Erfolge gleich null sei. Wir würden den
Krieg nie beendigen, geschweige denn gewinnen können, wenn nicht
Wandel geschaffen werde. Graf Hertling aber sei infolge seines
Alters und seiner Kränklichkeit aktionsunfähig, und den Herren von
der O.H.L. sei ein vertrauensvolles und enges Zusammenarbeiten
mit Herrn v. Kühlmann unmöglich. AIs der Offizier daraufhin an
Helfferich die Frage richtete, ob er geneigt sein würde, gegebenen-
falls selbst das Auswärtige Amt zu übernehmen, erwiderte Helfferich,
daß ihm die scharfe Gegnerschaft des Parlaments und der Presse
eine gedeihliche Führung der auswärtigen Politik unmöglich machen
würden. Tags darauf, am 18. Juni, erstattete Helfferich dem Grafen
Hertling Bericht über diese wichtige Unterredung, „ohne in dem
springenden Punkte, daß die O.H.L. selbst die Hoffnung auf eine
rein militärische Beendigung des Krieges offenbar aufgegeben habe,
und daß diese neue Lage alsbald eine auf den Grund der Dinge
gehende Aussprache zwischen den beiden Faktoren erfordere, auf vol-
les Verständnis zu stoßen."'
Für die Beurteilung des Zusammenwirkens der Politik und
Kriegführung in dieser außerordentlich wichtigen Phase vor dem er-
hofften neuen Waffenerfolge ist hier folgende Feststellung nötig: der
Reichskanzler war nunmehr von drei verschiedenen Seiten, vom
Kronprinzen Rupprecht, vom Obersten v. Haeften, und zwar von
* Karl Helfferich, Der Weltkrieg. 3. Band, S. 417/418.
74
Die rein militärische oberste Kriegsleitung
diesem unter ausdrücklicher Berufung auf die Ansicht der O.H.L.,
und endlich auch vom Staatssekretär Helfferich darauf aufmerksam
gemacht worden, daß die O.H.L. die Hoffnung auf eine rein militä-
rische Beendigung des Krieges offenbar aufgegeben habe, und daß
neue Entschlüsse nötig seien. Wenn Graf Hertling die Psychologie
im Felde stehender Heerführer und ihre nur allzu verständliche Scheu,
in schwieriger Lage Kleinmut zu zeigen, berücksichtigte, hätte er jetzt
eigentlich die Dinge noch ernster ansehen müssen, als sie ihm dar-
gestellt wurden. Diese Schlußfolgerungen hat er indes nicht gezogen,
sondern weiterhin einen durch die wirkliche Lage nicht mehr gestatte-
ten Optimismus gehegt. Leider unterblieb das Wichtigste: eine so-
fortige Aussprache der leitenden Persönlichkeiten über die weiteren
Entschlüsse.
Am 24. Juni bot sich bei der Besprechung des Etats des Reichs-
kanzlers und des Auswärtigen Amtes im Reichstage für den Staats-
sekretär v. Kühlmann eine Gelegenheit zu einer Erklärung im Sinne
der geplanten Friedensoffensive. In Glasgow hatte General Smuts
in einer Rede gesagt, daß man unter einem alliierten Siege nicht die
vollständige Riederzwingung Deutschlands, die Überschreitung des
Rheines und die Diktierung des Friedens in Berlin zu verstehen
brauche. Kühlmann wollte hierauf antworten und suchte nunmehr
die deutsche öffentliche Meinung in dem Sinne zu beeinflussen, daß
sie nicht jede Eröffnung von Feindesseite als Falle auffassen und
nicht jeden Annäherungsversuch der Gegner sofort diskreditieren
möge. Solange dies geschehe, sei nicht abzusehen, wie irgendein zum
Frieden führender Gedankenaustausch eingeleitet werden könne. In
diesem Zusammenhange erklärte er: „Ohne solchen Gedankenaus-
tausch wird bei der ungeheuren Größe dieses Koalitionskrieges und
bei der Zahl der in ihm begriffenen auch überseeischen Mächte durch
rein militärische Entscheidung allein ohne alle diplomatischen Ver-
handlungen ein absolutes Ende kaum erwartet werden können."
Kühlmann schloß mit dem Hinweise auf Deutschlands Stellung auf
den Schlachtfeldern, auf seine ungeheuren Reserven an militärischen
Hilfsmitteln, auf feine Lage und Entschlossenheit im Innern: alles
dies gestatte uns, eine solche Sprache zu führen, und lasse uns hoffen,
daß die Gegner den Gedanken an einen Sieg der Entente als Traum
und Illusion erkennen würden.
Kühlmann hatte somit die beiden Gedanken aus der Haeftenschen
Denkschrift: „Diese Erfolge allein werden uns aber nicht zum Frie-
den bringen; dazu bedürfen wir eines politischen Sieges hinter den
feindlichen Fronten", und: „Ein solches Ergebnis wird unsere sieg-
reiche Offensive allein, ohne politische Unterstützung, nicht her-
beiführen," mit etwas anderen Worten, aber inhaltlich gleichbedeu-
tend wiedergegeben. Der Kern seiner Ausführungen lag darin, daß
Friedensoffensive Haeften und Kühlmanns Entlassung 75
die militärischen Erfolge allein zur Erreichung des Friedens nicht
ausreichen würden. Er bezweckte damit den Beginn der Umstellung
der öffentlichen Meinung von ihrer übertriebenen Siegeszuversicht
und damit eine Eindämmung der uferlosen annexionistischen Kriegs-
ziele.
Kühlmann wurde zum Opfer seiner Ausführungen, die er nach
dem fast übereinstimmenden Urteil mehrerer Hörer in einer etwas
gleichgültigen Art vorgetragen haben soll. Im Großen Hauptquartier
schlug die Nachricht seiner Rede wie eine Bombe ein und löste hellste
Empörung aus. Hindenburg telegraphierte schon tags darauf an den
Reichskanzler und sprach von dem niederschmetternden Eindruck der
Worte Kühlmanns auf die Armee. In der Berliner Pressekonferenz
ließ die O.H.L. am 25. Juni auf Anfrage erklären, daß sie durch die
Rede auf das Peinlichste überrascht worden sei. Am gleichen Tage
ergriff der Reichskanzler im Reichstage das Wort und bat das Haus,
die Erklärungen Kühlmanns mit Ruhe anzuhören, die dieser seiner
gestrigen, von vielen mißverstandenen Rede folgen lassen wolle.
Kühlmann hatte aber mit diesen seinen Erklärungen kein Glück.
Seine Stellung als Leiter des Auswärtigen Amtes war ernstlich
erschüttert, wenngleich es dem Reichskanzler äußerst peinlich war,
gerade jetzt mit der Person seines außenpolitischen Beraters zu wech-
seln. Eine unmittelbare Auswirkung der Kühlmannschen Rede vom
24. Juni war es, daß General Ludendorff am 25. dem Obersten
v. Haeften jede weitere Mitarbeit bei der Durchführung der Frie-
densoffensive verbot.
Damit fiel der ganze Plan ins Wasser und ist auch von der
Reichsregierung nicht wieder aufgenommen worden. Die Friedens-
offensive war tot. Nunmehr kam alles darauf an, Deutschlands zahl-
reiche und sich durch den Zuzug der Amerikaner täglich verstärkenden
Gegner mit den Waffen friedenswillig zu machen, und das zu einer
Zeit, wo die eigenen Angriffs- und Verteidigungskräfte bereits in
erschreckendem Maße dahinschwanden. Noch aber galt es, den Erfolg
der für den 15. Juli vorbereiteten Offensive auf Reims abzuwarten.
Die O.H.L. befand sich einstweilen noch in vollem Besitz der strate-
gischen Initiative.
Das Verhältnis der obersten politischen Leitung zur O.H.L.
wurde in dieser Feit wesentlich durch rein persönliche Dinge be-
stimmt. Zwei Männer waren die Träger der Politik, an verantwort-
licher Stelle der Reichskanzler, als maßgebender Berater der Staats-
sekretär des Auswärtigen. Dabei war die Kriegslage derartig ge-
spannt, daß nicht nur hohe Intelligenz, sondern auch völlig unver-
brauchte Nerven dazu gehörten, die unabwendbaren und immer pein-
licher werdenden Kraftproben und Auseinandersetzungen zu bestehen.
76
Die rein militärische oberste Kriegsleitung
Einer solchen Beanspruchung war der Reichskanzler Graf Hert-
ling bei seiner hohen Intelligenz geistig sehr wohl, aber körperlich
nicht mehr gewachsen. Er erkannte aber durchaus, wie sehr es jetzt
darauf ankam, eine möglichst nahe Fühlung zwischen der politischen
und militärischen Leitung herbeizuführen, und beschloß deshalb, für
längere Zeit in das Große Hauptquartier nach Spa zu übersiedeln.
Mit Rücksicht auf seinen Gesundheitszustand gestattete ihm der Kai-
ser, sich von seiner Gattin und Tochter dorthin begleiten zu lassen.
Sein Sohn fügt der Mitteilung dieser Tatsache folgende Bemerkung
hinzu: „Die Monate Juli und August hätten daher wohl zu den
angenehmsten gehört, die mein Vater während seiner Amtsführung
als Reichskanzler verlebt hat, wäre nicht der Alpdruck der militäri-
schen Ereignisse dieser Zeit auf ihnen gelegen. Die Sonnenwende
des Waffenglllcks war für Deutschland gekommen."
Aus den Aufzeichnungen des Stellvertretenden Reichskanzlers
Friedrich v. Payer vom 22. September 1922 (für den Parlamentari-
schen Untersuchungsausschuß) erkennen wir noch deutlicher, als es
in diesen Worten zum Ausdruck kommt, daß es sich für Graf Hertling
hauptsächlich um einen Erholungsurlaub handeln sollte. Hierfür
wäre die ruhigere Umgebung in Spa günstig gewesen, die außer-
dem den Vorteil bot, daß der Kanzler sich mehr in der Nähe des
Kaisers und der O.H.L. befand. „Der Kanzler war der Erholung
sehr bedürftig; er ist ja auch während dieses Aufenthalts von einem
Krankheits- oder Schwächeanfall betroffen worden, den wir in Ber-
lin nach den ersten Nachrichten als nicht unbedenklich ansehen zu
müssen fürchteten. Außerdem schien es dem Kanzler und mir be-
denklich, den Kaiser dauernd nur dem einseitigen Einfluß der O.H.L.
zu überlassen, deren Politik wir keineswegs immer für richtig hiel-
ten und gegen deren Übergreifen auf das der Reichsleitung zuste-
hende politische Gebiet wir sehr auf der Hut zu sein hatten."
Es ist ein wahrhaft tragisches Bild, sich vorzustellen, daß der
nach Spa übergesiedelte Reichskanzler eigentlich dort alles andere
eher finden konnte als die ihm zugedachte und von seiner Familie
erhoffte Erholung. Schon am Tage seiner Ankunft in Spa, am
1. Juli, hatte er die erste längere Unterredung mit Hindenburg und
Ludendorfs. Er verteidigte hierbei Herrn v. Kühlmann, verurteilte
aber sein Verhalten in seiner — zweiten — Reichstagsrede vom
25. Juni. Der Feldmarschall erklärte geradeheraus, daß die O.H.L.
mit Kühlmann nicht mehr arbeiten könne. Auch über die kritisch
werdende Ersatzstellung für das Feldheer und die Arbeitsleistung in
der Heimat wurde verhandelt. AIs gemeinsamen Beschluß der Reichs-
leitung und der O.H.L. legte Graf Hertling in einer später in seinem
Nachlaß aufgefundenen Niederschrift fest, man sei am 1. Juli darin
einig geworden, zunächst die volle Kraft gegen England weiter ein-
Friedensoffensive Haeften und Kühlmanns Entlastung
77
zusetzen, zu einem vernünftigen Friedensgespräche mit dem Aus-
lande aber bereit zu sein. Die O.H.L. habe dabei aber der Gegen-
seite den ersten Schritt überlassen wollen und gefordert, daß alle
Schritte mit der Kraft und der Würde geschehen müßten, die Deutsch-
lands Leistungen entsprächen. Bei dieser Feststellung müssen wir
uns vor Augen halten, daß die O.H.L. immer noch den Hauptnach-
druck auf die Bekämpfung der Engländer an der flandrischen Front
legte: sie beurteilte also die Gesamtlage noch verhältnismäßig gün-
stig, wenn sie erwartete, daß England von sich aus den ersten Schritt
tun sollte.
Am 2. Juli rang sich auch der Kaiser zu der Überzeugung durch,
daß ein vertrauensvolles Zusammenarbeiten der O.H.L. mit dem
Staatssekretär v. Kühlmann auf die Dauer nicht mehr möglich sei.
Er erklärte sich mit einem Wechsel zum Herbst einverstanden, nicht
aber für sofort, da gerade unverbindliche Besprechungen mit dem
Haag eingeleitet worden waren. Weitere Besprechungen vom 2. und
3. Juli bestärkten aber beim Grafen Hertling seine optimistischere
Auffassung in bezug auf den Kriegsausgang. Die O.H.L. vertrat
den Standpunkt, daß Belgien, um niemals wieder Aufmarschgebiet
unserer Feinde werden zu können, nach dem Kriege durch Zollunion,
Eisenbahngemeinschaft und dergleichen in engste Beziehung zu
Deutschland gebracht werden sollte und eine eigene Armee vorläufig
nicht mehr halten dürfe. Die Marineleitung forderte die Erklärung
eines neuen Sperrgebietes, obwohl zunächst nur drei, nach einigen
Wochen im ganzen sechs Unterseekreuzer für diese schwierige Auf-
gabe zur Verfügung standen. Mit Rücksicht auf die Verstärkung der
Amerikaner an der Westfront trat auch die O.H.L. für die recht bal-
dige Erklärung des Sperrgebietes ein, zumal sie sich davon auch eine
Erleichterung des U-Bootkrieges in den europäischen Gewässern ver-
sprach.
Als am 3. Juli die O.H.L. sich wieder nach Avesnes begab,
Kaiser und Kanzler in Spa zurückblieben, war letzterer der Ansicht,
es werde vielleicht doch gelingen, den Feinden durch die Waffenent-
scheidung unseren Willen aufzuzwingen.
Unmittelbar vor Beginn der vierten Offensive entstand nun die
Personalkrisis des Auswärtigen Amtes, da für Herrn v. Kühlmann
in aller Eile ein Nachfolger gefunden werden mußte. Die Wahl fiel
auf den damaligen deutschen Gesandten in Christiania v. Hintze, der
am 5. Juli in Spa eintraf, anfangs aber eine andere Verwendung
vorgezogen haben würde, nämlich die Entsendung nach Moskau, wo
Graf Mirbach am 6. Juli ermordet wurde. Als Herr v. Kllhlmann
am 7. Juli in Spa eintraf, trug er Hintze den Moskauer Posten an,
78 Die rein militärische oberste Kriegsleitung
über die Stimmung im Großen Hauptquartier anfangs noch nicht
unterrichtet und offenbar noch im Glauben, in Rücksicht auf die be-
gonnenen Unterhandlungen im Haag mit Vertretern der englischen
Kommission über den Gefangenenaustausch sein Amt noch weiter-
führen zu können. Am gleichen 7. Juli veranlaßte Graf Hertling den
Kaiser, die Verabschiedung Kühlmanns noch hinauszuschieben. Noch
am gleichen Abend aber erschien beim Kanzler plötzlich Oberst v. Win-
terfeldt mit dem Aufträge, dem Kanzler zu berichten, „der Kaiser
habe seine Meinung geändert und könne dem Vorschlage, mit der
Verabschiedung des Staatssekretärs noch zu warten, nicht mehr bei-
stimmen". Der Kanzler war über diesen plötzlichen Meinungsum-
schwung des Monarchen ganz erschüttert. Tags darauf teilte der
Kaiser Herrn v. Kühlmann seinen Entschluß mit. Dieser hielt ihm
seinen letzten Vortrag als Staatssekretär des Äußern. Der Monarch
empfing ihn mit den Worten: „Wir müssen unsere Ehe scheiden!"
Über seine letzte Audienz erstattete Kühlmann einen schriftlichen Be-
richt an den Kanzler, dessen Mitteilung weiter unten erfolgt.
Für den Kaiser als Obersten Kriegsherrn war die Entlassung
Kühlmanns wiederum eine schwere Machtprobe. In einem Briefe,
den Graf Hertling am 8. Juli an seinen Stellvertreter, den Vize-
kanzler v. Payer, richtete, hieß es: „Ich habe den ruhigen Herrn
v. Hindenburg noch nie so abweisend gefunden. Am andern Tage
(2. Juli) war ich zwei Stunden bei Seiner Majestät, die sich zwar
persönlich nicht ungnädig gegen Kühlmann zeigte, es aber für aus-
geschlossen erklärte, daß etwa auf ihren Befehl hin ein vertrauens-
volles Zusammenarbeiten möglich sei. Eine Kraftprobe zu machen,
hatte unter diesen Umständen keinen Zweck. Die Entlassung der
Heerführer zu verlangen, auf die Heer und Heimat mit unbedingtem
Vertrauen blickten, wäre frevelhaft gewesen und hätte selbstver-
ständlich auch keinen Erfolg gehabt. Und was hätte es geholfen, wenn
ich nun meinerseits gegangen wäre? Wäre der Kaiser hierauf ein-
gegangen, so wäre die einzig richtige Konsequenz die Militärdiktatur
gewesen, die wir doch auch nicht wünschen können und solange als
möglich fernhalten müssen." Man erkennt aus diesen Worten deut-
lich, wie schwer die um Kühlmann herum entstandene politische Krise
vom Reichskanzler damals empfunden worden ist.
Über die Vorgänge und Erwägungen anläßlich des Sturzes des
Staatssekretärs v. Kühlmann liegen aus dem Nachlaß des Reichs-
kanzlers Grafen v. Hertling Aufzeichnungen des Vizekanzlers v. Payer
und des Staatssekretärs v. Kühlmann vor, die bisher unbekannt ge-
blieben sind und für deren Mitteilung ich dem Sohne des Reichs-
kanzlers, Herrn Grafen von Hertling in Ruhpolding, zu besonderem
Dank verpflichtet bin. Sie lauten:
Friedensoffensive Haeften und Kühlmanns Entlassung
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Brief des Vizekanzlers v. Payer an den Reichskanzler
Grafen v. Hertling
Berlin, 6. Juli 1918.
„Euer Exzellenz!
Da ich höre, daß über meine Stellung in der Frage eines
etwaigen Rücktritts des Herrn Staatssekretärs v. Kühlmann ver-
schiedene Auffassungen bestehen, gestatte ich mir, dieselbe kurz zu
präzisieren.
In erster Linie halte ich es nach wie vor für notwendig fest-
zustellen, ob Herr v. Kühlmann und die O.H.L. in Zukunft mit
einander weiter arbeiten können und wollen. Der jetzige Zustand,
daß sie nicht miteinander an einem Tisch sitzen, ist selbstverständlich
auf die Dauer unhaltbar. Ich habe mir deshalb seiner Zeit die
Bitte an Euer Exzellenz erlaubt, bei Sr. Majestät vorstellig zu
werden, daß S. M. versuchen möge, dieses Zusammenarbeiten zu
ermöglichen.
Ist dasselbe nicht zu ermöglichen, so bleibt nichts anderes
übrig, als Herrn v. Kühlmann zum Rücktritt zu veranlassen. Sein
Abgang hätte aber, ich darf das nicht verschweigen, sehr uner-
wünschte Folgen. Ich hoffte, die Sozialdemokratie lasse sich be-
lehren, daß ein Wechsel in der Person nicht notwendig einen
Wechsel im System bedeute. Sie versteift sich aber, wie ihr bru-
taler Vorstoß am Mittwoch beweist, darauf, Kühlmanns Abgang
ohne Rücksicht auf den etwaigen Nachfolger als einen Sieg der
Alldeutschen und als den Beweis dafür anzusehen, daß die der-
zeitige Regierung unter dem Eindruck einer wilden Agitation
macht- und kraftlos vor den Alldeutschen und der O.H.L. kapitu-
liert habe und kein Vertrauen mehr verdiene.
Dann muß sie aber, wozu sie ohnedies geneigt ist, formell in
die rücksichtslose Opposition gehen, denn auf die Dauer kann sie so
mit der Regierung nicht zusammenarbeiten und die Regierung
nicht mit ihr. Dann tritt ein, was zu verhüten wir während des
ganzen Krieges bemüht waren. Es existiert dann aber auch keine
Mehrheit mehr, auf die sich die Regierung einigermaßen stützen
könnte, überhaupt keine Mehrheit mehr, und ich kann mir weder
vorstellen, wie eine von rechts wie links angegriffene Regierung
sich halten könnte, noch wie ihre Nachfolgerin aussehen sollte. Sie
müßte wohl der äußersten Rechten oder der äußersten Linken ent-
nommen werden.
Käme noch dazu, daß der Nachfolger v. Kühlmanns eine
andere Politik treiben würde, so würden auch die Fortschrittliche
Volkspartei und die weit überwiegende Mehrheit des Zentrums
der Regierung den Dienst kündigen. Andernfalls ließen wohl sie
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Die rein militärische oberste Kriegsleitung
sich, wenn auch ungern, beruhigen, aber ein großer Teil ihrer
Presse und des um den Frieden besorgten Volkes würde die
sozialdemokratische Politik mitmachen. Die Gefahren für unseren
inneren Frieden liegen auf der Hand.
Das Ausland würde den Wechsel der Person wohl ziemlich
einmütig als Übergang zu einer weniger friedlichen Politik an-
sehen.
Daß, wenn möglich, bei dieser Sachlage ein Wechsel nicht
stattfinden sollte, scheint mir nahe zu liegen. Ein solcher müßte
auch, selbst wenn er keinen Wechsel der Politik bedeuten würde,
der Stetigkeit unserer auswärtigen Politik Abtrag tun. Ein voll-
wertiger Ersatz scheint mir zu fehlen.
Mit meinen besten Empfehlungen bin ich
Euer Exzellenz ergebenster
(gez.) Payer."
Noch aufschlußreicher erscheint folgender Bericht Kühlmanns:
„Seiner Exzellenz dem Herrn Reichskanzler
Grafen v. Hertling.
Berlin, am 10. Juli 1918.
Aufzeichnung.
Im Nachtrag zu meinem Schreiben vom 8. Juli beehre ich
mich. Euer Exzellenz nachstehende Aufzeichnung Uber mein Ge-
spräch mit Seiner Majestät am Vormittage des gleichen Tages
ergebenst einzureichen.
Seine Majestät eröffnete das Gespräch mit der Bemerkung,
daß er die Überzeugung gewonnen habe, wir müßten unsere Ehe
lösen.
Ich erwiderte, es fei Seiner Majestät bekannt, wie schwer es
mir geworden, vor einem Jahre dem Befehl zur Übernahme des
Amtes nachzukommen. Meine Erfahrungen hätten diese Befürch-
tungen mehr als vollauf bestätigt. Durch die Zahl der Probleme,
die zu lösen, die Häufigkeit von Gegenwirkungen aller Art und
die allgemeine Lage gingen die Anforderungen des Amtes fast
über menschliche Kraft. Ich könne es daher von meinem persön-
lichen Standpunkte aus nur dankbar begrüßen, wenn Seine Ma-
jestät geruhen wollten, mich von dieser Bürde wieder zu befreien.
Anderseits hielt ich es für Gewissenspflicht, ihm die schweren
Bedenken nicht zu verheimlichen, die m. E. im gegenwärtigen
Augenblicke gegen einen Wechsel in der Leitung des Auswärtigen
Amtes sprächen. Diese Bedenken lägen zum Teile auf innerpoli-
Friedensoffensive Haeften und Kühlmanns Entlaffung 81
tifchem Gebiete. Die Reichstagsmehrheit, auf die Graf Hertling
sich bisher gestützt habe, schien von Anfang an gewisse Befürch-
tungen zu verraten, der neue Kanzler könne stark konservativ ge-
richtet sein. Sie erblickte in der Person des Vizekanzlers v. Payer
ein Korrektiv hiergegen und in meiner Person eine gewisse Ge-
währ für die Stetigkeit der eingeschlagenen Politik. Ein Per-
sonenwechsel in diesem Augenblicke — besonders wenn er die Deu-
tung zuließe, als solle eine mehr nach rechts gerichtete Orientie-
rung eingeschlagen werden — scheine mir vom innerpolitischen
Standpunkte aus nicht ohne Gefahren. Insbesondere hielte ich
starke Angriffe gegen den Herrn Reichskanzler für denkbar.
Biel schwerer aber seien meine Bedenken auf dem Gebiete
der auswärtigen Politik. Es habe sich, weniger durch mein Zutun
als durch die Agitation der alldeutschen Presse, im Auslande die
Vorstellung festgesetzt, ich verträte in Deutschland eine ausglei-
chende, friedenswillige Politik. Derartige Tendenzen zu fördern,
insbesondere den englischen Ausführungen von General Smuts,
Balfour und Asquith zu antworten, sei der Zweck meiner letzten
vielbesprochenen Reichstagsrede gewesen. Ein Personenwechsel
im gegenwärtigen Augenblicke werde im Auslande voraussichtlich
als ein Unterliegen der friedensliebenden Tendenzen in Deutsch-
land und als ein Sieg der alldeutschen. Agitation aufgefaßt
werden.
Es stehe zu befürchten, daß durch eine solche Auffassung ge-
wisse, nur in zarten Umrissen erkennbare Versuche zu einer An-
näherung im Keime zerstört würden. Es liege in der Natur der-
artiger internationaler Dinge, besonders in ihren ersten Anfän-
gen, daß bei ihnen die Personenfrage eine nicht gleichgiltige Rolle
spiele. Einesteils könne ich keine Gewähr dafür übernehmen, daß
sich aus den erkennbaren Ansätzen etwas Brauchbares entwickeln
werde, andererseits sei ich nicht in der Lage, auch nur mit einiger
Sicherheit zu behaupten, daß ein Personenwechsel solche Ansätze
unter allen Umständen zerstören müsse. Ich erblickte aber doch
bei meiner Gesamtanschauung der Lage selbst in einer Gefähr-
dung dieser Dinge eine eminente Bedrohung.
Auch nach der russischen Seite hin sei rasches Handeln der
politischen Leitung unbedingt notwendig, um die Gunst der zur
Zeit sehr vorteilhaften Lage ganz ausnützen zu können.
Zu all diesen Dingen brauche aber die politische Leitung ein
gewisses Maß von Bewegungsfreiheit und Selbständigkeit, sonst
könne sie keine Wirkung erzielen. Ich könne nicht prophezeien: ich
hielte aber, die eben skizzierten Bedingungen vorausgesetzt, eine
Beendigung des Krieges noch in diesem Herbste durch glückliche
Vereinigung von Waffenerfolgen mit diplomatischer Aktion für
Schwertfeger, DaZ Weltkriegsenöe
6
möglich. Ein Hineintragen des Krieges in das nächste Jahr schiene
mir eine nach vielen Seiten hin bedenkliche Perspektive. Die Be-
fürchtung müsse nahe liegen, daß ein Personenwechsel in diesem
Augenblicke wie oben beschrieben aufgefaßt und dadurch krieg-
verlängernd wirken müsse.
Ich glaubte, mit diesen etwa halbstündigen Darlegungen
meine Pflicht nach allen Seiten erfüllt zu haben, zumal die ange-
führten Gründe auf Seine Majestät keinerlei Eindruck zu machen
schienen. (gez.) R. v. Kühlmann."
Am 9. Juli bestimmte der Kaiser den Gesandten v. Hintze zum
Staatssekretär des Auswärtigen Amtes. Hintze hatte schwere Be-
denken, ob er das Amt annehmen solle. Er tat es schließlich auf Be-
fehl des Monarchen, mußte sich nun aber erst in die tatsächliche Lage
Deutschlands, wie sie von der Perspektive des Großen Hauptquar-
tiers aus erschien, hineindenken. Der Reichskanzler entschloß sich
dazu, mit Hintze gemeinsam nach Berlin zu fahren, um ihn dort mit
den führenden Parlamentariern bekanntzumachen. In einer Sitzung
des Hauptausschusses gab er am 11. Juli Aufschluß über die Gründe,
die zu der Verabschiedung Kühlmanns geführt hatten, und beruhigte
die Parlamentarier darüber, daß von einem Wechsel in der Richtung
der auswärtigen Politik nicht die Rede sein solle. Schon am 12. Juli
kehrte Hertling nach Spa zurück und erstattete dem Kaiser am 13.
seinen Bericht „über das friedliche Ende, das die Kühlmannkrisis in
Berlin gefunden hatte".
Am gleichen Abend begab sich der Kaiser an die Front, um die
Truppen vor dem für den 15. Juli beabsichtigten Angriff auf Reims
zu besuchen. Er war voller Zuversicht und hoffte auf den Erfolg der
Überraschung.
In der O.H.L. war man der Ansicht, daß die sorgfältig vorbe-
reitete Schlacht um Reims ein neuer entscheidender und weit rei-
chender Schlag für die französische Armee und das französische Volk
und damit die beste Grundlage für die Hagenschlacht gegen die Eng-
länder werden könnte. In diesem Sinne hatte sich der Chef der
Operationsabteilung, Oberstleutnant Wetzell, in einer Denkschrift
vom 12. Juni 1918 geäußert. Für den Fall des Sieges bei Reims
erhoffte er — Denkschrift vom 27. Juni — einen siegreichen Schlag
gegen die Engländer und sodann die Möglichkeit eines Angriffes in
der Richtung auf Paris, falls die dafür notwendig werdenden 40 bis
45 Angriffsdivisionen noch aufzubringen wären.
Die O.H.L. glaubte also damals noch in der Lage zu sein, den
Feind durch größere Angriffsschlüge friedenswillig zu machen. Die
bisher unternommenen Offensiven hatten zu großen taktischen Er-
Friedensoffensive Haeften und Kühlmanns Entlassung 83
folgen, bisher aber noch nirgends zu schweren Rückschlägen geführt.
Wohl hatte die Angriffsbewegung jedesmal allmählich eingestellt
werden müssen, so daß ein strategischer Durchbruch nicht zustande-
kam, aber dies erfolgte auf Grund der eigenen Entschließung der
O.H.L., die immer noch über die strategische Initiative verfügte. Da
sie an ein entscheidendes Nachlassen der inneren Kampfkraft der
Truppen noch nicht glaubte und über die Stärke der vorhandenen
feindlichen Reserven nicht hinreichend unterrichtet war, hielt sie den
Zeitpunkt noch nicht für gekommen, wo die militärische Lage den
Versuch erfordert hätte, mit den Mitteln der Politik zum Frieden
zu kommen.
Die vierte deutsche Offensive (Reims).
Unter solchen Vorzeichen begann am 15. Juli die wiederum
sorgfältig vorbereitete vierte Offensive. Da es noch nicht möglich
war, den geplanten Hauptschlag in Flandern gegen die Engländer
zu führen, richtete die O.H.L. den Angriff auf die französische Front
beiderseits Reims. Der Grundgedanke war wiederum, durch diesen
Angriff die Franzosen vom flandrischen Schlachtfelde fernzuhalten.
Ursprünglich sollte der unter dem Decknamen „Marneschutz" und
„Reims" von der Heeresgruppe Deutscher Kronprinz vorbereitete
Angriff etwa am 10. Juli beginnen und zehn Tage später der An-
griff der Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht in Flandern (Deckname
„Hagen"). Die Verschiebung des Angriffs bei Reims auf den
15. Juli hatte eine entsprechende Verschiebung des „Hagen-Angriffs"
zur Folge.
Die Franzosen hatten rechtzeitig Nachricht über den ihnen be-
vorstehenden Angriff erhalten, ihre vordersten Stellungen nur
schwach besetzt und den Hauptwiderstand in eine weiter rückwärts
gelegene Stellung verlegt. So blieb der am 15. Juli früh 4 Uhr be-
gonnene Infanterie-Angriff im Sperrfeuer der feindlichen Artillerie
liegen. Schon am 15. Juli mußte man sich eingestehen, daß der An-
griff der 1. und 3. Armee gescheitert war, während es bei der
7. Armee westlich Reims günstiger stand. Schon am 17. Juli mußte
angeordnet werden, daß die Zurücknahme der Truppen hinter die
Marne vorzubereiten sei. Zum ersten Male waren amerikanische
Truppen in Erscheinung getreten, in der Champagne eine amerika-
nische Division und in der Gegend von Chüteau-Thierry deren drei.
Zum ersten Male war das deutsche Heer, wie es Feldmarschall v. Hin-
denburg in seinen Erinnerungen ausdrückt, „im Angriff gescheitert".
Wiederum waren, wie bei den früheren Offensiven, trotz großer
Beute an Gefangenen die durch den Kampf erreichten taktischen
Stellungen für die weitere Behauptung sehr ungünstig geworden.
6*
84
Die rein militärische oberste Kriegsleitung
Die Frontlinie war verschlechtert, und beide Flanken forderten den
Gegner zu Angriffen heraus. Trotzdem hielt die O.H.L. zunächst
noch an ihrem Plane fest, zur Ermöglichung des „Hagen"-Angriffes
gegen die Engländer Truppen zur Heeresgruppe Kronprinz
Rupprecht abrollen zu lassen. Schon am 16. Juli abends begannen
aus der Gegend von Reims die ersten Züge zu laufen, und Luden-
dorff selbst begab sich in der Nacht vom 17./18. Juli in das Haupt-
quartier des Kronprinzen Rupprecht, um sich über den Stand der
dortigen Vorbereitungen zu unterrichten.
Dort ereilten ihn am 18. Juli in Tournai die ersten Nachrichten
über einen starken französischen Tankangriff südwestlich Soissons. Ein
großer Einbruch in die Stellungen der 7. und 9. Armee war erfolgt.
Eine Katastrophe konnte gerade noch abgewendet werden, doch erwies
es sich als nötig, die Front zurückzunehmen und in die Aisne-Vesle-
Stellung zurückzugehen. Die ganze dortige Front wurde auf Abwehr
eingestellt.
Der entscheidende Augenblick war gekommen, die Initiative der
deutschen O.H.L. verloren gegangen. Ludendorff war sich darüber
völlig klar. „Ob und wie es gelingen würde, nach Beziehen der
Vesle-Stellung die Initiative wiederzugewinnen, darüber konnte ich
mir jetzt noch keine Rechenschaft ablegen... Der Versuch, die Völker
der Entente durch deutsche Siege vor Ankunft der amerikanischen
Verstärkungen friedenswillig zu machen, war gescheitert. Die
Schwungkraft des Heeres hatte nicht ausgereicht, den Feind entschei-
dend zu treffen, bevor der Amerikaner mit bedeutenden Kräften zur
Stelle war. Ich war mir klar bewußt, daß dadurch unsere Gesamt-
lage sehr ernst geworden war.""
So war es in der Tat. Die Lage war eingetreten, von der Kron-
prinz Rupprecht in seinem Briefe an den Reichskanzler vom 1. Juni
1918 gesprochen hatte": „Jetzt haben wir noch Trümpfe in der Hand
— nämlich die Drohung mit in Bälde sich verwirklichenden neuen
Angriffen —, später, wenn diese Angriffe einmal erfolgt sind, nicht
mehr." Jetzt mußte bei niedergehender militärischer Konjunktur der
Versuch gemacht werden, mit den Mitteln der Politik zu einem er-
träglichen Frieden zu gelangen.
Der Mann, dem diese unerhört schwere und eigentlich unlös-
bare Aufgabe zufiel, war der soeben erst ernannte Staatssekretär
v. Hintze. Von der Art, wie er diese Aufgabe zu lösen suchte, und
von den Erfolgen, die ihm dabei beschieden waren, hing Deutschlands
Schicksal ab.
5 Erich Ludendorff, Meine Kriegserinnerungen. S. 543 u. 545.
° Vergl. oben S. 68/69.
Der Umschwung der Kriegslage
Der Umschwung der Kriegslage.
Bald nachdem Staatssekretär v. Hintze seine neue Stellung an-
getreten hatte, besuchte er am 9. Juli die O.H.L. in Avesnes, von
wo er nach Charleville weiterfuhr. Hintze stellte an General Luden-
dorff die Frage, ob er sicher wäre, mit der jetzigen Offensive den Feind
endgültig und entscheidend zu besiegen. Ludendorff wiederholte die
Frage und bejahte sie, indem er Gründe für seine Zuversicht angab.
Auf den Staatssekretär machte die Zuversicht des Generals einen
tiefen Eindruck. Da Herr v. Kühlmann auf das Verlangen der
O.H.L. entlassen worden war, weil er den Sieg allein mit den Waf-
fen in Zweifel gezogen hatte, mußte die Siegeszuversicht Luden-
dorffs jetzt um so stärker auf den neuen Leiter der Außenpolitik wir-
ken. Gelang der Sieg auf dem Schlachtfelde, so befand sich tatsächlich
der Staatssekretär „in der leichten und vielversprechenden Rolle,
auf einen sicheren Sieg die Siegel eines Siegerfriedens zu drücken."
Vorerst mußten noch mehrere Tage vergehen, ehe Herr v. Hintze
sein Amt zu übernehmen vermochte. Er hatte noch einige mit sei-
nem Abgänge aus Christiania verbundene Formalitäten zu erledi-
gen, sich auch dort persönlich abzumelden. So kam es, daß er an-
schließend an seine Reise nach Berlin, die er am 10. Juli mit dem
Reichskanzler Grafen Hertling angetreten hatte (s. o. S. 82), meh-
rere Tage in Deutschland nicht anwesend war. Inzwischen erfolgte
die Offensive bei Reims, und die O.H.L. stand nach Helfferichs Ur-
teil (Der Weltkrieg, 3. Band, S. 436/7) vor der Wahl, „entweder
den Versuch zu machen, durch einen neuen großen Angriff eine Ver-
besserung der Front nach vorwärts herbeizuführen und womöglich
die Entscheidung zu erzwingen; oder die Offensiven abzubrechen,
durch Verkürzung der Front nach rückwärts in die Defensive überzu-
gehen, in günstigeren Stellungen den Feind anlaufen und womög-
lich verbluten zu lassen". Jetzt konnte allerdings von einem neuen
großen Angriff keine Rede mehr sein, und es blieb nur die zweite
Möglichkeit übrig.
Staatssekretär v. Hintze hatte am 20. Juli, also unmittelbar
nach dem Scheitern der Offensive auf Reims und nach dem französi-
schen Vorstoße vom 18. Juli, in Berlin die Geschäfte des Auswärti-
gen Amtes übernommen und dabei vor den versammelten Beamten
die Parole ausgegeben, mit der O.H.L. vertrauensvoll zusammen-
zuarbeiten. Die von der Armee nach Berlin gelangenden Nachrich-
ten boten trotz der eingetretenen Rückschläge einstweilen keinen
Grund zu ernsthafter Besorgnis. Die gute Haltung der Truppen
beim Rückzüge in die neuen Stellungen hatte auf die O.H.L. einen
beruhigenden Eindruck gemacht; es war gelungen, die heftigen An-
86 Die rein militärische oberste Kriegsleitung
griffe des Generals Fach abzuwehren und dem Feinde schwere Ver-
luste zuzufügen. Mit Recht hat daher Ludendorff in seinen Kriegs-
erinnerungen die bewegliche Abwehrschlacht zwischen Marne und
Vesle als eine Glanzleistung der deutschen Führer und Truppen be-
zeichnet und hinzugefügt, daß der Schatten des 18. Juli dadurch wie-
der verwischt worden sei.
Als sich Hintze am 27. Juli mit mehreren Herren des Auswär-
tigen Amtes nach Spa begab, hatte er im ganzen noch keine ungün-
stigen Auffassungen von der Gesamtlage. Nunmehr fanden am 28.
beim Reichskanzler und am 29. unter Vorsitz des Kaisers eingehende
Besprechungen statt, die sich besonders auf die von der Marine immer
wieder geforderte Erklärung des Sperrgebiets an der ostamerikani-
schen Küste bezogen. Hintze vertrat hierbei unter scharfer Abwägung
der Vorteile und Nachteile einer solchen Maßnahme den politisch
einzig richtigen Standpunkt, daß man es in Deutschland bei seiner
jetzigen Lage als eine Heimsuchung empfinden würde, wenn etwa
durch das neue Sperrgebiet die Zahl unserer Feinde noch weiter ver-
mehrt würde. Diesen politischen Nachteil müsse er der zuständigen
Stelle — das würde also bedeuten: dem Obersten Kriegsherrn —
unterbreiten, die ihrerseits dazu berufen sei, sie gegenüber den mili-
tärischen Vorteilen abzuwiegen. Der Kaiser hat sich der ihm zufal-
lenden Entscheidung nicht entzogen. Er erklärte, daß die vom Ge-
sandten Frhr. v. der Lancken vorgebrachten Bedenken wegen der Er-
nährung Belgiens, die durch das Sperrgebiet an der amerikanischen
Küste schwer in Mitleidenschaft gezogen werden konnte, sehr wesent-
lich seien, da die belgische Bevölkerung nur darauf warte, etwas
gegen uns zu unternehmen. Dadurch könnten auch unsere rückwär-
tigen Verbindungen gefährdet werden. „Man müsse auch bedenken,
daß wir nicht im zweiten, sondern im vierten Kriegsjahre stünden,
und man sich daher nicht alles leisten könne, was man früher getan
habe." Das Sperrgebiet wurde abgelehnt.
Am Nachmittag des 29. Juli begab sich Hintze nach Avesnes,
wo er mit dem Feldmarschall und dem General Ludendorff eine Be-
sprechung hatte. Nach einer weiteren, die sich auf Ostfragen bezog
und beim General Ludendorff am 30. Juli stattfand, kehrte Hintze
wieder nach Berlin zurück.
Über die damalige Stimmung im Großen Hauptquartier gibt
ein Schreiben des Unterstaatssekretärs v. Radowitz, der sich beim
Reichskanzler in Spa befand, vom 1. August 1918 Aufschluß. Es
hieß darin: „Bei der O.H.L. ist man trotz des Fehlschlagens der letz-
ten Operationen sehr zuversichtlich. Die Zurücknahme der Truppen
aus dem Marnebogen ist eine militärisch durchaus verständliche Maß-
nahme, da der große Bogen doch nur einen Zweck hatte, wenn es
gelang, auch östlich von Reims erheblich vorzudringen. Da dies nicht
Der Umschwung der Kriegslage
87
der Fall war, scheint mir die Ersparnis an Mannschaften und Ma-
terial, die durch die Zurücknahme erzielt wird, durchaus nützlich. In
der Abwehr der feindlichen Angriffe sind wir überall erfolgreich ge-
wesen. Die Verluste der Feinde sind sehr groß. An Gefangenen und
Geschützen heben sich unsere und die feindlichen Verluste auf. Trotz-
dem fürchte ich, daß der Eindruck in der Heimat schlecht gewesen ist.
Es muß daher energisch auf die Stimmung gewirkt werden, — ent-
gegen der Erzbergerschen Methode. Hier müssen Kriegspresseamt
und militärische Stelle — gemeint war die des Obersten v. Haeften
— das ihrige tun. Im Auslande scheint der Eindruck nicht allzu be-
denklich zu sein. General Ludendorff hat sich Winterfeldt gegenüber
zuversichtlich ausgesprochen. Er hofft, in absehbarer Zeit wieder zu
neuen Taten bereit zu sein." Vizekanzler v. Payer, an den dieses
Schreiben gerichtet war, folgerte daraus, daß am 1. August jeden-
falls die O.H.L. noch weit von der Auffassung entfernt war, der
Krieg könne mit den Waffen nicht mehr gewonnen werden.
Offenbar war im Großen Hauptquartier seit der Zurücknahme
der Truppen von der Marne und der Überwindung des Schreckens
über den Tankangriff vom 18. Juli bei Soissons eine Beruhigung
eingetreten. Anfangs hatten die Heerführer die Vorgänge des
18. Juli fast als eine drohende Katastrophe beurteilt, die abzuweh-
ren gerade noch gelungen war. Da nun aber die Truppen bei den
anschließenden Rückzugskämpfen bis zum Erreichen der Aisne-Vesle-
Etellung ihre alte Kampfform wiedergefunden hatten, schob man
das Versagen einzelner Truppenteile am 18. Juli jetzt hauptsächlich
auf die Rechnung der Überraschung und des Tankschreckens. So
empfand man schließlich den Ausgang der Kämpfe während des Rück-
zuges in gewissem Sinne als einen Abwehrsieg. Staatssekretär
v. Hintze faßte die Gesamtlage erheblich pessimistischer auf und ließ
darüber auch dem Vizekanzler v. Payer gegenüber, den er dauernd
auf dem Laufenden erhielt, keinen Zweifel.
Es wurde Zeit, das Verhältnis zwischen Politik und Krieg-
führung nunmehr grundlegend klarzustellen, nachdem die vier gro-
ßen Offensiven den mit ihnen beabsichtigten Erfolg nicht gezeitigt
hatten, den Feind friedenswillig zu machen. Wenn in unserer Dar-
stellung der Eindruck entstehen kann, daß es für die Beurteilung der
großen Zusammenhänge in der Hauptsache nur auf die mit der höch-
sten Verantwortlichkeit betrauten Persönlichkeiten angekommen
wäre, so ist es, gerade wenn wir aus der Kriegsgeschichte lernen
wollen, von höchster Wichtigkeit, festzustellen, ob es denn in einer
solchen Lage kein Mittel gab, die Intelligenz auch anderer Persön-
lichkeiten an Nachgeordneten Stellen für die große Sache nutzbar zu
machen. Es wäre ja sonst eine übergroße Gefahr einer derartigen
Konzentration des höchsten Machtwillens im Kriege, wenn er ledig-
88 Die rein militärische oberste Kriegsleitung
lich auf die eigenen Gedankengänge angewiesen bliebe und auf die
geistige Mitarbeit weiterer Persönlichkeiten verzichten müßte. In
diesem Falle würde es zweifellos eine kriegsgeschichtliche Erfahrung
ersten Ranges bedeuten, dafür Sorge zu tragen, die Möglichkeiten
einer solchen Mitarbeit zu schaffen.
Für die kritische Feit Ende Juli 1918 liegt uns das zugleich
politische und militärische Urteil eines Mannes vor, der nach einer
erfolgreichen Tätigkeit in verschiedenen Generalstabsstellungen für
eine Verwendung beim Obersten Kriegsherrn in Aussicht genom-
men war. Es handelte sich um den Major Alfred Niemann, der im
Juli — er war seit Februar 1918 Oberquartiermeister der Hee-
resgruppe Herzog Albrecht von Württemberg — eine Denkschrift
über die politische Lage ausarbeitete und dem General Ludendorff
zukommen ließ. Sie war vom 20. Juli 1918 datiert. Das Wesent-
liche an ihr war der Zweifel, ob eine hinreichend klare Auseinander-
setzung zwischen Politik und Kriegführung stattgefunden habe. Es
müsse Klarheit darüber herrschen, ob der Waffenerfolg als politisches
Zwangsmittel oder ob er nur noch als Druckmittel gewertet werden
könne. Politik und Kriegführung müßten Wirklichkeitssinn genug
besitzen, in kühler Erwägung festzustellen, ob die Politik auf das
Zwangsmittel oder auf das Druckmittel einzustellen sei. Wörtlich
hieß es in der Denkschrift: „Ist bei uns diese Auseinandersetzung
zwischen Politik und Kriegführung erfolgt? Ich weiß es nicht. Mir
scheint aber, daß sie nicht mit der nötigen Klarheit erfolgte. Jeder
von uns, der das Wort vom Niederzwingen des Gegners mit Skep-
tizismus betrachtete, wurde als Schwächling gebrandmarkt. Der
Unterschied zwischen militärischer Siegeszuversicht und politischer
Wirkungsmöglichkeit wollte nicht in die Köpfe hinein. Ich glaube
an die Überlegenheit unserer Waffen wie an ein Evangelium, ich
glaube aber nicht, daß wir mit Waffengewalt zum Diktieren eines
Friedens kommen werden. Unsere militärische Kraft kulminiert, sie
läßt sich nicht mehr steigern, weder zu Lande noch zu Wasser. Dauert
der Krieg weiter, dann müssen wir den absteigenden Ast der Kurve
betreten. Die intellektuelle und moralische Überlegenheit der Füh-
rung kann aus die Dauer die schwindenden Volkskräfte und den stei-
genden Rohstoffmangel nicht ersetzen... Das Schlagwort vom .Durch-
halten bis zum siegreichen Ende' ist doch eben nur ein Schlagwort,
ein euphemistischer Ausdruck für das freiwillige .ehrenvolle Sterben',
das nur dem deutschen Idealismus verständlich ist. Wir müssen un-
sere militärische Kraft als Druckmittel ausnutzen, s o lange wir die
militärische Überlegenheit noch besitzen. Treten wir im
Zeichen des Abstiegs an den Verhandlungstisch, dann spielen wir
ohne Atouts. Das Druckmittel wird dann von Tag zu Tag wir-
kungsloser." Schließlich forderte Niemann für die Presse und Pro-
Der Umschwung der Kriegslage
89
paganda eine einheitliche Organisation, da hinter den Erfolgen des
Heeres eine einheitliche Volksmeinung stehen müsse.
Ludendorff las die Riemannsche Denkschrift am 26. Juli, stimmte
ihren Ausführungen grundsätzlich zu und ließ Niemann mitteilen,
es werde in diesem Sinne schon gearbeitet.
Für die Problematik der Kriegsleitung an der höchsten Stelle
war es wesentlich, daß gerade Major Niemann dazu ausersehen
wurde, durch seine Anwesenheit beim Kaiser eine nähere Verbindung
zwischen diesem und den Männern der O.H.L. zu schaffen. Hierbei
spielte die Absicht mit, das offenbar etwas ins Wanken geratene
Vertrauen des Monarchen zu den Männern der O.H.L. zu stärken
und deren Entschließungen und Vorschläge zu vertreten. Niemann
holte sich am 3. August in Avesnes seine näheren Anweisungen und
sprach bei diesem Anlaß mit sämtlichen maßgebenden Persönlichkei-
ten. Die ihm von Major v. Bockelberg gegebene Schilderung der
Ersatzverhältnisse übertraf seine schlimmsten Erwartungen. Luden-
dorff zeigte, wie Niemann im Vorabdruck seines Buches „Kaiser und
Revolution" im „Tag" hervorgehoben hat, alle Anzeichen starker
geistiger und nervöser Überanstrengung, was bei der fast übermensch-
lichen Arbeitsleistung und Beanspruchung des Generals wirklich
nicht wundernehmen durfte. Die militärische Lage beurteilte Luden-
dorff überraschend günstig: bei Reims sei Ruhe eingetreten, die
deutschen Stellungen hätten sich überall gefestigt, und die Gegner
seien durch die Angriffshandlungen der letzten Wochen in ihrer
Offensivkraft vorläufig erschöpft. AIs Niemann davon sprach, daß
die Linien unserer steckengebliebenen Angriffe zur Verteidigung we-
nig geeignet seien und übermäßige Kräfte beanspruchten, bekundete
Ludendorff seine Hoffnung, von der Verteidigung wieder zum An-
griff auf Amiens übergehen zu können, sobald sich die Truppen
einigermaßen erholt hätten. Niemann konnte diese Zuversicht nicht
teilen.
Auch mit Oberst Bauer besprach Niemann die Lage. Dieser be-
urteilte sie als so ungünstig, daß ein Friedensschluß nicht mehr lange
hinausgeschoben werden dürfe.
Am 5. August trat Major Niemann seinen Dienst beim Kaiser
an. Die Nachrichtenübermittlung an ihn wurde sorgfältig vorberei-
tet, so daß keine wichtige Nachricht dem Monarchen vorenthalten
werden konnte. Niemanns Bestreben ging von vornherein dahin,
eine aktivere Beteiligung des Kaisers an der Führung anzubahnen,
damit also die oberste und in letztem Sinne verantwortliche Instanz
zu stärken. Nach seiner Ansicht war aus der tätigen Mitarbeit, die
den Kaiser zur Zeit, als General v. Falkenhayn die Operationen lei-
tete, und auch bei Beginn der dritten Obersten Heeresleitung mit so
90
Die rein militärische oberste Kriegsleitung
freudiger Genugtuung erfüllt hatte, im Sommer 1918 mehr und
mehr ein rein rezeptives Miterleben geworden. Der Kaiser selbst
war damals noch ziemlich zuversichtlich. Mit dem Reichskanzler hatte
er sich dahin ausgesprochen, daß der König von Spanien um Ver-
mittlung des Friedens unter Mitteilung der deutschen Bedingungen
angegangen werden sollte, sobald sich die militärische Lage einiger-
maßen gebessert habe. In diesem Sinne sprach sich Graf Hertling am
6. August zu seinem Sohne aus. Er meinte, Ludendorff sei durch
die Rückschläge an der Front nicht gebeugt und habe etwa ge-
äußert: „Fünfmal habe ich während des ganzen Weltkrieges bisher
die Truppen zurücknehmen müssen, um am Ende den Feind doch zu
schlagen. Warum sollte mir das nicht auch ein sechstes Mal gelin-
gen?" (Karl Graf Hertling, Ein Jahr in der Reichskanzlei, S. 146.)
Der schwarze Tag.
Alle Hoffnungen der O.H.L. auf eine Wiederaufnahme der
Offensive und ein erneutes Vordringen auf Amiens wurden durch
die Ereignisse des 8. August zuschanden gemacht. Bei dichtem Nebel
durchbrachen Engländer, hauptsächlich mit australischen und kanadi-
schen Divisionen, und Franzosen mit starken Tankgeschwadern über-
raschend beiderseits der Römerstraße Amiens—St. Quentin die Stel-
lungen der deutschen 2. Armee zwischen Albert und Moreuil. Die
Lage gestaltete sich sehr ernst, und wenn der Feind scharf zugriff,
wurden die deutschen Stellungen westlich der Somme unhaltbar.
Bei der 2. Armee erfolgte ein tiefer Einbruch, und auch die 18. Armee
mußte trotz kräftigen Widerstandes ihren rechten Flügel zurückbie-
gen. Der feindliche Geländegewinn betrug 12 km. Am 9. August
traten neue Gegner in den Kampf, der nunmehr die ganze Front
von Albert nördlich der Somme bis zur Oise umfaßte. Erst am
12. August gelang es den deutschen Streitkräften, den Stoß end-
gültig aufzufangen und eine neue haltbare Front herzustellen.
Der Krieg mußte, militärisch gesehen, nunmehr als verloren
gelten. „Der 8. August", schreibt Ludendorff in seinen Kriegser-
innerungen (S. 551), „stellte den Niedergang unserer Kampfkraft
fest und nahm mir bei solcher Ersatzlage die Hoffnung, eine strate-
gische Aushilfe zu finden, welche die Lage wieder zu unseren Gun-
sten festigte. Ich gewann im Gegenteil die Überzeugung, daß die
Maßnahmen der O.H.L., die ich bisher, soweit dies im Kriege mög-
lich ist, auf sicherer Grundlage aufbauen konnte, dieser jetzt entbehr-
ten. Das Kriegführen nahm damit, wie ich mich damals ausdrückte,
den Charakter eines unverantwortlichen Hazardspieles cm. das ich
immer für verderblich gehalten habe. Das Schicksal des deutschen
Volkes war mir für ein Glücksspiel zu hoch. Der Krieg war zu be-
Der schwarze Tag
91
endigen." Der General erwog auch zeitweise die Möglichkeit seines
Rücktritts, ein Gedanke, der aber vom Feldmarschall v. Hindenburg
abgelehnt wurde.
Im Großen Hauptquartier zu Spa hatten die Nachrichten vom
8. August tiefsten Eindruck gemacht. Der Kaiser war auf das Äußerste
betroffen und entschloß sich, nachdem es gelungen war, eine ver-
kürzte, feste Abwehrfront in der Linie Albert—Roye—Ribecourt zu
schaffen, zu einer Rücksprache mit den Heerführern am 11. August
in Avesnes. Dort erklärte Ludendorff, wir hätten eine schwere Nie-
derlage erlitten; der kriegerische Geist lasse bei einem Teil der Divi-
sionen zu wünschen übrig, und es sei vorgekommen, daß einer an-
greifenden Division von Truppen, die aus vorderer Linie zurück-
kamen, die Worte „Streikbrecher" und „Kriegsverlängerer" zugeru-
fen wurden. Während der Kaiser betonte, daß der Truppe zuviel
zugemutet würde, eine Ansicht, die auch der Kronprinz teilte, war
Ludendorff der Meinung, das Versagen der 2. Armee am 8. August
könne nicht mit einer Übermüdung unserer Divisionen entschuldigt
werden.
Schließlich traf der Kaiser die Entscheidung: „Ich sehe ein, wir
müssen die Bilanz ziehen. Der Krieg muß beendet werden... Ich
erwarte die Herren also in den nächsten Tagen in Spa." Major
Niemann als Augenzeuge der Vorgänge berichtet Uber diese tragische
Stunde: „Der Bann quälender Ungewißheit war gebrochen, das
entscheidende Wort, das zu formulieren und auszusprechen die bei-
den militärischen Träger des Siegeswillens sich gescheut hatten, war
von kaiserlichen Lippen gefallen und unwidersprochen geblieben. Das
Wort bedeutete einen Entschluß, der eine völlige Umstellung bedingte,
der sich nicht allein militärisch auswirken mußte, sondern tief hinein-
griff in alle Phasen des politischen Lebens, ja unseres gesamten na-
tionalen Daseins." (Kaiser und Revolution, S. 45.)
Die Besprechungen in Spa am 13. und 14. August 1918.
„Ich sehe ein, wir müssen die Bilanz ziehen. Der Krieg muß
beendet werden", das waren die Worte des Kaisers am 11. August
1918 in Avesnes gewesen. Alles kam nunmehr darauf an, daß die-
ser Erfolg auch erreicht wurde.
Wie General Ludendorff damals über die Lage dachte, erhellt
zunächst aus einem Gespräch, das er in der Nacht vom 12. auf den
13. August mit Oberst v. Haeften geführt hat. Mit rückhaltloser
Offenheit enthüllte er ihm den Ernst der militärischen Lage. Als
Haeften am 13. August gegen 9 Uhr vormittags dem General in
einer anderen Sache einen Vortrag hielt, erschien Hindenburg, der
mit Ludendorff darüber beriet, was er dem Reichskanzler und dem
Die rein militärische oberste Kriegsleitung
Staatssekretär v. Hintze bei der auf 10 Uhr angesetzten Besprechung
über die militärische Lage sagen solle. Ludendorff betonte, man müsse
den Herren absolut reinen Wein einschenken. Haeften konnte sodann
als Ohrenzeuge auf Ludendorffs Veranlassung dem Vortrage über
die militärische Gesamtlage beiwohnen. Ludendorff schilderte dem
Feldmarschall die Lage mit der gleichen rückhaltlosen Offenheit wie
dem Obersten v. Haeften in der vorhergehenden Nacht. Letzterer hatte
daher den Eindruck, daß, wenn der Feldmarschall bei der darauf fol-
genden Besprechung mit dem Reichskanzler Grafen Hertling und
dem Staatssekretär v. Hintze, der er nicht beiwohnte, die Lage auch
nur mit annähernd gleicher Deutlichkeit schilderte, daß dann die
Staatsmänner hätten wissen müssen, es sei nunmehr höchste Zeit
zum politischen Handeln, und keine Stunde dürfe mehr verloren wer-
den, um den Krieg möglichst bald zu beenden.
Staatssekretär v. Hintze war bereits am 12. August von Berlin
in Spa eingetroffen und hatte noch am Nachmittag eine Besprechung
mit dem Reichskanzler gehabt. Am 13. August vormittags 10 Uhr
trafen sich der Reichskanzler, Hintze, Hindenburg und Ludendorff.
Bor dem Eintritt in die Unterredung, die im Hotel Britannique im
Zimmer des Generalfeldmarschalls stattfand, nahm Ludendorff den
Staatssekretär v. Hintze zu einer Unterredung unter vier Augen bei-
seite und sagte ihm etwa, er habe jetzt nicht mehr wie Mitte Juli die
Sicherheit, mit der Offensive den Kriegswillen des Feindes zu bre-
chen und ihn zum Frieden zu nötigen. Wohl aber würden wir durch
eine strategische Defensive den Kriegswillen des Feindes allmählich
lähmen können. Auf Hintze haben diese Worte sehr stark gewirkt.
In der nun folgenden kurzen Sonderbesprechung zu Vieren be-
zeichneten die Heerführer eine große Offensive als nicht mehr an-
gängig; wir brauchten uns aber noch nicht auf die reine Verteidigung
zu beschränken, sondern könnten gelegentlich offensive Vorstöße un-
ternehmen. Durch diese im großen und ganzen defensive Kriegfüh-
rung würden wir, ihrer Überzeugung nach, den Kriegswillen des
Gegners brechen und ihn zum Frieden zwingen können. Hintze faßte
das so auf, als wenn es sich nun lediglich um eine Änderung der
Strategie handele. Auch Graf Hertling war daher über diese Er-
öffnungen der Heerführer nicht besonders betroffen.
Den Hauptteil der weiteren Besprechungen bildeten Klagen der
O.H.L. über die Stimmung in der Heimat und deren Rückwirkung
auf die Front, über das Schwächerwerden der Regierungsautorität,
über die zu geringe Unterstützung der Stellvertretenden Komman-
dierenden Generale in den Korpsbezirken, über Mängel bei der Ver-
sorgung und über ungenügenden Mannschaftsersatz. Der Reichskanz-
ler suchte seine Regierung gegen die erhobenen Vorwürfe zu vertei-
digen und stellte Berücksichtigung der Klagen in Aussicht. Hintze
Die Besprechungen in Spa am 13. u. 14. August 1918 93
schwieg zu diesen Problemen der inneren Politik, brachte aber die
belgische und polnische Frage noch zur Sprache, da hierüber Klarheit
herrschen müsse, wenn diplomatische Friedensschritte notwendig wür-
den. Bei Erwähnung Belgiens bestand Ludendorff darauf, daß es
unter deutschem Einfluß bleiben müsse, und daß Deutschland sich
eine lange Okkupation mit allmählichem Abbau sichern solle, so daß
zuletzt die flandrische Küste und Lüttich zu räumen wären. Im Osten
beanspruchte er die Bug—Narew-Linie, ein Vorgelände bei Thorn
und gegenüber Bentschen, eine Militärkonvention und ein Wirt-
schaftsbündnis. Hintze konnte in diesen Forderungen eine Vermin-
derung der Kriegsziele nicht erkennen. Er selbst schilderte die poli-
tische Lage sehr ernst: Österreich-Ungarn moralisch und materiell er-
schöpft, anspruchsvoll und unsicher, zum Abfall fertig; die Türkei
schon seit Frühjahr 1918 in Kriegführung und Politik ihre eigenen
Wege gehend. Ludendorff hielt diese Auffassungen für „schwarz-
seherisch".
Nach der Unterredung erklärte Hintze dem Reichskanzler, er
müsse die Auffassung der O.H.L. zwar respektieren, könne sie aber
nicht teilen; die außenpolitische Lage in Verbindung mit der mili-
tärischen würde bei der Schwäche unserer Verbündeten Friedens-
schritte nötig machen.
Am 14. August 10 Uhr vormittags fand Kronrat im General-
stabsgebäude statt. Zugegen waren der Kaiser, der deutsche Kron-
prinz, der Reichskanzler, der Feldmarschall, General Ludendorff,
Staatssekretär v. Hintze, außerdem Generaladjutant v. Plefsen, der
Chef des Zivilkabinetts v. Berg und der Chef des Militärkabinetts
Frhr. v. Marschall. Bor dem Kronrat hatte Hintze den Reichskanzler
aufgesucht, ihm seine ernste Auffassung erneut dargelegt und ihn um
Unterstützung seines Verlangens nach Ermächtigung zu Friedens-
aktionen gebeten. Für den Fall, daß aus dem Kronrat eine solche
Ermächtigung nicht hervorginge, werde er seine Entlassung erbitten.
Darauf antwortete ihm Graf Hertling: „Aber dann lassen Sie mich
alten Mann doch lieber zuerst gehen!"
Im Kronrat schilderte zunächst der Reichskanzler die schwierige
innere Lage, die kriegsmüde Stimmung, den Mangel an Ernährung
und Bekleidung und betonte die Notwendigkeit der Wahlrechts-
reform. Anschließend sprach Ludendorff über die Notwendigkeit
strengerer innerer Zucht und über die Zusammenfassung der inneren
Kräfte, forderte auch die Bestrafung des Fürsten Lichnowsky, der
durch seine bekannte Denkschrift der Sache Deutschlands im Auslande
großen Schaden zugefügt habe. Von der Kriegslage sagte er nichts.
Nunmehr ergriff Hintze das Wort und schilderte die Lage auf
Grund seiner eigenen Eindrücke. Danach waren die Neutralen kriegs-
überdrüssig, die meisten von ihnen gefühlsmäßig auf den Sieg der
94
Die rein militärische oberste Kriegsleitung
Entente eingestellt. Spanien sei verstimmt wegen des deutschen
U--Bootkrieges. Von den Verbündeten erkläre Österreich, am Ende
seiner Kräfte angelangt zu fein, ob es einen Winterfeldzug noch aus-
halten könne, sei zweifelhaft; Bulgarien stelle dauernd große Anfor-
derungen; seine Armee sei erschöpft; die Türkei gehe im Kaukasus
ihre eigenen Wege.
Über die militärische Lage sagte Hintze, und General Ludendorff
hat in seiner Veröffentlichung „Das Scheitern der neutralen Frie-
densvermittlung August/September 1918" (Berlin 1919, E. S. Mitt-
ler, S. 14) diese Festsetzungen als von beiden Seiten unangefochten
festgestellt: „Der Chef des Generalstabes des Feldheeres hat die krie-
gerische Situation dahin definiert, daß wir den Kriegswitten unserer
Feinde durch kriegerische Handlungen nicht mehr zu brechen hoffen
dürfen, und daß unsere Kriegführung sich als Ziel setzen muß, durch
eine strategische Defensive den Kriegswillen des Feindes mählich zu
lähmen. Die politische Leitung beugt sich vor diesem Ausspruch der
größten Feldherren, die dieser Krieg hervorgebracht hat, und zieht
daraus die politische Konsequenz, daß militärisch wir außerstande
sein würden, den Kriegswillen des Gegners zu brechen, und daß wir
daher gezwungen seien, dieser Kriegslage in der Führung unserer
Politik hinfort Rechnung zu tragen."
Kronprinz Wilhelm trat den Ausführungen Ludendorffs und
Hintzes restlos bei und betonte die Notwendigkeit, die innere Front
durch strengere Zucht zusammenzuhalten.
Darauf ergriff der Kaiser das Wort. Er wies zunächst auf bes-
sere Ordnung im Innern hin. Hierzu müßten die Stellvertretenden
Kommandierenden Generale und der Kriegsminister mitwirken und
auch die Zivilbehörden auf striktere Durchführung der Staatsgewalt
Bedacht nehmen. Für den Ersatz müsse durch besseres „Auskämmen"
gesorgt werden. Hinsichtlich der Außenpolitik führte der Monarch
aus, daß auch der Feind leide. Die Ernte in England sei schlecht,
die Tonnage vermindere sich ständig, und vielleicht komme durch die-
sen Mangel England allmählich dazu, sich zum Frieden zu bekehren.
Mit der von Hintze gegebenen Charakteristik der politischen Lage er-
klärte sich der Kaiser einverstanden: „Es müsse auf einen geeigneten
Zeitpunkt geachtet werden, wo wir uns mit dem Feinde zu verstän-
digen hätten. Der König von Spanien und die Königin der Nieder-
lande seien geeignete Media." Der Kaiser forderte sodann die Bil-
dung einer Propagandakommission zur Schwächung der Siegeszu-
versicht des Feindes, zur Hebung der Zuversicht des deutschen Volkes.
Die politischen Leitsätze müsse das Auswärtige Amt geben. Seine
Darlegungen endeten mit den bedeutungsvollen Worten: „Die ein-
zelnen Ressorts müßten nicht wie bislang gegeneinander arbeiten
und voreinander Geheimniskrämerei treiben. Die Militär- und Zivil-
Die Besprechungen in Spa am 13. u. 14. August 1918
behörden müßten zusammen arbeiten, der Kriegsminister müsse die
Kommandierenden Generale unterstützen und sie nicht im Stiche las-
sen." Ein klarer Befehl für die verantwortlichen Männer der
tischen Leitung, sofort Friedensschritte zu tun, war in diesen Worten
nicht enthalten.
Nunmehr ergriff der Reichskanzler zum zweiten Mal das Wort.
Er unterstrich die Notwendigkeit einer energischen Aufrechterhaltung
der Autorität im Innern und einer zweckentsprechenden Propaganda.
Dann folgte der wichtige Satz: „Diplomatisch müßten Fäden be-
treffend eine Verständigung mit dem Feinde im geeigneten Moment
angesponnen werden. Ein solcher Moment böte sich nach den näch-
sten Erfolgen im Westen." Auch von ihm also wurden sofortige diplo-
matische Schritte nicht als nötig bezeichnet oder in Aussicht gestellt,
sondern sie wurden von einer offenbar erwarteten Besserung der
Lage abhängig gemacht.
Zum Schluß sprach Hindenburg. Hintze, der Protokollführer
Kronrats, hatte seine Darlegungen ursprünglich in folgendem Satz
zusammengefaßt: „Generalfeldmarschall v. Hindenburg hofft, daß
es dennoch gelingen werdet auf französischem Boden ste-
hen zu bleiben und dadurch schließlich den Feinden unseren Willen
aufzuzwingen." Als den Heerführern das Protokoll zur Unterschrift
zuging, hat Ludendorff die protokollarische Zusammenfassung der
Äußerungen Hindenburgs wie folgt geändert: „Generalfeldmarschall
v. Hindenburg führt aus, daß es gelingen werde', ~"e
französischem Boden stehen zu bleiben und dadurch schließlich
Feinden unseren Willen aufzuzwingen." Das war eine wesentlich
bestimmtere und zuversichtlichere Form.
General Ludendorff hat 1919 in seiner Schrift „Das Scheitern
der neutralen Friedensvermittlung" erklärt, Hindenburg habe mit
seinen Worten lediglich die Teilnehmer an der Besprechung wieder
aufrichten wollen. „Er sprach allein eine militärische Hoffnung aus
und unterstrich lediglich seine Gedankengänge in der Definition der
Lage vom 13. August. Jeder politische Gedanke lag ihm fern." Rein
menschlich ist das Verhalten des Feldmarschalls durchaus verständ-
lich. In den schwersten Krisen des Weltkrieges hatte er immer den
zuversichtlichen, sein eigenes Vertrauen auf feine Umgebung über-
tragenden Mittelpunkt gebildet, wo er auch befehligte. An seinem Vor-
bilde hatten sich seine Untergebenen aufgerichtet, und immer war
aus schwerer Kriegslage noch ein rettender Ausweg gefunden wor-
den. Sollte es jetzt anders fein? Sollte der nie geschlagene Feldherr
jetzt in schwerer Stunde seinem Obersten Kriegsherrn und den an-
wesenden Staatsmännern ein Bild der Verzagtheit geben? Das lag
Vom Verfasser gesperrt.
96 Die rein militärische oberste Kriegsleitung
nicht in seiner Art. Er suchte daher den Teilnehmern jener Sitzung
den Glauben zu lassen, daß auch dieses Mal wieder alles noch eine
Wendung zum Bessern nehmen könne. Auf den Reichskanzler Hert-
ling wirkten seine Ausführungen so beruhigend, daß er die Gesamt-
lage weniger ernst ansah, als sie tatsächlich war. Dieser Ansicht ist
auch sein Sohn, der darüber berichtet: „Die Kriegslage spiegelte sich
dem Kanzler nach den erhaltenen Auskünften derart wieder, daß er
zwar die Weiterführung des Krieges für zwecklos halten mußte, daß
er es aber für unerläßlich ansah, das Abflauen und das endliche
Stillstehen der feindlichen Offensive abzuwarten." *
Der Kronrat vom 14. August schloß in voller persönlicher Har-
monie der Beteiligten. Ludendorff selbst berichtet, daß er dem
Staatssekretär v. Hintze in tiefer Bewegung die Hand gereicht habe.
Betrachtet man das Ergebnis des Kronrats, so zeigt sich, daß
eine ganz zweifelsfreie Klarheit über die von der politischen Leitung
zu unternehmenden Schritte durch ihn nicht erzielt worden war.
Der Oberste Kriegsherr hatte noch nicht den Entschluß gefaßt, Schritte
der Verständigung mit dem Feinde sofort zu tun. Es sollte viel-
mehr auf einen geeigneten Zeitpunkt hierfür gewartet werden. Als
der Reichskanzler diesen geeigneten Zeitpunkt dahin erläuterte, daß
er sich nach den nächsten Erfolgen im Westen bieten würde, hat der
Kaiser nicht widersprochen, auch nicht der Generalfeldmarschall, dem
das Schlußwort zufiel. Er hielt die Zeit, an einem befriedigenden
Abschluß des Krieges zu zweifeln, Mitte August noch nicht für ge-
kommen und hoffte bestimmt, „daß die Armee, trotz betrübender Ein-
zelerscheinungen auf dem letzten Schlachtfelde, imstande sein würde,
zunächst einmal auszuhalten"". Er bekennt sich auch rückhaltlos da-
zu, daß er in der Besprechung am 14. August gegen die Auffassung
des Reichskanzlers, „daß mit einem wirklich offiziellen Friedensschritt
unsererseits gewartet werden sollte, bis eine Besserung in unserer
damaligen militärischen Lage eintreten würde", nichts einzuwenden
gehabt habe'".
Die Tatbestände liegen also völlig klar, und es wäre ein zweck-
loser Streit um Worte, ob die Militärs oder die Politiker es bei
dem Kronrat an der nötigen Klarheit haben fehlen lassen. Die Poli-
tiker konnten auf Grund der ihnen gemachten Mitteilungen an dem
Ernst der Lage nicht zweifeln, wenn auch die Darlegungen im Kron-
rat hätten klarer sein müssen. Aber zu sofortigen Schritten konnten
sie sich um so weniger veranlaßt sehen, als es für eine wirklich er-
folgreiche Friedensvermittlung jetzt überhaupt fast schon zu spät
8 Ein Jahr in der Reichskanzlei, S. 149.
8 Aus meinem Leben, S. 364.
10 Ebendort, S. 363.
Die Besprechungen in Spa am 13. u. 14. August 1918
war. Die Entente hätte sehr töricht sein müssen, wenn sie nach so
langen Kampfjahren und so großen Opfern jetzt, wo die amerikani-
schen Truppen in die Front rückten, und die deutsche Kampfkraft
sichtlich nachließ, durch diplomatische Verhandlungen sich von der
Verfolgung ihrer Kriegsziele hätte abbringen lassen. Ihr Kriegsziel
mustte eine entscheidende Niederlage des deutschen Westheeres sein.
Unsere Aufgabe aber wäre es gewesen, zum Frieden zu kommen, so-
lange wir noch stark waren. Im Niedergänge der militärischen Kon-
junktur konnten wir auf Erfolge der Diplomatie nicht mehr rechnen,
denn diese beruhen nur auf der militärischen Machtstellung und kön-
nen durch die Kunst der Diplomatie höchstens gesteigert, niemals er-
setzt werden. Von ihr zu verlangen, daß sie einen bereits in Erschei-
nung getretenen Mangel an kriegerischen Erfolgen ausgleichen solle,
hieße Unmögliches fordern.
Wenige Worte noch über die am 14. August bekundete Zuver-
sicht der beiden Generale. Einzig und allein die O.H.L. konnte die
wahre Lage an der Front nach jeder Richtung hin zuverlässig beur-
teilen. Diese aber war für alle politischen Erwägungen ausschlag-
gebend, und die Staatsmänner konnten keinen wesentlich anderen
Standpunkt einnehmen als die O.H.L. Äußerte diese sich zuversicht-
lich, so durften die Männer der Politik es auch sein. Auch ist das
psychologische Moment nicht außer acht zu lassen, das uns in Hintzes
Ausführungen vom 14. August so stark entgegentritt und die poli-
tische Leitung ganz im Banne „der größten Feldherren", die dieser
Krieg hervorgebracht hat, zeigt. Für eine neue Persönlichkeit an der
Spitze des Auswärtigen Amtes mußte es tatsächlich sehr schwer sein,
sich von dieser inneren Abhängigkeit freizumachen. Trotzdem muß
festgestellt werden, daß der Staatssekretär v. Hintze alles getan hat,
um jetzt sofort die politische Fühlung mit den hierfür geeigneten
Staaten aufzunehmen.
Die Besprechungen des Kronrats fanden am 14. August nach-
mittags durch das Eintreffen des Kaisers Karl, des Außenministers
Graf Burian und des Generals v. Arz noch ihre Erweiterung nach
der österreichischen Seite hin. Graf Burian vertrat die Ansicht, daß
der Krieg so bald wie irgend möglich beendet werden müsse. Er
wollte sich daher mit einem Friedensangebot „An Alle" wenden
und hatte verschiedene Wünsche für die Lösung der polnischen Frage.
AIs Ludendorff mit General v. Arz die allgemeine Kriegslage er-
örterte, die es nötig mache, die Westfront durch weitere k. u. k. Divi-
sionen zu verstärken, erklärte General v. Arz, daß er ein Durchhalten
der k. u. k. Armee über den Winter hinaus für nicht mehr möglich
ansehe. Es war menschlich verständlich, daß General Ludendorff sich
angesichts dieser Haltung unserer Hauptverbündeten zuversichtlich
zeigte, besonders auch gegenüber dem Kaiser Karl, so daß dieser Spa
Schwertfeger, Das Weltkriegsende 7
MW
98 Die rein militärische oberste Kriegsleitung
am 15. August vormittags hoffnungsvoller verließ, als er gekommen
war. Eine innere Übereinstimmung, wie die Gesamtlage sie erfordert
hätte, ist aber durch den Besuch der Österreicher nicht erzielt wor-
den". Im Gegenteil: durch die Mitteilungen der Österreicher er-
schien Deutschlands Lage noch weiter verschärft.
Vom 15. August bis zum 29. September 1918.
Die auf die Besprechungen vom 13. und 14. August folgenden
Wochen standen militärisch unter dem Zeichen der Abwehr der fran-
zösischen, englischen und amerikanischen Angriffe. Politisch waren
sie deutscherseits von dem Bestreben erfüllt, nach Friedensmöglich-
keiten auszuspähen und unter Berücksichtigung der Propaganda-
gedanken Wilsons festzustellen, ob irgendwo Geneigtheit zu Bespre-
chungen bestand. Schon in der Konferenz vom 29. Juli 1918 hatte
der Reichskanzler von einem Versuche gesprochen, mit Wilson Ver-
bindung aufzunehmen Wilson hatte am 4. Juli in Mount Vernon
am Grabe Washingtons eine Rede gehalten und dabei vier neue
Programmpunkte in die Welt geworfen. Er sprach von der Ver-
nichtung jeder „Willkürmacht", die für sich und heimlich den Frieden
stören könnte, und forderte, daß alle Fragen des Landgebiets, der
Souveränität, wirtschaftlicher oder politischer Angelegenheiten hin-
fort auf der Grundlage einer freien Regelung durch das unmittelbar
betroffene Volk geordnet werden sollten und nicht auf der Grund-
lage des materiellen Vorteils eines anderen Volkes, das seinen eige-
nen Einfluß oder seine Macht außerhalb seiner Grenzen zu vermeh-
ren trachte. Hingegen sollten alle Völker sich in ihrem Verhalten zu-
einander von denselben Grundsätzen der Achtung und Ehrerbietung
vor den gemeinsamen Gesetzen der gesitteten Gesellschaft leiten las-
len. „Alle Versprechungen und Abmachungen sind zu halten, es dür-
fen keine Verschwörungen angezettelt werden; kein Unrecht soll un-
gesühnt bleiben, es muß gegenseitiges Vertrauen herrschen, das sich
auf die Achtung vor den Rechten der andern gründet." Schließlich
hatte er wiederum von seinem Völkerbünde und der Einsetzung eines
mit der höchsten Gewalt zu bekleidenden Gerichtshofes gesprochen,
dem sich alle unterwerfen müßten, und dem alle internationalen
Zwiste, die nicht auf freundschaftliche Weise beigelegt werden könn-
ten, zur Begleichung vorzulegen seien. Er hatte mit den Worten
geschlossen: „Diese großen Ziele lassen sich in einem Satz zusammen-
fassen. Was wir erstreben, ist die Herrschaft des Rechts, gegründet
auf die Zustimmung der Regierten und unterstützt durch die organi-
sierte Meinung der Menschheit." 11 12
11 Niemann, Kaiser und Revolution, S. 62.
12 Vergl. oben 6. 86.
Vom 15. August bis zum 29. September 1918 99
Diese Worte Wilsons vom 4. Juli 1918 standen am Eingänge
der jetzt zu schildernden Epoche, seine Rede vom 27. September 1918
in New Jork über den Völkerbund an ihrem Ende.
Je mehr die Kriegshandlungen fortschritten, um so stärker be-
festigte sich angesichts des immer weiteren Anwachsens der gegneri-
schen Kräfte und der Verstärkung ihres offensiven Vorgehens auch bei
den Männern der O.H.L. der Gedanke, vielleicht durch Wilson einen
Ausweg aus der immer schwieriger werdenden Lage zu finden. Von
Clemenceau und Lloyd George, den beiden maßgebenden Staatsmän-
nern Frankreichs und Englands, war, wie Ludendorff in seinen
Kriegserinnerungen ausführt, das Schlimmste zu befürchten. „Wilson
indes hatte seine Bedingungen oft unter Beobachtung ungewöhnlich
feierlicher Formen genannt. Er und das von ihm vertretene Ame-
rika mußten sich in ihrer Ehre gebunden fühlen. Überdies ließ das
kriegsentscheidende Auftreten Amerikas in Frankreich, ohne das die
Entente militärisch längst zu Boden lag, es möglich erscheinen, daß
Wilson seine in bindendster Weise vorgetragenen Absichten gegen-
über England und Frankreich auch durchsetzen werde. Hierüber mußte
Klarheit gewonnen werden. Sollte sich die Ansicht über Wilson be-
stätigen, so konnten wir seine 14 Punkte (vom 8. Januar 1918), die
zwar hart, aber wenigstens klar umschrieben waren, als Grundlage
von Verhandlungen annehmen; sollte aber eine Täuschung vorliegen,
sollte der Feind den Bogen überspannen, sollten uns auch die feind-
lichen militärischen Führer die Achtung versagen, die unser mann-
haftes Ringen verdiente, dann mußte der Kampf weitergehen, so
unendlich schwer es auch wurde, dann waren vielleicht Regierung
und Volk zu heroischen Taten zu bringen, wenn sie endlich einsahen,
um was es für Deutschland in diesem Kampf doch eigentlich ging."
Diese Worte bilden in Ludendorffs Kriegserinnerungen (S. 581)
die Begründung für die Forderung des Waffenstillstandes, von dem
weiter unten (siehe S. 113 ff.) eingehend die Rede sein wird.
Einstweilen handelte es sich um die Behauptung der Front ge-
genüber der immer stärker angreifenden Entente. Eine im Großen
Hauptquartier angefertigte Niederschrift vom 15. September 1918
hat die Kampfhandlungen seit dem 8. August in großen Zügen ge-
schildert. Danach hatte der Feind seine Angriffe nach Norden und
Süden ausgedehnt, die Engländer zwischen Scarpe und Somme, die
Franzosen zwischen Aisne und Oise. Hierbei war es den Fran-
zosen am 18. August, den Engländern am 2. September südöstlich
Arras gelungen, durch starken Tankeinsatz unsere Linien zurückzu-
drücken. Nunmehr wurde beschlossen, in die allgemeine Linie der
Siegfried-Stellung zurückzugehen. Ebenso wurde auf Grund der
starken französischen und amerikanischen Angriffe zwischen Mosel
7*
100 Die rein militärische oberste Kriegsleitung
und Maas der seit Herbst 1914 von den deutschen Truppen behaup-
tete Michelbogen bei St. Mihiel anr 12. September geräumt und
auf die Michelstellung zurückgegangen. Den Angriff führte der ame-
rikanische General Pershing mit 12 amerikanischen und 4 französi-
schen Divisionen aus und bereitete den deutschen Truppen eine ernste
Niederlage, wobei er 15 000 Gefangene machte und 100 Geschütze
erbeutete.
Die erwähnte Niederschrift vom 15. September, die für die Hee-
resgruppen und höchsten Kommandostellen bestimmt war und im
übrigen streng geheimgehalten wurde, enthält folgende Sätze: „Der
Feind wird zweifellos seine Angriffe in diesem Herbst noch fortsetzen.
Der Zustrom amerikanischer Kräfte und die Massenverwendung von
Tanks geben ihm Möglichkeit hierzu. Unsererseits wird der Kampf
auch weiterhin nicht um Geländebesitz geführt werden, sondern nach
dem Grundsatz, den Angreifer sich zermürben zu lassen, selbst aber
die Kampfkraft unseres Heeres zu erhalten. — Die Stimmung in
Frankreich und England hat sich seit dem Nachlassen des Druckes der
deutschen Offensive gehoben und ist durch Aufbauschung der Front-
erfolge gesteigert worden."
Die deutsche Frontlinie verlief seit 5. September westlich Ar-
mentieres, westlich Lens, westlich Douay über Moeuvres, Fricourt,
östlich Peronne, westlich Chauny, östlich Coucy le Chateau, östlich
Eoissons, über Laffaux-Gonde, westlich Vailly, nördlich Reims, so-
dann in der Linie Argonnen, Maas und Mosel.
Die O.H.L. dachte noch am 25. September keineswegs klein-
mütig. Der von ihr befohlene Ausbau rückwärtiger Stellungen hatte
Offiziere in maßgebenden Stellen dazu veranlaßt, sich öffentlich da-
hin auszusprechen, das Ausweichen in diese Stellungen sei für die
nächste Zeit geplant. Hindenburg ersuchte am 25. September die
Heeresgruppen und Armeeoberkommandos, sie möchten bis zu den
Divisionen hinunter mündlich bekanntgeben, daß diese Auffassung in
keiner Weise zutreffe; sie schwäche den Willen, den Entscheidungs-
kampf in den jetzigen Stellungen durchzuführen. Wörtlich hieß es:
„Zu meinem Bedauern habe ich den Eindruck, daß bei einigen höhe-
ren Stäben nicht die ruhige Beurteilung der Gesamtlage herrscht.
Die Unzufriedenheit in der Heimat, die derzeitige starke Anspannung
unsres Heeres, die Schwierigkeiten in der Ersatzbeschaffung und die
Erschöpfung unserer Bundesgenossen wiegen schwer. Alle Nachrich-
ten aus England, Frankreich und Italien sprechen aber auch von
gleicher Anspannung der dortigen Volkskräfte. Wie dem auch sei, je
ernster die Lage, desto mehr ist es die Pflicht des Offizierkorps, in-
sonderheit der höheren Kommandobehörden, alles zu tun, um die
moralische und materielle Widerstandskraft unseres Heeres zu wah-
Vom 15. August bis zum 29. September 1918 101
ren. Kleinmut ist verderblicher als zu weitgehende Hoffnungen."
Die sich häufenden Meldungen über das Schwinden des Vertrauens
zwischen Führung und Truppe, zwischen Offizier und Mann erfüll-
ten die O.H.L. mit Sorge. Eindringlich wies Hindenburg auf vor-
bildliche Lebenshaltung der Offiziere hin.
In den Akten des Weltkrieges befindet sich eine dem General
Ludendorff zugeschriebene Aufzeichnung vom 31. Oktober 1918, die
offenbar für eine Unterredung des Generals vorbereitet worden war
und nachher von ihm auch, zum Teil wörtlich, für seine „Kriegs-
erinnerungen" verwendet worden ist. Die Niederschrift beklagt das
Nachlassen der Kampfkraft der Truppen und die hohen Gefangenen
zahlen. Die schlechte Haltung einer Division zog tapfer kämpfende
Nachbartruppen in Mißerfolge hinein.
„Konnten früher sichere Faktoren eingesetzt werden, so fehlte jetzt
an vielen Stellen diese Grundlage für jede klare und überlegte Füh-
rung." Bei den Feinden aber zeigte sich volle Kampfkraft, und außer-
dem waren sie in der Lage, durch Ausnutzung ihrer zahlreichen
Transportmittel ihre Truppen zu schonen, sie beinahe bis auf das
Schlachtfeld und dann wieder in die Unterkunftsorte zu fahren.
Deutscherseits mußte die Front immer wieder zurückgenommen wer-
den, wodurch naturgemäß der Kampfgeist wiederum sank. „Die Aus-
fälle an Menschen wurden bei weitem nicht mehr gedeckt. Ich mußte
immer wieder Divisionen auflösen, die bestehenden sanken in ihren
Gefechtsstärken. Die Zahl der Kompagnien wurde von vier auf drei
pro Bataillon vermindert, Regimenter formierten zwei statt drei
Bataillone... Die Lage an der Westfront, namentlich bei der 17.,
2., 18. und 4. Armee, war ungemein gespannt. Die Reserven waren
vermindert, die Truppe war sehr übermüdet. Der Krieg konnte nicht
mehr gewonnen werden."
Von militärischem Standpunkte aus war also die Lage an der
Westfront in der 2. Hälfte des September so ernst, daß sie zu schwer-
wiegenden Entschlüssen aufforderte. Besorgt erwartete man gün-
stige Nachrichten von den Leitern der Politik. Hierbei wirkte es für
die O.H.L. beruhigend, daß man jetzt an der Stelle des Herrn v. Kühl-
mann den Staatssekretär v. Hintze wußte, von dem man tatkräftiges
Handeln und baldige Erfolge erwartete.
Hintze hatte inzwischen keinen Tag verstreichen lassen, ohne poli-
tische Schritte zu unternehmen. Da es nach seiner Ansicht ohne ein
Entgegenkommen in der belgischen Frage unmöglich war, auch nur
zu Friedensbesprechungen zu gelangen, hatte er schon am Tage des
Kronrats am 14. August einem Unterhändler hinsichtlich Belgiens
weites Entgegenkommen gezeigt und eine Garantie seiner vollen
Selbständigkeit und der Unversehrtheit seines Besitzes sowie die An-
erkennung seiner vollen wirtschaftlichen Freiheit in Aussicht gestellt.
102 Die rein militärische oberste Kriegsleitung
Das flämische Problem und alle weiteren noch zu regelnden Fragen
erklärte er als „diskutabel und offen", ging also über die Ermächti-
gung und die belgischen Absichten der O.H.L. von sich aus weit hin-
aus. Nach Washington ließ er als deutschen Standpunkt mitteilen:
„Keine Annexion, kein Vasallen- oder ähnliches Abhängigkeitsver-
hältnis, gute wirtschaftliche Beziehungen. Garantien für politische
und militärische Unabhängigkeit auch von unseren Gegnern." Wegen
der Wichtigkeit der belgischen Dinge weilte Hintze am 16. und 17.
August zu Besprechungen mit dem Generalgouverneur von Belgien,
Frhr. v. Falkenhausen, und dem Chef der Politischen Abteilung, Ge-
sandten Frhr. v. der Lancken Wakenitz, in Brüssel und kehrte am 18.
abends nach Berlin zurück.
Da in den auf den Abschluß des Weltkrieges folgenden Aus-
einandersetzungen über die Schuld am Zusammenbruch wiederholt
behauptet worden ist, die politische Leitung habe zwischen dem
14. August und dem 29. September so gut wie nichts getan, um im
Sinne der O.H.L. die Beendigung des Krieges einzuleiten, muß die
weitere Entwicklung der politischen Tätigkeit hauptsächlich vom
Standpunkte des Staatssekretärs v. Hintze dargestellt werden, der
hierfür die Hauptverantwortung zu tragen hatte.
In Berlin unterrichtete Hintze am 19. August den Vizekanzler
v. Payer, der es übernahm, persönlich ins Große Hauptquartier zu
fahren, um dort im Sinne einer Minderung der von der O.H.L. bis-
her vertretenen Kriegsziele zu wirken. Auch die Parteiführer wur-
den am 21. August über die Lage aufgeklärt. Hintze betonte dabei,
daß zu einer gedrückten Stimmung kein Anlaß sei, und daß auch
kein Grund vorliege, am Siege zu zweifeln. Wir könnten nach An-
sicht der O.H.L. die berechtigte Hoffnung hegen, „daß wir eine mili-
tärische Position erreichen, die uns gestattet, einen uns genehmen
Frieden zu erringen". Wir seien entschlossen, alle Fäden anzuspin-
nen, um zu ergründen, welche Absichten unsere Feinde für den Frie-
den hätten, und wir seien auch entschlossen, auf alle Fühler von feind-
licher Seite zu reagieren. Eine öffentliche Erklärung hingegen würde
uns jetzt als Schwäche ausgelegt werden. Auf eine Anfrage des Ab-
geordneten Gröber erwiderte Hintze, an ein Friedensangebot sei
weder jetzt noch später gedacht; es solle nur nichts versäumt werden,
was der Diplomatie an Mitteln zur Verfügung stehe. Als der Ab-
geordnete Ebert daraus hinwies, man möge die Wandlungen in der
Arbeiterpartei Frankreichs und die Stärkung der Anhängerschaft
Lansdownes in England nicht gering einschätzen, warnte Hintze vor
der Überschätzung der freundlichen Stimmung in der Arbeiterschaft
der uns feindlichen Länder; was die Arbeiter in Frankreich und Eng-
land als Friedensziele proklamierten, sei mit einem Frieden, wie wir
ihn brauchten, nicht vereinbar.
In den kommenden Tagen haben dann verschiedene Versuche
eingesetzt, hinsichtlich der belgischen Frage ein Einverständnis mit
der O.H.L. zu erzielen. Vizekanzler v. Payer war in diesem Sinne
in Spa und Avesnes. Er gewann aus dem ruhigen Verhalten Hin-
denburgs den Eindruck, daß eine militärische allgemeine Niederlage
oder gar ein militärischer Zusammenbruch ausgeschlossen sei; das
Schlimmste, was ihm vorschwebte, war, daß wir keine weitere Offen-
sive mehr würden unternehmen können.
Hintze hatte bereits am 15. August, also einen Tag nach
Kronrat in Spa, die Aufnahme der Verbindung mit der Königin
der Niederlande anzubahnen versucht. Seine nach Washington mit-
geteilte Richtschnur betreffend die deutsche Haltung in der belgischen
Frage erreichte leider den Unterhändler für Belgien nicht mehr. Auf
seine nach Washington gerichteten Mitteilungen gingen Antworten
nicht mehr ein. Unsere Feinde wiesen alle Friedensfühler zurück,
ihnen jeder Tag nach dem 8. August Anzeichen dafür gab, daß
Sieg mit den Waffen immer wahrscheinlicher wurde.
Seit 29. August befand sich der Reichskanzler Graf Hertlir
wieder in Berlin. Tags darauf machte ihm der österreichische Bo
schafter Prinz Hohenlohe die Mitteilung, Graf Burian sei zu dem
plötzlichen Entschluß gekommen, in der Frage des Kriegsendes eigen-
mächtig vorzugehen. Er wollte zu einer Konferenz einladen, die als
Einleitung von Friedensverhandlungen gelten sollte. Die sofortige
Abreise des Staatssekretärs v. Hintze nach Wien schien erforderlich.
Von der deutschen Front lauteten damals die Nachrichten nicht
übermäßig beunruhigend. Der am 31. August über Avesnes von
einem kurzen Urlaub nach Berlin zurückkehrende Oberst v. Winter-
feldt meldete, die O.H.L. rechne für die nächsten Tage mit neuen und
ausgedehnten Kämpfen an der Westfront, da die Entente anscheinend
mit allen Mitteln die militärische Entscheidung des Weltkrieges jetzt
herbeiführen wolle; man sehe aber im deutschen Generalstabe diesem
Entscheidungskampfe mit guter Zuversicht entgegen.
Der Oberste Kriegsherr hatte die weitere Entwicklung der
Kriegslage seit dem 14. August sorgenvoll beobachtet. Er war zu
jener Zeit durch eine Erkrankung der Kaiserin menschlich stark beein-
flußt. „Es war unendlich schwer," berichtete Niemann in seinem
Buche „Kaiser und Revolution", „dem Kaiser ein wahres Bild der
Lage zu geben, ohne sein seelisches Gleichgewicht aus dem Gleis zu
bringen, noch dazu in einer Zeit, wo quälend» Sorgen um das Leben
der Kaiserin auf seinem Gemüte lasteten. Wir verloren in der Ab-
wehr mehr und mehr die Freiheit des Handelns, operative Erwägun-
gen traten in den Hintergrund. Die Abwehr in der vorgesehenen
Weise durchzuführen, lag in der Hand der taktischen Führung und
104 Die rein militärische oberste Kriegsleitung
nicht zum wenigsten in der Hand der Truppe, auf deren moralischen
Halt alles ankam."
Zum Besuche der Kaiserin traf der Kaiser am 21. August in
Wilhelmshöhe ein und beschloß, die weitere Entwicklung dort abzu-
warten. Als er am 29. August dem in Nauheim zur Kur weilenden
Zaren von Bulgarien einen Besuch abstattete, überzeugte dieser ihn,
daß schnelle Hilfe auf dem Balkan geboten sei, wenn die Balkanfront
nicht zusammenbrechen solle. Major Niemann mußte daraufhin den
Wunsch des Kaisers nach Avesnes übermitteln, einige im Osten
stehende Divisionen für die Unterstützung der Bulgaren bereitzuhal-
ten. Die O.H.L. sah aber zunächst keine Möglichkeit, diesem Wunsche
zu entsprechen.
Als am 2. September ein englischer Tankangriff an der Straße
Arras—Cambrai die vorderen Stellungen der 17. Armee überrannte
und auch die Lage der 2. und 18. Armee gefährdete", woraufhin
die Rückverlegung der ganzen Front von der Scarpe bis zur Besle
ins Auge gefaßt werden mußte, erschütterte den Kaiser diese Nach-
richt so sehr, daß er nicht unbedenklich erkrankte, und Niemann einen
seelischen und körperlichen Zusammenbruch befürchtete. Es gelang
aber bald, den Kaiser wieder aufzurichten und über die Wiederher-
stellbarkeit der Kriegslage zu beruhigen.
So waren anfangs September die maßgebenden Persönlichkeiten
der deutschen obersten Kriegsleitung auf vier verschiedene Orte ver-
teilt. Der Oberste Kriegsherr befand sich in Wilhelmshöhe, der
Reichskanzler in Berlin, der Staatssekretär des Äußeren in Wien,
die O.H.L. an der Westfront. Graf Hertling empfand den dringen-
den Wunsch, Näheres über die Entwicklung der militärischen Lage
zu erfahren. Er fragte daher am 3. September schriftlich beim Ge-
neralfeldmarschall v. Hindenburg an, wie er die augenblickliche
Kriegslage und unsere militärischen Aussichten für die nächste Zu-
kunft beurteile. Dieses Schreiben ist offenbar schriftlich gar nicht
beantwortet worden. Es enthält den Vermerk vom 27. September
1918: „Die Angelegenheit wird durch persönliche Aussprache erle-
digt." Inzwischen war aber am 9. September Hintze ziümündlicher
Besprechung im Großen Hauptquartier gewesen, so daß die spätere
Beantwortung nicht mehr für notwendig erachtet wurde.
Wir kehren zum 3. September 1918 zurück. An diesem Tage
fand in Berlin eine Sitzung des preußischen Staatsministeriums
statt, in der Graf Hertling sich über die Lage in Deutschland ernst
aussprach. In diesem Zusammenhange erklärte er, jeder gangbare
Weg, der zu einer Verständigung mit dem Feinde führen könnte.
13 Siehe oben S. 99.
Vom 15. August bis zum 29. September 1918 105
müsse betreten werden, aber ein Friedensangebot, das doch nur
schnöde abgewiesen werde, dürfe nicht erfolgen.
In Wien versuchte Hintze am gleichen Tage, den Grafen Bunan
von seinem Vorhaben abzubringen. Er machte geltend, es handele
sich nur um einen Aufschub von zwei Wochen, bis dahin werde die
Rückbewegung der deutschen Armee in solche Stellungen vollzogen
sein, die zum mindesten die Gewähr für einen längeren Widerstand
gegen feindliche Angriffe böten. Graf Burian bestand aber auf sei-
nem „Ruf an Alle" und erklärte in der großen endgültigen Bespre-
chung vom 5. September in Wien, Österreich-Ungarn könne den Krieg
nicht mehr weiterführen: „Bei uns ist absolut Schluß." Äußerste
Eile sei geboten. Im übrigen wollte auch Burian bei seinem Schritte
die Solidarität der Verbündeten betonen; aber in Österreich-Ungarn
dürfte nicht die Überzeugung aufkommen, als wenn Deutschland ihm
die Hand festhalte. Das Publikum erwarte einen Friedensschritt:
„Wir sind dazu gezwungen, und unsere Lage erfordert ihn." Ver-
geblich erwiderte Hintze, schon oft hätte einer der Verbündeten
Deutschlands erklärt, es sei jetzt Schluß, und trotzdem seien hernach
von ihm große und bedeutende Siege erfochten worden; er möchte
annehmen, daß dies auch jetzt wieder der Fall sei. Die Österreicher
blieben dabei, daß sofort gehandelt werden müsse. Während Hintze
am 6. September nach Berlin zurückkehrte, vermochte General v. Cra-
mon in Wien den Kaiser Karl lediglich zu einem Aufschübe der Ab-
sendung der österreichisch-ungarischen Rote zu bewegen.
Zum leichteren Verständnis des Zusammenhanges darf hier be-
merkt werden, daß Hindenburg am 7. September von Wien aus um
die Beantwortung der Fragen gebeten wurde, wo und in welcher
Linie die O.H.L. endgültigen Widerstand zu leisten beabsichtige, wann
diese Linie erreicht werden würde, und wann ungefähr der O.H.L.
die beabsichtigte Anregung zu Besprechungen über Friedensverhand-
lungen nach der Kriegslage möglich und angezeigt erscheine. Rach
Ansicht des Kaisers Karl bedeute jeder Aufschub eine Schädigung.
Rach peinlichem Hin und Her, das in seinen Einzelheiten aus den
„Amtlichen Urkunden zur Vorgeschichte des Waffenstillstandes 1918"
(2. Auflage, Berlin 1924) entnommen werden kann, erklärte Graf
Burian am 13. September, die Würfel seien bereits gefallen, und er
allein übernehme dafür voll und ganz die Verantwortung. Am
14. September führte Graf Burian seinen Entschluß aus, und tags
darauf erfolgte bereits die Veröffentlichung der österreichisch-ungari-
schen Friedensnote in den Berliner Blättern, die wie ein Blitzschlag
aus heiterem Himmel wirkte.
Ein tatsächliches Ergebnis der Verhandlungen mit Wien, auch
im Hinblick auf etwaige politische SchriUe Deutschlands, hat darin
106 Die rein militärische oberste Kriegsleitung
gelegen, daß am 10. September Generalfeldmarschall v. Hindenburg
folgende Erklärung abgab: „Einer Absendung der beabsichtigten Note
Österreich-Ungarns — gemeint war der Friedensruf des Grafen
Durian „An Alle" — kann ich nicht zustimmen. Ich halte diesen
Schritt für unsere Heere und unsere Völker für verderblich. Dagegen
könnte ich mich mit einer Vermittlung einer neutralen Macht zur
Herbeiführung einer Aussprache ohne Aufschub einverstanden
erklären." Hiermit war zum ersten Male das Einverständnis der
O.H.L. mit der Herbeiführung einer sofortigen Aussprache durch eine
neutrale Macht ausgesprochen. Staatssekretär v. Hintze, der persön-
lich den Generalfeldmarschall über die Wichtigkeit dieser Ermächti-
gung aufgeklärt hatte, konnre nunmehr ungehemmt handeln. Er ver-
ständigte tags darauf, am 11. September, die Missionen in Wien,
Sofia und Konstantinopel telegraphisch, daß der Kaiser und die
O.H.L. mit sofortiger Einleitung einer Demarche bei der Königin
der Niederlande einverstanden seien. Die verbündeten Regierungen
sollten zum Beitritt bezw. zur Einverständniserklärung aufgefordert
werden. Daß Kaiser Karl nicht darauf einging und den Plan der Ver-
mittlung durch eine neutrale Macht ablehnte, ist bereits mitgeteilt.
Selbst durch ein Telegramm des deutschen Kaisers vom 14. Septem-
ber ließ Kaiser Karl sich von der Veröffentlichung des Rufes „An
Alle" nicht mehr abhalten.
Als Staatssekretär v. Hintze von Wien in Berlin wieder eintraf,
liefen dort allerlei beunruhigende Gerüchte über eine Krisis im Gro-
ßen Hauptquartier um. Eine schriftliche Antwort der O.H.L. auf
die Anfrage des Reichskanzlers vom 3. September war, wie oben
mitgeteilt, noch nicht erfolgt. Die immer noch bestehende Ungewiß-
heit über die Lage an der Front und der Wunsch, näheres darüber
zu erfahren, veranlaßten den Reichskanzler, als er am 8. September
durch Oberst v. Winterfeldt im Aufträge der O.H.L. gebeten wurde,
in das Große Hauptquartier zu kommen, zur Entsendung des Herrn
v. Hintze dorthin. Dieser begab sich am 9. September nach Spa und
berichtete an Hand eines Fragebogens, daß die O.H.L. größere Offen-
siven als ausgeschlossen, Gegenstöße als möglich bezeichnet habe. Auf
die Frage nach einer Linie, die unter allen Umständen gehalten
werden könne, antwortete die O.H.L.: „Grundgedanke, wir bleiben
stehen, wo wir sind." Oberst v. Winterfeldt, der mit Hintze am
8. September nach Spa gefahren war, um sich von dort an die Front
zu begeben, berichtete, die Lage an der Front sei zufriedenstellend,
die Stimmung und Haltung der Truppen ausgezeichnet; er jeden-
falls stehe nicht unter dem Eindruck, daß man an eine ernste Lage zu
denken habe. Als Hintze nach Berlin zurückkehrte, vermochte auch er
nur zu melden, daß ihm im Großen Hauptquartier kein Wort des
Vom 15. August bis zum 29. September 1918 107
Zweifels, keine Warnung, keine Befürchtung, nur Zuversicht ent-
gegengetragen worden sei.
Es wurde bereits erwähnt, daß die Ermächtigung zur Herbei-
führung einer Aussprache mit einer neutralen Macht durch Hmtzes
Bemühungen am 10. September seitens des Generalfeldmarschalls
v. Hindenburg erwirkt worden ist. Die Art, wie diese Ermächtigung
erfolgte, ließ ein Drängen aus einer militärischen Notlage heraus
nicht erkennen. So hat es jedenfalls Hintze aufgefaßt, der darüber
wie folgt berichtet: „Das war mein Eindruck bei meinen Besprechun-
gen mit der O.H.L. vor Absendung des Telegramms (vom 10. Sep-
tember 1918). Mit keinem Wort, mit keiner Geste hat die O.H.L.
damals angedeutet oder gezeigt, daß sie mit einer Friedensdemarche
Eile habe."
AIs am 15. September die Nachricht von der österreichischen
Friedensnote in Berlin bekannt wurde, ließen die Parteiführer des
Reichstages dem Kanzler mitteilen, daß sie ihn möglichst bald spre-
chen möchten. Noch am gleichen Tage, einem Sonntage, erfolgte
wunschgemäß eine Unterredung des Kanzlers mit den Parteiführern,
an der auch Oberst v. Winterfeldt teilnahm. Graf Hertling vermochte
die Parteiführer zu beruhigen, und Oberst v. Winterfeldt erklärte,
als er zum Wort aufgefordert wurde, die O.H.L. befinde sich in völ-
liger Übereinstimmung mit den politischen Faktoren des Reiches.
Inzwischen hatte Hintze mit den Niederlanden dauernd weiter
verhandelt. Er konnte, wie er am 18. September an die O.H.L. und
an die Missionen in Wien, Sofia und Konstantinopel drahten ließ,
die Hoffnung hegen, die holländische Vermittlung mit dem öster-
reichischen Friedensschritt in Verbindung bringen zu können. Viel-
leicht war der Haag als Versammlungsort der Bevollmächtigten der
kriegführenden Mächte möglich. Holland sollte in diesem Falle der
Vorsitz angeboten werden. Tatsächlich hat auch die Königin der Nie-
derlande, wie aus der holländischen Presse am 28. September bekannt
wurde, ihre Residenz für Besprechungen im Sinne der österreichisch-
ungarischen Note vom 14. September zur Verfügung gestellt.
Ob es zu Verhandlungen kam, hing von den Feinden ab. Diese
hatten aber keine Eile. Im Gegenteil, ihr Vorteil gebot ihnen zu
warten.
Der Oberste Kriegsherr war während der geschilderten Entwick-
lung in Wilhelmshöhe gewesen, am 9. September aber auf Bitten
des Feldmarschalls über Esten, wo er eine Rede vor den Arbeitern
hielt, in Spa wieder eingetroffen. Von nun an erhielt er täglich wie-
der Vorträge über die Lage durch den Feldmarschall und den Gene-
ral Ludendorff. Die Nachricht des beabsichtigten österreichischen Son-
derschrittes hatte ihn am 12. September um so mehr erregt, als an
Die rein militärische oberste Kriegsleitung
diesem Tage der schon erwähnte starke Angriff zwischen Rupt und
Mosel westlich Pont-u-Mousson erfolgte und die überstürzte Räu-
mung des Michelbogens bei St. Mihiel bewirkte". Auch General
Ludendorff war durch diese Nachrichten sehr ernst gestimmt.
Nun folgte eine Hiobspost nach der anderen: am 15. September
die Nachricht von der erfolgreichen Offensive der Orientarmee gegen
die bulgarischen Stellungen südlich Gradsko und von dem Zusam-
menbruch der mazedonischen Front, am 18. September vom englisch-
französischen Angriff zwischen dem Jordan und dem Meer, der zum
vollständigen Durchbruch der türkischen Stellungen führte. Auch von
Mesopotamien kamen ungünstige Berichte. Am bedenklichsten aber
war der Einbruch in die bulgarischen Stellungen zwischen Cerna und
Wardar, da sich dieser taktische Erfolg zu einem regelrechten Durch-
bruch erweiterte. In Spa hoffte man indes einstweilen noch, die
Lücke weiter rückwärts schließen zu können.
Der Kaiser hatte vom 18. September ab zahlreiche Truppen-
teile in der Gegend von Colmar besucht und einige Zeit in Briey,
Gravelotte, in den Stellungen südlich von Metz und in seinem Land-
sitze in Urville verweilt. Zur Hebung seiner Stimmung trug bei, daß
Generaloberst v. Plessen über die Haltung der Truppen an der West-
front zuversichtlich berichtete. Den Kaiser erreichten die ungünstigen
Nachrichten über Palästina bei seiner Rückkehr in das Große Haupt-
quartier.
Auf Veranlassung des Admirals Scheer, der an die Stelle des
Chefs des Admiralstabes v. Holtzendorff getreten war, begab sich der
Kaiser am 24. September nach Kiel, besichtigte dort am 25. die Werft-
anlagen und am 26. die Torpedo- und Mineneinrichtung in Eckern-
förde. Dort erreichte ihn am Abend die Nachricht vom Abfall Bul-
gariens. Der Kaiser beschloß die Rückkehr ins Große Hauptquartier,
wo er am Sonntag, 29. September, früh eintraf.
In Berlin hatten inzwischen am 24. September die vom Reichs-
kanzler am 15. September zugestandenen Sitzungen im Hauptaus-
schuß begonnen. Es war eine schicksalhaft erwachsene Fügung, daß
in den so außerordentlich angespannten Monaten der Entscheidung
die Träger der obersten Kciegsleitung eigentlich dauernd voneinan-
der getrennt gewesen sind.
Der Monarch selbst, durch persönliche Sorgen, haupt-
sächlich um die Gesundheit der Kaiserin, innerlich beunruhigt,
außerdem viel unterwegs, um durch persönlichen Augenschein sich
vom Stande der Dinge in der Heimat und an der Front zu
überzeugen; den Machtkämpfen innerlich abhold und vor seinem
" Siehe oben S. 99/100.
Vom 15. August bis zum 2g. September 1918 109
eigenen Bewußtsein von der Überzeugung durchdrungen, daß es seine
Pflicht sei, die von der öffentlichen Meinung getragenen Männer
der Obersten Heeresleitung gewähren zu lassen. Diese Entwicklung
hatte sich für ihn seit der ihm aufgezwungenen Entlassung des Ka-
binettschefs v. Balentini und nach den Vorgängen bei der Entlassung
des Staatssekretärs v. Kühlmann in begreiflicher, aber dennoch ver-
hängnisvoller Weise gesteigert.
Der Reichskanzler: für seine verantwortungsbeschwerte
Stellung zweifellos zu alt und nicht mehr im Besitz der körperlichen
Rüstigkeit, die gerade ein solches Amt in solcher Zeit erfordert hätte.
Daher der Wunsch der ihm nahestehenden Persönlichkeiten, seine An-
wesenheit im Großen Hauptquartier von anfangs Juli ab zu einer
Art von Erholung zu gestalten. Rur zu erklärlich war es, daß man ihm
schon aus Besorgnis für seinen Gesundheitszustand ernste Nachrichten
nur nach genauer vorheriger Prüfung, und auch dann nur ungern, zu-
kommen ließ. An sich entsprach es dem Ernst der Lage, daß durch
den Aufenthalt des Reichskanzlers im Großen Hauptquartier die Ver-
bindung zwischen ihm und den Männern der O.H.L. erleichtert
wurde. Aber es hatte sich doch wiederholt herausgestellt, daß seine
Anwesenheit in Berlin bei der immer vordringlicher werdenden Be-
deutung der Entwicklung im Innern des Reiches nur schwer zu ent-
behren war.
Der Staatssekretär des Auswärtigen Amtes:
erst wenige Wochen in seiner gerade bei der damaligen Lage als über-
schwer zu kennzeichnenden Stellung; in seinem Urteil zunächst ganz
abhängig von den ihm gewordenen Aufschlüssen im Großen Haupt-
quartier; allmählich wachsende Skepsis infolge von Nachrichten, die
ihm von verschiedenen Seiten her zukamen; schwere Sorge um die
Haltung der Verbündeten, besonders um Österreich-Ungarn, was ihn
zu mehrtägigen Reisen nach Wien veranlaßte, dabei in dauernder
Fühlung mit dem Auslande, um die Möglichkeiten einer Anbahnung
von Besprechungen zu erspähen.
Die Männer der Obersten Heeresleitung: beide
vollauf in Anspruch genommen durch die militärische Leitung der
Operationen an der Westfront, Eingriffe und Sorgen der politischen
Leitung leicht aus berechtigtem Empfinden heraus als störend anse-
hend, nur erfüllt von dem einen Gedanken, die militärischen Bewe-
gungen an der Westfront so zu leiten, daß der Entente der geplante
Durchbruch nicht gelang.
Faßt man alles zusammen, so fehlte es der obersten Kriegslei-
tung in den damaligen entscheidungsschweren Wochen an der nöti-
gen räumlichen und gedanklichen Zusammenfassung, die es ermöglicht
hätte, entscheidende Entschlüsse gemeinsam zu überlegen und, wenn
110 Die rein militärische oberste Kriegsleitung
nötig, schnell zur Tat werden zu lassen. Wie die Dinge sich nun aber
einmal gestaltet hatten, war eine solche Konzentration des zugleich
politischen und militärischen Willens nicht möglich und mußte von
Fall zu Fall erst mühsam hergestellt werden.
Bei den Verhandlungen des Hauptausschusses in Berlin stellte
es sich bald heraus, daß für die Abgeordneten des Reichstages die
Kriegslage keineswegs den alles beherrschenden Vordergrund des In-
teresses bildete. Sie schien im Gegenteil sogar noch zur parteipoliti-
schen Austragung von Macht- und Verfassungsfragen Raum und
Muße zu gewähren. Die Front stand, also konnte man sich, wie man
wähnte, noch parteipolitischen Erwägungen hingeben.
Am 20. September nahmen in Berlin die Verhandlungen des
Hauptausschusses ihren Fortgang. Nach Wien drahtete Hintze an den
deutschen Botschafter, wir ständen, wie er fürchte, vor der Erklärung
Österreich-Ungarns, Frieden schließen zu müssen. Verfügten wir jetzt
noch über genug Truppen an der Westfront, um sie dort wegziehen
und nach dem Balkan senden zu können, so war es nach seiner Mei-
nung angezeigt, dies zu tun, um dort die Lage wiederherzustellen.
Vertrug die Westfront eine solche Schwächung nicht mehr, dann hielt
er es für das Beste, Bulgarien und die Türkei aufzugeben und zu
räumen, die Donaulinie aber zu besetzen, um so wenigstens Öster-
reich-Ungarn an der Stange zu halten. Die O.H.L. entschloß sich zur
Verstärkung der Balkanfront. In Sofia trafen die ersten Truppen
aber erst am 28. September ein, nachdem die bulgarische Regierung
ihren Friedensschritt bereits getan hatte (25. September).
Am 27. September mußte Hintze im Hauptausschuß des Reichs-
tages den bulgarischen Sonderschritt mitteilen. Am gleichen Tage
hielt Präsident Wilson in New Pork seine Rede über den Völker-
bund, in der er ausdrücklich betonte, kein besonderes, abgesondertes
Interesse irgend einer einzelnen Nation oder Gruppe von Nationen
könne zur Grundlage irgend eines Teiles des Abkommens gemacht
werden, wenn es sich mit dem gemeinsamen Interesse aller nicht ver-
trage. Zm Hinblick auf einen kommenden Frieden sprach er. von der
unparteiischen Gerechtigkeit, die keine Unterscheidung kennen solle
zwischen denen, „denen gegenüber wir gerecht zu sein wünschen, und
jenen, denen gegenüber wir nicht gerecht zu sein wünschen". Mit
Schärfe verwarf er den wirtschaftlichen Boykott und den Abschluß
besonderer Bündnisse. Alles dies ließ die friedenshungrige Mensch-
heit hoffen, daß der Weltkrieg durch einen erträglichen Frieden in
Wilsonschem Geiste sein Ende finden würde.
Im Hauptausschusse des deutschen Reichstages wirkte die Mit-
teilung des bulgarischen Sonderschrittes überaus erregend. Die Er-
örterungen wurden indes sachlich weitergeführt, und man gelangte
Vom 15. August bis zum 29. September 1918 111
an diesem Tage zu der Feststellung, die besonders eindringlich durch
den Abgeordneten Noske vertreten wurde, daß Deutschlands Aus-
stattung mit Material aller Art auf die Neige gehe, und daß es eben
nur noch möglich sei, das AUernötigste aufzubringen.
Für die Vorbereitung von Friedensbesprechungen bildete der
Staatssekretär v. Hintze damals die wichtigste Instanz. Verschiedene
Nachrichten, die ihm Ende September zugekommen waren, hatten
ihn zu dem Glauben gebracht, daß das Heer einer Katastrophe ent-
gegeneile, daß die O.H.L. sich aber sträube, diese Tatsache sich selbst
und anderen einzugestehen. Das war jedenfalls auch die Auffassung
des Vertreters des Auswärtigen Amtes bei der O.H.L., Frhr. v. Lers-
ner, der am 26. September an Hintze telegraphierte: „Ich halte bal-
digstes Herkommen Euer Exzellenz, das die gesamten Generale er-
bitten, für das Wichtigste." Hintze antwortete, er werde kommen, so-
bald die Sitzungen des Hauptausschusses dies gestatten würden.
Die Auffassung der Generalstabsoffiziere im Großen Haupt-
quartier war schon seit längerer Zeit sehr ernst. Nach der Ansicht des
Obersten v. Mertz, des späteren Präsidenten des Reichsarchivs, teilte
auch General Ludendorff diese Auffassung. Leider aber habe, meint
Mertz, ein hinreichend vertrauensvolles Verhältnis zwischen Luden-
dorff und Hintze nicht bestanden. Niemand, der sich im Großen
Hauptquartier zu Avesnes befand, hätte schon seit spätestens August
darüber im Zweifel sein können, wie bedenklich sich unsere militäri-
schen Verhältnisse allenthalben zugespitzt hätten. „Ganz abgesehen
von anderen Orientierungsmöglichkeiten hätten selbst die farblosen
Vorträge, wie sie täglich abgefaßt wurden, jeden, der einigermaßen
hören und denken wollte und auch nur die Spur eines militärischen
Verständnisses besaß, darüber aufklären müssen. Man brauchte nur
verstehen zu wollen und man verstand. Das galt auch für die Ver-
treter der Reichsleitung im Großen Hauptquartier."
Für die Verbindung zwischen dem Staatssekretär v. Hintze und
dem Großen Hauptquartier war Frhr. v. Lersner die entscheidende
Persönlichkeit. Als die schweren Nachrichten von der Orientarmee
eintrafen, war er auf das Tiefste über den Ernst der nunmehr ent-
standenen Kriegslage erschüttert. In der Zeit bis zum 29. September
stand er ebenso wie verschiedene Angehörige der O.H.L. in einem
schweren inneren Zwiespalt, „in dem man einerseits die Katastrophe
sah und sie andererseits nicht begreifen konnte und wollte" (Bekun-
dung des Obersten v. Mertz).
Im Gegensatz zum Reichskanzler Grafen Hertling, der Hintze
gegenüber immer bekundete, daß er nur zuversichtliche Berichte von
der Armee habe, gelangte Hintze jetzt zu der Auffassung, daß eine
militärische Katastrophe unmittelbar bevorstehe, und entschloß sich zu
112
Die rein militärische oberste Kriegsleitung
einer möglichst baldigen Reise ins Große Hauptquartier. Vorher
suchte er im Auswärtigen Amt die nötigen Vorbereitungen für etwa
nötige Friedensschritte zu treffen. Man einigte sich auf die sofortige
Bildung einer neuen Regierung „auf breiter nationaler Basis auf
freie Initiative Seiner Majestät des Kaisers". Da Graf Hertling
feine Absicht bekundet hatte, eine Parlamentarisierung nicht mitzu-
machen, sondern in diesem Falle seine Demission zu geben, sollte ein
neues Kabinett „alle Kräfte des Volkes auf breitester nationaler
Grundlage zusammenfassen und der Verteidigung des Vaterlandes
nutzbar machen". Vizekanzler v. Payer sollte auf ausdrücklichen
Wunsch des Kaisers das Präsidium des Reichstages und die Partei-
führer hören und in engstem Einvernehmen mit der Volksvertretung
seine Vorschläge ausarbeiten.
Eine von den Herren v. Rosenberg, v. Bergen und Frhrn. v.
Stumm unterzeichnete Niederschrift des Auswärtigen Amtes vom
28. September 1918 ging schon von der Parlamentarisierung der Re-
gierung und von einer Zusammenfassung aller Volkskräfte zur natio-
nalen Verteidigung aus und faßte das Herantreten mit dem Er-
suchen um Frieden an den Präsidenten Wilson im gegebenen
Moment ins Auge. Ein Termin war hierfür noch nicht in Aus-
sicht genommen, auch nicht für den Abschluß eines sofortigen Waffen-
stillstandes, der vielmehr ganz von den Wünschen der militärischen
Stellen abhängig gemacht wurde. Es waren vorsorgliche Überlegun-
gen auf Grund der sich immer mehr verschlechternden, aber seitens
der O.H.L. noch nicht als hoffnungslos bezeichneten Kriegslage. Den
Gedanken, an Wilson heranzutreten, hatte Hintze schon längere Zeit
erwogen, und auch die O.H.L. war damit einverstanden. So erklärt
sich eine Anfrage Ludendorffs vom 21. September an Hintze, ob er
gedenke, durch den Fürsten Hohenlohe-Langenburg in Bern an Ame-
rika wegen Friedensverhandlungen heranzutreten. Hintze hatte am
24. September geantwortet, Vorbereitungen für Anknüpfung mit
Amerika seien getroffen.
Die Absicht, angesichts der sich verschlechternden Kriegslage
einige maßgebende Parlamentarier in die Regierung aufzunehmen,
um so eine tragfähigere Grundlage für etwaige durch die Kriegslage
gebotene ernste Schritte zu schaffen, wurde in jenen Tagen sowohl im
Großen Hauptquartier wie in Berlin von den maßgebenden Persön-
lichkeiten und von deren Gehilfen wiederholt besprochen. So kam es,
daß am 28. September Hintze dem Reichskanzler meldete, er werde
nach Spa reisen, um von der O.H.L. eine unzweideutige bestimmte
Erklärung über den Stand des Krieges zu erwirken und die etwa
noch nötig werdenden Maßnahmen vorzuschlagen, und daß am glei-
chen Vormittage Oberst v. Winterfeldt dem Reichskanzler meldete,
die O.H.L. sei zu der Ansicht gekommen, eine Umbildung der Regie-
Vom 15. August bis zum 29. September 1918
rung oder ihr Ausbau auf breiterer Grundlage fei notwendig ge-
worden. Diese Nachricht überraschte den Reichskanzler aufs höchste.
Er entschloß sich, noch am gleichen Tage nach Spa zu reisen, wohin
Hintze mit einem früheren Zuge vorauffuhr.
Der kommende Tag, Sonntag, der 29. September, mußte in Ge-
genwart sämtlicher leitenden Persönlichkeiten Klarheit über die ge-
genwärtige Lage und die weiterhin zu unternehmenden Schritte
bringen.
Am 28. September, 6 Uhr nachmittags, hatte inzwischen die welt-
geschichtliche Unterredung zwischen Hindenburg und Ludendorff statt-
gefunden, bei der letzterer dem Feldmarschall seine Gedanken über ein
Friedens- und Waffenstillstandsangebot vortrug. Auf keinen Fall
war nach seinen Darlegungen in seinen Kriegserinnerungen die Lage
so, daß sie eine Kapitulation vor unserem Volke und unseren Kindern
rechtfertigen konnte; auf jeden Fall mußte aber, wenn es irgend mög-
lich schien, der Weg zum Frieden beschritten werden. In der ihm zu-
geschriebenen Aufzeichnung vom 31. Oktober 191810 hat Ludendorff
seinen Schritt noch ausführlicher begründet. Mit den Ereignissen in
Bulgarien, wie sie sich bis Ende September entwickelt hatten, sei der
Zusammenbruch unserer Verbündeten unabänderlich verbunden ge-
wesen. „Jetzt war der Krieg verloren, daran war nichts mehr zu
ändern. Hätten wir die Kraft gehabt, das Kriegsglück im Westen zu
wenden, dann wäre naturgemäß noch nichts verloren gewesen. Hierzu
fehlten die Mittel. Bei der starken Inanspruchnahme der Truppen an
der Westfront mußten wir mit weiteren, auch eingetretenen Rück-
schlägen rechnen. Unsere Lage konnte sich nur noch verschlechtern,
nicht mehr bessern. Reuen Kräftezuwachs gab die Heimat damals
noch nicht. Unabhängig von einander faßten der Feldmarschall und ich
die Ansicht, es müsse Schluß gemacht werden. Ich trug dem Feld-
marschall am 28. September um 6 Uhr nachmittags 16 meine Ansicht
vor. Er sagte mir nur, er habe mir das Gleiche mitteilen wollen. Wir
sprachen uns abends in der Regel kurz noch aus."
In seinen Kriegserinnerungen hat Ludendorff den entscheiden-
den Vortrag noch deutlicher geschildert. Seine Worte, die das damals
noch vorbildliche Zusammenarbeiten zwischen Hindenburg und Lu-
dendorff deutlich erkennen lassen, dürfen hier nicht fehlen: „Ich legte
meine Gedanken über ein Friedens- und Waffenstillstandsangebot
vor. Die Lage könne sich durch die Verhältnisse auf dem Balkan nur
noch verschlechtern, auch wenn wir uns an der Westfront hielten. Wir
15 Siehe oben S. 101.
16 In der Ludendorff zugeschriebenen Aufzeichnung vom 31. Oktober 1918
ist irrtümlich der 27. September 4 Uhr nachmittags genannt.
Schwertfeger, Das Weltkriegsende
114
Die rein militärische oberste Kriegsleitung
hätten jetzt die eine Aufgabe, ohne Verzug klar und bestimmt zu han-
deln. Der Generalfeldmarschall hörte mich bewegt an. Er antwor-
tete, er habe mir am Abend das Gleiche sagen wollen, auch er hätte
sich die Lage dauernd durch den Kopf gehen lassen und hielte den
Schritt für notwendig. Einig waren wir uns auch darüber, daß die
Bedingungen des Waffenstillstandes eine geregelte und ordnungs-
mäßige Räumung des besetzten Gebietes und eine Wiederaufnahme
der Feindseligkeiten an den Grenzen unseres Landes zulassen müßten.
Erstere war ein ungeheures militärisches Zugeständnis. An ein Auf-
geben des Ostens dachten wir nicht. Ich glaubte, die Entente würde
die Gefahr erkannt haben, die vom Bolschewismus auch ihr drohte."
Und dann folgten die schönen Worte: „Der Generalfeldmarschall
und ich trennten uns mit festem Händedruck wie Männer, die Liebes
zu Grabe getragen haben und die nicht nur in guten, sondern auch in
den schwersten Stunden des menschlichen Lebens zusammenstehen
wollen. Unsere Namen waren mit den größten Siegen des Weltkrieges
verknüpft. Jetzt waren wir uns in der Auffassung einig, daß es un-
sere Pflicht sei, unsere Namen für diesen Schritt herzugeben, den zu
vermeiden wir alles Erdenkliche getan hatten."
Es ist eine tiefe Tragik der deutschen Geschichte, daß dieses innige
und vorbildliche Verhältnis zwischen Hindenburg und Ludendorff die
Stürme der Nachkriegszeit nicht zu überdauern vermocht hat!
So war im Schoße der Obersten Heeresleitung der militärische
Entschluß gefaßt, nunmehr die Politik in die allervorderste Linie zu
schieben und mit ihrer Hilfe den Kampf in einer für Deutschland
möglichst günstigen Weise zu beenden. Eine Aufgabe, wie es größer
und schwerer noch niemals in der deutschen Geschichte eine gegeben
hat. Seit dem 8. August 1918, eigentlich schon mit der feindlichen
Gegenoffensive aus den Wäldern von Villers-Cotterets am 18. Juli,
war die Initiative des militärischen Handelns endgültig an die Ge-
genseite übergegangen. Für die deutsche O.H.L. war es von diesem
Zeitpunkt an die Hauptsache gewesen, sich bei möglichster Schonung
des Menschenmaterials und der Kampfmittel taktisch in ihren Stel-
lungen zu behaupten. Hierfür war die Beseitigung ungünstiger Li-
nienführungen in den durch die verschiedenen Offensiven gewonne-
nen Stellungen die zwingende Voraussetzung. In besser verteidi-
gungsfähige, kürzere Stellungen zurückzugehen, erschien aber, beson-
ders den Truppen gegenüber, wie eine Preisgabe der unter blutigen
Opfern erzielten Erfolge. Eine Stellungsverbesserung nach vorwärts
konnte man nicht mehr erstreben, rückwärtige Stellungen aber waren
so gut wie nicht vorhanden.
An Gegensätzen zwischen der O.H.L. und den Heeresgruppen- und
Armeeführern hat es damals nicht gefehlt/ da die letzteren die Lage
Vom 15. August bis zum 29. September 1918 115
hauptsächlich vom Standpunkte der Taktik betrachteten, während die
O.H.L. sich dauernd von politischen Erwägungen mitbestimmen ließ.
Geschahen sofort diplomatische Schritte zur Anbahnung eines Frie-
dens, so war es vielleicht vorteilhaft, wenn den Gegnern durch mög-
lichst langes Ausharren in den vordersten Stellungen die Möglichkeit
weiteren Widerstandes gezeigt wurde. Andererseits war es erforder-
lich, das Heer möglichst lange in kampfkräftigem Zustande zu erhalten
und es vor einem Zusammenbruch zu bewahren. „Dann war es", wie
General v. Kühl ausgeführt hat", „nicht mehr angebracht, um jede
Fußbreite in den augenblicklichen, zum Teil ungünstigen Stellungen
zu kämpfen, sondern es hätte sich empfohlen, das Heer in rückwärtige,
verkürzte Stellungen zurückzuführen und Reserven auszusparen."
Sicherlich hätte die Aufgabe großer, mit erheblichen Blutopfern
gewonnener Geländestrecken auf den Geist der Truppe und, bei der
dauernden Wechselwirkung zwischen Front und Heimat, auf die im-
mer mißtrauischer gewordene öffentliche Meinung üble Wirkungen
ausüben können. Dem konnte aber durch rückhaltlose Klarheit über
die Gründe dieses Zurückgehens ausreichend begegnet werden. War
es doch gelungen, den operativen Rückzug von der Weichsel im Herbst
1914 und die Preisgabe des Sommegeländes 1917 durch eine ange-
messene Beeinflussung der öffentlichen Meinung als unerläßliche Vor-
bedingung späterer Erfolge glaubhaft zu machen. Auch jetzt noch hätte
vielleicht eine offene Darlegung günstige Wirkungen gezeitigt, und
schon im August 1918 wäre damit ein entscheidender Schritt zur
Schaffung einer klaren Anschauung über Deutschlands wahre Lage in
der Welt möglich geworden, ein Schritt, dem weitere folgen konnten
und folgen mußten, falls die Lage sich etwa noch weiter verschlechterte.
Von dem Kampf um die vorderen Stellungen versprach man sich
eine bessere politische Einwirkung auf den Gegner, übersah aber, daß
er über die wirkliche Lage an der deutschen Front seine eigenen, täg-
lich sich erweiternden Nachrichten und persönliche Eindrücke besaß.
Hielten sich die deutschen Truppen unter Aufgebot ihrer letzten Kräfte
in den ungünstig verlaufenden, nicht hinreichend ausgebauten und
ausgestatteten Stellungen, so konnte das dem Feinde nicht entgehen.
Im Gegenteil mußte der Feind die von ihm zur endgültigen Nieder-
ringung des deutschen Widerstandes noch aufzuwendende Mühe höher
einschätzen, wenn die deutschen Truppen in kürzeren und besseren
Stellungen die notwendige Ruhe erhielten und nicht bis zur völligen
Erschöpfung fast ohne Ablösung immer wieder eingesetzt werden
mußten.
So wäre nach Ansicht des Generals v. Kühl nach dem 8. August
die Zurücknahme des Heeres in die Siegfriedstellung trotz aller ihr
17 Durchführung und Scheitern der deutschen Offensive im Jahre 1918.
(Berlin 1924).
8*
116
Die rein militärische oberste Kriegsleitung
entgegenstehenden Bedenken militärisch richtig gewesen. Hierzu
konnte sich die O.H.L., die schon am 4. August die Heeresgruppen an-
gewiesen hatte, ihre augenblicklichen Stellungen zu verstärken, nicht
entschließen. Arbeitskräfte konnte sie für den Stellungsbau nicht zur
Verfügung stellen. Jetzt rächte es sich, daß große rückwärtige Stellun-
gen außer der Siegfried- und der Hunding-Brunhild-Stellung aus
Mangel an Arbeitskräften während des Winters 1917/18 nicht hatten
angelegt werden können. Erst als Anfang September 1918 der rechte
Heeresflügel unter schweren Kämpfen in die Siegfried-Stellung zu-
rückging, wurden vorbereitende Maßnahmen für den Ausbau weite-
rer rückwärtiger Stellungen getroffen. Bei der Heeresgruppe Kron-
prinz Rupprecht gingen sie erst am 6. September ein; die Heeres-
gruppe selbst erteilte die Ausführungsbefehle am 12. September nach
Genehmigung der Linienführung der sogenannten Hermann-Stel-
lung durch die O.H.L.
Bei der Weiterführung der Kämpfe an der Westfront galt der
O.H.L. die Verhinderung eines feindlichen Durchbruches als Haupt-
ziel. Die Heeresgruppen sollten, wo es die Lage unbedingt erforderte,
unter Wahrung der Verbindung mit dem Nachbarn planmäßig und
abschnittsweise ausweichen und hierbei versuchen, das eigene Mate-
rial zurückzuführen und die Eisenbahn- und Fernsprechanlagen nach-
haltig zu zerstören. Diese Tätigkeit mußte an die Moral der Truppen
und die Ruhe der Führung die höchsten Anforderungen stellen. Aus-
drücklich betonte die O.H.L. in einem Fernschreiben vom 30. Sep-
tember, das deutsche Heer müsse auch diese Aufgabe leisten: „Der
feste Wille, den feindlichen Anprall abzuwehren und nicht voreilig
auszuweichen, ist geboten."
Diese Weisungen vom 30. September sind für die militärische
Auffassung der O.H.L. bezeichnend. Aber ehe sie diese Anordnungen
erließ, hatte sie sich am 28. September, wie oben dargelegt, unter dem
Druck der Vorgänge an der mazedonischen Front in Gemeinsamkeit
der Anschauung der beiden verantwortlichen Heerführer dazu ent-
schlossen, von der politischen Reichsleitung ein sofortiges Waffenstill-
standsangebot zu fordern und diesen politischen Schritt mit allen
Druckmitteln der militärischen Lage durchzusetzen.
Auf die Haltung der politischen Leitung, hauptsächlich aber des
Obersten Kriegsherrn, gegenüber diesem Begehren kam nunmehr
alles an.
Das Herbeirufen der Politik
29. September bis Z. Oktober 1918
Der 29. September.
Am Sonntag, 29. September, trafen die Träger der höchsten
politischen und militärischen Entscheidung zu verschiedenen Zeiten in
Spa ein. Den Anfang machte der Staatssekretär v. Hintze, dann folgte
der Oberste Kriegsherr und am Mittag der Reichskanzler Graf
Hertling.
Die Besprechungen begannen um 10 Uhr vormittags. Im Hotel
Britannique trafen sich der Feldmarschall, der General Ludendorff, von
Oberst Heye begleitet, und der Staatssekretär. Hintze begann mit der
Auseinandersetzung der politischen Lage: Bulgarien abgefallen, der
Abfall Österreich-Ungarns bevorstehend, die Türkei nur mehr Last,
keine Hilfe, wachsende Zuversicht unserer Feinde, zunehmende Rot im
Innern Deutschlands. Hintze teilte mit, was inzwischen zur Anbah-
nung des Friedensschrittes durch Holland geschehen war.
Nunmehr ergriff General Ludendorff das Wort. Er schilderte die
militärische Entwicklung und erklärte, die Lage der Armee erfordere
sofortigen Waffenstillstand. Der Staatssekretär war über diese For-
derung so erschüttert, daß er bestimmt an die Möglichkeit eines unmit-
telbar bevorstehenden Zusammenbruches der militärischen Lage
glaubte. „Der ruckweise Übergang von Siegesfanfare zum Grabge-
sang der Niederlage" mußte nach seiner Ansicht auf Heer, Volk, Mo-
narchie und Reich schwere Wirkungen ausüben. Er empfahl als Aus-
weg aus dieser Lage die Zusammenfassung aller Kräfte der Nation
zur Abwehr im Endkampf. Als Mittel nannte er die Diktatur, die
„Revolution von oben", und zur Herbeiführung des sofortigen Waf-
fenstillstandes eine Einladung zum Frieden über den Präsidenten der
Vereinigten Staaten Wilson auf der Grundlage der von ihm bekun-
deten Grundsätze. Die Diktatur habe allerdings militärische Erfolge
in absehbarer Zeit, wenn nicht den Sieg zur Voraussetzung, da sie
sonst nicht durchzuführen sei, und ihr Revolution und Chaos folgen
würden. Unter der Revolution von oben verstand der Staatssekretär
die auch von der O.H.L. gewünschte und durch den Obersten v. Win-
terfeldt am 28. September dem Reichskanzler als Vorschlag übermit-
telte Aufnahme einiger parlamentarischer Führer in die Regierung.
Eine solche hielt er für nötig, da sonst die Nation den plötzlichen Um-
schwung von Siegeszuversicht zur Niederlage nicht ertragen würde.
General Ludendorff verwarf den Gedanken einer Diktatur, da
auf einen militärischen Sieg nicht mehr zu hoffen sei, erklärte sich aber
damit einverstanden, daß das Waffenstillstandsersuchen gleich mit
einem Friedensangebot verbunden werden sollte. Seine Hauptbedin-
gung jedoch blieb die Einleitung des Waffenstillstandes. Als Hinden-
120
Das Herbeirufen der Politik
bürg eingriff und den Wunsch äußerte, der Staatssekretär möge bei
Friedensschluß die Annexion von Briey und Longwy durchsetzen,
schnitt General Ludendorff das mit den Worten ab: „Dazu ist jetzt
nicht mehr die Zeit."
Der Staatssekretär v. Hintze sah sich in einer furchtbaren Lage.
Für ihn stand die weitere Besprechung völlig unter dem Zeichen des
Wortes: „Jede Stunde Verzuges ist eine Gefahr." AIs alter Marine-
offizier und unerschrockener Mann hatte er für keinen der von ihm
dargelegten Auswege irgendeine Vorliebe. Die Revolution von oben
sollte für ihn nur ein Mittel sein, die Revolution von unten, die er
für Selbstmord hielt, zu verhindern. Durch die Initiative des Mo-
narchen in Szene gesetzt sollte sie einen Übergang bilden und die Um-
stellung von Sieg auf Niederlage durch Heranziehung möglichst vieler
Persönlichkeiten von allgemeinem Vertrauen zur Mitwirkung an
der Regierung tragbar machen. Unter der Losung „Das Vater-
land ist in Gefahr!" hoffte er alle wertvollen Kräfte der Nation
zu sammeln. Das große, rein menschliche und sachliche Über-
gewicht der Heerführer wirkte bei der Unterredung auf Hintze,
wie bei anderen Gelegenheiten auch auf alle anderen Persönlichkeiten,
so stark, daß Zweifel daran, ob die Kriegslage auch wohl zutreffend
beurteilt werde, ob sie wirklich so ernst sei und vielleicht so schwere
Schritte wie die Anbahnung eines Waffenstillstandes gar nicht erfor-
dere, bei ihm überhaupt nicht aufkamen. Hintze faßte die ihm geschil-
derte Lage so auf, daß es nur noch gelte, einer befürchteten Katastrophe
vorzubeugen. Diese Ansicht hatte er immer schon gehegt. Er kam, wie
er selbst bekundet hat, am 29. September 1918 nach Spa in der Auf-
fassung, die O.H.L. zum Frieden bereit zu finden: diese begegnete ihm
mit der dringenden Forderung nach sofortigem Waffenstillstand.
Beide Heerführer stimmten seinem Programm kurz nach 11 Uhr vor-
mittags mit der Maßgabe zu, daß sofort ein Waffenstillstand herbei-
geführt werde.
Auch der Kaiser war inzwischen von Herbesthal in Spa einge-
troffen. Während der Autofahrt sprach er mit Major Niemann ein-
gehend über die militärische Lage. Mit keinem Worte war davon die
Rede, daß es nötig sein würde, unseren Feinden Waffenstillstand und
Frieden anzubieten. Als Major Niemann gegen 9 Uhr früh, also
noch vor der entscheidenden Besprechung der Heerführer mit dem
Staatssekretär v. Hintze im Hotel Britannique, mit dem Kaiser in
Spa eintraf, erfuhr er von dem Chef der politischen Abteilung des
Großen Hauptquartiers, General v. Bartenwerffer, den Entschluß,
den Feinden Waffenstillstand und Frieden anzubieten. Das übertraf
Niemanns schlimmste Erwartungen. Er glaubte, sich verhört zu ha-
ben. Darauf erklärte der General:: „Unsere Lage verträgt kein län-
Der 29. September
121
geres Hinhalten. Der Feldmarschall und General Ludendorff sind
unabhängig von einander zur Überzeugung gekommen, daß keine
Stunde mehr verloren werden darf" “.
Die entscheidende Besprechung unter Vorsitz des Kaisers, an der
nur Hindenburg, Ludendorff und Hintze teilnahmen, begann zwischen
11 und 12 Uhr. Hintze erstattete zunächst seinen Vortrag über die
außenpolitische Lage. Darauf fragte ihn der Kaiser nach der Lage im
Innern. Hintze meldete, hierfür fühle er sich nicht zuständig, und der
Reichskanzler, der kompetente Beurteiler, werde am Nachmittage ein-
treffen. Auf Befehl des Kaisers schilderte Hintze dann die innere
Lage, so wie er sie ansah, ohne Folgerungen daraus zu ziehen oder
Vorschläge daran zu knüpfen. Der Kaiser hörte ihn fast ohne Unter-
brechung an und verlangte darauf den Vortrag des Feldmarschalls.
Dieser sprach sich ebenso aus, wie General Ludendorff in der vorher-
gehenden Besprechung zu vieren, und erklärte schließlich, das Heer
bedürfe sofortigen Waffenstillstandes, was Ludendorff sodann be-
stätigte.
Der Kaiser befahl nunmehr Hintzes Vorschläge, der das Für und
Wider einer Diktatur auseinandersetzte. Der Kaiser tat diesen Aus-
weg mit dem Satze ab: „Diktatur ist Unsinn". Hintze entwickelte dar-
auf die Gefahr einer Revolution und den Gedanken, sie dadurch zu
„kanalisieren", daß eine stärkere Beteiligung an der Regierung ein-
geleitet werden sollte. Sodann schlug er vor, den Präsidenten Wilson
zur Herbeiführung einer Friedenskonferenz auf der Grundlage seiner
14 Punkte mit Selbstbestimmung der Völker und unter Verwerfung
des wirtschaftlichen Boykotts einzuladen und gleichzeitig, dem Verlan-
gen der O.H.L. gemäß, einen sofortigen Waffenstillstand anzubieten.
Der Kaiser hörte den Vortrag in beherrschter Bewegung und wür-
diger Haltung an und erklärte sich mit dem entwickelten Programm
einverstanden. Ein Abschiedsgesuch des Staatssekretärs v. Hintze
lehnte er ab. Auch er war durch die Forderung eines sofortigen Waf-
fenstillstandes völlig überrascht worden, fügte sich aber dem Votum der
O.H.L. ohne weiteres. Auf den Versuch, den so außerordentlich be-
deutungsvollen Entschluß zu erschüttern, hat er verzichtet und damit
in seiner Eigenschaft als Oberster Kriegsherr die volle Verantwortung
dafür persönlich übernommen.
Der weltgeschichtliche Entschluß war gefaßt. Aber noch drohte
eine neue Schwierigkeit. Sollten entscheidende Verhandlungen mit
der Gegenseite angesponnen werden, so mußte eine verhandlungs-
fähige Regierung vorhanden sein. Es war aber bekannt, daß der
Reichskanzler Graf Hertling nach seiner ganzen Vergangenheit und
18 Niemann, Kaiser und Revolution, S. 88.
122
Das Herbeirufen der Politik
Persönlichkeit den Übergang zum parlamentarischen Regierungs-
system nicht mitmachen würde. In diesem Falle mußte ein für die
Weiterführung der Regierung in so schwerer Lage geeigneter Reichs-
kanzler erst gefunden werden.
Gegen Mittag traf der Reichskanzler, mit ihm der Staatssekretär
Graf Roedern, der Unterstaatssekretär v. Radowitz, der Chef des Zi-
vilkabinetts v. Berg, Oberst v. Winterfeldt und der Sohn des Reichs-
kanzlers in Spa ein. Während der Bahnfahrt unterhielt sich der Sohn
des Kanzlers mit Winterfeldt über die Art, in der mit dem Kaiser
über den Kanzlerwechsel gesprochen werden sollte. Mit keinem Worte
war von einem etwa notwendig werdenden Waffenstillstandsangebot
die Rede.
Gleich nach Ankunft des Reichskanzlers in Spa berichtete ihm
Hinße über die bisherigen Besprechungen. Der Reichskanzler war
auf das Tiefste betroffen über das Verlangen der O.H.L. nach s o -
f o r t i g e m Waffenstillstand ", ein Verlangen, das, wie Hintze sich
ausdrückte, „über unseren schwärzesten Pessimismus hinausging".
Bei der am Nachmittag stattfindenden Besprechung des Kaisers
mit dem Kanzler, dem Grafen Roedern und dem Kabinettschef v. Berg
erklärte Graf Hertling seinen Rücktritt, der vom Kaiser angenommen
wurde. Als Nachfolger kamen Prinz Max von Baden, Graf Roedern
und eine zeitlang auch Or. Solf in Betracht. Hintze war bei der Be-
sprechung anfangs nicht zugegen, wurde aber hineingerufen, worauf
ihm der Kaiser eröffnete, nach der Ansicht des Reichskanzlers könne
mit der neuen Regierung und dem Frieden noch ein wenig gewartet
werden. Hintze hatte sich aber die Auffassung der O.H.L. völlig zu
eigen gemacht, daß Gefahr im Verzüge sei; er hatte dem General
Ludendorff auf seine Frage, wann die neue Regierung gebildet sein
könne, den 1. Oktober — Dienstag — als Termin angegeben. Die
Festsetzung dieses Termins, den die O.H.L. nunmehr in ihre Berech-
nungen als endgültig einstellte, hat schwerwiegende Folgen gezeitigt.
Als in der Nachmittagssitzung der Kaiser eine Verzögerung des
Friedensschrittes als möglich bezeichnete, erinnerte ihn Hintze an die
dringende Forderung der O.H.L. nach sofortigem Waffenstillstand und
an die Notwendigkeit, das Angebot von einer Regierung ausgehen zu
lassen, die der Feind im Gegensatz zur damaligen als verhandlungs-
fähig und vertrauenswürdig ansähe. Der Kaiser schien anfangs eine
Entscheidung nicht treffen zu wollen und wandte sich zur Tür. Hintze
folgte ihm und wiederholte, daß die Bildung einer neuen Regierung
Vorbedingung für das Waffenstillstands- und Friedensangebot fei.
Nunmehr unterzeichnete der Kaiser den Erlaß, in dem es hieß: „Ich
wünsche, daß das deutsche Volk wirksamer als bisher an der Bestim-
18 „Ein Jahr in der Reichskanzlei", S. 180.
Der 29. September
123
mung der Geschicke des Vaterlandes mitarbeite. Es ist daher mein
Wille, daß Männer, die von dem Vertrauen des Volkes getragen sind,
in weiterem Umfange teilnehmen an den Rechten und Pflichten der
Regierung." Der Entwurf zu dieser Erklärung stammte von Unter-
staatssekretär v. Radowitz.
Die Entscheidung war gefallen. Hintze handelte nunmehr weiter-
hin ganz im Sinne der O.H.L. Ein wesentlicher Punkt hierbei war,
daß die neue Regierung bis Dienstag, 1. Oktober, gebildet sein sollte,
damit das Waffenstillstandsangebot noch am gleichen Tage heraus-
gehen konnte. Hintze begab sich daher sofort nach Berlin, um dort für
die Bildung der neuen Regierung zu wirken. Die O.H.L. stellte ihm
einen Extrazug, den er am Abend des 29. September gemeinsam mit
dem Grafen Roedern benutzte. In ihrer Begleitung befand sich Major
Frhr. v. dem Bussche, der von der O.H.L. den Auftrag erhalten hatte,
falls die Regierung es wünschte, den Parteiführern des Reichstages
Aufschluß über die Kriegslage zu geben. Auch der Generaladjutant
und Hausmarschall des Kaisers, General v. Gontard, der der Kaiserin
Bericht erstatten sollte, und der für die Leitung der Presse maßgebende
Major Nicolai, der Leiter der Abteilung III b des Großen Haupt-
quartiers, schloffen sich der Reise an.
Die Entsendung des Majors Frhr. v. dem Bussche erfolgte haupt-
sächlich auf den Antrag des Staatssekretärs Grafen Roedern, der nach
der grundlegenden Besprechung des Kaisers mit dem Kanzler den
Feldmarschall und Ludendorff aufgesucht hatte. Diese begründeten
die Waffenstillstandsforderung damit, „daß die Situation an der
Front infolge der Übermacht der Gegner an Menschen und Material
eine Besserung der Chancen für uns nicht mehr, keinesfalls etwa noch
einen Umschwung nach der Richtung erwarten lasse, daß wir wieder
eine erfolgreiche Offensive aufnehmen könnten. Die großen und bei
diesen Aussichten vergeblichen Blutopfer der jetzt unterbrochenen
Schlachten ließen es also als Pflicht erscheinen, dem Kampf ein bal-
diges Ende zu machen." Graf Roedern hatte bei den beiden Gene-
ralen „den Eindruck des Bewußtseins der ganzen Schwere der prinzi-
piellen Entschließung, die auf Grund längerer Überlegung gefaßt
schien. General Ludendorff sprach mit Ruhe und Klarheit und zeigte
im Gegensatze zu Mitte September keine Zeichen von Abgespanntheit
und Nervosität." Da er selbst den Wunsch aussprach, den beteiligten
Regierungsstellen, aber auch den Parlamentariern möge als Grund-
lage für die zu fastenden schnellen Entschließungen mit aller Offenheit
Aufschluß über den Ernst der militärischen Lage gegeben werden, war
er sofort bereit, einen hierfür geeigneten Vertreter der O.H.L., den
Major Frhr. v. dem Bussche, nach Berlin zu entsenden.
Graf Roedern, vom Kaiser beauftragt, die für die Verbreiterung
der Negierung nötigen vorbereitenden Schritte in Berlin alsbald zu
124
Das Herbeirufen der Politik
tun, und ferner ermächtigt, diesen Auftrag dem Vizekanzler v. Payer
als der für die Innenpolitik hauptsächlich verantwortlichen Persön-
lichkeit zu übermitteln, konnte sich nun noch während der Fuhrt nach
Berlin durch Major Frhr. v. dem Bussche über den Ernst der Lage
unterrichten lassen. Danach kam es für das Friedens- und Waffen-
stillstandsangebot „unter Umständen auf einen Gewinn nicht nur von
Tagen, sondern von Stunden an." General v. Gontard sprach sogar
von der Möglichkeit eines Durchbruches und Aufrollens von Teilen
der Westfront und bat den Grafen Roedern dringend, alles irgend
Mögliche für die Beschleunigung der Dinge zu tun. Dabei bezog er
sich auf die Eindrücke, die er als alter Offizier in den zahlreichen Ge-
sprächen der letzten Tage im Großen Hauptquartier gewonnen habe.
Noch vor seiner Abreise aus Spa hatte Hintze am 29. September
9 Uhr 40 abends dem Unterstaatssekretär W. v. Stumm nach Berlin
mitteilen lassen, er möge auf Grund eines Befehls des Kaisers und
der Zustimmung des Reichskanzlers in Wien und Konstantinopel
vertraulich mitteilen, er schlage vor, dem Präsidenten Wilson auf
Grund seiner 14 Punkte Frieden anzubieten und ihn einzuladen, eine
Friedenskonferenz nach Washington einzuberufen unter Aufforde-
rung zu sofortigem Waffenstillstand. Wenn unsere Verbündeten zu-
stimmten, würde die in Bildung begriffene neue Reichsregierung den
Vorschlag auf geeignete Weise an Wilson gelangen lassen, so daß der
Vorschlag erst von ihr ausgehen würde. Rach Sofia teilte Hintze am
30. September mit, die gesamte Lage zwinge uns, baldigst mit einem
Friedensangebot an Amerika heranzutreten.
Mit der Absendung des Telegramms an W. v. Stumm und den
daraufhin verfügten Erlassen dös Auswärtigen Amtes an die Bot-
schaften in Wien und Konstantinopel, die noch in der Nacht vom 29.
zum 30. September abgingen, war ein unwiderruflicher Schritt ge-
schehen. Deutschlands Verbündete wußten nunmehr amtlich, daß wir
einen Schritt tun mußten, der weit über ihre Befürchtungen hinaus-
ging. Dennoch bestand für die Absendung des Waffenstillstandsange-
botes noch eine Gnadenfrist. Der Kaiser zwar hatte, offenbar von der
Notwendigkeit des Schrittes innerlich nicht ganz überzeugt, den Vor-
schlägen des Staatssekretärs v. Hintze zugestimmt. Dieser, seit meh-
reren Wochen bereits befürchtend, daß die Lage an der Westfront ern-
ster sei, als die O.H.L. zugeben wolle, bot nunmehr alles auf, um den
von der O.H.L. so dringend geforderten Schritt von sich aus zu be-
schleunigen. Noch aber war der für die Absendung des Angebots ver-
antwortlich zeichnende Reichskanzler nicht gefunden, und es bestand
noch die Möglichkeit, daß staatsmännifch überlegtes, ruhiges Durch-
denken der Lage vielleicht doch noch zu einem anderen Ergebnis ge-
langen würde.
Der 29. September 125
Mochte Kanzler werden, wer da wollte: auch er blieb für die
Kriegslage immer wieder von dem Urteil der O.H.L. abhängig. In-
sofern tat die O.H.L. mit der Entsendung des Majors Frhr. v. dem
Bussche nach Berlin den stärksten Schritt, den sie tun konnte, wenn es
ihr darauf ankam, den von ihr einmal dargelegten Ernst der Lage
nicht etwa in Berlin bei der Kanzler- und Regierungssuche verwischen
zu lassen. Es zeigte sich bei dieser Gelegenheit die aus den Verhält-
nissen erwachsende Monopolstellung der O.H.L. hinsichtlich der Beur-
teilung der Kriegslage in ihrer ganzen Schwere. Vielleicht wäre es
gut gewesen, die Armeeführer darüber zu hören, wie sie über die
Möglichkeit einer weiteren schrittweisen Verteidigung dächten. Noch
aber war die Sonderstellung der O.H.L. hinsichtlich der Beurteilung
der Lage so unbestritten, daß niemand sich zu einer derartigen For-
derung entschloß, auch nicht der Staatssekretär v. Hintze, der von dem
Ernst der Lage so betroffen war, daß er es für unrichtig hielt, die bei-
den großen Heerführer mit Fragen zu behelligen, „wo jede Stunde
Verzuges Gefahr bedeutete."
Wie schwer es den Männern der O.H.L. geworden ist, den Krieg
in der geschilderten Form verloren zu geben, zeigte sich deutlich bei
einer Versammlung der Abteilungchefs im Großen Hauptquartier,
denen Ludendorff am 29. September, abends 10 Uhr, mitteilte, was
an diesem Tage geschehen und beschlossen war. Für den Westen seien
Reserven nicht mehr verfügbar. Angesichts der ernsten Kämpfe würde
er sich wie ein Hazardspieler vorkommen, wenn er nicht auf die bal-
digste Beendigung des Krieges durch einen Waffenstillstand drängte.
Dies sei geschehen. Im völligen Einvernehmen mit dem Generalfeld-
marschall sei er zu diesem Ergebnis gekommen. Run handele es sich
um die Bildung eines Ministeriums auf breiter Grundlage; Graf
Roedern sei mit Vorbesprechungen hierfür beauftragt worden. Ge-
neral Ludendorff sprach sehr ruhig. Die Zuhörer wußten, „daß der
Weg zu dieser Ruhe durch wochenlange schwerste Seelenkämpse ge-
gangen war."
Der 29. September 1918 bildet mit dem schwarzen Tage des
8. August das verhängnisvollste Datum des Weltkrieges. Der Glaube
an eine siegreiche Beendigung des Krieges war endgültig zerstört.
Durch den Rücktritt des Reichskanzlers Grafen Hertling aber entstand
eine unerträgliche Lücke. In der wichtigsten und schwersten Stunde
des ganzen Krieges fehlte der verantwortliche Rat eines Staatsman-
nes von anerkannter Autorität. Ein neuer Reichskanzler mußte erst
gesucht werden; der Staatssekretär des Äußeren führte aber die
Außenpolitik nur nach den Weisungen des Reichskanzlers. Hintze
selbst hatte sein Amt erst vor etwa zwei Monaten übernommen. Auf
ihm lastete die ganze Schwere der von der O.H.L. bekundeten Über-
126
Das Herbeirufen der Politik
zeugung, daß die Lage sofortige Schritte erfordere. So fehlten in der
entscheidendsten Stunde des Deutschen Reiches für den von der O.H.L.
geforderten Entschluß alle Gegengewichte. Der Kaiser entschied sich
im Sinne der O.H.L. und des Staatssekretärs v. Hintze; dieser nannte
der O.H.L. unter anfänglicher Unterschätzung der bevorstehenden in-
nerpolitischen Schwierigkeiten Dienstage 1. Oktober, als Termin für
das Zustandekommen der neuen Regierung und erzeugte bei Luden-
dorff die feste Annahme, daß an diesem Tage das Waffenstillstands-
angebot an die Feinde hinausgehen könne.
In seiner bereits mehrfach erwähnten Aufzeichnung vom 31. Ok-
tober 1918 hat sich Ludendorff selbst dahin geäußert, daß er den Ter-
min zur Absendung der Rote fallen gelassen haben würde, wenn er
die Verhältnisse klarer hätte übersehen und die Schwierigkeiten klarer
hätte erkennen können, die sich der Bildung der neuen Regierung ent-
gegenstellten. „Es kam hinzu", erklärt Ludendorff in seiner Aufzeich-
nung, „daß die Männer, die in die neue Regierung traten, den Krieg
und viele neueren Zusammenhänge nicht kannten, und daß im beson-
deren der Leiter des Auswärtigen Amtes nicht zu den Männern ge-
hörte, die die Geschichte meistern." Sicherlich wäre es bester gewesen,
wenn General Ludendorff den starken Widerstand gegen seine For-
derung schon am 29. September sich gegenüber gefunden hätte, den
später Prinz Max geltend zu machen suchte, als es leider schon zu
spät war.
Der 30. September.
Run galt es, einen Reichskanzler zu finden, der Mut und Vater-
landsliebe genug besaß, um in diesem hoffnungslosesten Augenblick
die Führung des Reichsschiffes zu übernehmen. Die Wahl fiel nach
dem Vorschlage des Vizekanzlers v. Payer auf den Prinzen Max von
Baden. Payer war auf das Äußerste bestürzt, als bald nach der An-
kunft des Sonderzuges aus Spa am 30. September morgens die
Staatssekretäre v. Hintze und Graf Roedern ihm über die Vorgänge
in Spa berichteten. Bis dahin hatte er immer noch geglaubt, es werde
uns so lange möglich sein, in einem Defensivkriege durchzuhalten, bis
eine Friedensmöglichkeit gegeben sei. Zweifel an der Möglichkeit eines
Endsieges hatte er schon seit Monaten gehegt, konnte sich aber „für
die Beurteilung der militärischen Seite dieser Frage nicht für zustän-
diger erachten als die O.H.L." Eine militärische Niederlage oder gar
einen militärischen Zusammenbruch hatte er immer für ausgeschlossen
gehalten. Das Schlimmste, was ihm vorschwebte, war, daß wir keine
weitere Offensive mehr unternehmen könnten.
Es war für Hintze nicht leicht, Payer zur Teilnahme an der Bil-
dung der neuen Regierung zu bewegen, die sich als recht schwierig her-
Der 30. September 127
ausstellte. Personalfragen traten in den Vordergrund, und eine höchst
unerfreuliche parteipolitische Jagd nach Ämtern setzte ein.
Vom Standpunkte der O.H.L. gesehen war es richtig, alles nur
irgend Mögliche für die Beschleunigung der Regierungsbildung zu
tun. Am 30. September vormittags rief Ludendorff den Leiter der
militärischen Stelle im Auswärtigen Amt, Oberst v. Haeften, an,
teilte ihm die schwerwiegenden Entschlüsse vom 29. September mit
und ersuchte ihn, in Berlin alles daranzusetzen, um die Regierung
zum schnellen und energischen Handeln zu veranlassen. Er wolle zwar
hiermit nicht drängen, jeder Tag des Zögerns und der Untätigkeit
aber könne verhängnisvoll werden. Auf den Staatssekretär v. Hintze
sollte Haeften in dem Sinne einzuwirken suchen, daß er noch weiter
im Amte bliebe und die Einleitung des Friedensschrittes durchführte.
Hintze wollte indes hierauf nicht eingehen. Dem Obersten v. Haeften
erklärte er am Nachmittage des 30. September, die neue Regierung
werde spätestens am 1. Oktober nachmittags gebildet sein, und dann
könne das Friedensangebot abends abgehen. Der verhängnisvolle
Termin des 1. Oktober, den Hintze schon in Spa dem General Luden-
dorff genannt hatte, wurde damit nochmals bestätigt. Haeften äußerte
sofort seine Zweifel an der Möglichkeit der Einhaltung dieses Zeit-
punktes.
Als Oberst v. Haeften am 30. September abends mit dem Vize-
kanzler v. Payer über die neue Regierungsbildung sprach, bezeichnete
dieser den Prinzen Max von Baden als die einzige Persönlichkeit, die
in dieser schwierigen Lage die Unterstützung der parlamentarischen
Mehrheit finden würde. Er bat den Obersten, die Zustimmung Hin-
denburgs und Ludendorffs zu der Kandidatur des Prinzen Max zu
erwirken. Wieder sprach sich hierin eine gewisse Abhängigkeit aus, in
der sich die politische Leitung gegenüber der militärischen befand.
Beide Generale stimmten zu, und Haeften wurde beauftragt, den am
1. Oktober morgens in Berlin eintreffenden Chef des Zivilkabinetts
v. Berg davon zu verständigen. Herr v. Berg, der dieser Kandidatur
in Spa lebhaft widersprochen hatte, gab daraufhin dem Obersten
v. Haeften die Ermächtigung, den damals in Dessau weilenden Prin-
zen Max von Baden telephonisch nach Berlin zu bitten. Der Prinz
teilte seine Ankunft für den Nachmittag mit.
Inzwischen hatte Gras Roedern alle für die Vorbereitung der
Friedensfrage in Betracht kommenden Regierungsstellen verständigt
und dem Vizekanzler v. Payer den Auftrag übermittelt, die Bildung
der neuen Regierung vorzubereiten. Für seine Tätigkeit war die Tat-
sache bestimmend, „daß die beiden zur Beratung des Herrschers in der
wichtigsten militärpolitischen Frage des Krieges berufenen Organe
des Reiches, nämlich der Leiter der auswärtigen Politik und die
O.H.L., über den einzuschlagenden Weg sich völlig geeinigt hatten, so-
128
Das Herbeirufen der Politik
dann der Umstand, daß die Entscheidung der nach der Reichsverfas-
sung über die Frage von Krieg und Frieden allein zuständigen Stelle,
Seiner Majestät des Kaisers, bereits am Morgen des 29. September
getroffen war, schließlich aber nicht zum wenigsten die bestimmte
Empfindung, daß durch die auf Grund dieser Entscheidung ergangene
Mitteilung ihres Inhalts an die Bundesgenossen die Kugel bereits
aus dem Lauf gelassen war, und daß ein Abgehen von dem damit ein-
geschlagenen Wege an der Wirkung nicht mehr viel ändern konnte."
Wie General Ludendorff am Morgen des 30. September über
die Lage dachte, zeigt eine Besprechung, die er zu dieser Zeit mit den
drei deutschen Militärbevollmächtigten im Großen Hauptquartier
hatte. Nach den darüber vorliegenden Aufzeichnungen des sächsischen
Militärbevollmächtigten Generals v. Eulitz, hatte er in den Vorder-
grund gerückt, daß die Kriegführung auf der Westfront jetzt in erster
Linie wegen der Wirkung der Tanks den Charakter eines Glücksspiels
angenommen habe; die O.H.L. könne nicht mehr mit sicheren Fakto-
ren rechnen. Nach den Ereignissen in Bulgarien und bei der Unmög-
lichkeit, die Lage an der Westfront durch eine Offensive wiederherzu-
stellen, sei die Beendigung der Feindseligkeiten geboten. Der Oberste
Kriegsherr habe befohlen, daß der Reichskanzler und die deutsche aus-
wärtige Politik der Auffassung der O.H.L. Rechnung zu tragen hät-
ten. Ludendorff schloß mit den Worten: „Die Lage ist ernst. Sie er-
fordert einen ganzen Entschluß. Der Generalfeldmarschall und ich
haben unseren Entschluß mit voller Überlegung, nicht im Affekt,
pflichtgemäß gefaßt." Damit übernahm die O.H.L. die völlige sach-
liche Verantwortung für ihr Verhalten am 29. September. Die
politische und formelle Verantwortlichkeit für die gefaßten
Entschlüsse war nunmehr auf den Obersten Kriegsherrn übergegan-
gen, der sich die Auffassung der O.H.L. fast widerspruchslos zu eigen
gemacht hatte. Die wichtige und im Frieden voll verantwortliche
Stelle des Reichskanzlers aber war zur Zeit nicht besetzt.
Für die Darstellung der Ereignisse in den nächsten Tagen scheint
es geboten, sie tageweise in ihrem historischen Ablauf zu schildern.
Der 1. Oktober.
Der 1. Oktober war der zwischen Ludendorff und Hintze verein-
barte Tag des Friedensschrittes zu Wilson. Von einer Bildung der
Regierung an diesem Tage war aber noch keine Rede. Hierüber sprach
Ludendorff telephonisch mit dem in Berlin weilenden Major Frhr.
v. dem Bussche und befahl ihm, „in seinem Aufträge auf den die Ge-
schäfte führenden Vizekanzler v. Payer einen Druck dahin auszuüben,
daß das Friedensangebot schleunigst erfolge;" nachdem die O.H.L. die-
sen schweren Entschluß einmal gefaßt habe, müsse sie darauf bestehen,
Der 1. Oktober
daß keine Zeit verloren werde. Auf Bussches Einwendung, daß die
Bildung der Regierung gewisse Zeit erfordere, hieß es: „Dann müssen
wir darauf drücken, daß die Herren in Berlin sich beeilen und sich
einigen."
Als Major Frhr. v. dem Bussche dem Vizekanzler seinen Auf-
trag ausrichtete, wies dieser nochmals auf die großen noch zu über-
windenden Schwierigkeiten hin: der kommende Reichskanzler sei noch
nicht ernannt, ein Kabinett noch nicht gebildet und somit noch nie-
mand da, der das Friedensangebot unterschreiben könne. Bussche
möge bei der O.H.L. anfragen, ob die Herausgabe dieses Angebots
nicht noch hinausgezögert werden könne. Der Offizier richtete seine
Anfrage telephonisch aus, worauf ihm der noch in Spa befindliche
Feldmarschall auf Ludendorffs Antrag folgende, für den Vizekanzler
v. Payer bestimmte Weisung gab: „Wenn bis heute. 7—8 Uhr Sicher-
heit vorhanden ist, daß Prinz Max von Baden die Regierung bildet,
so bin ich mit dem Aufschub bis morgen vormittag einverstanden.
Sollte dagegen die Bildung der Regierung irgendwie zweifelhaft sein,
so halte ich die Ausgabe des Friedensangebotes an die fremden Re-
gierungen heute nacht für geboten, gez. v. Hindenburg."
Diese Mitteilung der O.H.L. übergab Major Frhr. v. dem Bus-
sche am 1. Oktober 2 Uhr nachm, dem Vizekanzler v. Payer. Rach sei-
ner Ansicht verfolgte das Telegramm „lediglich den Zweck, auf die
Minister und Parteien immer wieder zu drücken, ihre eigenen und die
Parteiinteressen zurückzustellen und den großen Interessen des Hee-
res und des Vaterlandes unterzuordnen." In Berlin konnte es aber
nach allem, was vorhergegangen war, nur als eine Verstärkung der
von der O.H.L. in Spa gegebenen Erklärungen gewertet werden, daß
die Lage an der Front ein sofortiges Waffenstillstandsangebot nötig
mache.
Mit dem Erscheinen des Prinzen Max von Baden in Berlin be-
ginnt eine neue Epoche. Bisher hatte die O.H.L., gestützt auf ihr wohl-
verdientes hohes Ansehen und auf die militärische Kraft, den Gang
der Dinge eindeutig bestimmt. Mit den Erklärungen vom 29. Sep-
tember hatte sie sich auf einen völlig neuen Weg begeben. An die
Stelle der Macht sollte die Idee treten. Durch Verhandlungen sollte
nunmehr erreicht werden, was mit den Waffen nicht hatte erzwungen
werden können. Prinz Max von Baden aber schien die geeignete Per-
sönlichkeit, um seinen weit über die Grenzen Deutschlands hinaus be-
kannten Namen dafür einzusetzen, daß jetzt ein neuer Geist in Deutsch-
land herrsche, ein Geist, der es möglich machen würde, die von Wilson
der Welt verkündeten Gedankengänge weiterzuspinnen.
Schon frühzeitig hatte Prinz Max von Baden, der nach mensch-
licher Voraussetzung der Nachfolger des Großherzogs Friedrich von
Schwertfeger, Das Weltkriegsenöe 9
130
Das Herbeirufen der Politik
Baden und damit der Erbe des schönen badischen Landes hätte werden
müssen, es erkannt, welche schweren Gefahren unserem deutschen Va-
terlande drohten, falls es nicht siegreich aus dem Kampfe hervorging.
Nach seiner Auffassung bildete der Eintritt Amerikas in den Krieg
für Deutschland das Warnungssignal, den Kriegszustand zu beenden,
solange wir militärisch noch ungebrochen dastanden. AIs er am
1. Oktober, 4 Uhr nachmittags, in Berlin ankam, empfing ihn Oberst
v. Haeften und klärte ihn über die Lage auf. Der Prinz war völlig
überrascht. Er war in dem Gedanken nach Berlin gekommen, noch
völlige Freiheit des politischen Handelns zu haben, und sah das Waf-
fenstillstandsangebot als verhängnisvoll und überstürzt an. Jetzt ent-
nahm er aus dem Telegramm der O.H.L., daß die Ausgabe des Frie-
densangebotes noch in der Nacht vom 1./2. Oktober gefordert wurde,
falls nicht bis 8 Uhr abends Sicherheit vorhanden wäre, daß er, Prinz
Max, die Regierung bilde.
Inzwischen waren noch zwei weitere Telegramme in Berlin
eingegangen, die den Eindruck des Ernstes der Lage noch verstärk-
ten. Das eine war vom Legationsrat Frhr. v. Lersner an das Aus-
wärtige Amt gerichtet worden und enthielt den Satz: „General Lu-
dendorff bat soeben Frhrn. v. Grünau und mich in Gegenwart von
Oberst Heye, Euer Exzellenz seine dringende Bitte zu übermitteln,
daß unser Friedensangebot sofort hinausgeht. Heute halte die Trup-
pe; was morgen geschehen könne, sei nicht vorauszusehen."
Eine Stunde später sandte der zum Kaiser befehligte Wirkliche
Legationsrat Frhr. v. Grünau ein weiteres Telegramm an das Aus-
wärtige Amt, das folgendermaßen lautete:
„Großes Hauptquartier, den 1. Oktober 1918*°
(abgegangen 2 Uhr nachm.)
Dringend. Geheim.
General Ludendorff sagte mir eben in Gegenwart von Oberst
Heye und Lersner, Euerer Exzellenz seine dringende Bitte zu
übermitteln, das Friedensangebot sofort hinausgehen zu lassen
und damit nicht erst bis zur Bildung der neuen Regierung zu
warten, die sich verzögern könne.
Heute hielte die Truppe noch und wir seien noch in einer wür-
digen Lage, es könne aber jeden Augenblick ein Durchbruch erfol-
gen und dann käme unser Angebot im allerungünstigsten Moment.
Er käme sich vor wie ein Hasardspieler, und es könnte jederzeir ir-
gendwo eine Division versagen.
20 Dieses Telegramm wird weiter unten wiederholt als das Telegramm
vom 1. Oktober 1 Uhr 30 Nachmittags bezeichnet.
Der 1. Oktober
131
Ich habe den Eindruck, daß man hier völlig die Nerven ver-
loren hat, und möchte glauben, daß wir schlimmstenfalls nach
außen hin den Schritt mit der Haltung Bulgariens begründen
können. gez. Grünau."
Prinz Max, der am Nachmittage und Abend des 1. Oktober mit
allen in Betracht kommenden Persönlichkeiten Berlins Besprechungen
hatte, konnte keinen anderen Eindruck gewinnen als den, es komme
aus Rücksicht auf die bedrohte Lage der Armee nunmehr auf jede
Stunde an. In einer Besprechung mit Payer, Hintze und Graf Roe-
dern am Abend, an der auch Major Frhr. v. dem Bussche teilnahm,
fragte der Prinz den Major, ob das Angebot wirklich so bald heraus-
gehen müsse, was Bussche bejahte. Der Prinz wollte nur ein Frie-
dens-, aber kein Waffenstillstandsangebot machen, fand aber nicht die
Zustimmung der anwesenden Minister. Immerhin schien es möglich,
die Note an Wilson noch am 2. Oktober abgehen zu lassen. Nun hatte
aber der Großherzog von Baden seine Zustimmung zur Annahme der
Kanzlerschaft durch den Prinzen Max noch nicht erteilt. Major Frhr.
v. dem Bussche schlug vor, diese Angelegenheit telephonisch zu erle-
digen und das Große Hauptquartier um die Vermittlung zu ersuchen.
So geschah es: der Sonderzug des auf der Fahrt nach Berlin befind-
lichen Kaisers wurde auf dem Hauptbahnhof in Köln angehalten, eine
Verbindung des dem Fuge angehängten Telegraphenwagens mit dem
Karlsruher Schloß hergestellt, und um Mitternacht war die Zustim-
mung des Kaisers und des Großherzogs zur Ernennung des Prinzen
Max in Berlin bekannt. Auch die Eile dieses Vorganges verstärkte
den Eindruck der Dringlichkeit, der noch dadurch unterstrichen wurde,
daß Oberst v. Haeften telephonisch gegen 12 Ilhr nachts vom General
Ludendorff die Aufforderung erhielt, den Prinzen noch in der Nacht
zur Unterzeichnung zu veranlassen. Haeften versprach, am nächsten
Morgen früh einen Versuch in dem von General Ludendorff ge-
wünschten Sinne machen zu wollen, äußerte aber gleich seine Zweifel
daran, daß der Prinz darauf eingehen würde, da er noch gar nicht
mit den politischen Parteien verhandelt hatte.
Staatssekretär v. Hintze hatte inzwischen auf die beiden ihm zu-
gegangenen Telegramme der Herren v. Lersner und v. Grünau um
7 Uhr abends telegraphisch geantwortet, die Bildung der neuen Re-
gierung werde voraussichtlich noch 1. Oktober nachts erfolgen, dann
könne das Angebot sofort in derselben Nacht hinausgehen. Er fügte
hinzu: „Militärische Lage ist stärkstes Druckmittel gegenüber unsinni-
gen und anspruchsvollen Parteien." Hintze fühlte sich durchaus als
Sachwalter des Wunsches der O.H.L. und bezeichnete daher die mili-
tärische Lage als Druckmittel für ein schnelles Handeln in Berlin.
132
Das Herbeirufen der Politik
Immer in demselben Gedankengange, schnell zu einer verhand-
lungsfähigen Regierung zu gelangen, sprach General Ludendorff am
1. Oktober abends nochmals mit Herrn v. Lersner und erkundigte sich
nach der telegraphischen Verbindung Berlin-Bern-Washington, da-
mit auch hier alles vorbereitet werde. Die Auswirkung dieser Unter-
redung mit Lersner zeigt sich in folgendem Telegramm:
„Großes Hauptquartier, den 1. Oktober 1918
An das Auswärtige Amt,
(Aufgegeben 2.10.12 Uhr 10 vorm., angekommen: 12 Uhr 30 vorm.)
General Ludendorff erklärte mir, daß unser Angebot von
Bern aus sofort nach Washington weitergehen müsse. 48 Stun-
den k ö n n e die Armee nicht noch warten. Er (bäte) Euere Exzel-
lenz dringendst, alles zu tun, damit das Angebot auf allerschnellste
Weise durchkäme.
Ich wies deutlich darauf hin, daß der Feind trotz aller Be-
schleunigung kaum vor Ablauf einer Woche antworten werde. Der
General betonte, daß alles darauf ankäme, daß das Angebot späte-
stens Mittwoch nacht oder Donnerstag früh in Händen der En-
tente sei, und bittet Euere Exzellenz, alle Hebel dafür in Bewe-
gung zu setzen. Er glaube, daß zur Beschleunigung vielleicht die
Rote von der schweizerischen Regierung durch Funkspruch von
Rauen an den Adressaten mit Schweizer Chiffre gegeben werden
könne. gez. Lersner."
Ludendorff rechnete also mit dem Eintreffen des Angebots in
Washington spätestens in der Nacht vom 2./3. Oktober oder am 3. Ok-
tober früh. Sollte dies erreicht werden, so war allerdings größte Eile
geboten. Besonders beunruhigend wirkte der Ausdruck, daß die Ar-
mee nicht noch 48 Stunden warten könne. Vielleicht lag hier ein Miß-
verständnis vor, indem unter der Armee vielleicht die O.H.L. im
Gegensatz zur politischen Leitung verstanden wurde. Es zeigte sich
wieder einmal, wie ungünstig es ist, wenn wichtige Aussprachen auf
telegraphischem Wege stattfinden müssen. Der mißverständliche Sinn
des Satzes: „Die Armee könne nicht noch 48 Stunden warten" hätte
mündlich mit wenigen Worten klargestellt werden können.
Der 2. Oktober.
Prinz Max von Baden sah sich vor die schwerste Entscheidung
seines Lebens gestellt. Sollte er die Berufung annehmen oder ableh-
nen? Er war nach Berlin gekommen in der Auffassung, noch völlige
Freiheit des politischen Handelns zu haben. Jetzt sollte er seinen gu-
ten Namen für einen Schritt hergeben, den er für verfehlt hielt. Nicht
Der 2. Oktober
133
mehr um Sieg, nicht einmal um einen erträglichen Abschluß des Welt-
krieges konnte es sich für ihn handeln. Als Angehöriger eines alten
Fürstengeschlechts, als Thronfolger eines deutschen Landes und als
General der alten Armee sollte er nunmehr bereits gefaßte, also un-
abänderliche Entschlüsse ausführen. Nur ein ganz außergewöhnliches
Maß von Vaterlandsliebe und persönlicher Selbstentäußerung konnte
ihn dazu bewegen, einen solchen Posten in solcher Zeit anzunehmen.
Vielleicht aber blieb noch der Weg der Völkerversöhnung im Geiste der
Wilsonschen Punkte. In diesem Sinne konnte Prinz Max allenfalls
hoffen, auf Grund früher gehaltener Reden und seiner bisherigen
der Kriegsgefangenenfürsorge gewidmeten Tätigkeit seinen Namen er-
folgreich für Deutschland einsetzen zu können. In jedem Falle brachte
er der Sache das schwerste Opfer, was einem Manne seiner Herkunft
zugemutet werden konnte. Er tat es, obwohl er sich sagen mußte, daß
er im Falle des Mißerfolges voraussichtlich mit der vollen Schuld
daran belastet werden würde. Mit gebundener Marschrichtung über-
nahm er das Kanzleramt. Er hat schweren Undank dafür geerntet.
Auch General Ludendorff hat die Schwierigkeit der Lage des
Prinzen Max anerkannt. In seiner Schrift „Das Friedens- und Waf-
feiistillstandsangebot" (S. 47) heißt es von ihm: „Er kam plötzlich in
eine der kritischsten Lagen, in die je ein Staatsmann berufen worden
ist. Er mußte vollständig umdenken. Er hatte geglaubt, daß die Welt
reif sei für Versöhnung und Verständigung. Mit diesen Schlagworten
wollte er arbeiten. Er sträubte sich, der rauhen Wirklichkeit Rechnung
zu tragen. Er kannte anscheinend nicht die Vorgänge vom 29. Sep-
tember und sah in allem nur ein plötzliches Drängen der O.H.L., zu-
mal in dem Telegramm vom 1. Oktober 1 Uhr 30 nachmittags" *\
Aus allen Mitteilungen, die ihm von den Teilnehmern der Be-
sprechungen im Großen Hauptquartier gemacht wurden, mußte Prinz
Max entnehmen, daß der Druck der militärischen Lage am 29. Sep-
tember sehr stark gewesen war. Das Telegramm vom 1. Oktober
1 Uhr 30 nachmittags aber konnte nicht anders gedeutet werden, als
daß dieser Druck auch jetzt noch unvermindert fortbestand.
Als Oberst v. Haeften am 2. Oktober 8 Uhr vormittags dem
Prinzen die Zustimmung des Großherzogs von Baden zur Annahme
der Kanzlerschaft und die Bitte Ludendorffs vortrug, das Angebot
sofort zu unterzeichnen, konnte sich der Prinz dazu noch nicht entschlie-
ßen, da noch wichtige Besprechungen bevorstanden und er nicht unter-
zeichnen wollte, ehe er nicht mit den Führern der politischen Parteien
gesprochen hatte. Haeften begab sich darauf zu einer für 9 Uhr vor-
mittags vom Vizekanzler v. Payer angesetzten Zusammenkunft der
Parteiführer, bei der Major Frhr. v. dem Bussche über die militä-
21 Siehe oben S. 130, Anm. 1.
134
Das Herbeirufen der Politik
rische Lage sprechen sollte. Leider haben sich unter diesen Parlamen-
tariern auch der Pole Seyda und der Unabhängige Sozialdemokrat
Hause befunden. Die Deutschpolen besaßen eine direkte Verbindung
nach Paris über Stockholm, die U-Sozialisten verfügten über Verbin-
dungen nach Rußland. Es mußte damit gerechnet werden, daß die
Mitteilungen des Majors Frhr. v. dem Bussche binnen kurzer Zeit
in Paris und Moskau bekannt wurden. Haeften konnte leider als
Nichtpolitiker dem Vortrage selbst nicht beiwohnen und auf diese
Weise die Anwesenheit der Abgeordneten Seyda und Haase nicht
verhindern.
Der Vortrag des Majors Frhr. v. dem Bussche fand an der Hand
einer schriftlichen Ausarbeitung statt, die vor seiner Abreise aus Spa
mit General Ludendorff gründlich überlegt worden war. Es waren
anwesend die Herren: Graf Westarp, v. Gamp, Stresemann, Gröber,
v. Seyda, Ebert und Haase. Bussche ging davon aus, daß der Zusam-
menbruch der bulgarischen Front unsere Pläne über den Haufen ge-
worfen habe. Es bestehe begründete Hoffnung, die Lage auf dem Bal-
kan wiederherzustellen, soweit es für unsere Interessen nötig sei, leider
aber nicht ohne schwerwiegenden Schaden für die Gesamtlage. Im
Westen seien wir gezwungen gewesen, unsere Reserven zu verteilen
und die ganze Front mehr oder weniger abwehrbereit zu halten.
„Unsere Truppen haben sich in überwiegender Zahl vortrefflich ge-
schlagen und Übermenschliches geleistet. Der alte Heldensinn ist nicht
verloren gegangen. Die feindliche Übermacht hatte die Truppe nicht
erschreckt. Offizier und Mann wetteiferten miteinander. Trotzdem
mußte die O.H.L. den ungeheuer schweren Entschluß fassen, zu er-
klären, daß nach menschlichem Ermessen keine Aussicht mehr besteht,
dem Feinde den Frieden aufzuzwingen." Hierfür seien zwei Tat-
sachen entscheidend geworden, die Tanks, denen wir gleiche Massen
entgegenzustellen nicht in der Lage waren, und die Ersatzlage. „Run
gehen unsere Reserven zu Ende. Greift der Gegner weiter an, so kann
es die Lage fordern, daß wir auf großen Frontstrecken kämpfend aus-
weichen. Wir können auf diese Art den Krieg noch auf absehbare
Zeit weiterführen, dem Gegner schwere Verluste beibringen, verwü-
stetes Land hinterlassen, gewinnen können wir damit nicht mehr....
Roch ist das deutsche Heer stark genug, um den Gegner monatelang
aufzuhalten, örtliche Erfolge zu erringen und die Entente vor neue
Opfer zu stellen. Aber jeder Tag weiter bringt dem Gegner seinen
Zielen näher und wird ihn weniger geneigt machen, mit uns einen für
uns erträglichen Frieden zu schließen. Deshalb darf keine Zeit verloren
gehen. Jede 24 Stunden könne die Lage verschlechtern und dem Geg-
ner Gelegenheit geben, unsere augenblickliche Schwäche klar zu erken-
nen. Das könnte die unheilvollsten Folgen für die Friedensaussichten
Schwäche erkennen lasse. „Gleichzeitig mit dem Friedensangebot muß
eine geschloffene Front in der Heimat erstehen, die erkennen läßt, daß
der unbeugsame Wille besteht, den Krieg fortzusetzen, wenn der Feind
uns keinen Frieden oder nur einen demütigenden Frieden geben will.
Sollte dieser Fall eintreten, dann wird das Durchhalten des Heeres
entscheidend von der festen Haltung der Heimat und dem Geist, der
aus der Heimat zum Heere dringt, abhängen."
Bussches Vortrag hat auf die Parteiführer sehr stark gewirkt.
Auf einen derartigen Stand der Dinge war keiner von ihnen vorbe-
reitet. Wenige Stunden bereits nach dem Vortrage liefen in Berlin
unter Berufung auf Bussches Vortrag die ungeheuerlichsten Gerüchte
um. Die weitere Entwicklung der Dinge im Oktober und November
1918 ist von diesen Tatsachen auf das Stärkste beeinflußt worden.
Über den Vortrag des Majors Frhr. v. dem Bussche hat sich auch
Ludendorff in seiner Aufzeichnung vom 31. Oktober 1918 geäußert.
Er geht davon aus, daß der deutschen Sache aus der Nichtgeheimhal-
tung der Darlegungen schwerer Schaden erwachsen sei, und fährt dann
fort: „Der Vortrag von Major v. dem Bussche war militärisch durch-
aus sachlich. Der Soldat, der seit vier Jahren den schwersten Kampf
mit ungenügenden Mitteln durchzukämpfen hat, ist gegen Gefahren
abgehärteter als ein Mann, der plötzlich Gefahren zu sehen bekommt,
die er bisher nicht kannte. Plötzliche Schwierigkeiten packen naturge-
mäß mehr. Tatsächlich scheint der Vortrag des Majors v. dem Bussche
die Herren vollständig überraschend getroffen zu haben. Irgend eine
Aufklärung über unsere Ansichten vom August hatte nicht stattgefun-
den. Nur so kann ich mir erklären, daß der Vortrag des Majors v. dem
Bussche tatsächlich niederschmetternd gewirkt hat, und daß unsere
Lage noch ernster angesehen wurde, als sie schon war."
Im Laufe des Nachmittags trafen der Kaiser und der Feldmar-
schall in Berlin ein, während General Ludendorff leider im Großen
Hauptquartier zurückgeblieben war, so daß ihm nur der Weg der
telephonischen Verständigung mit Berlin übrig blieb. So konnte er
seinen Leitgedanken, daß die 14 Punkte Wilsons nur als Grundlage
für die Friedensbesprechung dienen, nicht aber als vom Feinde auf-
erlegte Bedingungen gelten sollten, nur telephonisch durch Vermitt-
lung des Majors v. dem Bussche betonen. Durch ihn ließ er
den Vizekanzler v. Payer bitten, die an Wilson zu richtende Note vor-
her nach Spa mitzuteilen, und übermittelte nachmittags selbst einen
Entwurf hierfür.
Die Besprechungen des Prinzen Max von Baden mit den Partei-
führern hatten inzwischen im Laufe des Tages zur Feststellung eines
136
Das Herbeirufen der Politik
Programms geführt, das der Genehmigung des Kaisers unterbreitet
werden sollte. Nur ihm stand verfassungsgemäß die Gesamtentschei-
dung zu.
Um 6 Uhr abends hat im Reichskanzlerpalais die entscheidende
Besprechung unter Vorsitz des Kaisers stattgefunden. Der Feldmar-
schall, Vizekanzler v. Payer, Hintze und andere Persönlichkeiten waren
zugegen. Ein Protokoll liegt nicht vor, doch steht fest, daß über die neu
in die Regierung aufzunehmenden Männer, über das Woffenstill-
standsangebot und über die Fassung der an Wilson zu richtenden Rote
beraten worden ist. Der Vizekanzler berichtete über die bisher gepflo-
genen Verhandlungen und machte seine Vorschläge, worauf sich Prinz
Max zur Übernahme der Kanzlerschaft bereit erklärte und zu Payers
Vorschlägen Stellung nahm. Der Kaiser war im wesentlichen einver-
standen, trat aber dem dringend geltend gemachten Wunsche des Prin-
zen, das Waffenstillstandsangebot nicht abgehen zu lassen, nicht bei.
Mit aller Bestimmtheit erklärte er, daß man der für die Beurteilung
der Lage allein zuständigen O.H.L. in dieser Frage keine Schwierig-
keiten machen dürfe. Wörtlich soll der Kaiser gesagt haben: „Die
Oberste Heeresleitung hält es für nötig, und Du bist nicht hierher ge-
kommen, um der Obersten Heeresleitung Schwierigkeiten zu machen."
Damit übernahm er als Oberster Kriegsherr in dieser entscheidenden
Frage die volle persönliche Verantwortung für die Absendung des
Waffenstillstandsangebots.
Bis in die Nacht hinein fanden dann noch Besprechungen im
Reichskanzlerpalais statt. Sämtliche Männer der alten Regierung,
außer Staatssekretär Sols, vertraten dem Prinzen gegenüber die Not-
wendigkeit der Absendung der Note.
Auch die Mitglieder des Bundesrats waren auf ihren Wunsch
durch den Vizekanzler v. Payer am Nachmittag genau über die Lage
unterrichtet worden. Sie waren „aufs äußerste bestürzt und de-
primiert."
Der 3. Oktober.
Durch den Kronrat am 2. Oktober, 6 Uhr abends, war die Ent-
scheidung über das Waffenstillstandsangebot gefallen. Prinz Max
von Baden wollte indes diesen Schritt nicht mit seinem Namen decken,
ohne die militärischen Grundlagen dieses Entschlusses vorher noch
einmal genau festzulegen. Es war ihm völlig klar, daß das Ersuchen
um Frieden und Waffenstillstand mit der von der O.H.L. geforderten
Eile Deutschlands Lage gegenüber der Entente sehr ungünstig beein-
flussen mußte, und daß für diesen Schritt eine politische Verantwor-
tung nur dann übernommen werden konnte, wenn die nur von der
O.H.L. zu beurteilende militärische Lage einen anderen Weg nicht
mehr gestattete. Bis jetzt hatte niemand, weder in Spa am 29. Sep-
Der 3. Oktober
137
tember noch bei den späteren Erörterungen, den Heerführern die
Größe der Verantwortung vor Augen gestellt. Dies geschah nunmehr
am 3. Oktober vormittags in einem Gespräch unter vier Augen, das
Prinz Max mit dem Feldmarschall v. Hindenburg herbeiführte. Er
hatte seine Bedenken in einer „Verbalnote" zusammengefaßt, die er
dem Feldmarschall vorlas. Ihr Inhalt war, daß der Prinz ein sofor-
tiges Waffenstillstandsangebot für unwirksam und schädlich hielt, da
es in der ganzen Welt als das Eingeständnis der deutschen Niederlage
wirken müsse und den Chauvinismus in Feindesland vielleicht so
stärken könne, daß Wilson dagegen machtlos wurde. Auch stand zu
befürchten, daß die ganze friedensfördernde Wirkung der neuen Re-
gierungsbildung unter der Sensation des Waffenstillstandsangebotes
verloren ging. Prinz Max wollte ein genaues Kriegszielprogramm in
„enger, aber nicht würdeloser Anlehnung" an die Wilsonpunkte ver-
künden und alle kriegführenden Mächte auffordern, auf dieser
Grundlage zu verhandeln. Diese Aufforderung sollte durch eine Rede,
die er in seiner Eigenschaft als neuer Reichskanzler zu halten gedachte,
erfolgen, wobei er die psychologische Wirkung des deutschen Angebots
besser abstimmen konnte als in einer diplomatischen Note.
Die dem Feldmarschall vorgelesene Erklärung schloß mit den
Worten: „Nur unter einer Voraussetzung bin ich bereit, mich für ein
sofortiges Absenden einer Note, aber allerdings nicht an Wilson, son-
dern an sämtliche Feinde, zu erklären: nämlich für den Fall, daß die
O.H.L. schriftlich erklärt, — so daß ich imstande bin, diese Mitteilung
heute im Kabinett, später öffentlich weiterzugeben, — daß die mili-
tärische Lage an der Westfront eine Verzögerung der Absendung der
Note bis zu meiner Rede oder richtiger bis zum Eintreffen der Über-
mittlung der Rede am Sonnabend (5. Oktober 1918) an die Feinde
nicht mehr erträgt. Hierbei ist aber seitens der O.H.L. nur über die
militärische Lage ein Urteil abzugeben; die Frage, welcher Schritt
wirksamer ist, ob öffentliche Rede oder Note von Regierung zu Re-
gierung, ist nicht Sache des militärischen Gutachtens."
Die Antwort auf diese Verbalnote erhielt Prinz Max in einem
Briefe des Generalfeldmarschalls vom 3. Oktober. Sie war nach vor-
heriger telephonischer Rücksprache mit General Ludendorff entstanden
und wird des besseren Zusammenhanges wegen weiter unten bei Be-
antwortung der Frage 3 mitgeteilt. Im Lauf des 3. Oktober waren
nämlich dem Feldmarschall fünf Fragen zugegangen, von deren Be-
antwortung Prinz Max seine weiteren Entschlüsse abhängig machen
wollte. Auch über die anderen vier Fragen haben telephonische Be-
sprechungen mit Ludendorff stattgefunden, so daß in den am 3. Okto-
ber mündlich gegebenen Antworten und in der schriftlichen Beantwor-
tung der Frage 3 die übereinstimmende Ansicht der beiden Heerführer
zum Ausdruck gekommen ist.
138
Das Herbeirufen der Politik
Die Beantwortung der fünf Fragen erfolgte in einer Nachmit-
tagssitzung, an der unter Vorsitz des Prinzen Max der Feldmarschall
v. Hindenburg, die Staatssekretäre v. Hintze, Sols und Graf Roedern
sowie der Vizekanzler v. Payer teilnahmen. Ferner waren die Unter-
staatssekretäre W. v. Stumm, Frhr. v. dem Bussche, v. Radowitz, Oberst
v. Winterfeldt und mehrere Vortragende Räte des Auswärtigen
Amtes zugegen, seitens der O.H.L. Oberst v. Haeften und Major Frhr.
v. dem Bussche.
Mit großem Nachdruck wendete sich der Prinz zunächst gegen eine
übereilte Absendung des Angebots, und auch der Feldmarschall sah
anfangs in einer Verzögerung der Absendung nichts Bedenkliches, da
er die Lage nicht so ernst beurteilte, wie Major Frhr. v. dem Bussche
es in seinem Vortrage vor den Parlamentariern am Tage vorher ge-
tan hatte. Zwischen dem Generalfeldmarschall und dem General Lu-
dendorff bestand offenbar in der Beurteilung der Lage ein gewisser
Unterschied; letzterer dachte pessimistischer. Staatssekretär v. Hintze
hatte sich den Standpunkt Ludendorffs ganz zu eigen gemacht, wonach
keine Zeit zu verlieren sei, und fand schließlich auch die Zustimmung
des Feldmarschalls zu dieser Auffassung.
Die fünf Punkte und die darauf gegebenen Antworten sind für
die Klärung der politischen und militärischen Verantwortung von
solcher Bedeutung, daß sie hier im Wortlaut folgen müssen.
1. F r a g e: Wie lange kann die Armee den Feind noch jenseits
der deutschen Grenze halten?
Antwort: Die Frage kann nicht in derselben präzisen
Form, in der sie gestellt ist, beantwortet werden. Das Halten
hängt von vielen Faktoren ab, und auch davon, mit welcher Kraft
und welchen Mitteln der Gegner seinen Angriff fortsetzt, und wie
stch demgegenüber unsere Widerstandskraft auf die Dauer beweist.
Gegenwärtig steht das deutsche Heer fest; gezwungen wird es,
von Abschnitt zu Abschnitt, sich zäh an den feindlichen Boden
klammernd, ausweichen. Die Dauer solcher Rllckbewegung ist nicht
genau vorher zu bestimmen. Man kann aber hoffen, daß sie bis
zum nächsten Frühjahr deutsches Gebiet schützen werde.
2. F r a g e: Muß die Oberste Heeresleitung einen militärischen
Zusammenbruch erwarten und bejahendenfalls in welcher Zeit? Würde
der Zusammenbruch das Ende unserer militärischen Widerstandskraft
bedeuten?
Antwort: Die Frage ist durch die Antwort zu 1 mit be-
antwortet. An einen allgemeinen Zusammenbruch glaube ich nicht.
Das auf feindliche Einbrüche folgende ausweichende Zusammen-
Der 3. Oktober
139
ziehen der Front braucht einen Zusammenbruch nicht zur Folge
zu haben, solange noch irgendwelche Reserven vorhanden sind.
3. Frage: Ist die militärische Lage so kritisch, daß sofort eine
Aktion mit dem Ziel Waffenstillstand und Friede eingeleitet werden
muß?
Antwort: Ist durch mein Schreiben vom 3. Oktober 1918
beantwortet.
Dieses auf Grund der Verbalnote des Prinzen Max ent-
standene Schreiben lautete wörtlich:
„An den Herrn Reichskanzler.
Chef des Generalstabes des Feldheeres.
Berlin, 3. Oktober 1918.
Die Oberste Heeresleitung bleibt auf ihrer am Sonntag, den
29. September d. I., gestellten Forderung der sofortigen Heraus-
gabe des Friedensangebotes an unsere Feinde bestehen.
Infolge des Zusammenbruchs der mazedonischen Front, der
dadurch notwendig gewordenen Schwächung unserer Westreserven
und infolge der Unmöglichkeit, die in den Schlachten der letzten
Tage eingetretenen sehr erheblichen Verluste zu ergänzen, besteht
nach menschlichem Ermessen keine Aussicht mehr, dem Feinde den
Frieden aufzuzwingen.
Der Gegner seinerseits führt ständig neue frische Reserven in
die Schlacht.
Noch steht das deutsche Heer festgefügt und wehrt siegreich
alle Angriffe ab. Die Lage verschärft sich aber täglich und kann die
Oberste Heeresleitung zu schwerwiegenden Entschlüssen zwingen.
Unter diesen Umständen ist es geboten, den Kampf abzu-
brechen, um dem deutschen Volke und seinen Verbündeten nutzlose
Opfer zu ersparen. Jeder versäumte Tag kostet Tausenden von
tapferen Soldaten das Leben.
gez. v. Hindenburg, Generalfeldmarschall."
4. Frage: Für den Fall, daß die Frage zu 3 bejaht wird, ist
die Oberste Heeresleitung sich bewußt, daß die Einleitung einer Frie-
densaktion unter dem Druck der militärischen Zwangslage zum Ver-
lust deutscher Kolonien und deutschen Gebietes, namentlich Elsaß-
Lothringens und rein polnischer Kreise der östlichen Provinzen,
führen kann?
A n t wo r t: Die Oberste Heeresleitung zieht, falls es nicht
anders geht, die Aufgabe geringer, französisch sprechender Teile
Elsaß-Lothringens in Betracht. Abtretung deutschen Gebiets im
Osten kommt für sie nicht in Frage.
140
Das Herbeirufen der Politik
5. Frage: Ist die Oberste Heeresleitung mit Absendung des an-
liegenden Notenentwurfs einverstanden?
Der erwähnte Notenentwurf war dem Schreiben, das die fünf
Fragen enthielt, nicht beigefügt. Er wurde in der Sitzung be-
sprochen, aber noch nicht endgültig erledigt.
Mündlich gab Hindenburg noch einige Erläuterungen. Die 14
Punkte Wilsons dürften nur als Grundlage für die Verhandlungen
dienen; ehe deutsches Gebiet in nennenswertem Umfange abgegeben
würde, müsse Deutschland weiterkämpfen, lieber untergehen als die
Ehre verlieren. Der Feldmarschall hielt es für möglich, um Frieden
und Waffenstillstand nachzusuchen, ohne die Verhandlungsgrundlage
näher zu bezeichnen. Hiergegen machte Graf Roedern geltend, daß der
Feind „unsubstanziierte" Friedensangebote schon mehrfach, zuletzt
Österreich gegenüber, abgelehnt habe; ein solches Angebot würde daher
eine halbe Maßregel bedeuten. Hierauf erwiderte der Feldmarschall,
auch er wünsche keine halbe Maßregel: wenn die Feinde noch schärfere
Bedingungen stellten, dann müßten wir bis zum letzten Mann kämpfen.
Graf Roedern bemerkte darauf, das fei der Standpunkt des Feld-
herrn, aber nicht des Staatsmannes; bis zum letzten Mann könne
wohl ein Bataillon auf vorgeschobenem Posten, nicht aber ein Volk
von 65 Millionen Einwohnern, auch wohl kaum ein Millionenheer
kämpfen.
Die Beantwortung der Frage 3 ist ausschlaggebend geworden.
Enthielt sie doch die ganz unmißverständliche Forderung: „Die
Ober st e Heeresleitung bleibt auf ihrer am So n n -
tag, dem 2 9. September d. I., gestellten Forderung
der sofortigen Herausgabe des Friedensangebo-
tes an unsere Feinde bestehen." Niemand in Berlin
konnte annehmen, daß die militärische Lage etwa noch einen Aufschub
auch nur um Tage zuließ. Es gehörte schon ein starker Entschluß da-
zu, den Abgang auch nur um Stunden hinauszuzögern, da der hier-
für Verantwortliche auf Grund des Schreibens der O.H.L. mit der
vollen Verantwortung für etwa noch eintretende Menschenverluste
oder sogar für eine Katastrophe im Felde belastet werden konnte. Die
verhältnismäßig beruhigende Antwort der ersten Frage, wonach man
hoffen könne, daß die Rückbewegung des deutschen Heeres bis zum
nächsten Frühjahr deutsches Gebiet schützen werde, stand mit der For-
mulierung der Antwort auf die dritte Frage in einem gewissen Ge-
gensatz, ist aber durch sie gewissermaßen totgeschlagen und durch eine
richtigere, obendrein schriftlich abgegebene Erklärung ersetzt worden.
Die Gewissenhaftigkeit des Prinzen ging soweit, daß er trotzdem
den Obersten v. Haeften ersuchte, mit General Ludendorff gleich
Der 3. Oktober
141
nochmals telephonisch zu sprechen und seine Zustimmung dazu zu er-
bitten, daß nur das Friedensangebot, aber ohne ausdrückliches Er-
suchen um Waffenstillstand, hinausgehen sollte. Haeften erwähnte bei
dem darauf folgenden Telephongespräch mit Ludendorff, daß der
Feldmarschall die militärische Lage nicht so ernst auffasse wie Major
Frhr. v. dem Bussche. Ludendorff erwiderte, „der Feldmarschall habe
mit seiner Beurteilung der Lage gewiß recht; trotzdem müsse er —
Ludendorff — auf dem Waffenstillstandsangebot und dessen baldig-
ster Absendung bestehen. Wenn auch die Lage im jetzigen Augenblick
nicht bedrohlich sei, so sei doch bestimmt in kurzer Zeit mit einer Wie-
derholung der Großangriffe der Entente auf der ganzen Front
(Westen, Italien und Balkan) zu rechnen. Dann aber — in zwei oder
drei Wochen — könne es von entscheidender Bedeutung werden, ob
das deutsche Heer 24 Stunden früher oder später die so dringend
nötige Waffenruhe erhielte."
Bei wiederholtem Durchdenken der Vorgänge am 3. Oktober ge-
langt man zu dem Ergebnis, daß ein gewisser Widerspruch dazwischen
besteht, wenn das Waffenstillstandsangebot einmal mit größter Be-
schleunigung abgehen sollte, während andererseits davon die Rede
war, daß es in etwa zwei bis drei Wochen wichtig sein könne, ob das
deutsche Heer 24 Stunden früher oder später die Waffenruhe erhielte.
Handelte es sich wirklich um zwei bis drei Wochen, dann konnte eine
geringfügige Verzögerung der Absendung des Angebots ernstlich
kaum in die Waage fallen. Das Wesentliche ist daher, daß die O.H.L.
an ihrer Forderung der baldigsten Absendung hartnäckig festgehal-
ten hat.
Die Entscheidung über den Wortlaut der an Wilson zu richtenden
Rote fiel am 3. Oktober nachmittags. Die Absendung sollte erst nach
vollendeter Regierungsbildung erfolgen. Die endgültige Rote unter-
schied sich nur wenig von einem Entwürfe, den Ludendorff am 2. Ok-
tober im Anschluß an einen ihm zugegangenen Entwurf nach Berlin
hatte mitteilen lassen. Der wichtigste Unterschied war vielleicht der,
daß Ludendorff sagen wollte, die Regierung erkläre sich damit ein-
verstanden, daß die von Wilson aufgestellten Programmpunkte „als
Grundlage für die Friedensverhandlungen dienen" sollten, während
es in der endgültigen Rote hieß, die Regierung nehme das von Wil-
son aufgestellte Programm „als Grundlage für die Friedensverhand-
lungen an", damit also einen kleinen Schritt weiterging.
Roch in der Nacht vom 3. zum 4. Oktober um 1 Uhr 10 vormit-
tags ist die erste Note an Wilson aus Berlin abgegangen. Sie war
an den deutschen Gesandten in Bern gerichtet, der die eidgenössische
Regierung ersuchen sollte, den Inhalt telegraphisch dem Präsidenten
142 Das Herbeirufen der Politik
der Vereinigten Staaten von Amerika zu übermitteln. Sie hatte fol-
genden Wortlaut:
„Berlin, den 3. Oktober 1918.
Die deutsche Regierung ersucht den Präsidenten der Ver-
einigten Staaten von Amerika, die Herstellung des Friedens in
die Hand zu nehmen, alle kriegführenden Staaten von diesem
Ersuchen in Kenntnis zu setzen und sie zur Entsendung von Be-
vollmächtigten zwecks Anbahnung von Verhandlungen einzula-
den. Sie nimmt das von dem Präsidenten der Vereinigten Staa-
ten von Amerika in der Kongreßbotschaft vom 8. Januar 1918
und in seinen späteren Kundgebungen, namentlich der Rede vom
27. September, aufgestellte Programm als Grundlage für die
Friedensverhandlungen an.
Um weiteres Blutvergießen zu vermeiden, ersucht die deut-
sche Regierung, den sofortigen Abschluß eines Waffenstillstandes
zu Lande, zu Wasser und in der Luft herbeizuführen.
gez. Max, Prinz von Baden
Reichskanzler."
Die Oberste Heeresleitung hatte ihren Standpunkt durchgesetzt.
Ihre Absicht war, das Heer vor dem Untergang zu retten. Hierfür
hielt sie ein sofortiges Waffenstillstandsangebot für nötig, das aber
nur von einer neuen Regierung ausgehen konnte. Um die möglichst
baldige Bildung einer solchen Regierung sicherzustellen, rückte sie mit
größtem Nachdruck die Forderungen der militärischen Lage in den
Vordergrund, ohne sich hinreichend davon Rechenschaft zu geben, daß
die öffentliche Meinung Deutschlands auf einen derartigen Schritt
und auf eine solche Hoffnungslosigkeit der militärischen Lage in kei-
ner Weise vorbereitet war. Während sich nun die Lage an der West-
front allmählich besserte, bereitete sich durch den Wettersturz der öf-
fentlichen Meinung, gegen den keinerlei Vorkehrungen getroffen wa-
ren, die schwere innerpolitische Katastrophe vor, der das Deutsche
Reich binnen wenigen Wochen erliegen sollte.
Am Anfange dieser schicksalhaften Entwicklung stand wiederum
die Ideenwelt des Mannes, der schon mit seiner Bekundung vom
8. Januar 1918 das letzte Kriegsjahr so entscheidend eingeleitet hatte,
des Präsidenten Wilson.
Die rein politische Kriegsleitung
Der Notenkampf mit Wilson
um den Waffenstillstand
(4. Oktober bis 11. November 1918)
In Erwartung der Antwort Wilsons.
Die schicksalsschwere Note an Wilson war am 4. Oktober nach-
mittags von Bern nach Washington abgegangen. Ein unwiderruf-
licher Schritt war getan. Würde sich der Glaube an Wilson als be-
rechtigt herausstellen? Nur die Zukunft konnte es lehren. Würden
die Nerven des deutschen Volkes die neue und ganz unerwartete Be-
anspruchung ertragen? Das war eine noch ernstere Frage.
Nach der Auffassung des Prinzen Max von Baden lag in unserer
Note an Wilson eine doppelte Schmach: einmal die Bitte um Waffen-
stillstand, an der nun nichts mehr zu ändern war; sodann die unein-
geschränkte Annahme des Wilsonschen Programms. „Nur eine be-
siegte, am Boden liegende Nation ist gezwungen, das ganze Kriegs-
ziel des Feindes anzunehmen mit einem Ja ohne Vorbehalt und
Kommentar." Mit diesen Worten hat Prinz Max selbst in seinen
Erinnerungen die Note an Wilson gekennzeichnet *. Er entschloß sich,
in einer Reichstagsrede am 5. Oktober zu den einzelnen Bedingungen
Wilsons Stellung zu nehmen, die Demütigung der Note an Wilson
damit auszulöschen und den Feinden zu zeigen, daß Deutschland noch
Atem habe und nicht zur Ergebung auf Gnade und Ungnade ge-
nötigt sei.
Der ganze 4. Oktober ging mit Vorarbeiten für die Reichskanz-
lerrede und mit der Bildung der neuen Regierung hin. Für den
Prinzen Max war an diesem Tage fast jede Minute durch Bespre-
chungen mit Parlamentariern und Ministern ausgefüllt. Die Bil-
dung der Regierung mußte unbedingt vollendet sein, ehe der neue
Reichskanzler vor den Reichstag trat.
Für die weiteren Unterhandlungen war die Persönlichkeit be-
sonders wichtig, die das Auswärtige Amt zu übernehmen hatte. Prinz
Max schwankte zwischen Sols und dem Grafen Brockdorff-Rantzau,
der damals noch Gesandter in Kopenhagen war. Der Kaiser hätte
gern den Staatssekretär v. Hintze behalten, was aber an dessen hart-
näckiger Weigerung scheiterte. Schließlich entschloß sich Prinz Max
für Sols, der sich in kraftvollen Reden zu einem Verständigungs-
frieden bekannt hatte, und in dessen Berufung zugleich eine Beto-
nung des deutschen Rechtsanspruches auf Kolonien erkennbar ge-
macht werden konnte.
Grundlegend wichtig für unsere Frage der obersten Kriegslei-
tung im Entscheidungsjahr 1918 war die Regelung, die Prinz Max 1
1 Prinz Max von Baden. Erinnerungen und Dokumente. Deutsche Der-
lagsanstalt Stuttgart-Berlin-Leipzig 1927.
Schwertfeger, Das Weltkriegsende
10
146
Die rein politische Kriegsleitung
beim Übergang zur Parlamentaristerung in seinem neuen Kabinett
zum Ausdruck brachte. Da es jetzt wesentlich auf den guten Willen
der Parteien anzukommen schien, mußten Persönlichkeiten in das
Kabinett aufgenommen werden, die weder dem Kaiser noch dem
Prinzen Max genehm waren. Gegen die Berufung Erzbergers hatte
der Kaiser schon früher Bedenken geltend gemacht. Schließlich gab
die Erwägung Payers den Ausschlag, daß Erzberger als Mitglied der
Regierung ungefährlicher sein würde als im Parlament. Man be-
rief ihn zum Staatssekretär ohne Portefeuille, ebenso die Abgeord-
neten Gröber und Scheidemann. Aus diesen drei Staatssekretären,
ferner dem Vizekanzler, den Staatssekretären Graf Roedern und Sols
sollte unter Vorsitz des Reichskanzlers nunmehr der „engere Kriegs-
rat" bestehen. Hierzu trat am 9. Oktober der Kriegsminister Scheüch,
am 14. Oktober der Staatssekretär Conrad Haußmann.
Hiermit war eine politische Einrichtung geschaffen, die mit den
bisher üblichen Grundlagen der obersten Kriegsleitung in schroffem
Gegensatz stand. Hatte bis jetzt die O.H.L. in allen auf die Kriegfüh-
rung bezüglichen Dingen das maßgebende Wort zu sprechen gehabt, so
sank nunmehr die militärische Leitung zu einer Auskunftsbehörde
herab, die jederzeit der politischen Leitung, also dem engeren Kriegs-
rat, nicht nur auf Befragen, sondern wenn nötig aus eigenem An-
triebe, vollen Aufschluß über die Lage an den Fronten zu geben hatte.
Sie war somit völlig auf die rein militärischen Dinge beschränkt.
Für eine derartige Regelung war das tiefe Mißtrauen bestim-
mend, das durch das Verhalten der O.H.L. am 29. September und in
den Tagen nachher ausgelöst worden war. Immer von dem Bestre-
ben ausgehend, die Regierungsbildung in Berlin zu beschleunigen,
hatte die O.H.L. auf die gerade eben erst ihr verantwortungsvolles
Amt übernehmenden Männer eingewirkt, um die Absendung der
Rote an Wilson zu beschleunigen. So hatte sich schließlich der neue
Kanzler veranlaßt gesehen, vor Deutschland und der Welt „den un-
seligen Schritt" mit seiner Verantwortung zu decken. Er hatte sich
sogar den Anschein geben müssen, „als stände seine politische Initia-
tive dahinter und nicht die der Obersten Heeresleitung". Prinz Max
von Baden hat unter dem Zwange, der von vornherein auf seinem
Handeln lag, schwer gelitten. „Ich wurde von allen Seiten bedrängt,
meinen Namen herzugeben, weil meine Reden und meine Tätigkeit
in der Gefangenenfürsorge am ehesten eine Resonanz verbürgten.
Mir schien es feig, auszubrechen, nachdem ich gerufen worden war
und nun eine Lage vorfand, die viel schlimmer war, als ich erwartet
hatte. Ich mußte zugeben, daß in meinem Munde das Bekenntnis
zum Rechtsfrieden nicht nur als Notschrei wirken würde"2.
2 Prinz Max von Baden, Erinnerungen und Dokumente, S. 352.
In Erwartung der Antwort Wilsons
147
Mit seiner Reichstagsrede vom 5. Oktober wünschte Prinz Max
die Lage soweit herzustellen, wie es nach der bereits erfolgten Absen-
dung der Note an Wilson eben noch möglich war. Er nahm diesen
Schritt völlig auf sich. Für die gewaltigen Leistungen der Armee fand
er würdige Worte. Er sprach von der glänzenden Führung unserer
tapferen Truppen, die während des ganzen Krieges fast Übermensch-
liches geleistet hätten. Die wesentlichste Feststellung, die er über die
militärische Lage machte, war die, daß die Front ungebrochen sei.
Dieses stolze Bewußtsein lasse uns mit Zuversicht in die Zukunft se-
hen. Aber gerade weil wir von dieser Gesinnung und Überzeugung
beseelt seien, hätten wir die Pflicht, Gewißheit darüber herbeizufüh-
ren, daß das opfervolle blutige Ringen nicht einen einzigen Tag über
den Zeitpunkt hinausgeführt werde, wo uns ein ehrenvoller Abschluß
des Krieges möglich erscheine. Wörtlich erklärte er: „Gestützt auf das
Einverständnis aller dazu berufenen Stellen im Reich und auf die
Zustimmung der gemeinsam mit uns handelnden Bundesgenossen,
habe ich in der Nacht zum 4. Oktober durch die Vermittlung der
Schweiz an den Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika
eine Note gerichtet, in der ich ihn bitte, die Herbeiführung des Frie-
dens in die Hand zu nehmen und hierzu mit allen kriegführenden
Staaten in Verbindung zu treten." Dieses Ersuchen sei an Wilson
gerichtet worden, da er in seiner Kongreßbotschaft vom 8. Januar
1918 und in seinen späteren Kundgebungen, besonders auch in seiner
New Porker Rede vom 27. September, ein Programm aufgestellt habe,
das wir als Grundlage für die Verhandlungen annehmen könnten.
Die auf das künftige Glück der Völker gerichteten Gedanken Wilsons
befänden sich völlig im Einklang mit den allgemeinen Vorstellungen,
in denen sich auch die neue deutsche Regierung und mit ihr die weit
überwiegende Mehrheit des deutschen Volkes bewege.
Die Rede schloß mit den Worten: „So sehe ich denn mit der in-
neren Ruhe, die mir mein Gewissen als Mensch und als Diener un-
seres Volks verleiht, und die sich zugleich auf das feste Vertrauen zu
diesem großen, treuen, jeder Hingebung fähigen Volk und seiner
ruhmvollen Wehrmacht begründet, dem Ergebnis der ersten Hand-
lung entgegen, die ich als leitender Staatsmann des Reichs unter-
nommen habe. Wie dieses Ergebnis auch ausfallen möge: ich weiß,
daß es Deutschland fest entschlossen und einig finden wird, sowohl zu
einem redlichen Frieden, der jede eigensüchtige Verletzung fremder
Rechte von sich weist, als auch zu dem Endkampf auf Leben und Tod,
zu dem unser Volk ohne eigenes Verschulden gezwungen wäre, wenn
die Antwort der mit uns im Kriege stehenden Mächte auf unser An-
gebot von dem Willen, uns zu vernichten, diktiert sein sollte. Kein
Zagen befällt mich bei dem Gedanken, daß dieses zweite Ergebnis
eintreten könnte; denn ich kenne die Größe der gewaltigen Kräfte,
io*
148
Die rein politische Kriegsleitung
die auch jetzt noch in unserem Volke vorhanden sind, und ich weiß, daß
die unwiderlegliche Aberzeugung, um unser Leben als Nation zu
kämpfen, diese Kräfte verdoppeln würde. Ich hoffe aber um der ge-
samten Menschheit willen, daß der Präsident der Vereinigten Staa-
ten unser Angebot annimmt. Dann wäre die Tür zu einem baldigen
ehrenvollen Frieden des Rechts und der Versöhnung sowohl für uns
wie für unsere Gegner geöffnet."
Nach dieser Rede konnte es so erscheinen, als sei der Friedens-
schritt keineswegs durch die militärische Lage geboten gewesen, son-
dern aus der Gedankenrichtung des Prinzen erwachsen. Für die öf-
fentliche Meinung war das zweifellos von Vorteil, denn der Sturz
in den Abgrund der Hoffnungslosigkeit war sonst gar zu unvermit-
telt. So konnte die Kanzlerrede immerhin noch mit stolzen und tapfe-
ren Worten ausklingen. Aber es war doch für alle Teilnehmer jener
denkwürdigen Reichstagssitzung das Gefühl vorherrschend, nicht nur
von einer lieben Hoffnung Abschied nehmen zu müssen, sondern am
Anfange eines unübersehbar schweren Leidensweges zu stehen.
Daß die Reichstagsrede des Prinzen Max vom 5. Oktober so
tiefe Wirkungen zeitigte, beruhte im wesentlichen auf der übertrie-
benen Siegeshoffnung, die in weiten Kreisen der Heimat und nicht
etwa nur in den urteilslosen Teilen der öffentlichen Meinung bisher
gehegt worden war. Die am 29. September im Großen Hauptquartier
gefaßten Entschlüsse, an die Stelle der bisherigen Kämpfe um den mi-
litärischen Endsieg die Verhandlungen mit der Ideologie Wilsons zu
setzen, waren selbst für verhältnismäßig Nahestehende überraschend.
Der deutsche Kronprinz hat in seinen von Karl Rosner herausgege-
benen Erinnerungen von einer „niederschmetternden Enthüllung der
nackten Wahrheit" gesprochen, wobei Millionen deutscher Menschen
aus Traumländern in eine grausam harte Wirklichkeit gerissen worden
seien. Rach seiner Ansicht hätte der Zusammenbruch nie zu einer so
grausamen Katastrophe führen können, wäre das Volk nicht durch
die von ihm für unmöglich gehaltenen schweren Rückschläge an der
Front aus allen von den amtlichen Stellen ängstlich gehüteten Illu-
sionen gerissen worden. Auch der Staatssekretär a. D. Helfferich, der
am 1. Oktober von einer kurzen Reise nach Berlin zurückkehrte, war
durch die Nachrichten aus Spa auf das tiefste erschüttert. Fürchtete
er doch zeitweise, daß jeder Augenblick den Durchbruch des Feindes
und die völlige Zertrümmerung unseres Heeres bringen könnte. So
bleibe nur das von Ludendorff ungestüm verlangte, sofortige Ersuchen
um Waffenstillstand und im Innern die völlige Demokratisierung un-
serer staatlichen Einrichtungen s.
s Karl Helfferich, Der Weltkrieg. 3. Band, S. 834 ff.
In Erwartung der Antwort Wilsons
149
In Berlin machte das plötzliche Wegziehen des Schleiers von
dem Bilde der wahren Lage einen furchtbaren Eindruck. Meist war
man noch von der Zuversicht erfüllt gewesen, daß wir uns doch we-
nigstens einen guten Abschluß unseres Verteidigungskampfes er-
kämpfen würden, der uns unseren bisherigen Besitzstand und damit
eigentlich einen gewaltigen Erfolg vor der Geschichte sicherte. Jetzt
griff eine tiefe Entmutigung überall Platz. Das Schlimmste dabei
war, daß in dem Kriegskabinett des Prinzen Max von Baden und im
ganzen Volke durch die Erschütterung des Glaubens an die Wider-
standskraft der Front nun auch der Glaube an die Fähigkeit und Ur-
teilskraft der Obersten Heeresleitung einen starken Stoß erhielt. Nicht
allein, daß die militärische Leitung jetzt zu einem reinen Ressort ge-
genüber dem Kriegskabinett herabsank: Mißtrauen und Zweifel ver-
gifteten in steigendem Maße die Beziehungen zwischen der politischen
und militärischen Leitung. Bald standen sich beide fast wie feindliche
Mächte gegenüber, die mit- und voreinander diplomatisierten, die sich
nicht mehr verstanden, sondern gegenseitig von einander zu fürchten
schienen, mit der Verantwortung für kommendes Unheil belastet zu
werden.
Es ist oft darüber gestritten worden, ob wirklich die Waffenstill-
standsforderung und ihre Begründung einen so starken Einfluß auf
die öffentliche Meinung hat ausüben können. In militärischen Schrif-
ten findet man häufig die Auffassung, daß jeder aufmerksame Be-
obachter zu einer annähernd richtigen Beurteilung der Lage hätte
gelangen müssen, wenn er sich im Großen Hauptquartier unterrich-
tete. Das mag für einzelne Persönlichkeiten zutreffen, die in der
Lage waren, sich bei den wenigen wirklich maßgebenden Persönlich-
keiten im Großen Hauptquartier zu erkundigen. Für die große Masse
des Volkes bot die Presse die einzige Aufklärungsmöglichkeit. Tat-
sächlich haben aber von einem so ernsten Stande der Dinge Ende
September 1918 weder der Vertreter Ludendorffs in Berlin, Oberst
v Haeften, noch der Pressechef beim Reichskanzler, Ministerialdirek-
tor Deutelmoser, noch der Chef des Kriegspresseamts, Major Würz,
etwas gewußt. Sie alle waren auf das Äußerste betroffen, und Ma-
jor Würz, der unmittelbar nach Empfang der Nachricht, man beab-
sichtige eine Note an Wilson, Deutelmoser im Auswärtigen Amt auf-
suchte, äußerte sich hier mit allen Anzeichen völliger Verzweiflung.
Ihn bedrückte die Wirkung, die dieser Entschluß ausüben mußte, auf
das schwerste. Tatsächlich hat Deutelmoser erst durch Major Würz den
weltgeschichtlichen Vorgang erfahren, was ihn besonders bedrücken
mußte, da gerade er stets mit allem Nachdruck für Wahrheit in der
Presse-Berichterstattung zu wirken gesucht hatte, „soweit wir nicht
durch ihre Preisgabe offenkundig die Geschäfte des Feindes be-
sorgen würden". Oberstleutnant Nicolai aber, der von Anfang bis
ISO
Die rein politische Kriegsleitung
fast zum Ende des Krieges die für die Verbindung mit der Presse
maßgebende Abteilung III d des Großen Hauptquartiers geleitet hat,
wurde durch die Nachricht von der Waffenstillstandsforderung der
O.H.L. selbst überrascht, als er Ende September 1918 von einer Rund-
reise im Osten zu Pressebesprechungen in das Große Hauptquartier
zurückkehrte.
Hier scheinen einige Bemerkungen über die Kriegspresseeinrich-
tungen angezeigt. Eie hatten sich 1914 aus reinen Improvisationen
entwickelt, für die alle Friedenserfahrungen fehlten. Weder im Ge-
neralstabe noch auf der Kriegsakademie hatte man vor dem Kriege
dem Problem der öffentlichen Meinung besondere Beachtung ge-
schenkt. Die Abkommandierung des Majors Deutelmoser vom Großen
Eeneralstabe zum Kriegsministerium hatte den ersten Schritt zur
Schaffung einer militärischen Pressestelle gebildet. Aus dem im Welt-
kriege entstandenen Kriegspresseamt entwickelte sich schließlich ein
erfolgreich vermittelndes Bindeglied zwischen der O.H.L. und der po-
litischen Leitung des Reiches. Immer aber blieb in oberster Instanz
die Abteilung III d des Großen Hauptquartiers für die letzten und
wichtigsten Aufschlüsse maßgebend. Auf dem Gebiete immer weiterer
organisatorischer Ausgestaltung hat ihr Leiter Bedeutendes geleistet,
und es ist auch unbestreitbar, daß nur die in höchster Instanz verant-
wortliche O.H.L. die Verantwortung für die Art zu übernehmen ver-
mochte, wie die Kriegslage in der öffentlichen Meinung dargestellt
wurde. Der Presse blieb dabei kaum etwas anderes übrig, als den
Tatsacheninhalt der Heeresberichte in mehr oder weniger glücklicher
Weise zu umschreiben. Hätte es irgend jemand unternehmen wollen,
die öffentliche Meinung in anderem Sinne zu beeinflussen, so hätte
das der strengen Kriegsdisziplin durchaus widersprochen und den
zwingenden Einspruch der O.H.L. hervorgerufen, die sich dann über
die Schädigung des Kampfwillens und der Zuversicht im deutschen
Volke hätte beklagen können. Bei der verwickelten Organisation und
Zuständigkeit der für die Führung der öffentlichen Meinung im Laufe
der Kriegszeit nach und nach geschaffenen militärischen und poli-
tischen Organe ist es kaum möglich festzustellen, wer für die nicht recht-
zeitige Umstellung der öffentlichen Meinung die Hauptverantwor-
tung zu tragen hat. Unbestreitbar aber ist, daß fast alle Beurteiler
des Weltkrieges sowohl vom politischen wie militärischen Stand-
punkte aus das Versagen auf diesem Gebiet festgestellt haben.
Bringt man die Entwicklung der Pressegebarung während der
Kanzlerzeit des Prinzen Max von Baden auf die einfachste Formel,
so kann man sagen, daß damals plötzlich von der harten rein militä-
rischen Beurteilung der Dinge nun zu einer ganz anderen Betroch-
tungsart übergegangen worden ist. Mit den kleinen Mitteln, mit
denen man bisher die öffentliche Meinung hatte heben wollen, mit
In Erwartung der Antwort Wilsons 151
deni gutgemeinten vaterländischen Unterricht oder ähnlichen tasten-
den Versuchen, war nichts mehr anzufangen. Eine Durchhaltestim-
mung konnte nur schwer erzielt werden, wenn die Oberste Heeres-
leitung — und nicht anders wurde es im Volke verstanden — jetzt
selbst ihre Siegeshoffnungen aufgab und den Verhandlungsweg be-
schritt. Statt der Waffenentscheidung mußte nun ein Federkrieg ein-
setzen, der aber nicht in der Lage war, aus günstiger Stellung heraus
von gleich zu gleich mit den Gegnern zu verhandeln, sondern schon da-
durch, daß der erste Schritt von deutscher Seite getan werden mußte,
ein starkes Eingeständnis der Schwäche bedeutete.
War die Waffenstillstandsforderung vom 29. September das
Hissen der weißen Flagge? Gegen diese Ausdeutung des Schrittes
der O.H.L. ist von verschiedener Seite lebhafter Widerspruch erhoben
worden. Bedeutet das Hissen der weißen Flagge Kapitulation auf
Gnade und Ungnade? Oder ist es nicht lediglich ein Anzeichen dafür,
daß die eine der kämpfenden Parteien zunächst zu verhandeln
wünscht? Von der Beantwortung dieser Fragen hängt das Urteil
darüber ab, ob das Bild vom Hissen der weißen Flagge zulässig ist
oder nicht. Leider aber ist es unbestreitbar, daß unsere Gegner das
plötzliche Beschreiten des Verhandlungsweges, auf das sie nach dem
fast übereinstimmenden Urteil der maßgebendsten Persönlichkeiten
anfangs Oktober 1918 noch gar nicht gefaßt waren, als das Einge-
ständnis unserer militärischen Schwäche, ja sogar unserer weiteren
Kampfunfähigkeit gewertet haben. Steht es doch fest, daß von den
Engländern das Oberkommando, Sir Henry Wilson, das Kriegskabi-
nett und der Premierminister noch an die Notwendigkeit eines harten
Feldzuges 1919 glaubten, daß der Oberbefehlshaber des französischen
Heeres, General Petain, den von Marschall Foch beabsichtigten An-
griff gern bis Anfang 1919 verschoben hätte, und daß selbst der Mar-
schall Foch von der höchsten Kraftentfaltung zum 1. April 1919 ge-
sprochen hat.
Auf der Gegenseite ist jedenfalls Deutschlands Note an Wilson
als die Bestätigung dafür angesehen worden, daß Deutschlands mi-
litärische Kraft gebrochen war. Während die Entente sich anschickte,
den nunmehr leichter erscheinenden militärischen Sieg zu vollenden
und den noch in Belgien und Frankreich stehenden deutschen Heeren
eine möglichst vernichtende Niederlage im freien Felde zu bereiten,
spannen jenseits des Ozeans Wilson und sein Hauptberater, der ihm
freundschaftlich nahestehende Oberst House, ihre diplomatischen Fä-
den, Deutschland kämpfte nunmehr zwei Schlachten gleichzeitig durch,
den Abwehrkampf an der Westfront und das diplomatische Ringen
mit Wilson. Mit jedem weiteren Schritt rückwärts aber glaubte die
deutsche O.H.L. die Verhandlungsaussichten zu schädigen. Infolge-
152 Die rein politische Kriegsleitung
dessen blieben die am Feinde stehenden Heeresteile noch Wochen hin-
durch der Notwendigkeit verlustreichster Kämpfe ausgesetzt.
Hatten die Befehlshaber der Entente in Frankreich und Belgien
Ende September trotz ihrer sichtbaren militärischen Erfolge keines-
wegs an ein baldiges Nachlassen der deutschen Kampfkraft geglaubt,
so traf das in noch höherem Maße für Wilson und House zu. Nach
ihrer Auffassung konnte es noch Monate dauern, ehe Deutschlands
Widerstand gebrochen war, falls nämlich die Deutschen sich in gut vor-
bereitete Stellungen rechtzeitig zurückzogen. Für Wilsons idealistische
Ziele bestand eine große Gefahr darin, daß bei der Entente ein mit
seinen vierzehn Punkten unvereinbarer Geist herrschte. Es schien ihm
daher wichtig, zu einem Übereinkommen hierüber mit den Machtha-
bern der Entente zu gelangen, noch ehe Deutschland hilflos am Boden
lag. Andererseits konnte es während der Dauer der Entscheidungs-
kämpfe in Frankreich nicht im Sinne der Entente liegen, die verein-
barten Anstrengungen zur Niederringung Deutschlands etwa durch
eine vorzeitige Erörterung der künftigen Friedensbedingungen zu
beeinträchtigen.
Als im Verlauf des September die Waage sich bereits deutlich
zu ungunsten Deutschlands zu neigen begann, schien einer program-
matischen Erörterung der Wilsonschen Friedensgedanken nichts mehr
im Wege zu stehen. Wilson hielt am 27. September in New Pork seine
Rede im Metropolitan-Opernhaus, in der er eine völlig unparteiische
Gerechtigkeit als zu erstrebenden Hauptinhalt des kommenden Frie-
dens bezeichnete. Seine Worte ernteten im Lager der Entente bei
der damaligen Kriegslage keineswegs eine begeisterte Zustimmung,
und es hat erst wochenlanger und mühsamer Verhandlungen bedurft,
ehe sich die verbündeten Staaten bereit erklärten, Wilsons Grund-
sätze anzunehmen.
Vor welche Aufgaben Wilson als Friedensstifter Europas ge-
stellt werden würde, dafür gab das bulgarische Ansinnen vom 26. Sep-
tember einen Vorgeschmack, Wilson möge seine guten Dienste zur Er-
langung eines Waffenstillstandes an der bulgarischen Front zur Ver-
fügung stellen. Aber noch ehe Wilson seinen Entschluß zu fassen ver-
mochte, hatten sich am 28. September bulgarische Bevollmächtigte im
Hauptquartier des Generals Franchet d'Esperey eingefunden und
eine bedingungslose Waffenstreckung vereinbart.
Die deutsche Note vom 3. Oktober 1918 zwang nun Wilson zum
Entschluß. Nach Verständigung mit Oberst House einigte man sich in
Washington dahin, gegenüber der deutschen Forderung zunächst eine
Verzögerungstaktik zu treiben, um die erwarteten militärischen Fort-
schritte der Entente sich noch weiter ausreifen zu lassen. Nach Houses
Ansichten war ein Waffenstillstand, so wie ihn Deutschland forderte,
In Erwartung der Antwort Wilsons
153
undenkbar; dennoch sollte die Ablehnung so formuliert sein, daß
Wilson dadurch ins Recht gesetzt wurde. Der Sieg konnte nicht mehr
weit entfernt sein. „Mit Foch", schrieb House am 6. Oktober 1918
an Wilson, „der auf die Westfront loshämmert, und Ihnen, der den
diplomatischen Keil tiefer treibt, tritt die Beendigung des Krieges
noch vor Jahresschluß in den Bereich der Möglichkeit."
Inzwischen waren die Kämpfe in Frankreich und Belgien wei-
tergegangen. Morschall Foch hatte in der großen „Offensivschlacht der
Alliierten" — so hat er in einer Zweckschrift über die Offensive der
Alliierten die damaligen Kampfhandlungen bezeichnet' — nach einem
vorgefaßten Plan in der ersten Periode, die er vom 15. Juli bis zum
26. September rechnete, den Feind überall anzufassen begonnen, um
ihn dadurch aufzureiben und mürbe zu machen. Während der zwei-
ten Periode, die mit dem 26. September begann, ging er zur allge-
meinen Offensive über mit dem Endziel, den Feind dermaßen zu er-
schöpfen, „daß er gezwungen ist, den Waffenstillstand zu erbitten, um
nicht unter dem bevorstehenden Angriff der Alliierten, den er nicht
mehr abwehren kann, zu erliegen."
Nach der Rechnung der französischen Obersten Heeresleitung
mußte die deutsche Armee am 26. September trotz einer Frontver-
kürzung von nahezu 200 Kilometern dieselbe Anzahl von Divisionen
wie am 15. Juli in der vorderen Linie einsetzen. Die allgemeine Of-
fensive der Alliierten fand daher günstige Aussichten. Marschall Foch
beabsichtigte, von drei Seiten her anzugreifen. Auf dem nördlichen
Flügel in Flandern sollte die belgische Armee mit Unterstützung eng-
lischer und französischer Divisionen mit Richtung auf Brügge antre-
ten, um die Küste zu befreien und auf Thielt und Gent Raum zu
gewinnen. In der Mitte der Gesamtfront sollten die englischen Ar-
meen und der linke Flügel des französischen Heeres in der Richtung
auf St. Quentin und Cambrai angreifen, um die Hindenburglinie
zu durchbrechen, bevor die Deutschen sich darin festzusetzen vermöchten.
Gleichzeitig sollte die französische Mitte den Feind über die Aisne
werfen. Auf dem rechten Flügel der Alliierten wurde ein großer An-
griff sämtlicher verfügbaren amerikanischen Kräfte zwischen der Maas
und dem Argonnerwald, also zwischen Verdun und Reims, in der
allgemeinen Richtung auf Maubeuge vorbereitet. Zur Unterstützung
der Amerikaner sollte die 4. französische Armee zwischen dem Argon-
nerwald und Reims eingesetzt werden.
Am 26. September eröffnete der rechte Flügel zwischen Verdun
und Reims die Schlacht und erreichte nach schweren wechselvollen
* Vergl. meine Schrift „Der Irrtum des Marschalls Foch". (Vertag
Reimar Hobbing in Berlin 19191.
154
Die rein politische Kriegsleitung
Kämpfen die Zurücknahme der deutschen Truppen. Tags darauf ge-
lang es der Mitte der feindlichen Front, die Siegfriedstellung zu
durchbrechen und die deutschen Armeen in die Linie westlich Lille-
Douai- La Före-Laon zurückzudrängen. Diese Kämpfe dauerten bis
etwa Mitte Oktober.
Am dritten Tage der großen Angriffsbewegung der Entente, am
28. September, erfolgte der Angriff der vereinigten Belgier, Fran-
zosen und Engländer in Flandern unter dem Oberbefehl des Königs
der Belgier. Der nördliche Flügel der deutschen Stellung an der
Seefront Zeebrügge-Ostende-Nieuwport kam in schwerste Lage. Wurde
hier nicht standgehalten, so ging die flandrische U--Bootbasis verloren.
Nach heldenhaftem Widerstände mußten die deutschen Truppen in
der zweiten Hälfte des Oktober abschnittsweise in die Hermannstel-
lung Gent-Tournai zurückgehen. Triumphierend stellt Marschall Foch
in der von ihm veranlaßten Schrift fest: „Die am 28. September be-
gonnene Flandernschlacht gibt uns den Besitz der Höhen südlich von
Bpern und erlaubt uns, in zwei Tagen die Straße Roulers-Menin
zu erreichen. Sie beginnt wieder am 14. Oktober. Vom 17. ab muß
der Feind im Norden die ganze belgische Küste räumen und sich auf
den Terneuzen-Kanal zurückziehen; im Süden wird er gezwungen,
die Gegend von Lille und Lens zu räumen und sich hinter die Schelde
und den Kanal du Nord zurückzuziehen."
Die weitere Entwicklung der französisch-belgisch-englischen Offen-
sive hatte Marschall Foch so geplant, daß die Flandernarmeen in all-
gemeiner Richtung auf Brüssel vorstoßen sollten. Die englischen Ar-
meen hatten ihre Hauptanstrengung darauf zu richten, zwischen
Schelde und Sambre die Deutschen auf das wenig gangbare Gelände
der Ardennen zurückzuwerfen. Gleichzeitig sollten sie den Vormarsch
der Flandernarmeen durch überflügelnde Angriffe unterstützen. Auf
der ganzen Front vom Meer bis zur Maas hatten die Truppen der
Entente unausgesetzt anzugreifen, um die Deutschen auch noch aus
ihren letzten Defensivstellungen zu werfen. An der Lys, der Her-
mann- und Hundingstellung beabsichtigte Marschall Foch die Ent-
scheidungsschlacht zu liefern.
Gegenüber dieser durch immer erneuten Zustrom frischer Kräfte
gespeisten Offensive blieb den deutschen Armeen nichts anderes übrig,
als allmählich zurückzuweichen. Der bereits erwähnte Gegensatz zwi-
schen den Armeeführern und der Obersten Heeresleitung hinsichtlich
der hierbei anzuwendenden Taktik verschärfte sich°. So hatte Gene-
raloberst v. Boehn, seit August Oberbefehlshaber der aus der 2., 18.
und 9. Armee bestehenden Heeresgruppe, schon am 4. Oktober bean- 5
5 Siehe oben S. 114 ff.
In Erwartung der Antwort Wilsons
158
tragt, baldigst in die Antwerpen-Maas-Stellung auszuweichen, um
die Front dadurch zu verkürzen und Truppen aussparen zu können.
Ihm erwiderte General Ludendorff: „Ich bin mir des Ernstes der
Lage, im besonderen vor der Front der Heeresgruppe Boehn, voll
bewußt. Bei dem Mangel an Reserven bleibt uns nichts übrig, als
abschnittsweise auszuweichen, in der Erwartung, daß die Verluste des
Feindes bei dem starken Angriff und unserepolitischen Bar-
sch läge" die feindlichen Angriffe allmählich schwächen."
Auch in einem Schreiben des Feldmarschalls v. Hindenburg vom
12. Oktober, das an die Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht gerichtet
war, wurde von den diplomatischen Verhandlungen zur Beendigung
des Krieges gesprochen und der Ansicht Ausdruck verliehen, daß ihr
Abschluß umso günstiger sein würde, je mehr es gelinge, das Heer
fest in der Hand zu halten, den eroberten Boden zu behaupten und
den Feind zu schädigen. Kronprinz Wilhelm meldete am 27. Oktober:
„Die Heeresgruppe ist selbstverständlich bereit, zu halten bis zum Letz-
ten! Ich bin aber zu der Meldung verpflichtet, daß bei Fortsetzung
starker Angriffe nach meiner Ansicht und nach Meldung meiner Ar-
meen mit der Möglichkeit eines Durchbruches gerechnet werden muß.
Die Gefahr liegt vor, daß durch schwere Niederlagen Deutschland sei-
ner Wehrkraft völlig beraubt und zu bedingungsloser Übergabe ge-
zwungen wird. Ich sehe daher das kleinere Übel in einem Absetzen
der Front." Ihm erwiderte Hindenburg am 28. Oktober: „Die Reichs-
leitung ist entschlossen, die Waffenruhe so schnell als möglich herbei-
zuführen. Gelingt es dem Heere, die feindlichen Angriffe noch eine
Zeitlang abzuwehren und wenig Boden zu verlieren, so werden die
von der Entente uns gestellten Bedingungen weniger schwer sein, als
wenn unsere ganze Front zwischen Meer und Verdun zurückgeht. Die
Wirkung auf In- und Ausland würde in diesem Augenblick die
schwerwiegendsten Folgen haben. Nach Mitteilung des Feldeisen-
bahnchefs würden Milliardenwerte und unersetzbares Kriegsmaterial
verloren gehen. Ich kann dem Vorschlag der Heeresgruppe Deutscher
Kronprinz daher zur Zeit nicht zustimmen und erwarte, daß sie auch
in den nächsten Tagen wie bisher den feindlichen Angriffen standhal-
ten wird."
Die Truppen der Heeresgruppe haben dieser Erwartung in her-
vorragender Weise entsprochen.
Erst am 4. November 1918 hat die Oberste Heeresleitung, immer
in Rücksicht auf den Verlauf der diplomatischen Unterhandlungen,
den Rückmarsch des gesamten Westheeres in die Antwerpen-Maas-
Vom Verfasser hervorgehoben.
156 Die rein politische Kriegsleitung
Stellung befohlen. Diese verlief westlich Antwerpen, östlich Alost,
westlich Brüssel-Nivelles über Charleroi, westlich Givet-Fumay-Se-
dan-Stenay nach Consenvoye, wo sie über Fresnes den Anschluß an
die Michelstellung fand und von da der Frontlinie bis an die
Schweizer Grenze folgte. Leider stand sie in ihrem nördlichen Teil
eigentlich nur auf dem Papier.
Das übergewaltige militärische Geschehen an der deutschen West-
front im September und Oktober 1918 ist hier nur in flüchtiger Skiz-
zierung wiedergegeben, um den Zusammenhang zwischen Kriegfüh-
rung und Politik in der entscheidenden Schlußepoche um so deutlicher
hervortreten zu lassen. Für Deutschland war das Festhalten der weit
vorgeschobenen Linien in Feindesland immer ein Hauptgesichtspunkt
gewesen. „Unsere Fronten stehen fest", „die Front hält", das war
die grundlegende Auffassung, auf der auch das Festhalten an über-
stiegenen Kriegszielen beruhte. In überraschendem Anlauf war es
den deutschen Armeen im Sommer 1914 gelungen, das Glacis der
deutschen Festung immer weiter hinein in Feindesland vorzuschie-
ben. Damit hatten sich unsere Aussichten verbessert, denn wir erwei-
terten so das für unsere Versorgung ausnutzbare Gebiet und hielten
die Schrecken des Krieges dem eigenen Lande fern. Wir hatten ge-
wissermaßen unsere im Frieden vorhandenen Landesgrenzen zunächst
gleich im Westen, später auch im Osten, weit vorgerückt und schickten
uns dann an, diese neugewonnenen Grenzen defensiv zu halten. In
dem darauf folgenden Dauerkriege näherte sich die deutsche Krieg-
führung trotz ihrer so ganz anderen äußerlichen Erscheinungsformen
doch in gewissem Sinne wieder der friderizianischen Zeit, wo man
auszog, einzelne Provinzen zu gewinnen, sich in ihnen einrichtete
und schließlich Winterquartiere bezog. In Ost und West hatten wir
allmählich einen ganz erheblichen Geländegewinn zu decken, der feld-
mäßig befestigt und zu Dauerquartieren umgestaltet wurde. Gelang
es, diese Stellungen allen Anstürmen der Feinde zum Trotz uner-
schüttert zu behaupten, so hatten wir die Grundlagen eines neuen
Friedens eigentlich schon vorweggenommen.
So war in Deutschland nach und nach der Glaube an die Unbe-
siegbarkeit unserer Westfront entstanden und ganz besonders dadurch
befestigt worden, daß 1917 im Osten durch die russische Revolution
eine Rückendeckung für uns eintrat. „Es wird uns immer noch ge-
lingen, auf französischem Boden stehen zu bleiben und so den Gegner
allmählich friedenswillig zu machen", das war der Sinn der Äuße-
rungen der O.H.L. in den wichtigen Besprechungen am 13. und 14.
August 1918 gewesen. Der entscheidende Punkt in der Rechnung war
aber, ob diese Überlegenheit auch für eine längere Zukunft noch zu ge-
währleisten war, wo die Blockade sich in Deutschland immer schärfer
In Erwartung der Antwort Wilsons
157
auswirkte, der Mangel an den notwendigsten Dingen in erschrecken-
dem Maße zunahm, und vor unseren Linien eine sich täglich verstär-
kende Gegnerschaft sich zu entscheidenden Kämpfen anschickte.
Jetzt war es so weit, daß an der deutschen Westfront um jeden
Fußbreit Landes erbitterte Kämpfe geführt und neue Opfer gebracht
werden mußten, während bereits politische Verhandlungen über die
militärischen Gewaltleistungen hinwegschritten und den Gang der
Dinge entscheidend zu bestimmen begannen. Die Diplomatie hatte
das Wort.
Das ganze weitere Geschehen war eindeutig politisch und ideen-
mäßig bestimmt. Die rein militärischen Kämpfe traten in den Hin-
tergrund, wenn auch hüben und drüben alle Bestrebungen darauf ge-
richtet waren, die militärische Lage so günstig zu gestalten, wie nur
irgend möglich, um dadurch für die kommenden Auseinandersetzungen
den günstigsten Ausgangspunkt zu gewinnen. Mars regierte noch
die Stunde, aber neue Ideen rangen um ihre Durchsetzung in die
harte Welt der bisher einseitig militärisch und machtmäßig bestimm-
ten Tatsachen hinein.
Würde es dem Präsidenten Wilson gelingen, nun wirklich der
Welt einen Frieden zu geben, wie er es in seinen bisherigen Reden
verkündet hatte? Das war die bange Frage, von deren Beantwor-
tung für die ganze Welt unendlich viel abhing. Am 4. Oktober mor-
gens war die deutsche Note an Wilson abgegangen. Am 8. Oktober
hatte man sich endlich in Washington zu einer Antwort entschlossen,
die aber erst am 10. Oktober vormittags in Berlin eintraf.
Bevor wir in die Unterhandlungen zwischen Wilson und der
deutschen Regierung näher eintreten, ist ein Blick auf die Gestaltung
der obersten Gewalten in Deutschland, so wie sie sich jetzt allmählich
herausgebildet hatte, unerläßlich.
Wieder müssen wir vom Triumvirat des Feldmarschalls Grafen
Schliessen ausgehen, in dem unter dem Kaiser als Obersten Kriegs-
herrn die verantwortlichen Leiter der Politik und des Heeres ihren
Ausgleich zu finden hatten. Hierfür war eine starke monarchische
Spitze die zwingende Voraussetzung. Die Gestaltung der Verhältnisse
im Laufe des Weltkrieges hatte nun aber gerade im Gegensatz zu die-
ser durchaus erwünschten Entwicklung die Persönlichkeit des Obersten
Kriegsherrn in den Hintergrund treten lassen. Im Volke sprach man
schließlich nur noch von den Heerführern Hindenburg und Ludendorsf.
Einsichtige Berater des Monarchen hatten daher immer ihr Augen-
merk darauf gerichtet, die Persönlichkeit des Obersten Kriegsherrn
wieder mehr als bisher in den Vordergrund zu bringen, um so
mindestens eine Schwächung der Stellung des Kaisers zu ver-
hindern.
158
Die rein politische Kriegsleitung
Alle auf diesem Wege unternommenen Versuche hatten aber
leider die entgegengesetzte Wirkung. Der kluge, immer sachliche und
von tiefem Verantwortungsgefühl durchdrungene Zivilberater des
Kaisers, der Kabinettschef v. Valentini, mußte im Januar 1918 der
Forderung der O.H.L. geopfert werden, woraus sich zweifellos eine
weitere Schwächung des monarchischen Prinzips ergab. Valentini
stand hoch genug über den Dingen, um zu erkennen, daß im Welt-
kriege auf deutscher Seite die Schwierigkeiten nicht in den Personen,
sondern in der Sache lagen. In allen Kriegen der Vergangenheit
waren Gegensätzlichkeiten zwischen politischem und militärischem
Denken zutage getreten. Wenn es — vom Ressortstandpunkt aus —
der militärischen Oberleitung erwünscht sein mußte, eine gefügige
politische Leitung zu erstreben, so stand diese Forderung mit dem Ruf
nach „starken Männern" und nach Charakteren wenig in Einklang,
denn gerade mit solchen Persönlichkeiten hätte man vom militäri-
schen Standpunkte aus schwer arbeiten können. Valentini hatte hier-
über sehr klare Ansichten, die er in einer Konferenz am 11. Januar
1917 — vor dem Entschluß über den unbeschränkten U-Bootkrieg —
den Heerführern Hindenburg und Ludendorff deutlich mit den Wor-
ten aussprach: „Es muß dabei bleiben, daß jeder seine Sache vertritt,
und daß Seine Majestät entscheidet. Sonst wird der Kaiser ausge-
schaltet, und wir haben die Diktatur. In den Kriegen 1866 und
1870/71 hat immer der Monarch die letzte Entscheidung getroffen. So
muß es auch jetzt sein. Friktionen werden immer kommen, auch mit
jedem Nachfolger." Wenn es Valentini damals gelungen ist, eine
zeitweilige Aussöhnung der O.H.L. mit dem Reichskanzler v. Beth-
mann Hollweg zu bewirken, so war diese bekanntlich nicht von langer
Dauer, und kein geringerer als Hindenburg selbst hat festgestellt, daß
die Dinge sich nach dem Abgänge Bethmanns in keiner Weise ver-
bessert hatten. Ähnliche Feststellungen hat auch Ludendorff in seinen
Kriegswerken getroffen.
Mit der Entlassung Valentinis im Januar 1918 auf Wunsch der
Obersten Heeresleitung ging ein weiteres verfassungsmäßiges Vor-
recht des Monarchen verloren. Als am 13. Januar der Kronprinz
bei Valentini war und ihm nahelegte, seinen Abschied selber zu erbit-
ten, erklärte letzterer: „Welche Untergrabung der Autorität des
Monarchen! Diesmal sind es seine Generale, welche den Kaiser zu
einem Wechsel in der Person der nächststehenden Berater zwingen, das
nächste Mal wird es das Parlament sein! Und dann wird der Kaiser
nicht mehr frei in der Wahl des Nachfolgers sein, sondern den neh-
men müssen, den der Reichstag wünscht! Wie kann der Thronerbe
hierzu die Hand bieten!"
Schon Major Niemann hatte, als er sein Kommando beim
Obersten Kriegsherrn antrat, das Bestreben gehabt, eine aktivere Be-
In Erwartung der Antwort Wilsons
159
teiligung des Kaisers an der obersten Kriegsleitung anzubahnen.
Ganz im gleichen Geiste hielt es auch Prinz Max von Baden für an-
gezeigt, die Stellung des Obersten Kriegsherrn wieder zu heben. Er
empfahl ihm daher bei einem Besuch am 6. Oktober, an Stelle des
Herrn v. Berg seinen bewährten Kabinettschef v. Balentini wieder
zu berufen. Die dem Kaiser abgezwungene Entlassung dieses Man-
nes habe einen Übergriff in die Rechte der Krone bedeutet und dem
Ansehen der Monarchie geschadet. Der Kaiser schien über die ihm
vorgeschlagene Lösung erfreut, fragte aber gleich, ob Hindenburg und
Ludendorff keinerlei Schwierigkeiten machen würden. Prinz Max
konnte darüber beruhigende Auskunft geben, da er die notwendigen
Erkundungen schon eingezogen hatte. Familieneinflüsse haben da-
mals eine Wiederberufung Balentinis verhindert, denn der Kaiser
teilte dem Prinzen Max am 9. Oktober zu seiner großen Überraschung
mit, die Sache habe sich zerschlagen, es hätten sich in seiner Familie
unerwartete Widerstände eingestellt; er glaube aber im Staatsmini-
ster Clemens v. Delbrück einen guten Ersatz gefunden zu haben. Die
Ernennung des Staatsministers C. v. Delbrück erfolgte am 9. Okto-
ber. Am gleichen Tage wurde Scheüch an Stelle des Generals v. Stein
Kriegsminister.
Bon einer Stärkung der Stellung des Monarchen im Trium-
virat konnte somit in den Oktobertagen des Jahres 1918, als der
Notenkampf mit Wilson begann, keine Rede mehr sein. Im Gegen-
teil, man sprach in vertrauten Kreisen bereits von einer Möglichkeit
oder sogar Notwendigkeit einer Abdankung des Monarchen. Nur
kurze Zeit noch, und diese Forderung sollte — zunächst in verhüllter
Form — über den Ozean herüberschallen!
Jetzt, wo das kriegerische Ringen sich dem Ende zuneigte, war in
die maßgebendste Stelle der deutschen obersten Kriegsleitung der
Reichskanzler gelangt. Die parlamentarische Verbreiterung der Re-
gierung bedeutete aber nur scheinbar eine Verstärkung seiner Stel-
lung, denn in Wirklichkeit war er in hohem Maße von der Zustim-
mung seines vielköpfigen Kabinetts abhängig. Einen schroffen Stand-
punkt gegenüber den Anschauungen dieser Berater und der maßge-
benden Persönlichkeiten im Parlament konnte er kaum wagen, wenn
er die schon damals fast unerträglichen Spannungen nicht noch ver-
schärfen wollte.
Die bis zum 4. Oktober in ihrem Machtbereich und darüber hin-
aus fast souveräne Oberste Heeresleitung war durch die Entwicklung
der Dinge jetzt zu einem Ressort des Reichskanzlers herabgesunken.
Zwar erforderte der Abwehrkampf an der Westfront die höchste An-
spannung aller Kräfte, aber der eigentliche militärische Teil des
Schlußringens war nach dem Schwinden der Hoffnung und der Mög-
160
Die rein politische Kriegsleitung
lichkeit auf Sieg nur noch ein Teil, wenn auch sicherlich der wichtigste
Teil, der Sorgen der deutschen Reichsleitung. Für die Auseinander-
setzungen mit Wilson mußte somit die Entscheidung im Berliner Ka-
binett von nun an das Maßgebende sein.
Eine Frage drängt sich auf. Wäre es nicht möglich gewesen, daß
bei dieser Lage der Dinge der Monarch mit starkem Entschluß nach
der Last der obersten Leitung gegriffen und jetzt, gestützt auf das hohe
Ansehen des Kaisertums und seine gewaltigen gefühlsmäßigen Werte,
sich selbst zum diktatorischen Vollstrecker aller weiteren Entschlüsse
aufgeworfen hätte? War etwas Derartiges nicht möglich? Hätte nicht
die Berufung auf die furchtbare Notlage des Reiches und auf die her-
annahende Vergewaltigung des deutschen Volkes die Mehrheit der
Widerstände innerhalb des deutschen Volkes besiegen und alles zu
einer gemeinsamen Abwehrfront zusammenschweißen können? Wenn
überhaupt an irgend einer Stelle zu einer „levee en mu88e" aufge-
rufen werden konnte, so war es von der höchsten Stelle aus am leich-
testen möglich, die sich dann dazu entschließen mußte, über die wirk-
liche Lage und über die in ihr liegenden Gefahren rückhaltlose Auf-
klärung zu geben. Wir können die Frage nur stellen, aber nicht be-
antworten. Die Dinge haben zu Deutschlands Unglück einen anderen
Verlauf genommen. Der Dornenweg der Unterwerfung war bereits
beschritten worden.
Am 8. Oktober konnte man in Berlin mit dem baldigen Eingang
der ersten Wilsonnote rechnen. Der Reichskanzler ließ Ludendorff
bitten, nach Berlin zu kommen, da er besser als vor acht Tagen über
die militärischen Grundlagen Bescheid wissen wollte, auf denen sich
die weiteren Entschließungen aufzubauen hatten. Der General er-
hielt bei seinem Eintreffen am 9. Oktober einen Fragebogen, der nach
Ludendorffs Ansicht^ in seiner Genauigkeit unmöglich zu beantwor-
ten, aber doch dafür charakteristisch war, „wie wenig die Herren in
Berlin das Wesen des Krieges kannten." Die erste Wilsonnote ließ
nach seiner Ansicht noch die Hoffnung zu, daß wir einen Frieden be-
kämen, der uns nicht vernichtete.
Die erste Note Wilsons.
Die am 9. Oktober mit Funkspruch in Berlin eintreffende Note'
gipfelte in dem Verlangen, sofort die Truppen überall aus den be-
setzten Gebieten zurückzuziehen. Sie enthielt ferner die Frage, ob die
deutsche Regierung die vom Präsidenten in seiner Botschaft vom
8. Januar 1918 und in den folgenden Kundgebungen niedergelegten 7 8
7 „Meine Kriegserinnerungen", S. 594.
8 Amtliche Urkunden zur Vorgeschichte des Waffenstillstandes 1918, Nr. 37.
Die erste Note Wilsons
161
Bedingungen annehme, und ob ihr Zweck beim Eintritt in die Dis-
kussion „nur der sein würde, sich über die praktischen Einzelheiten
ihrer Anwendung zu verständigen." Den Abschluß der von Robert
Lansing unterzeichneten Note bildete die Frage, ob der deutsche Kanz-
ler nur für diejenigen Gewalten des Reiches spreche, die bisher den
Krieg geführt hätten. Die Antwort auf diese Frage sei von jedem
Standpunkt aus außerordentlich wichtig.
Der vorherrschende Eindruck der Note war in Berlin, daß Wilson
nicht ablehne, sondern bereit sei, die Vermittlung in die Hand zu
nehmen. Ob es möglich sein würde, das von Wilson gestellte Räu-
mungsverlangen abzulehnen, konnte nur militärisch entschieden wer-
den. Prinz Max von Baden sprach hierüber vor einer für den 9. Ok-
tober anberaumten Sitzung mit dem General unter vier Augen. Bei
dieser Gelegenheit erinnerte er an die Entstehung des Waffenstill-
standsangebots, und daß er als „pazifistischer Prinz" jetzt schon für
die Bitte um Waffenstillstand verantwortlich gemacht werde. Jetzt sei
er, um Deutschlands Schwäche nicht noch weiter zu enthüllen, nicht
in der Lage, die wahren Zusammenhänge aufzuklären und müsse das
Angebot vom 3. Oktober nunmehr mit seinem Namen decken. General
Ludendorff erwiderte ihm: „Ich danke Euer Großherzoglichen Hoheit
im Namen der Obersten Heeresleitung und im Namen der Armee."
Im Verlause der Sitzung beantwortete Ludendorff die Fragen
des ihm übergebenen Fragebogens mündlich". Auf die Frage „Muß
auch heute noch mit der Möglichkeit eines militärischen Zusammen-
bruchs vor dem Frühjahr gerechnet werden, und, bejahendenfalls, be-
steht diese Gefahr schon für die nächsten drei bis vier Wochen?" ant-
wortete er: „Gefahr des Durchbruchs besteht immer. Engländer hät-
ten beim ersten Tankangriff durchbrechen können." Oberst Heye er-
klärte in der gleichen Sitzung, daß er der O.H.L. seit vier Wochen an-
gehöre, und daß wir bei der jetzigen Ersatzlage nicht mehr mit Sicher-
heit auf eine gute Kriegsdurchführung rechnen könnten. „Es wäre
Hazardspiel der O.H.L., wenn sie den Friedensschritt nicht beschleu-
nigte. Es kann fein, daß wir bis zum Frühjahr halten. Es kann
aber auch jeden Tag eine Wendung kommen. Gestern hing es an
einem Faden, ob Durchbruch gelang. Dringende Bitte, nicht von
Nervosität zu sprechen. Schritt zum Frieden, noch mehr zu Waffen-
stillstand, ist unbedingt notwendig. Truppe hat keine Ruhe mehr.
Unberechenbar, ob die Truppe hält oder nicht. Jeden Tag neue Über-
raschungen. Ich fürchte nicht eine Katastrophe, sondern möchte Armee
retten, damit wir während der Friedensverhandlungen sie noch als
Druckmittel haben. Armee braucht Ruhe. Hat sie die und gewinnt sie
neuen Ersatz, so kann sie auch wieder neue Leistungen zeigen." 9
9 Amtliche Urkunden zur Vorgeschichte des Waffenstillstandes, Nr. 36 u. 38,
Schwertfeger, Das Weltkriegsende
11
162
Die rein politische Kriegsleitung
Auf Grund der erhaltenen Auskünfte entschloß man sich in Ber-
lin, auf das Räumungsverlangen Wilsons einzugehen. Wichtig war
in der zweiten deutschen N o t e, die am 12. Oktober an Wil-
son herausging, der Satz: „Die deutsche Regierung nimmt an, daß
auch die Regierungen der mit den Vereinigten Staaten verbundenen
Mächte sich auf den Boden der Kundgebungen des Präsidenten Wil-
son stellen." Die Frage der ersten Wilsonnote, ob der Kanzler nur
für diejenigen Gewalten des Reiches spreche, die bisher den Krieg ge-
führt hätten, wurde wie folgt beantwortet: „Die jetzige deutsche Re-
gierung, die die Verantwortung für den Friedensschritt trägt, ist ge-
bildet durch Verhandlungen und in Übereinstimmung mit der großen
Mehrheit des Reichstages. In jeder seiner Handlungen, gestützt auf
den Willen dieser Mehrheit, spricht der Reichskanzler im Namen der
deutschen Regierung und des deutschen Volkes."
Die zweite Note an Wilson wurde nicht vom Prinzen Max, son-
dern vom Staatssekretär Sols unterzeichnet, da am 11. Oktober eine
Kanzlerkrisis ausgebrochen war, die sich an einen von den Franzosen
veröffentlichten Brief des Prinzen Max vom Januar 1918 an den
Prinzen Alexander Hohenlohe knüpfte 10. Zeitweise schien es, als wenn
der Kanzler zurücktreten müßte, bis schließlich die Wogen sich glätte-
ten. Hierfür war eine Erklärung der O.H.L., sie müsse die Verant-
wortung für die militärischen Folgen eines Kanzlerwechsels ablehnen,
mit maßgebend gewesen.
Wilsons zweite Note.
Der 12. Oktober wurde wieder zu einem kritischen Tag erster
Ordnung für Deutschland. Unglücklicherweise wurde an diesem Tage
bekannt, daß der zwischen Irland und England verkehrende Passagier-
dampfer „Leinster" torpediert worden sei, und daß unter den Hun-
derten dabei Umgekommenen sich viele Amerikaner und Mitglieder
der in England herrschenden Kreise befanden. Seit der Torpedierung
der „Lusitania" war eine solche Erregung in Amerika noch nicht be-
obachtet worden wie jetzt. Wilson glaubte offenbar, auf diese Schwen-
kung in der öffentlichen Meinung der Vereinigten Staaten bei der
Beantwortung der zweiten deutschen Rote gebührend Rücksicht neh-
men zu müssen. Die Rote erhielt daher die außerordentlich scharfen
Fassungen über den U-Bootkrieg und über die deutsche Kriegführung
bei dem Rückzüge aus Flandern und Frankreich. Es könne nicht er-
wartet werden, „daß die gegen Deutschland assoziierten Nationen
einem Waffenstillstände zustimmen werden, solange die unmensch-
lichen Handlungen, Plünderungen und Verwüstungen fortgesetzt wer-
10 Näheres darüber in den Erinnerungen und Dokumenten des Prinzen
Max von Baden, S. 183 ff. und 397ff.
Wilsons zweite Note
den, auf die sie gerechterweise mit Schrecken und empörtem Herzen
Hinblicken." AIs Voraussetzung eines Waffenstillstandes bezeichnete
Wilson „völlig befriedigende Sicherheiten und Bürgschaften für die
Fortdauer der gegenwärtigen militärischen Überlegenheit der Armeen
der Vereinigten Staaten und der Alliierten an der Front." Schließ-
lich deutete die Note in unbestimmten Worten an, das deutsche Volk
möge sein Schicksal selbst in die Hand nehmen, wenn der Friede durch
das Vorgehen des deutschen Volkes selbst kommen solle.
Wilsons zweite Note vom 14. Oktober wirkte bei ihrem Eintref-
fen am 16. Oktober früh in Berlin geradezu katastrophal. Der müh-
sam gesicherte Burgfrieden zwischen den Parteien zerbrach. Die Un-
abhängigen Sozialdemokraten sprachen bereits von einer Regierung
Haase-Ledebour als von einem bevorstehenden Ereignis. Die Mehr-
heitssozialdemokratie vertrat einen ruhigeren Standpunkt, spürte
aber die immer fühlbarer werdende Schwächung ihrer Macht, wäh-
rend die radikalen Stimmen ständig an Einfluß gewannen. Das Elend
in den deutschen Städten, ganz besonders in Berlin, war grauenhaft.
Es fehlte an Kohlen, an ausreichender Kleidung, an Lebensmitteln.
Die über ganz Europa hingehende Grippe-Epidemie forderte Riesen-
opfer und wütete unter den vollständig erschöpften Menschen mit
doppelter Kraft. In Berlin sind allein am 15. Oktober nicht weniger
als 1722 Personen daran erkrankt.
Von den rechtsstehenden Parteien und unzähligen einzelnen
Persönlichkeiten gelangten beschwörende Telegramme und Briefe an
den Reichskanzler, er möge die Waffenstillstandsaktion abbrechen, die
Glocken läuten lasten und die Nation zum Entscheidungskampf auf-
rufen. In der „Kreuzzeitung" erließ die konservative Partei auf
eigene Faust einen Aufruf zur nationalen Verteidigung. Großadmi-
ral v. Tirpitz berief sich auf die in der Vaterlandspartei vereinigten
Hunderttausende von Männern und empfahl einen Aufruf des gan-
zen Volkes zur entschlossensten Verteidigung unserer Ehre und unse-
rer Lebensmöglichkeiten. Ein Brief des Grafen Arnim-Boitzenburg,
des Präsidenten des Herrenhauses, vom 16. Oktober, forderte gleich-
falls das Aufrufen des Volkes zum letzten Widerstand. Auch über
Personenfragen dürften wir nicht das große Ganze in den Hinter-
grund stellen: „Gott fordert von uns, daß wir alles tun, was in un-
seren Kräften steht. Er hat uns in ein dunkles Tal geführt, vielleicht
um unser Volk noch einmal zu erretten und es tüchtig zu machen,
durch höchste Anspannung seiner ganzen hohen sittlichen Kräfte den
Weg zu finden, der es zum Heil der Menschheit gegen Trug und Lug
zum Siege führt. Handeln Sie, Großherzogliche Hoheit, das Vater-
land würde es Ihnen ewig danken."
Am 17. Oktober, während an der Westfront bei der 18. Armee
wieder schwere Kämpfe stattfanden, wurde in Berlin über die zweite
11*
Mists
164
Die rein politische Kriegsleitung
Wilsonnote beraten. General Ludendorff war hingebeten worden,
um dem Kriegskabinett militärische Aufschlüsse zu geben. Auch Ge-
neral Hoffmann und Oberst Heye nahmen an der Sitzung teil. Unter
den an Ludendorff gerichteten Fragen war die wichtigste, wie lange
bei Fortsetzung des Krieges durch äußerste Anspannung der Volks-
kraft der Krieg so geführt werden könne, daß die Feinde von den deut-
schen Landesgrenzen ferngehalten würden. Ludendorff gab genaue
Auskunft, die er in seinen Kriegserinnerungen hinsichtlich der mili-
tärischen Lage im Großen wie folgt gefaßt hat:" „Ich halte einen
Durchbruch für möglich, aber nicht für wahrscheinlich... Wenn Sie
mich auf mein Gewissen fragen, kann ich nur antworten: ich fürchte
ihn nicht." Von den Waffenstillstandsbedingungen meinte er, daß wir
nichts auf uns nehmen dürften, was eine Wiederaufnahme der Feind-
seligkeiten unmöglich mache. Die Hauptforderung, die er vorbrachte,
war die nach stärkerem Mannschaftsersatz.
Für den Reichskanzler Prinzen Max bildete es eine schwere Ver-
antwortung, die Auskünfte des militärischen Fachberaters mit den
politischen Schritten, also mit der Beantwortung der zweiten Rote
Wilsons, auszugleichen. Die Ausführungen des Generals Luden-
dorff hatten ihn nicht überzeugt. Das Wesentlichste war für ihn, daß
auch die O.H.L. einen Abbruch der Waffenstillstandsverhandlungen
nicht wünschte.
Nach der Torpedierung des Passagierschiffes „Leinster" mußte
nunmehr die Entscheidung über den U-Bootkrieg fallen, den auch Lu-
dendorff in Übereinstimmung mit Admiral Scheer nicht aufgegeben
sehen wollte. Rach scharfen Auseinandersetzungen, die bis hart an
eine Kanzlerkrisis heranstreiften, wurde der Entschluß durchgesetzt,
auf den unbeschränkten U-Bootkrieg zu verzichten.
Bei dieser Gelegenheit ergab sich eine neue Erprobung der da-
maligen Konstruktion der obersten Kriegsleitung. Das eigentliche
Kriegskabinett des Prinzen Max war geschloffen für die Einstellung
des verschärften U-Bootkrieges. Die O.H.L. aber hatte sich die An-
schauung des Admirals Scheer zu eigen gemacht und auch den Ober-
sten Kriegsherrn dafür gewonnen. Oberst v. Haeften, der nach wie
vor in Berlin die Verbindung zwischen der O.H.L. und der Regierung
herstellte, erhielt am 20. Oktober von dort ein für den Prinzen Max
bestimmtes Telephonat des Feldmarschalls v. Hindenburg, in dem es
hieß: „Die Westfront ist in größter Anspannung. Ein Durchbruch
bleibt möglich, wenn ich ihn auch nicht befürchte. Durch Absetzen vom
Feinde in Belgien und Zuführen des zugesagten Ersatzes könnte ein
" Vergl. auch die ausführlichen Protokolle der Sitzungen am 17. Oktober
1918 in den amtlichen „Urkunden zur Vorgeschichte des Waffenstillstandes",
Nr. 67 und 68.
Wilsons zweite Note
165
nachhaltiger Widerstand organisiert werden, der den Kampf an der
Westfront in die Länge zieht und uns zwar nicht den ausgesprochenen
Sieg beschert, wohl aber uns vor dem Äußersten bewahrt. Aber selbst
wenn wir geschlagen würden, ständen wir nicht wesentlich schlechter
da, als wenn wir jetzt schon alles annähmen. Es ist die Frage zu stel-
len: will das deutsche Volk um seine Ehre nicht nur in Worten, son-
dern tatsächlich bis zum letzten Mann kämpfen, und sich damit die
Möglichkeit des Wiedererstehens sichern, oder will es sich für Kapitu-
lation und damit zum Untergang vor der äußersten Kraftanstren-
gung drängen lassen? Mit der durch das Zugeständnis der Note be-
wirkten Preisgabe des U-Bootkrieges ohne jede Gegenleistung be-
schreiten wir den letzteren Weg. Wir würden zudem auf die Stim-
mung der durch die harten Kämpfe schwergeprüften Armee äußerst
ungünstig einwirken. Ich kann daher der Note in diesem Punkte nicht
zustimmen. Muß die Regierung, falls sie sich dieser Ansicht anschließt,
damit rechnen, daß die Verhandlungen mit Wilson scheitern, so muß
sie entschlossen sein, den Kampf bis zum letzten Mann unserer Ehre
halber auszukämpfen. Ich kann mir trotz der ungemein schweren Lage
der Armee keinen anderen Weg denken und hoffe fest, daß die Regie-
rung für diesen schweren Entschluß das ganze Vaterland hinter sich
haben wird."
Der Reichskanzler war durch den Ton dieser Kundgebung pein-
lich berührt, da die O.H.L. es gewesen war, die nach seiner Ansicht die
Regierung auf den Weg des Verhandelns mit Wilson gedrängt hatte.
Im Kriegskabinett, das am 20. Oktober tagte, wurde die Forderung
laut, öffentlich klarzustellen, daß die Oberste Heeresleitung die Waf-
fenstillstandsbitte erzwungen habe. Auch müsse das Kabinett verlan-
gen, daß die O.H.L. sich vorbehaltlos auf den Standpunkt der an
Wilson zu richtenden dritten Rote stelle.
Auch der Oberste Kriegsherr trat für die Aufrechterhaltung des
U-Bootkrieges ein. In einer Besprechung mit dem Kanzler gab er
schließlich sehr unwillig, wie Prinz Max in seinen Erinnerungen be-
tont, seine Zustimmung zur Einstellung des verschärften U-Bootkrie-
ges. Bei dieser Besprechung war der Vertreter Bayerns, Graf Ler-
chenfeld zugegen, der auf gefährliche Strömungen im Reiche hinwies,
die eine besondere Spitze gegen den Kaiser angenommen hätten. Der
Kaiser unterbrach ihn mit den Worten, er wisse dies und er wisse
auch, daß manche seine Abdankung forderten; aber ein Nachfolger
Friedrichs des Großen danke nicht ab.
Die Entscheidung über den U-Bootkrieg war gefallen, der Oberste
Kriegsherr hatte sie genehmigt. Nunmehr erging die d ritte deut-
sche Note an Wilson, in der es hieß: „Um alles zu verhüten,
was das Friedenswerk erschweren könnte, sind auf Veranlassung der
166
Die rein politische Kriegsleitung
deutschen Regierung an sämtliche Unterseeboot-Kommandanten Be-
fehle ergangen, die eine Torpedierung von Passagierschiffen aus-
schließen, wobei jedoch aus technischen Gründen eine Gewähr dafür
nicht übernommen werden kann, daß dieser Befehl jedes auf See be-
findliche Unterseeboot vor seiner Rückkehr erreicht." Auf die von Wil-
son in seiner zweiten Note ausgesprochene Bedingung der Beseiti-
gung jeder auf Willkür beruhenden Macht, „die für sich, unkontrol-
liert und aus eigenem Empfinden den Frieden der Welt stören"
könne, erwiderte die deutsche dritte Note, daß bisher im Deutschen
Reich der Volksvertretung ein Einfluß auf die Bildung der Regierung
nicht zugestanden habe, und daß die Verfassung auch bei der Entschei-
dung über Krieg und Frieden eine Mitwirkung der Volksvertretung
nicht vorsah. Jetzt habe sich in diesen Verhältnissen ein grundlegender
Wandel vollzogen, und die neue Regierung sei in völliger Überein-
stimmung mit den Wünschen der aus dem gleichen, allgemeinen, ge-
heimen und direkten Wahlrecht hervorgegangenen Volksvertretung
gebildet. Die Verfassung des Reiches solle dahin geändert werden,
daß zur Entscheidung über Krieg und Frieden in Zukunft die Zustim-
mung der Volksvertretung erforderlich sei. Die Note schloß mit den
Worten: „Die Frage des Präsidenten, mit wem er und die gegen
Deutschland verbündeten Regierungen es zu tun haben, wird somit
klar und unzweideutig dahin beantwortet, daß das Friedens- und
Waffenstillstandsangebot ausgeht von einer Regierung, die, frei von
jedem willkürlichen und unverantwortlichen Einfluß, getragen wird
von der Zustimmung der überwältigenden Mehrheit des deutschen
Volkes."
In dieser Form ist die Note, in der die Regierung auch kräftige
Verwahrung gegen den Vorwurf ungesetzlicher und unmenschlicher
Handlungen in der deutschen Kriegführung eingelegt hatte, in der
Nacht vom 20./21 Oktober an Wilson abgegangen.
Für die Haltung des Prinzen Max waren nicht nur die in seinen
ersten Kanzlertagen gemachten Erfahrungen, sondern auch zahlreiche
Nachrichten maßgebend, die er über den Zustand der Armee und über
die Entwicklung im Innern des Reiches erfahren hatte. In dem Te-
lephonat Hindenburgs vom 20. Oktober war ihm das Wesentliche,
daß die Westfront in größter Anspannung sei und ein Durchbruch
möglich bleibe, wenn die O.H.L. ihn auch nicht befürchte. Ganz in
diesem Sinne schilderte auch Kronprinz Rupprecht in einem Briefe
vom 18. Oktober dem Reichskanzler die militärische Lage. Die Trup-
pen seien übermüdet und in erschreckender Weise zusammengeschmol-
zen. Bei einzelnen Armeen seien 50 Prozent der Geschütze ohne Be-
spannung, auch fehle es an Munition. Aktive Offiziere seien nur noch
in den höheren Stäben zu finden, abgesehen von Regimentskomman-
deuren. „Die Stimmung der Truppe hat sehr gelitten und ihre Wi-
Wilsons zweite Note 167
derstandskraft verringert sich ständig; die Leute ergeben sich scharen-
weise bei feindlichen Angriffen, und Tausende von Marodeuren trei-
ben sich im Etappengebiet umher______Ausgebaute Stellungen haben
wir jetzt keine mehr und es lassen sich auch keine mehr schaffen ... Von
einer .levee ea ina88e' nach dem Muster Carnots zu Beginn der
französischen Revolutionskriege verspreche ich mir nicht viel: sie war
damals so ergiebig, weil sie zu Anfang eines Krieges vorgenommen
wurde, wir aber stehen im fünften Kriegsjahr, und unsere Reserven
an Mannschaften sind schon bis zur Neige erschöpft. Wie soll ferner
bei einer .leves en masse' die Kriegsindustrie befähigt bleiben, weiter
zu arbeiten, wo sie doch jetzt schon den zu stellenden Anforderungen
nicht durchaus genügt."
Das waren ernste Worte, deren Schwere noch dadurch unter-
strichen wurde, daß der Kronprinz Rupprecht eine Möglichkeit, über
den Dezember hinaus auszuhalten, nicht als gegeben ansah, zumal
die Amerikaner monatlich etwa 300 000 Mann über den Ozean
brächten. Sein Schreiben schloß mit den Worten: „Ich möchte beto-
nen, daß schon jetzt unsere Lage eine überaus gefährliche ist und es
nach Umständen über Nacht zu einer Katastrophe kommen kann. Lu-
dendorff erkennt nicht den ganzen Ernst der Lage. Unter allen Um-
ständen müssen wir zum Frieden gelangen, ehe der Gegner sich den
Weg nach Deutschland erzwingt, denn dann wehe uns!"
Da Kronprinz Rupprecht in dem Hauptpunkt, daß die Lage ge-
fährlich sei und es unter Umständen zu einer Katastrophe kommen
könne, mit dem Telephonat Hindenburgs, ein Durchbruch bleibe mög-
lich, übereinstimmte, setzte der Reichskanzler den Abgang der dritten
Rote an Wilson noch in der Nacht durch. Das Ergebnis der vorher-
gegangenen Kämpfe mit der O.H.L. ist gewesen, daß diese am 21. Ok-
tober telephonisch dem Obersten v. Haeften die Erklärung abgab, sie
halte sich nicht für einen politischen Machtfaktor, trage daher auch
keine politische Verantwortung, und ihre politische Zustimmung zu der
Rote sei daher auch nicht erforderlich. Die O.H.L. werde sich in der
Angelegenheit gegenüber der Regierung durchaus loyal verhalten
und alles vermeiden, was geeignet wäre, der Regierung in der Ver-
tretung der Rote gegenüber der Öffentlichkeit Schwierigkeiten zu
machen.
Nunmehr trat auch der Kaiser wieder mehr in den Vordergrund.
Am 21. Oktober empfing er die Staatssekretäre im Schloß Bellevue
und verlas eine Ansprache, in der er seinen festen Willen bekundete,
zu seinem Teil alles daran zu setzen, um mit den Staatssekretären
und der Volksvertretung die in dem Erlaß vom 29. September ange-
gebenen Ziele zu erreichen „Ich hoffe, daß es uns, durch heiße Va-
" Vergl. oben S. 122/123.
168
Die rein politische Kriegsleitung
terlandsliebe und das Gefühl starker Verantwortung verbunden, ge-
lingen wird, dem neuen Deutschland den Weg zu einer Hellen und
glücklichen Zukunft zu bahnen. Daran wollen wir alle unsere Kraft
setzen, bereit, den Weg des Friedens zu gehen, bereit aber auch, zu
kämpfen bis auf den letzten Hauch und bis auf den letzten Hieb, wenn
unsere Feinde es nicht anders wollen." Ganz in gleichem Geiste hat
sich Prinz Max von Baden in einer großen Reichstagsrede am
22. Oktober über den bisherigen Notenwechsel mit Wilson ausge-
sprochen und auf die beiden Möglichkeiten hingewiesen, entweder den
Weg der Verhandlungen weiterzugehen oder, falls die feindlichen Re-
gierungen den Krieg wollten, uns mit der ganzen Kraft eines Volkes,
das man zum Äußersten treibt, zur Wehr zu setzen. Wenn diese Not-
wendigkeit eintreten sollte, zweifle er nicht daran, daß die deutsche
Regierung im Namen des deutschen Volkes zur nationalen Verteidi-
gung aufrufen dürfe.
Wilsons dritte Note.
Für die Stetigkeit der Reichsregierung war es sehr bedenklich,
daß Prinz Max am Abend des 22. Oktober schwer an Grippe er-
krankte und sich während der nächsten Tage an den weiteren Verhand-
lungen im Reichstage, die sich dramatisch zuspitzten, nicht beteiligen
konnte. Inzwischen ging Wilsons dritte Note vom 23. Okto-
ber in Berlin am 24. Oktober nachmittags ein. Sie war wiederum
von Robert Lansing unterzeichnet und enthielt die Mitteilung, daß
Wilson den bisherigen Notenwechsel mit der deutschen Regierung
nunmehr den assoziierten Mächten mitgeteilt habe. Nur ein Waffen-
stillstand könne in Frage kommen, der Deutschland eine Wiederauf-
nahme der Feindseligkeiten unmöglich mache. Mit ihren Schlußsätzen
zielte die Note deutlich auf die Abdankung des deutschen Kaisers hin,
wenn es hieß, falls die Regierung der Vereinigten Staaten mit den
militärischen Beherrschern und monarchischen Autokraten Deutsch-
lands verhandeln müsse oder wahrscheinlich später zu verhandeln ha-
ben werde, dann müsse sie nicht Friedensverhandlungen, sondern
Übergabe fordern.
Schon am Nachmittag des 24. Oktober wurde im Reichstage von
der Abdankung des Kaisers als einer Möglichkeit gesprochen. Die
Meinung wurde erörtert, daß Deutschland dann einen besseren Frie-
den bekommen würde. Oberst v. Haeften setzte sich mit der O.H.L. in
Verbindung: ihn beherrschte der Gedanke, daß, wenn es zu einer
Thronentsagung käme, der Kaiser nur aus freiem eigenen Entschluß
die Krone niederlegen dürfe. Hindenburg und Ludendorff erklärten
sich bereit, gleich nach Berlin zu kommen. Prinz Max ließ ihnen sa-
gen, sie möchten in Spa bleiben; sie trafen aber doch am 25. Oktober
früh ein.
169
Wilsons dritte Note
Aus diesen Vorgängen und aus einem Armeebefehl vom 24. Ok-
tober abends, der bereits zu der dritten Wilsonnote Stellung nahm,
entwickelte sich nun der Schlußakt des Ringens um die politische und
militärische Zuständigkeit, das mit der Entlassung des Generals Lu-
dendorff aus seiner Stellung als Erster Generalquartiermeister
endete.
Der zur Bekanntgabe an alle Truppen bestimmte Armeebefehl
(Amtliche Urkunden zur Vorgeschichte des Waffenstillstandes 1918,
Nr. 76 K) beschäftigte sich bereits mit der Note Wilsons vom 23. Ok-
tober und lautete:
„Wilson sagt in seiner Antwort, er wolle seinen Bundesge-
nossen vorschlagen, in Waffenstillstandsverhandlungen einzutreten.
Der Waffenstillstand müsse aber Deutschland militärisch so wehr-
los machen, daß es die Waffen nicht mehr aufnehmen könne. Uber
einen Frieden würde er mit Deutschland nur verhandeln, wenn
dieses sich den Forderungen der Verbündeten in bezug auf seine
innere Gestaltung völlig füge; andernfalls gebe es nur die bedin-
gungslose Unterwerfung.
„Die Antwort Wilsons fordert die militärische Kapitulation.
Sie ist deshalb für uns Soldaten unannehmbar. Sie ist der Be-
weis, daß der Vernichtungswille unserer Feinde, der 1914 den
Krieg entfesselte, unvermindert fortbesteht. Sie ist ferner der Be-
weis, daß unsere Feinde das Wort „Rechtsfrieden" nur im Munde
führen, um uns zu täuschen und unsere Widerstandskraft zu bre-
chen. Wilsons Antwort kann daher für uns Soldaten nur die
Aufforderung sein, den Widerstand mit äußersten Kräften fortzu-
setzen. Wenn die Feinde erkennen werden, daß die deutsche Front
mit allen Opfern nicht zu durchbrechen ist, werden sie zu einem
Frieden bereit sein, der Deutschlands Zukunft gerade für die brei-
ten Schichten des Volkes sichert.
Im Felde, den 24. Oktober, abends 10 Uhr.
gez. v. Hindenburg."
Dieses Telegramm, das zweifellos eine hohe politische Bedeu-
tung besaß und den Entscheidungen der Reichsregierung Vorgriff,
wurde dieser erst dadurch bekannt, daß es in einer Besprechung des
Kriegspresseamts am 25. Oktober den Pressevertretern mitgeteilt
wurde. Als am 25. Oktober mittags festgestellt wurde, daß der In-
halt des Armeebefehls der Auffassung der Reichsleitung nicht ent-
sprach, wurden die an die Armee-Oberkommandos gerichteten Tele-
gramme angehalten. Hindenburg und Ludendorff hatten sich bereits
170 Me rein politische Kriegsleitung
auf der Fahrt nach Berlin befunden, so daß der zuständige Bearbeiter
der Presse selbständig den Armeebefehl zur vertraulichen Bekannt-
gabe bei der Pressebesprechung in Berlin freigegeben hatte. Der ent-
scheidende Schritt war aber nun einmal geschehen und nicht mehr
rückgängig zu machen. Die Kraftprobe zwischen politischer und mili-
tärischer Leitung mußte ausgetragen werden.
An den Fronten sah die Lage sehr ernst aus. Am 24. Oktober
hatte der italienische Angriff gegen die Gebirgsfront der Österreicher
begonnen, der sich vom 26. Oktober an mit größter Kraft gegen die
Piavefront richtete. Man mußte mit einem baldigen Friedensschluß
Österreich-Ungarns rechnen. Die O.H.L. traf daher in Verbindung
mit dem bayerischen Kriegsministerium bereits vorbereitende Schutz-
maßnahmen an der Tiroler Grenze.
Von der Lage an der deutschen Westfront berichtet Ludendorff in
seinen Kriegserinnerungen: „Die Westfront stand am 25. abends in
hoher Anspannung. Es war Kampf von der holländischen Grenze bis
Verdun. Das Heer erhielt nichts mehr aus der Heimat. Jeder An-
trieb fehlte. Cs war ein Wunder, daß es sich so heldenhaft schlug."
Die Betriebslage der Eisenbahnen war bei den fortwährenden Räu-
mungsarbeiten sehr ernst. Der Ausbau der wichtigen Antwerpen-
Maas-Stellung schritt nur langsam vorwärts. Ihre Armierung be-
gann gerade jetzt, und die O.H.L. rechnete damit, anfangs November
in die Stellung zurückzugehen.
Die beiden Heerführer waren am Nachmittag des 25. Oktober
in Berlin eingetroffen und sofort nach Schloß Bellevue gefahren. Der
Kaiser empfing die Generale in Gegenwart des neuen Chefs des Zi-
vilkabinetts, C. v. Delbrück, traf aber keine Entscheidung und verwies
die Generale mit ihrem Ersuchen um Abbruch der Verhandlungen an
den Reichskanzler. Dieser ließ sie durch den Vizekanzler v. Payer um
9 Uhr abends empfangen; Kriegsminister Scheüch und Admiral
Scheer waren zugegen. Payer verhielt sich ganz ablehnend. Luden-
dorff erkannte aus seinem Verhalten die Absicht des Kabinetts, ihn
zum Rücktritt zu veranlassen und schrieb am nächsten Morgen sein
Abschiedsgesuch, das er damit begründete, er habe aus seiner gestri-
gen Besprechung mit dem Vizekanzler v. Payer die Überzeugung
gewonnen, daß die Regierung sich zu einer Tat nicht mehr aufraffen
würde. Für die Stellung der Regierung Wilson gegenüber wäre sein
Abgang nunmehr vielleicht eine Erleichterung für Deutschland: da-
rum bitte er Seine Majestät, ihn in Gnaden zu entlassen.
Als Hindenburg am 26. Oktober früh Ludendorffs Gesuch zu
Gesicht bekam, bat er ihn, es nicht abzuschicken; er solle bleiben und
Wilsons dritte Note
den Kaiser und das Heer jetzt nicht verlassen. Kurz darauf wurden
die beiden Heerführer zum Kaiser beordert. Sie fuhren nach dem
Schloß Bellevue, wo der Monarch, sich nur an Ludendorff wendend,
über den Armeebefehl vom 24. Oktober sprach. „Es folgten einige der
bittersten Minuten meines Lebens", berichtete Ludendorff in seinen
Kriegserinnerungen. „Ich sagte Seiner Majestät in ehrerbietiger
Weise, ich hätte den schmerzlichen Eindruck bekommen, daß ich nicht
mehr sein Vertrauen besäße und daher alleruntertänigst bäte, mich
zu entlassen. Seine Majestät nahm das Gesuch an."
Ludendorff fuhr allein zurück und hat den Kaiser niemals wie-
der gesehen. In Spa, wohin er sich am 26. abends zurückbegab, ver-
abschiedete er sich von seinen Offizieren und verließ am 27. abends
das Große Hauptquartier.
Als Hindenburg, der am 26. abends nach dem Großen Haupt-
quartier zurückgekehrt war, dort am 27. die bisher gemeinsamen Ar-
beitsräume wieder betrat, war ihm zumute, wie wenn er von der Be-
erdigung eines ihm besonders teuren Toten in die verödete Wohnung
zurückkehrte. Mit rührenden Worten hat der Feldmarschall in den
Erinnerungen „Aus meinem Leben" des Abschiedes von General
Ludendorff gedacht. „Bis zum heutigen Tage, ich schreibe dies im
September 1919, habe ich meinen vieljährigen treuen Gehülfen und
Berater nicht wiedergesehen. Ich habe ihn in meinen Gedanken viel
tausendmal gesucht und in meinem dankerfüllten Herzen stets ge-
funden!"
Wäre es doch möglich geworden, die gegenseitigen Beziehungen
der beiden Heerführer auch in der Nachkriegszeit in demselben Lichte
enden zu sehen! Es wäre ein hoher Gewinn für die späteren Gene-
rationen gewesen. Das Schicksal hat es anders gewollt!
Zum Nachfolger Ludendorffs erbat sich Hindenburg den General
Groener, von dem er wußte, daß er eine vortreffliche organisatorische
Begabung mit einer gründlichen Kenntnis der inneren Verhältnisse
Deutschlands verband. Ihn erwartete eine unendlich schwere und,
wie der Verlauf gezeigt hat, undankbare Aufgabe.
Während sich in Berlin die Nachrichten häuften, die auf eine
Abdankung des Kaisers abzielten, kam aus Wien die Nachricht, daß
der Kaiser Karl unwiderruflich entschlossen sei, den Feind um einen
Separatfrieden zu bitten. Dadurch verfinsterte sich der Himmel für
Deutschland noch mehr. Man entschloß sich im Kriegskabinett zu der
vierten Note an Wilson. Ihr Entwurf stammte vom Staats-
sekretär Sols. Der Reichskanzler stimmte zu. So ging die Note am
27. Oktober nachmittags in folgender Form nach Washington:
172
Die rein politische Kriegsleitung
„Die deutsche Regierung hat von der Antwort des Präsi-
denten der Vereinigten Staaten Kenntnis genommen. Der Prä-
sident kennt die tiefgreifenden Wandlungen, die sich in dem deut-
schen Verfassungsleben vollzogen haben und vollziehen. Die Frie-
densverhandlungen werden von einer Volksregierung geführt, in
deren Händen die entscheidenden Machtbefugnisse tatsächlich und
verfassungsmäßig ruhen. Ihr sind auch die militärischen Gewal-
ten unterstellt. Die deutsche Regierung sieht nunmehr den Vor-
schlägen für einen Waffenstillstand entgegen, der einen Frieden
der Gerechtigkeit einleitet, wie ihn der Präsident in seinen Kund-
gebungen gekennzeichnet hat.
gez. Sols
Staatssekretär des Auswärtigen Amtes."
Mit der Auflösung der österreich-ungarischen Front mußte nun-
mehr auch mit einer Gefährdung Deutschlands von Süden und Süd-
osten her gerechnet werden. Damit schwanden die letzten Voraus-
setzungen für eine längere und entscheidende Fristung des Widerstan-
des an der Westfront. Im Berliner Kriegskabinett erkannte man
diese Gefahr und setzte alles daran, durch Befragung hervorragender
Generale ein klares Bild von der wirklichen Lage an der Westfront zu
gewinnen. Zunächst waren es die Generale v. Mudra und v. Gallwitz,
denen man in der Staatssekretär-Sitzung vom 28. Oktober das Wort
gab. Sie beide waren der Meinung, daß eine neue Offensive unsern
Feinden teuer zu stehen kommen würde, und daß die deutschen Trup-
pen, im Kern noch gut, durchhalten würden, wenn die demoralisie-
renden Wirkungen der Heimat aufhörten. In diesem Sinne richtete
General v. Gallwitz einen starken Mahnruf an die Führer der So-
zialdemokratie.
Die in Rücksicht auf die Verhandlungen mit Wilson in unziem-
licher Eile in drei Tagen durchgepeitschten Verfassungsänderungen
hatten inzwischen ihren Abschluß gefunden. Eine Kriegserklärung im
Namen des Reiches war hinfort an die Zustimmung des Bundesrats
und des Reichstags gebunden. Der Reichskanzler bedurfte zu seiner
Amtsführung des Vertrauens des Reichstages. Die Ernennung, Be-
förderung und Verabschiedung von Offizieren und Beamten erfolgte
hinfort unter Gegenzeichnung des Kriegsministers. Mit Recht er-
klärt Prinz Max von Baden in seinen Erinnerungen, daß nicht der
Inhalt dieser Gesetzgebung, sondern der Zeitpunkt unwürdig war:
„Wir besserten an unseren inneren Einrichtungen, während die le-
bendige Mauer einzustürzen drohte, welche die Heimat schützte!"
173
Die Kaiserfrage
Die Kaiserfrage.
Das Problem der höchsten Verantwortlichkeit im Kriege, das
den Hauptinhalt dieses Buches bildet, hatte sich im Herbst 1918 von
der ideellen Grundlage des Triumvirats, wie es uns nach dem Vor-
bilde Moltkes und nach der Anschauung des Grafen Schliessen er-
schien, weit entfernt. Die Vorherrschaft des rein militärischen Den-
kens, die bis zur Forderung und Erzwingung des Waffenstillstands-
angebotes maßgebend war, wandelte sich mit diesem Zeitpunkt. Im-
mer noch war der Oberste Kriegsherr in dem Sinne bestimmend, daß
für ganz wichtige Entschließungen seine Entscheidung eingeholt wer-
den mußte, er also doch mit der Verantwortung für das Geschehen im
Großen belastet blieb. Die bisher maßgebende Oberste Heeresleitung
mußte sich immer mehr auf die reine Kriegführung beschränken und
galt gegenüber dem Kriegskabinett, das unter dem verantwortlichen
Vorsitz des Reichskanzlers arbeitete, in der Hauptsache als Auskunfts-
behörde. Das war sicherlich keine Ideallösung, aber sie war aus der
tiefen Enttäuschung über das plötzliche Waffenstillstandsangebot er-
wachsen.
Im Laufe des Notenwechsels mit Wilson trat, von seiner zweiten
Note an, die Kaiserfrage in den Vordergrund. Je größer die Bewun-
derung war, die man dem deutschen Kaiser vor Ausbruch des Welt-
krieges zollte, um so leidenschaftlicher hatte sich der Haß gegen ihn
unter der Auswirkung einer zügellosen, geradezu verruchten Propa-
ganda im Laufe des Weltkrieges gesteigert. Nichts bezeichnet stärker
die wahre Bedeutung der Kaisermacht und der kaiserlichen Persön-
lichkeit, als daß die Entente gerade gegen ihn ihre vergifteten Pfeile
richtete. So verunglimpfte die illustrierte Presse aller kriegführenden
Länder schon in den ersten Wochen des Weltkrieges den deutschen
Kaiser als den Urheber alles Unheils. Man zeichnete ihn in der ab-
stoßendsten und rohesten Form, gab seinen Gesichtszügen einen
grauenerregenden Ausdruck und befestigte gerade durch dieses so sehr
wirksame Propagandamittel in den urteilslosen Massen die Anschau-
ung, als wenn es sich in dem Kriege gegen Deutschland hauptsächlich
um den Kampf gegen den Kaiser persönlich handelte, der an allem
Elend die Hauptschuld trage. Nicht nur, daß er den Weltkrieg hinter-
listig und zielbewußt angezettelt habe, um so die Weltherrschaft zu
erreichen, warf man ihm vor, sondern daß er auch an den brutalen
Methoden der deutschen Kriegführung, die man uns ohne jede Be-
rechtigung unterstellte, schuld sei.
Hatte man sich in vier schweren Kriegsjahren vergeblich bemüht,
Deutschland niederzuringen, so schien nach der Anbahnung der Waf-
fenstillstandsbesprechungen nunmehr die Beendigung des Krieges zu
nahen. Noch aber stand das deutsche Heer an der Westfront als be-
174
Die rein politische Kriegsleitung
achtenswerter Gegner aufrecht und bot allen Durchbruchsversuchen
der Entente Trotz. Gelang es jetzt, den Durchhaltewillen der deut-
schen Kämpfer und vor allem auch der deutschen Heimat zu erschüt-
tern, dann erst war die Bahn zu einem Siegfrieden, wie ihn unsere
Gegner wollten, frei. Als Hauptwiderstand auf diesem Wege erschien
unseren Gegnern der starke Zusammenhalt, der sich aus der monar-
chischen Führung, aus der Kaisergewalt, ergab. Gegen diese mußte
man also den propagandistischen Stoß richten.
Mit der zweiten Note Wilsons schwanden die letzten Zweifel
darüber, was beabsichtigt war. Wenn von der Vernichtung jeder mi-
litärischen Macht darin gesprochen wurde, die es in Händen habe,
„allein, geheim und auf eigene Willensbestimmung den Weltfrieden
zu stören", wenn weiterhin von der Macht die Rede war, die bis jetzt
das Schicksal der deutschen Nation bestimmt habe, so zielte das gerade-
wegs auf den deutschen Kaiser. „Die deutsche Nation hat die Wahl,
dies zu ändern", das war die allerschlimmste Verleitung des deutschen
Volkes zu dem Glauben, daß es nur den Kaiser zu beseitigen brauche,
um zu jenenr guten Frieden zu gelangen, von dem Wilson in seinen
verschiedenen Kundgebungen immer wieder gesprochen hatte.
Schon vor dem Eingang der zweiten Note Wilsons in Berlin,
die am 16. Oktober erfolgte, verbreiteten sich von mehreren Seiten
her in Deutschland Gerüchte, daß ein günstiger Frieden von einer
vorherigen Abdankung des Kaisers abhängig sei. Am 14. Oktober
kamen die Kaisersöhne Prinz Adalbert und Prinz August Wilhelm
in großer Aufregung zum Prinzen Max und erzählten ihm von den
Gerüchten über die Abdankung des Kaisers. Prinz Adalbert schien
gewillt, mit seinem Vater darüber zu sprechen; der Reichskanzler war
aber der Ansicht, daß ein solcher Schritt nicht nötig sei; er hoffte, daß
es ihm gelingen würde, eine Lage zu vermeiden, die die Abdankung
des Kaisers notwendig mache.
Als am 24. Oktober Wilsons dritte Note einging, die noch deut-
licher als die zweite gegen den Kaiser gerichtet war und ankündigte,
daß man mit den „militärischen Beherrschern und monarchistischen
Autokraten Deutschlands" nicht verhandeln wolle, erhob sich die Kai-
serfrage zu großer Schärfe. Im Reichstage sprach an diesem Tage
der Mehrheitssozialist Noske von der im Lande herrschenden Stim-
mung und davon, daß lediglich eine einzige große Geste des Trägers
der Kaiserkrone den Druck von Millionen nehmen könnte. Viele
kaisertreue Männer, Offiziere und Beamte hofften damals, daß der
Kaiser aus freier Initiative die Krone niederlegen würde, wie es der
König von Bulgarien getan hatte, niemals aber unter dem Druck der
Sozialdemokratie. Dabei hing die überwältigende Mehrheit gerade
dieser Berufsklassen und hauptsächlich der Offiziere mit wirklicher,
nicht vorgetäuschter, Anhänglichkeit und Verehrung an dem Kaiser.
Die Kaiserfrage 175
Bei allen Anlässen seiner langen Regierungszeit hatte er sich in star-
ken und wirksamen Worten zu der Gemeinsamkeit mit dem Heere
und zu edlen Grundsätzen der Regierungsführung bekannt. Auch wo
Kritik an seinen Handlungen und Worten gelegentlich laut wurde,
— ganz besonders war das im Spätherbst 1908 bei der „Daily-Tele-
graph"-Affäre der Fall — war doch die Kritik immer mit persönlicher
Achtung für die edlen menschlichen Eigenschaften des Monarchen ver-
bunden, an die niemand zu rühren wagte. Für das große deutsche
Heer und die Marine aber bildete die Persönlichkeit des Kaisers als
des Obersten Kriegsherrn den Hauptinhalt ihres staatlichen Denkens.
Wer daran rührte, versündigte sich an dem Geiste jener Kraft, die
nun schon seit über vier Jahren das deutsche Reich vor der Über-
schwemmung mit feindlichen Truppen bewahrt hatte.
Auch im Auslande, besonders in den angelsächsischen Ländern,
hatte man diese Zusammenhänge wohl begriffen. Nach dem Urteil
zweier amerikanischer Diplomaten, das dem Prinzen Max von Baden
bekannt wurde, bildete das deutsche Heer auch im Herbst 1918 noch
einen gewaltigen Machtfaktor. Sie betonten, der Kaiser sei „keine
harmlose Null", sondern eine starke, in der Geschichte fest umrissene
Persönlichkeit. Wer bürge dafür, daß er nicht mit seinen Getreuen
plötzlich einen Umschwung herbeiführe? Für Hunderttausende scheine
tatsächlich alles Hassenswerte und Gefährliche Deutschlands in den
Persönlichkeiten des Kaisers und des Kronprinzen verkörpert13 14. Des-
halb legte man in Amerika den größten Wert auf die Abdankung
des Kaisers und den Thronverzicht des Kronprinzen.
Aus Bern berichtete am 25. Oktober Fürst Ernst zu Hohenlohe-
Langenburg, der als Führer der deutschen Kommission mit amerika-
nischen Delegierten über Gefangenenfragen verhandelte, daß Wilsons
dritte Rote nach allgemeinem Urteil auf die „Resignation" des Kai-
sers abziele. Aus München telegraphierte der dem Kaiser menschlich
treu ergebene Gesandte v. Treutler, daß der bayerische Ministerpräsi-
dent und der Kriegsminister der Ansicht seien, Wilsons dritte Rote
lasse keine andere Deutung zu als den Rücktritt des Kaisers. „In
jedem Falle treten die Genannten dafür ein, daß Seiner Majestät
offen dargelegt werden müsse, daß die Feinde keinen annehmbaren
Frieden bewilligen würden, wenn das große Opfer nicht gebracht
würde. Wenn dann Seine Majestät Verzicht leistet auf die Kaiser-
würde, so würde er nur im Geiste seines 26jährigen Friedenswerkes
handeln und dieses krönen. Seine Gestalt würde als die des hoch-
herzigsten, edelsten und aufopferndsten Wohltäters des deutschen Vol-
kes in der Geschichte weiterleben" ".
13 Prinz Max von Baden, Erinnerungen und Dokumente, S. 533.
14 Amtliche Urkunden zur Vorgeschichte des Waffenstillstandes 1918, Nr. 77.
176
Die rein politische Kriegsleitung
Am gleichen Tage forderte die „Frankfurter Zeitung" die Ab-
dankung des Kaisers und den Thronverzicht des Kronprinzen, damit
die demokratischen Voraussetzungen geschaffen würden, die für Wilson
nötig seien.
Prinz Max von Baden suchte die Kaiserfrage zurückzudrängen,
solange es ihm irgend möglich schien. Sein Ziel war, unter allen
Umständen die Hohenzollerndynastie zu halten und wenn möglich
auch dem Kaiser selbst den so unendlich schweren Schritt zu ersparen.
In diesem Sinne hat er jede denkbare Einwirkung auf die Presse
auszuüben versucht. So erklärten am 27. Oktober die Legationsräte
Ferdinand v. Stumm und Schmidthals in der Pressekonferenz, es
wäre ein Zeichen von Felonie und Bedientenhaftigkeit, wenn dasselbe
Volk, das im Frieden dauernd dem Kaiser zugejubelt hätte, jetzt von
ihm abfiele. In der Öffentlichkeit aber entwickelte sich die Zwangs-
vorstellung, daß ein guter Waffenstillstand nur zu erreichen sei, wenn
der Kaiser abdanke.
Am 27. Oktober erschienen im Aufträge des Fürsten Ernst zu
Hohenlohe-Langenburg zwei Offiziere — Major Draudt" und Ka-
pitänleutnant Mensing — beim Reichskanzler und überbrachten ihm
einen aus dem Auslande stammenden Bericht. Danach müßten
die in den Augen der Entente für den Krieg und seine Füh-
rung verantwortlichen Machthaber verschwinden. Mit den Worten
„militärische Beherrscher und monarchische Autokraten" in Wilsons
dritter Rote seien der Kaiser, der Kronprinz und Ludendorff gemeint;
der Kaiser gelte in den Ententeländern auf Grund der raffinierten
und systematischen Hetze gegen ihn als die Verkörperung aller wirk-
lichen und erdichteten Greuel des Weltkrieges. Mit diesen drei Män-
nern werde die Entente niemals über Waffenstillstand und Frieden
verhandeln. Der Begleitbrief des dem Kaiser durchaus ergebenen
Fürsten Hohenlohe-Langenburg enthielt einen starken Appell an den
Kaiser, jetzt um der Zukunft seines Volkes willen den schwersten Ent-
schluß zu fassen, der nicht als Schwäche ausgelegt werden könne; viel-
mehr würden „die kommenden Geschlechter eines, so Gott will, wie-
der erstarkten Deutschlands die Tat preisen, die geschehen wäre, um
vom Volk und Land das Schlimmste abzuwenden."
Der Kaiser selbst, auf den in dieser Lage alles ankam, hielt es für
seine Pflicht, an seiner Stelle zu bleiben. In einer Kundgebung vom
28. Oktober, mit der er die Bekanntmachung der neuen verfassungs-
15 Major Draudt von der Gefangenenabteilung des Kriegsministeriums
war dem Prinzen Max feit Jahren als ein energischer und humaner Mann
bekannt; er gehörte zu der Gefangenenkommiffion, die in Bern mit den Ameri-
kanern verhandelte. Gemeinsam mit Kapitänleutnant Menstng beschwor Draudt
den Prinzen, schnell zu handeln, ehe die Waffenstillstandsbedingungen des Mar-
schalls Foch endgültig festlägen.
Die Kaiserfrage
177
ändernden Gesetze zu begleiten wünschte, hieß es: „Nach dem Voll-
bringen dieser Zeit hat das deutsche Volk jetzt Anspruch, daß ihm kein
Recht vorenthalten wird, das eine freiere und glücklichere Zukunft
verbürgt. Dieser Überzeugung verdanken die jetzt vom Reichstag an-
genommenen und erweiterten Vorlagen der verbündeten Regierun-
gen ihre Entstehung. Ich aber trete diesen Beschlüssen der Volks-
vertretung mit meinem hohen Verbündeten bei in dem festen Willen,
was an mir liegt, an ihrer vollen Auswirkung mitzuarbeiten, über-
zeugt, daß ich damit dem Wohle des deutschen Volkes diene. Das Kai-
seramt ist Dienst am Volk. So möge die Neuordnung alle guten Kräfte
freimachen, deren unser Volk bedarf, um die schweren Prüfungen zu
bestehen, die über das Reich verhängt sind, und aus dem Dunkel der
Gegenwart mit festem Schritt eine Helle Zukunft zu gewinnen."
Diese Kundgebung bildete eine bündige Antwort auf den von
allen Seiten laut werdenden Ruf der Abdankung des Kaisers. Der
Erlaß wurde nicht veröffentlicht, da man vermeiden wollte, in diesem
gespannten Augenblick die öffentliche Meinung allzusehr auf die Per-
son des Kaisers zu lenken, wodurch ihm jede Freiwilligkeit eines etwa
doch notwendigen Thronverzichtes von vornherein abgeschnitten
worden wäre.
Gerade als Prinz Max von Baden den für ihn schweren Ent-
schluß gefaßt hatte, nach Empfang einer noch ausstehenden Auslands-
nachricht persönlich mit dem Kaiser zu sprechen, erfuhr er am 29. Ok-
tober nachmittags, daß der Kaiser beabsichtige, noch am gleichen Tage
nach Spa zu reisen. Der Feldmarschall v. Hindenburg habe es für
dringend wünschenswert erklärt, den Kaiser wieder einmal mit der
Armee in Berührung zu bringen. Major Niemann hatte ergänzend
hinzugefügt, es sei nur ein ganz kurzer Aufenthalt in Spa in Aussicht
genommen, und nach vier bis fünf Tagen werde der Kaiser wieder in
Potsdam sein.
Sowohl Prinz Max wie der Kriegsminister Scheüch waren über
die Nachricht von der plötzlichen Abreise des Kaisers tief betroffen.
General Scheüch hatte dem Chef des Militärkabinetts, Frhr. Mar-
schall, sofort erklärt, daß die in Berlin zu fassenden Entschlüsse eine
unmittelbare Berührung mit dem Kaiser erforderten, und ließ sich
die Zusicherung geben, daß der Monarch sofort zurückkehren werde.
Prinz Max hielt es für nötig, feine Bedenken dem Kaiser sofort tele-
phonisch mitzuteilen. In den nächsten Tagen müßten die allerwich-
tigsten Fragen erledigt werden, die unmöglich telephonisch behandelt
werden könnten. Der Kaiser blieb dabei, reisen zu wollen, und lehnte
das Anerbieten des Prinzen Max, zu einer mündlichen Besprechung
zu ihm nach Potsdam zu kommen, ab. Als Hauptgrund der Reise gab
er an, daß morgen in Spa wichtige Besprechungen stattfänden, und
daß der Nachfolger Ludendorffs, General Groener, in feine Tätigkeit
Schwertfeger, DaZ Weltkriegserröe
12
178
Die rein politische Kriegsleitung
eingeführt werden müsse. In diesem Sinne telegraphierte er noch am
29. Oktober abends an den Reichskanzler.
Am gleichen 29. Oktober abends hatte der Staatssekretär Schei-
demann den Reichskanzler brieflich gebeten, er möge Seiner Majestät
dem Kaiser den freiwilligen Rücktritt empfehlen. Damit war die
Kaiserfrage aus dem Gebiet der Gerüchte hinausgelangt und nicht
mehr aus der Welt zu schaffen. Der Reichskanzler richtete daher am
30. Oktober ein Telegramm an den Monarchen, in dem es hieß, daß
seine Abreise den Eindruck erwecken könne, als läge darin eine Ab-
sage an die Politik der neuen Reichsregierung; die Waffenstillstands-
bedingungen der Feinde würden erwartet, ebenso drängten die schwe-
ren Fragen der Übergangszeit im Innern; das mache die Anwesen-
heit des Trägers der Krone zu unmittelbarer und unverzüglicher Rück-
sprache nötig. „Unter diesen Umständen sehe ich keine Möglichkeit,
die Friedensaufgabe, die mir bei Übernahme der Kanzlerschaft nach
innen und außen gestellt wurde, ohne Euer Majestät Anwesenheit
durchzuführen. Euer Majestät bitte ich daher alleruntertänigst, bal-
digst zurückzukehren. Eine längere Abwesenheit als bis Donnerstag
(31. Oktober) würde sich meines Erachtens nicht verantworten lassen;
wir können stündlich vor Entschlüsse gestellt werden, von denen das
Schicksal Deutschlands abhängt, und die nur im Zusammenwirken von
Krone, Reichskanzler und Regierung gefaßt werden können. Ich selbst
kann in dieser Lage Berlin unmöglich verlassen."
Der Kaiser ließ dem Reichskanzler noch aus dem Hofzuge am
30. Oktober antworten *°, dringende militärische Angelegenheiten mach-
ten seine Anwesenheit im Großen Hauptquartier unumgänglich nö-
tig, und er beabsichtige nicht, dort länger als nötig zu bleiben. Der
Kaiser empfahl zugleich die Veröffentlichung seines oben mitgeteilten
Erlasses vom 28. Oktober, in dem er sich zu den Reformen auf dem
Gebiet der inneren Politik bekannt hatte.
Nach der Auffassung des Prinzen Max lag diesem Telegramm
eine tiefe Verstimmung des Monarchen zugrunde, die sich von nun an
täglich steigerte. Er war darüber tief betroffen, da er bisher vom
Kaiser nur guten Willen und Freundlichkeit erfahren hatte. „Jetzt
hatte der Kaiser seinen Sinn gegen mich verhärtet, sich mir entzogen
und sich gegen mich verschanzt."
An dieser Stelle ist eine Prüfung der Frage erforderlich, was
die Abreise des Monarchen in das Große Hauptquartier damals für
den Weitergang der Dinge bedeutet hat. Wiederum gehen wir von
dem Triumvirat der Obersten Kriegsleitung aus. Mit dem Eintreffen
des Kaisers in Spa war die denkbar nächste Berührung mit der mili-
tärischen Leitung sichergestellt. Alle Schwankungen der Kriegslage
16 Hofzug, den 31. Oktober 1918 (Unterschrift t>. Delbrück).
Die Kaiserfrage 179
konnten dem Obersten Kriegsherrn unverzüglich mitgeteilt werden.
Das war zweifellos ein hoher Gewinn. Wurden durchgreifende Ent-
schlüsse nötig, die mit der militärischen Lage an der Front zu-
sammenhingen, so konnte der Monarch seine Willensmeinung schnell
der Verwirklichung entgegenführen. Auch eine Zusammenfassung der
letzten Kräfte der Armee unter Erlaß einer kaiserlichen Proklamation,
die den ganzen Ernst der Lage hätte erkennen lassen müssen, hätte
von Spa aus wirkungsvoll eingeleitet werden können, und dann war
der Oberste Kriegsherr persönlich in der Lage, sich zum Mittelpunkt
und zum entscheidenden Lenker aller weiteren Schritte zu machen.
Von einer solchen Tat konnten gewaltige Wirkungen ausgehen. Der
Kaisergedanke, daran ist ein Zweifel kaum zulässig, hätte Hundert-
tausenden von Kleinmütigen neuen Impuls gegeben.
Von diesem Grundgedanken sollte man ausgehen, wenn man die
Abreise des Kaisers in das Große Hauptquartier am 29. Oktober in
ihrer Tragweite ermessen will. Militärisch lagen in ihr Erleich-
terungen und Vorteile. Wie aber stand es mit den politischen
Fragen? Diese erforderten unbedingt die baldige Rückkehr des Mo-
narchen nach Berlin. War die Sicherheit dafür gegeben, daß die
Front hielt, daß dort also peinliche Überraschungen nicht eintraten,
dann mußte die politische Entscheidung des Notenkampfes mit Wilson
in den Vordergrund treten. Dieser aufreibende und nervenverzeh-
rende Notenkampf war nun einmal eingeleitet und ließ sich nicht
mehr rückgängig machen. Die Gefahr eines Zusammenbruches in der
Heimat war augenscheinlich größer als die an der Front, und diesem'
Gesichtspunkte mußte Rechnung getragen werden.
Entscheidend aber dürfte folgende Erwägung sein: in dem Dun-
kel der damaligen Lage vermochte niemand mit einiger Sicherheit
oder auch nur Wahrscheinlichkeit vorherzusagen, was die nächsten 24
Stunden brachten. Die Lage an der Front bot weniger Gefahren als
die in der Heimat. Folglich war eine möglichst baldige Rückkehr des
Monarchen nach Berlin tatsächlich ein Erfordernis der Lage.
In Berlin wurde inzwischen die Kaiserfrage stündlich drängen-
der. Prinz Max, der Möglichkeit beraubt, mit dem Kaiser persönlich
zu verhandeln, suchte zunächst den Großherzog von Hessen, sodann
den Prinzen Friedrich Karl von Hessen zu einer Reise nach Spa und
zu einer Aussprache mit dem Kaiser zu bewegen. Beide hielten sich
für diesen Schritt nicht für geeignet, Prinz Friedrich Karl war
außerdem schwer besorgt wegen der unberechenbaren Wirkungen einer
Kaiserabdankung auf das Heer.
Am 1. November erlitt der Reichskanzler einen heftigen Rückfall
seiner Grippeerkrankung und vermochte erst am 3. November abends
die Geschäfte wiederaufzunehmen. Inzwischen hatte die Türkei ani
12*
180
Die rein politische Kriegsleitung
31. Oktober die ihr angebotenen Waffenstillstandsbedingungen an-
nehmen müssen, tags darauf Österreich gleichfalls. Es bestand die
Gefahr, daß Österreich Aufmarschgebiet unserer Feinde wurde. Außer-
dem lagen tief beunruhigende Meldungen von der Marine vor. Der
Kaiser war von Spa noch nicht zurückgekehrt. Einen Versuch des zu
ihm entsandten Ministers Drews, ihn zur Thronentsagung zu bewe-
gen, hatte er am 1. November mit Schärfe abgewiesen.
Noch immer war die Antwort auf die deutsche vierte Note vom
27. Oktober in Berlin nicht eingelangt. Hatten sich bei der Gegenseite
Schwierigkeiten ergeben? War vielleicht, wie der Gesandte in Bern,
v. Romberg, am 3. November telegraphisch andeutete, der ausschlag-
gebende Einfluß Wilsons dadurch gefährdet, daß er den Kaiser nicht
zur Abdankung hatte bewegen können? Dann erschien ein etwaiger
Rücktritt des Kaisers wieder in anderem Licht. Alle Sorgen der Ber-
liner Regierung aber verblaßten vor der kommenden Revolution.
Die von der Marine ausgehende Meuterei, auf die in diesem
Zusammenhange nicht näher eingegangen zu werden braucht, erwuchs
daraus, daß die Flotte am 29. Oktober zu einer Entscheidungsschlacht
hatte ausführen sollen, die vielleicht die Lage Deutschlands gegen-
über der Entente noch hätte verbessern können. Jetzt breitete sich die
revolutionäre Bewegung von den Küstenorten immer weiter nach
Norddeutschland aus. Zugleich wurde es deutlich, daß in der russischen
Botschaft in Berlin eine ganz auffallende Tätigkeit entwickelt wurde.
Russische Agitatoren traten als Sprecher in den Versammlungen der
unabhängigen Sozialdemokratie auf, und russische Gelder wurden zur
Förderung der als nahe bevorstehend bezeichneten Revolution in
Deutschland verwendet. Man entschloß sich in Berlin, nachdem am
4. November abends eine Kurierkiste der russischen Botschaft auf dem
Schlesischen Bahnhof planmäßig entzwei gegangen war und aufrüh-
rerische Schriften schlimmsten Inhaltes zutage gefördert hatte, die
russische Botschaft unter polizeiliche Bewachung zu stellen und den
diplomatischen Vertreter Rußlands in Deutschland, Joffe, mit seinem
gesamten Personal aus Berlin auszuweisen.
Einer dringenden Aufforderung des Reichskanzlers entsprechend
traf der Nachfolger des Generals Ludendorff, General Groener, am
5. November morgens in Berlin ein. Mit größter Schärfe sprach er
sich in einer Sitzung der Staatssekretäre gegen einen Thronverzicht
des Kaisers aus und gab ausführlich Aufschluß über die militärische
Lage an allen Fronten. Wenn das Westheer noch ungeschlagen sei,
so sei dies dem in der Masse des Heeres noch vorherrschenden pflicht-
treuen und tapferen Geiste zuzuschreiben. Was das Heer von der
Heimat fordere, sei nicht Kritik und Polemik, sondern Stärkung und
Stählung von Herz und Seele. Wenn hier nicht schleuniger Wandel
geschaffen würde, richte die Heimat das Heer zugrunde. Zur Kaiser-
Me Kaiserfrage
181
abdankungsfrage erklärte er wörtlich: „Ebenso hat mich der General-
feldmarschall beauftragt, in der Frage der Abdankung des Kaisers
wörtlich zu erklären, daß er sich für einen Schuft hielte, wenn er den
Kaiser verlassen würde, und so, meine Herren, denke ich und alle ehr-
liebenden Soldaten. Wie sollen die Tausende und Abertausende von
tapferen Offizieren und Soldaten den Entschluß zum Opfertode fin-
den, wenn in ihre Herzen und Gewissen der Zwiespalt hineingetrie-
ben wird? Wovon man in der Heimat keine Ahnung zu haben scheint,
das ist die Psychologie des Heeres, das sind die Imponderabilien, auf
denen der Gehorsam ruht. Hört die Hetze gegen den Kaiser nicht auf,
so ist das Schicksal des Heeres besiegelt, es läuft auseinander. In der
nach der Heimat zurückströmenden Soldateska bricht die menschliche
Bestie hervor." Dieser seiner Auffassung, daß eine Thronentsagung
des Kaisers nicht in Frage kommen dürfe, ist General Groener, der
erst am 6. November nachmittags nach Spa zurückreiste, allen Vor-
stellungen zum Trotz treu geblieben.
Inzwischen waren noch weitere Versuche gemacht worden und
zwar am 3. November durch Sols und den Chef des givilkabinetts,
C. v. Delbrück, den Kaiser zur Rückreise nach Berlin zu bewegen,
„weil nach Lage der Verhältnisse in Verbindung mit den Waffenstill-
standsverhandlungen eine Regierungskrisis sehr wahrscheinlich ist,
die ohne Euerer Majestät Anwesenheit nicht mit der nötigen Schnel-
ligkeit gelöst werden könnte." Darauf ließ der Kaiser am 5. Novem-
ber antworten, daß die Waffenstillstandsbedingungen vielleicht noch
längere Zeit auf sich warten lasten würden. Die Neigung des Kaisers
zur Rückkehr sei jetzt gering, telegraphierte Frhr. v. Grünau, und es
scheine zur Stärkung der Widerstandskraft der Armee und zur wei-
teren erfolgreichen Abwehr unerläßlich, daß der Kaiser die verschie-
denen Frontteile der Reihe nach besuche.
In Kiel hatte inzwischen der dorthin entsandte Reichstagsabge-
ordnete Roske die Ruhe einigermaßen wiederhergestellt. Unter den
Forderungen der Matrosen stand die Abdankung des Kaisers an
vorderster Stelle.
Die vierte Note Wilsons.
(Der Vorfriedensvertrag vom 5. November 1918.)
In der Nacht vom 6./7. November ging endlich die entscheidende
vierte Note Wilsons, wiederum unterzeichnet von Robert
Lansing, in Berlin ein, die in der Feststellung gipfelte, daß die alliier-
ten Regierungen zum Friedensschlüsse mit der deutschen Regierung
auf Grund der Friedensbedingungen, „die in der Ansprache des Prä-
sidenten an den Kongreß vom 8. Januar 1918, sowie der Grundsätze,
die in seinen späteren Ansprachen niedergelegt sind", bereit seien. Nur
zwei Programmpunkte Wilsons waren ausdrücklich ausgenommen.
182
Die rein politische Kriegsleitung
der „sogenannte Begriff der Freiheit der Meere" und die Frage der
Wiederherstellung der besetzten Gebiete. Deutschland sollte diese Ge-
biete nicht nur räumen, sondern „für allen durch seine Angriffe zu
Wasser und zu Lande und in der Luft der Zivilbevölkerung der Alliier-
ten und ihrem Eigentum zugefügten Schaden Ersatz leisten." Die
Note endete mit der Mitteilung, Marschall Fach sei ermächtigt, ge-
hörig beglaubigte Vertreter der deutschen Regierung zu empfangen
und sie von den Waffenstillstandsbedingungen in Kenntnis
zu setzen.
Gerade dieser letzte Satz wurde in Berlin als Beweis dafür auf-
gefaßt, daß die schlimmsten Bedingungen zu gewärtigen seien. Im-
merhin war doch nun damit zu rechnen, daß Wilson, falls er zu sei-
nen Worten stand, für die Erfüllung seines Programms kämpfen
würde. Der Reichskanzler ernannte noch am 6. November abends
auf Vorschlag des Generals Groener Erzberger zum Mitglied der
Waffenstillstandskommission. Er sollte noch am gleichen Abend mit
General v. Eündell", dem Gesandten Graf Oberndorfs, dem Gene-
ralmajor v. Winterfeldt und dem Kapitän z. S. Vanselow nach Spa
abreisen. Am 7. November enthielten die Zeitungen diese Nachricht.
Danach konnte auf die ersten Besprechungen mit der Gegenseite viel-
leicht am 8. November gerechnet werden. Die Möglichkeit einer
Waffenruhe rückte damit näher und konnte, wie man hoffte, zur Be-
ruhigung der Massen beitragen.
Unglücklicherweise hat die Mehrheitssozialdemokratie unter ihren
Führern Ebert und Scheidemann damals damit gerechnet, daß die
Waffenstillstandsverhandlungen am 8. November abgeschlossen sein
könnten. Am 7. November nachmittags erschienen Scheidemann und
Ebert beim Reichskanzler und überbrachten ihm ein Ultimatum ihrer
Partei. Darin wurde der Rücktritt des Kaisers und des Kronprinzen
bis Freitag mittag — 8. November — gefordert. Sie erklärten, der
Kaiser müsse sofort abdanken, sonst komme die Revolution. Dem
Reichskanzler hatte Ebert schon früher erklärt, daß er die Revolution
nicht wolle, sondern daß er sie hasse wie die Sünde.
Prinz Max erkannte, daß alle seine Bemühungen in der Kaiser-
frage und damit die Grundlagen seiner Kanzlerschaft nunmehr zer-
brochen seien. Seine Absicht, sich noch am 7. November zu einer ent-
scheidenden Aussprache mit dem Kaiser nach Spa zu begeben, gab er
auf und richtete ein Entlassungsgesuch an den Kaiser, in dem es hieß,
er könne es weder zulassen, daß auf den Kaiser in der Frage der
Thronentsagung ein Druck ausgeübt werde, noch würde er sich bei der
Beratung des Kaisers selbst einen Druck gefallen lassen. Jetzt for-
dere die sozialdemokratische Partei den Rücktritt des Monarchen ois
17 General v. Eündell trat von diesem Aufträge zurück.
morgen nachmittag. Die Parteiführer seien überzeugt, daß heute
nacht noch in Berlin Revolten ausbrechen würden, wenn sie die
Menge nicht mit der Aussicht auf eine solche Nachricht vertrösten
könnten. Sie weigerten sich, das Ultimatum zurückzunehmen, seien
vielmehr aus Sorge vor der wachsenden Macht der Radikalen ent-
schlossen, die Tatsache des Ultimatums noch am 7. November abends
taktisch zu verwerten und sie zu veröffentlichen. Das Abschiedsgesuch
des Prinzen Max schloß mit den Worten: „Bis zur Entscheidung er-
achte ich es als meine selbstverständliche Pflicht, in dieser stürmischen
Zeit die Leitung der Reichsgeschäfte in der Hand zu behalten, zumal
die im Gang befindlichen Waffenstillstandsverhandlungen durch ein
Aussetzen der Reichsleitung gefährdet werden könnten."
Auf dieses Abschiedsgesuch des Reichskanzlers traf am Mittag
des 8. November aus dem Großen Hauptquartier der Bescheid ein,
daß der Kaiser den Prinzen Max bitte, wie bisher sein Amt zu füh-
ren, da er sich seine Entschließung bis zum Eintritt der Waffenruhe
vorbehalten wolle. Ein Telegramm des Frhrn. v. Grünau teilte fer-
ner mit: „Seine Majestät hat es völlig abgelehnt, auf die Vorschläge
Euerer Großherzoglichen Hoheit in der Thronfrage einzugehen, und
hält es nach wie vor für seine Pflicht, auf seinem Posten zu bleiben."
Den letzten Versuch einer persönlichen Fühlungnahme mit dem
Kaiser unternahm der Reichskanzler am 8. November abends, nach-
dem die revolutionäre Bewegung in ganz Deutschland reißende Fort-
schritte gemacht hatte. In Berlin war damals schon bekannt, daß die
Revolution in Braunschweig am 7. abends gesiegt hatte, in München
in der Nacht zum 7./8. November. Dort war die Republik ausgerufen.
In Stuttgart herrschte der Arbeiter- und Soldatenrat. Am schlimmsten
waren die Nachrichten aus Bayern. Es fehlte überall an ausreichen-
den und zuverlässigen Truppen. Bedenkliche Nachrichten lagen aus
Magdeburg, Halle, Leipzig, Düsseldorf, Köln und Frankfurt a. M.
vor. In Berlin beurteilte der Kriegsminister Scheüch und der Ober-
befehlshaber in den Marken, Generaloberst v. Linsingen, die Lage
ernst, aber noch zuversichtlich.
Den Hauptgegenstand der telephonischen Unterredung zwischen
dem Reichskanzler und dem Kaiser am 8. November abends bildete
das Ultimatum der Sozialdemokratie. Der Gedanke der Abdankung,
meinte der Prinz, gehe nicht zuerst und allein von der Sozialdemo-
kratie aus; diese habe die Sache nur in die Hand genommen, um die
Führung zu behalten. Jetzt sei die letzte Stunde gekommen. Auch für
die Friedensverhandlungen könne die Abdankung ausschlaggebend
sein und den Chauvinisten bei der Entente das Wasser abgraben. Er
schloß mit den Worten: „Mein Rat ergeht heute als Verwandter und
deutscher Fürst. Das freiwillige Opfer ist erforderlich, um Deinen
Namen in der Geschichte zu erhalten." Der Kaiser bekundete darauf-
184
Die rein politische Kriegsleitung
hin seinen festen Entschluß, nicht nachzugeben, da er beabsichtige, an
der Spitze des Heeres die Ordnung in der Heimat wiederherzustellen.
Als der Reichskanzler bat, ihn sofort zu entlassen, lehnte der Kaiser
das ab, und Prinz Max erklärte sich bereit, noch bis zur Unterzeich-
nung des Waffenstillstandes im Amt zu bleiben. Nach Abschluß des
Telephongespräches telegraphierte er dann noch nach Spa, daß inzwi-
schen der König von Bayern und der Herzog von Braunschweig dem
Thron entsagt hätten, und daß der Großherzog von Mecklenburg-
Schwerin die Forderungen des Arbeiter- und Soldatenrates ange-
nommen habe.
Die tragische letzte Nacht des deutschen Kaisertums war gekom-
men. Im Großen Hauptquartier fand zwischen dem Feldmarschall
v. Hindenburg, dem Generaloberst v. Plessen und dem Generalleutnant
Groener eine Besprechung über die vom Kaiser erwogene Möglichkeit
statt, an der Spitze des Heeres die Ordnung in der Heimat wiederher-
zustellen. Dabei kam zur Sprache, daß eine für besonders zuverlässig
gehaltene Division, die den Rücken des Großen Hauptquartiers gegen
die von Köln bis Aachen vorgekommenen Aufständischen decken sollte,
ihren Offizieren den Gehorsam gekündigt und sich gegen ihren aus-
drücklichen Befehl in Bewegung gesetzt hatte, um nach Hause zu mar-
schieren. Hindenburg und Groener erklärten nunmehr, daß der Plan
eines Vormarsches gegen die Heimat als aussichtslos aufgegeben wer-
den müsse. Hierüber ist der Kaiser abends nicht mehr verständigt wor-
den, und auch das dringende Telegramm des Prinzen Max mit den
Nachrichten über die Ausbreitung der Revolution in Deutschland
wurde ihm nicht mehr übermittelt, da er sich schon zur Ruhe begeben
hatte. Legationsrat Frhr. v. Grünau erklärte auf telephonischen An-
ruf des Staatssekretärs Wahnschaffe aus der Reichskanzlei in Berlin,
telephonisch oder durch eine Mittelsperson könne eine so weittragende
Entscheidung — gemeint war die Thronentsagung des Kaisers als
„das einzige Mittel, um Deutschland vor blutigem Bürgerkrieg zu
bewahren" — nicht herbeigeführt werden. Die tiefe Tragik der jetzigen
Lage bestand nur darin, daß in diesen kritischen Stunden das Trium-
virat der obersten Kriegsleitung räumlich weit getrennt war, und daß
Nachrichten irgendwelcher Art in der Nacht vom 8./9. November an
den Monarchen nicht mehr herangebracht werden konnten.
Ein Versuch, noch in der Nacht vom 8. zum 9. November den
Staatssekretär Sols nach Spa zu entsenden, mußte aufgegeben wer-
den, da er einen rechtzeitigen Entscheid doch nicht mehr erwirken
konnte. Auch ein Telegramm Solfs an den Kaiser vom 8. November
abends blieb wirkungslos; es hatte mit den Worten geschloffen: „Von
Euerer Majestät sofortigem Entschluß hängt es einzig und allein ab,
ob der Bürgerkrieg zu vermeiden ist. Ich bitte daher Euere Majestät
185
Die vierte Note Wilsons
in aller Ehrfurcht, durch das höchste Opfer dem Reich den Frieden zu
bringen, der allein es retten kann."
So brach der Unglückstag des 9. November 1918 über Deutsch-
land herein.
Der Zusammenbruch.
Für die Entscheidung der uns beschäftigenden Frage ist die Fest-
stellung wichtig, daß am 9. November 1918 die oberste Leitung des
deutschen Kaiserreiches räumlich weit getrennt und somit nicht in der
Lage war, die wichtigsten Beschlüsse sofort und in geistiger Überein-
stimmung zu fassen. In Spa, wo der Oberste Kriegsherr und die mi-
litärische Leitung weilten, stand man ganz unter dem Eindruck der
Lage an der Front und der immer unerträglicher werdenden Bean-
spruchung der Truppen. Über die Lage im Reich hatte man nur telegra-
phische und telephonische Mitteilungen, die, wie immer in solchen ka-
tastrophalen Lagen, die Vorgänge übertrieben und vergröberten, also
eine klare Anschauung nicht entstehen ließen. Sicher war nur das
eine, daß in allerkürzester Frist Entschlüsse gefaßt werden mußten, die
für das Gesamtschicksal des Reiches und für den Weiterbestand des
deutschen Kaisertums entscheidend sein mußten. Hierfür fehlte dem
Obersten Kriegsherrn aber durch die räumliche Entfernung von Ber-
lin die verfassungsmäßig zuständige politische Beratung. Alles er-
schien im Großen Hauptquartier hauptsächlich und naturgemäß im
Lichte der militärischen Lage.
In Berlin, am Sitz der politischen Leitung, beherrschte die innere
Lage alles. Mit der Ernennung der Waffenstillstandskommission un-
ter Staatssekretär Erzberger — General v. Gündell war zurückgetre-
ten — war der entscheidende Schritt zur Einstellung der militärischen
Operationen geschehen: jetzt schien die Hauptsache, mit der inneren
Lage fertig zu werden. Diese bestimmte durchaus das weitere Ge-
schehen, nachdem die damals stärkste politische Partei, die Mehrheits-
sozialdemokratie, sich die Forderung nach Abdankung des Kaisers —
zunächst bis zum 8. November mittags, sodann auf dringende Vor-
stellungen bis 9. November mittags — zu eigen gemacht hatte. Jetzt
gab es kein Ausweichen mehr; die Entscheidung in der Kaiserfrage
mußte fallen.
In der vierten Note Wilsons vom 5. November 1918, die in der
Nachkriegsliteratur von deutscher Seite meist als „Vorfriedensver-
trag" bezeichnet wird, war von irgend welchen Anspielungen auf den
Rücktritt des Kaisers nicht mehr die Rede gewesen. Trotzdem über-
schatteten die in der zweiten und dritten Note Wilsons ausgespro-
chenen Gedanken, die auf den Rücktritt des Kaisers abzielten, auch
den sachlichen Inhalt der vierten Note. In den damals maßgebenden
186
Die rein politische Kriegsleitung
Parteien nicht nur, sondern auch in der Presse hatte sich die Meinung
festgesetzt, daß Deutschland nur dann günstige Waffenstillstands-- und
Friedensbedingungen erhalten würde, wenn der Kaiser zurücktrat.
Mit großer Sorge erfüllte die Männer der politischen Leitung in
Berlin die Wirkung einer etwaigen Kaiserabdankung auf das Heer.
General Groener hatte in seinen Bekundungen vor den Staatssekre-
tären am 5. und 6. November die Abdankung des Kaisers gerade in
Rücksicht auf die Stimmung beim Heere als völlig unmöglich bezeich-
net. Man befand sich nun in einem schweren Dilemma. Was war ent-
scheidender: die Rücksicht auf das Heer oder auf die Heimat? Zwei-
fellos mußte ein Zusammenbruch der Heimatfront noch vor Abschluß
der Waffenstillstandsbedingungen Deutschlands Lage auf das Äußerste
benachteiligen, denn unsere Unterhändler hatten dann keinen Trumpf
mehr in der Hand und mußten die Bedingungen des Feindes ohne
die Möglichkeit weiteren Widerstandes annehmen. Ganz anders lag es,
wenn jetzt eine zeitliche und sachliche Trennung der beiden großen
politischen Fragen eintrat: zunächst mußte der Waffenstillstand unter
Dach und Fach gebracht werden, dann erst konnte man zur endgül-
tigen Regelung der Kaisersrage schreiten.
Unglücklicherweise haben damals in Berlin über die termin-
mäßige Möglichkeit eines Abschlusses der Waffenstillstandsverhand-
lungen ganz unklare Vorstellungen geherrscht. Nachdem sich der
Reichskanzler Prinz Max nach dem Eingang der vierten Wilsonnote
am 6. November nachmittags zur sofortigen Entsendung der Waffen-
stillstandskommission nach Spa entschlossen und diesen Tatbestand am
7. November früh in den Zeitungen hatte veröffentlichen lassen,
herrschte offenbar in Berlin die unklare Vorstellung, daß der entschei-
dende Schritt nunmehr getan sei, und daß die Waffenstillstandsbedin-
gungen jeden Tag eintreffen könnten. Hierbei war nicht mit den
Schwierigkeiten gerechnet, die sich während der Reise der Waffenstill-
standskommission nach Spa und von dort über die Kampflinien hin-
weg ergeben konnten. Der Sonderzug brachte die Mitglieder der
Waffenstillstandskommission tatsächlich erst am 7. November vormit-
tags 8 Uhr nach Spa, wo gleich im Sitzungssaal der O.H.L. eine Be-
sprechung stattfand. Auch Feldmarschall v. Hindenburg erschien zum
Schluß der Besprechung und sagte zu Erzberger, es sei wohl das erste
Mal in der Weltgeschichte, daß nicht Militärs, sondern Politiker einen
Waffenstillstand abschlössen; er sei aber ganz damit einverstanden, zu-
mal die O.H.L. keine politischen Richtlinien mehr auszugeben habe;
die Armee brauche unter allen Umständen Ruhe. Er verabschiedete
sich mit den Worten: „Reisen Sie mit Gott, und suchen Sie das Beste
für unser Vaterland herauszuholen."
Die Weiterfahrt erfolgte am 7. November mittags nach Chimay.
Erst abends 9 Uhr 20 wurde die deutsche Front überschritten und
187
Der Zusammenbruch
gegen 4 Uhr morgens unter Umwegen der Treffpunkt im Walde von
Compiögne erreicht. Die Besprechungen mit Marschall Foch began-
nen aber erst am Freitag, 8. November 1918, 10 Uhr vormittags.
Hierbei lehnte es Marschall Foch von vornherein ab, während der Be-
ratungen wenigstens eine vorläufige Waffenruhe eintreten zu lassen,
und blieb darauf bestehen, daß für die Annahme oder Ablehnung der
gestellten Bedingungen nur eine Bedenkfrist von 72 Stunden zuge-
standen werde. Der Waffenstillstand konnte somit frühestens am
11. November vormittags in Kraft treten.
Während die Waffenstillstandskommission im Walde von Com-
piegne in schweren und seelenzermürbenden Kämpfen mit der Gegen-
seite um die Erleichterung der ihr bekannt gegebenen Bedingungen
rang, hat sich in der Heimat das deutsche Verhängnis vollzogen. Am
Sonnabend, 9. November, gegen 7 Uhr abends erfuhren die deutschen
Unterhändler in Compiegne durch Funkspruch, daß der Kaiser abge-
dankt und der Kronprinz auf den Thron verzichtet habe. In der Nacht
vom 9./10. November kam die Nachricht von der Bildung einer neuen
Volksregierung in Deutschland. Am Sonntag, 10. November, gingen
die Unterhandlungen weiter. Abends 8 Uhr ging ein von Hinden-
burg unterzeichneter Funkspruch ein, der eine Reihe von Erleichte-
rungen der Bedingungen erbat und mit dem entscheidenden Satz en-
dete: „Gelingt Durchsetzung dieser Punkte nicht, so wäre trotzdem
abzuschließen." Eine offene Depesche, die in der Nacht vom 10./11.
November einging, ermächtigte sodann Erzberger zur Unterzeichnung
der Waffenstillstandsbedingungen. Diese Depesche war ohne Na-
mensangabe nur mit „Reichskanzler" unterzeichnet. In einer Nacht-
sitzung, die um 2 Uhr 15 begann und bis nach 5 Uhr morgens dau-
erte, wurde dann schließlich der Waffenstillstand abgeschlossen, so daß
die Waffenruhe am 11. November 11 Uhr vormittags einzutreten
vermochte.
Aber was war das für ein Waffenstillstand? Er bedeutete nichts
Geringeres als Deutschlands Vernichtung. Mit größter Mühe nur
hatten unsere Unterhändler geringfügige Zugeständnisse erreichen
können, wenn es gelang, die Gegenseite davon zu überzeugen, daß
diese Abänderungen des ursprünglichen Wortlautes der Waffenstill-
standsbedingungen in ihrem eigenen Interesse lagen. Was von
Deutschland verlangt wurde, ging über die denkbar schlimmsten Er-
wartungen hinaus. Die bisher besetzten Gebiete Belgiens, Frankreichs
und Luxemburgs mußten binnen 15 Tagen geräumt werden, ebenso
das ganze Elsaß-Lothringen. Die deutschen Heere hatten, „in gutem
Zustande", wie ausdrücklich gefordert wurde, 5000 Kanonen — da-
von 2500 schwere und 2500 Feldgeschütze —, 25 000 Maschinen-
gewehre, 3000 Minenwerfer, 1700 Jagd- und Bombenabwurfflug-
188
Die rein politische Kriegsleitung
zeuge den Truppen der Alliierten und der Vereinigten Staaten an
Ort und Stelle auszuliefern. Das gesamte linksrheinische Gebiet
mußte sofort geräumt werden, wobei die wichtigsten Rheinübergänge
bei Mainz, Koblenz und Köln durch Brückenköpfe von 30 Ion Durch-
messer auf dem rechten Rheinufer gesichert werden sollten. Eine neu-
trale Zone wurde auf dem rechten Rheinuser in einer Breite von
10 km von der holländischen bis zur schweizer Grenze geschaffen.
Sämtliche rheinische Gebiete auf dem linken und rechten Ufer mußten
in einem Zeitraum von weiteren 16 Tagen, also im ganzen in 31
Tagen nach der Unterzeichnung des Waffenstillstandes, geräumt sein.
Die Entente forderte ferner 5000 gebrauchsfertige Lokomotiven,
150 000 Eisenbahnwagen und 5000 Lastkraftwagen in gutem Zu-
stande. Sämtliche Kriegsgefangene der Alliierten mußten ohne Recht
auf Gegenseitigkeit von Deutschland freigegeben werden. Die Blok-
kade blieb bestehen. Deutschland mußte ferner sofort auf die Frie-
densverträge von Bukarest und Brest-Litowsk verzichten, sämtliche
Truppen aus Ostafrika zurückziehen, sämtliche Unterseeboote aus-
liefern und 6 Panzerkreuzer, 10 Minenschiffe, 8 kleine Kreuzer, 50
Zerstörer der neuesten Typen sofort abrüsten und „alsdann in neu-
tralen Häfen oder in deren Ermangelung in Häfen der alliierten
Mächte" internieren lasten. Die Dauer des Waffenstillstandes, der
bereits den Kern der Vernichtungsbestimmungen von Versailles ent-
hielt, wurde auf 36 Tage bemessen.
„Wehe den Besiegten!" Kein anderer Gedanke war in diesem
von uns im Vertrauen auf Wilson erbetenen Waffenstillstände zu
erkennen, der die grausamste Enttäuschung der ganzen deutschen Ge-
schichte darstellte.
Mit dem 8. November hatte man im Lager der Mehrheitssozial-
demokratie als Termin für den Abschluß des Waffenstillstandes ge-
rechnet. Nunmehr war im tatsächlichen Verlauf des Geschehens eine
Verzögerung von nicht weniger als drei Tagen eingetreten. Nach
allem, was wir aus den verschiedensten Quellen über jene düstersten
Stunden der deutschen Geschichte wissen, hat in Berlin die Meinung
vorgeherrscht, man dürfe die Waffenstillstandsverhandlungen nicht
etwa durch einen Umsturz in der Heimat gefährden. In diesem Sinne
war immer wieder auf Scheidemann eingewirkt worden. Als am
7. November er und Ebert den Rücktritt des Kaisers und des Kron-
prinzen bis Freitag (8. November) mittags forderten, machte Staats-
sekretär Sols den Vermittlungsvorschlag, noch drei Tage Frist zu
geben, bis der Waffenstillstand formell abgeschlossen sei. Auch Graf
Roedern stellte die Frage, ob nicht die Unterzeichnung des Waffen-
stillstandes abgewartet werden könne. Auch Scheidemann hatte da-
........................- -
Der Zusammenbruch
mals vorgeschlagen, mit der Thronentsagung und mit dem Rücktritt
des Kanzlers noch so lange zu warten, bis der Waffenstillstand abge-
schlossen sei; er wolle versuchen, diesen Vorschlag in seiner Fraktion
durchzusetzen, könne aber für den Erfolg nicht einstehen.
Ein Spiegelbild der damals in Berlin herrschenden Wirrnis gibt
das Parteiblatt der Mehrheitssozialdemokratie „Der Vorwärts" in
seinen Darlegungen vom 7. und 8. November. Die Kaiserabdankung
hatte er schon seit dem 2. November erörtert, sodann tags darauf in
einem Artikel mit der Überschrift „Unsere Stellung in der Kaiser-
frage. Einigkeit tut not". In der Nummer 308 vom 8. November
— bei der im „Vorwärts" üblichen Vordatierung schon am 7. No-
vember abends erschienen — wurde der Rücktritt des Kaisers und des
Kronvrinren Ms ^reitaa. 8. Ronpmbpi- miHnns npfnrhprt* fpt bis
190
Die rein politische Kriegsleitung
und gab uns wehrlos in die Hände unserer auf Deutschlands völlige
Vernichtung ausgehenden Weltkriegsgegner.
Am gleichen Tage vollzog sich die unendliche Tragik, daß der
Reichskanzler Prinz Max von Baden, um zu retten, was noch zu ret-
ten war, unter dem Einfluß der Entwicklung in Berlin die Abdan-
kung des Kaisers und den Thronverzicht des Kronprinzen bekannt-
gab, noch ehe er hierzu vom Kaiser endgültig ermächtigt war. Die
Einsetzung einer Regentschaft wurde angekündigt, zugleich die Absicht,
„dem Regenten die Ernennung des Abgeordneten Ebert zum Reichs-
kanzler und die Vorlage eines Gesetzentwurfs wegen der sofortigen
Ausschreibung allgemeiner Wahlen für eine verfassunggebende deut-
sche Nationalversammlung vorzuschlagen, der es obliegen würde, die
künftige Staatsform des deutschen Volkes, einschließlich der Volks-
teile, die ihren Eintritt in die Reichsgrenzen wünschen sollten, end-
gültig festzustellen." Durch eine solche Regelung sollte vermieden
werden, daß die Staatsgewalt durch eine blutige Revolution an die
Spartakisten kam. Es war vielleicht das Letzte, was zur Rettung der
Monarchie und des im Westen stehenden Heeres noch möglich war.
Von solchen Hoffnungen und Beweggründen hat sich jedenfalls der
vertraute Ratgeber des Prinzen Max, der spätere Reichsgerichts-
präsident Simons^, leiten lassen, als er dem Prinzen riet, sich über
formale Bedenken in einem Augenblick hinwegzusetzen, wo es viel-
leicht noch möglich wäre, die Monarchie zu retten. Die Monarchie und'
das Heer waren aber nach seiner Ansicht nur zu retten, wenn die Be-
amtenschaft des alten Reiches sich Ebert zur Verfügung stellte, von
dem man wußte, daß er kein grundsätzlicher Gegner der Monarchie
wär.
Am 9. November vollendete sich in Spa das Schicksal des deut-
schen Kaisertums. Was sich damals im Großen Hauptquartier zuge-
tragen hat, ist für jedes deutsche Herz so schmerzlich, und außerdem
durch eine gewaltige Fülle von Veröffentlichungen so allgemein be-
kannt, daß wir hier an dieser Stelle nicht mehr darauf eingehen
wollen. Nach unendlich schweren Seelenkämpfen folgte der Kaiser
dem dringenden Anraten seiner in Spa anwesenden verantwortlichen
Ratgeber, außer Landes zu gehen, weil er auf Grund der ihm ge-
machten Meldungen glauben mußte, dadurch Deutschland am treu-
esten zu dienen, ihm günstigere Waffenstillstandsbedingungen und
Friedensbedingungen zu ermöglichen und ihm weitere Menschen-
verluste, den Bürgerkrieg, Not und Elend zu ersparen.
18 Simons war damals Wirklicher Geheimer Legationsrat in der Rechts-
abteilung des Auswärtigen Amts.
Der Zusammenbruch 191
Bei dieser Begründung, die Kaiser Wilhelm II. selbst in seinem
Buche „Ereignisse und Gestalten aus den Jahren 1878—1918" für
seinen Übertritt nach Holland gegeben hat, wollen wir stehen bleiben.
Der Monarch, der noch vor wenigen Tagen das schöne Wort „Kaiser-
amt ist Dienst am Volke" geprägt hatte, glaubte damit seinem Volke
das höchste Opfer zu bringen. Er verließ sein Land, das wiederzu-
schauen ihm bis zum heutigen Tage nicht vergönnt gewesen ist.
Deutschland versank nach der Annahme des Waffenstillstandes
in ein politisches Chaos. Das persönliche Vorbild des Generalfeld-
marschalls v. Hindenburg, der an seiner Stelle blieb und damit die
Zurücksührung des Heeres ermöglichte, das Weiterarbeiten der Be-
hörden in der Heimat und der gesunde Sinn eines großen Teils der
Bevölkerung verhinderten im Inneren des Reiches das Äußerste. Im
außenpolitischen Geschehen aber gestaltete sich alles nach dem Willen
der Mächte, die durch den Hinzutritt der Amerikaner im letzten Jahre
des Ringens zu einem doch nur sehr bedingten Siege über Deutsch-
land gelangt waren. Die uns auferlegten Waffenstillstandsbedin-
gungen wurden mit der äußersten Schärfe durchgeführt und bildeten
den Übergang zu der größten Gewalttat der Weltgeschichte, dem so-
genannten Frieden von Versailles.
Rückblick und Ausblick
Schwertfeger, Das Weltkriegsende
—
Rückblick und Ausblick.
Wir stehen am Ziele unserer Betrachtung. Das gewaltige Rin-
gen hatte mit der Niederzwingung Deutschlands und seiner Verbün-
deten geendet.
Dem deutschen Heere war es versagt geblieben, den Beweis da-
für zu erbringen, daß wir für die Erlangung besserer Waffenstill-
stands- und Friedensbedingungen noch hätten kämpfen können.
Wenn im Herbst 1918 die Front hielt und die Heimat nicht versagte,
wäre es für unsere Feinde an der Westfront nötig geworden, jeden
Schritt vorwärts mit Strömen von Blut zu erkaufen. Der Entente
konnte es aus den verschiedensten Gründen nicht gleichgültig sein, ob
wir das Königreich Belgien, das unter dem Kriege infolge der mehr
als vierjährigen deutschen Besetzung weniger gelitten hatte als feine
am Kriege beteiligten Nachbarstaaten, unbeschädigt herausgaben.
Andernfalls hätten sich unsere Feinde genötigt gesehen, die deutschen
Heere unter eigenen großen Verlusten abschnitts- und schrittweise aus
Belgien und Nordfrankreich bis an die deutsche Reichsgrenze zurück-
zudrängen und herauszuschießen, wobei das ganze Gebiet allmählich
dem Trichterfelde der Sommeschlacht angenähert werden mußte. Vom
Standpunkte der Gegenseite war es ein Widersinn, wenn unsere
Gegner zu einer Zeit, wo sie bereits einen Waffenstillstand haben
konnten, täglich neue Blutopfer brachten mit dem einzigen Ergebnis,
daß beträchtliche Teile der friedlichen Bevölkerung ihres eigenen Lan-
des mit ihrem Leben und ihrer Habe für die Hinausschiebung des
Abschlusses der Kämpfe büßen mußten.
Für die deutschen Heere war, solange noch gekämpft wurde, das
Ausharren in der Abwehrzone das dringendste, das einzige militä-
rische Gebot der Stunde. Jedem Einzelnen, vom Führer bis hinab
zum Schützengrabenkämpfer und bis zu den jetzt immer wichtiger
werdenden Organen des Etappendienstes mußte es klar sein, daß es
nunmehr um Deutschlands ganze Zukunft ging, daß die Bedingun-
gen des erstrebten Waffenstillstandes und Friedens in entscheidendem
Maße davon abhingen, daß und wie unsere Westfront hielt. Dieser
Grundgedanke mußte dem Bewußtsein jedes Einzelnen täglich und
stündlich eingehämmert werden. Welcher Parteirichtung, welchem
Berufe der Einzelne angehörte, das alles war völlig gleichgültig:
ganz Deutschland kämpfte, vorn wie in der Heimat, nur für einen
baldigen guten Frieden. Jede Schwäche aber war ein Verbrechen an
der Zukunft des deutschen Volkes.
Der Winter stand nahe bevor. Unsere Hauptgegner, England,
Frankreich und Belgien, hatten alle Veranlassung, auch ihrerseits die
13*
196
Rückblick und Ausblick
Vorteile eines baldigen Waffenstillstandes zu erwägen, ehe sie in den
fünften Kriegswinter hineingingen, der außerdem mit jedem weite-
ren Tage den amerikanischen Einfluß stärker zur Geltung bringen
mußte. Stellten sich unsere Feinde auf den Boden einer ganz nüch-
ternen Erwägung der Gesamtlage, so mußten sie erkennen — und das
ist, wie oben auf Seite 151 ausgeführt wurde, auch geschehen —, daß
Deutschland trotz Ausscheidens seiner Bundesgenossen noch längere
Zeit in der Lage war, den Widerstand an seiner Westfront fortzusetzen.
Eine Überspannung der Forderungen hätte die Kriegsdauer zweck-
los verlängert. Sollte wirklich der Waffenstillstand der Übergang zu
einem Verständigungsfrieden werden, so mußte das bereits in den
uns gestellten Waffenstillstandsbedingungen zum Ausdruck kommen.
Forderten diese aber von Deutschland eine knechtische Unterwerfung,
so war das der Beweis dafür, daß Deutschland auf einen Frieden des
Rechtes, wie ihn Wilson verheißen hatte, nicht rechnen konnte. Dann
mußte der Kampf an der Westfront weitergehen, Deutschland hätte,
wenn nicht außergewöhnliche Umstände eintraten, sich noch so lange
behaupten können, bis die Entente die Notwendigkeit zum Einlenken
empfand. In rückwärtigen, befestigten Stellungen, im Süden unse-
rer Westfront gestützt auf die starken Festungen Diedenhosen-Metz-
Molsheim-Straßburg, von dort mit dem Anschluß bis an den Rhein,
konnte die Armee sich sammeln, ausruhen, Reserven aussparen und
dadurch die Entente zum Nachdenken bringen, ob sich der Weiter-
kampf für sie noch lohnte.
In den schweren Tagen vor dem Eingang der vierten Wilson-
Note vom 5. November 1918 habe ich am 1. November in der
„Norddeutschen Allgemeinen Zeitung" folgende Betrachtung über die
militärische Lage veröffentlicht, die ich wörtlich hier mitteilen möchte,
um zu zeigen, wie mir die Dinge damals, mitten im Fluß der Er-
eignisse, erschienen sind. Ich konnte viele der damaligen Darlegungen
wörtlich in mein heutiges Werk übernehmen.
Die Lage an der Front.
Die öffentliche Meinung der kriegführenden Länder befindet
sich zurzeit in einem Zustande völliger Verwirrung. Schranken-
loser Siegestaumel bezeichnet im großen und ganzen die Stim-
mung der Entente, wie sie sich täglich in den Forderungen füh-
render Blätter zu erkennen gibt. Demgegenüber ist doch mit
aller Entschiedenheit festzustellen, daß die Entente für eine der-
artige Wertung ihrer eigenen, vor allem aber unserer Lage
keinerlei sachliche Gründe besitzt.
Wir befinden uns jetzt in einem Zustande, in dem jede
Selbsttäuschung aufhören muß. Schönfärberei könnte verhäng-
Rückblick und Ausblick
197
nisvoll wirken. Im Inlande würde sie falsche Hoffnungen er-
wecken, im Auslande bespöttelt werden. Klare, nüchterne Ab-
wägung der tatsächlichen Verhältnisse ist die Vorbedingung
für unsere Stellung zu den kommenden Dingen.
Der Angelpunkt unseres Krieges gegen die Entente ist
unsere Westfront. Mit Genugtuung dürfen wir es aussprechen,
daß sie sich von Tag zu Tag mehr gefestigt hat, seitdem die rück-
wärtigen Bewegungen ihren Abschluß gefunden haben. Die Ver-
kürzung der Front hat eine stärkere Besetzung, eine bessere Aus-
stattung mit Abwehrmitteln und eine angemessene Ablösungs-
möglichkeit für die fechtenden Truppen bewirkt. Wir nähern uns
dem Winter, die Tage werden kürzer, die auch durch Witterungs-
einflüsse bedingten Ruhepausen größer. In unermüdlicher Ar-
beit bildet die Heimat den Heeresnachwuchs aus, ohne daß es
bis jetzt nötig gewesen wäre, in die beträchtlichen noch vorhan-
denen und — meist im Interesse der Kriegswirtschaft — vom
Heeresdienst zurückgestellten Reserven hineinzugreifen. Unsere
Westfront hat sich bereits sichtbar gekräftigt, die Abwehrschlacht
steht.
Für unsere Feinde ist es nötig, jeden Schritt vorwärts mit
Strömen von Blut zu erkaufen. Weite, vom Kriege bis jetzt
kaum berührte Gebiete sinken dabei in Trümmer. Wollen unsere
Feinde uns mit Waffengewalt aus dem besetzten Nordfrankreich
verdrängen und die Räumung Belgiens erzwingen, so
müssen sie noch mit erheblichen Zeiträumen blutigster Kämpfe
und mit einer völlig zwecklosen Zerstörung eigener Gebiete
rechnen. Mit welchen Gefühlen französische und belgische Sol-
daten sich an diesem Kampfe beteiligen, zumal wenn es ihnen
klar wird, daß sie das alles ohne Schwertstreich zurückgewinnen
könnten, läßt sich leicht ermessen.
Die Entente hat also alle Veranlassung, auch ihrerseits die
Vorteile eines baldigen Waffenstillstandes zu erwägen, ehe sie
in den fünften Kriegswinter hineingeht, der mit jedem weiteren
Tage den amerikanischen Einfluß stärker zur Geltung bringen
muß. Stellen auch unsere Feinde sich auf den Boden einer ganz
nüchternen Erwägung der Gesamtlage, wie es einige Militär-
kritiker bereits tun, so müssen sie erkennen, daß Deutschland —
trotz des Ausscheidens unserer Bundesgenossen — noch lange
Feit in der Lage ist, den Widerstand fortzusetzen. Eine Über-
spannung ihrer Forderungen würde die Kriegsdauer zwecklos
verlängern. Denn darüber muß volle Klarheit herrschen, daß
ein uns einseitig festlegender, dem Feinde alle Vorteile sichernder,
unserer jetzigen militärischen Lage nicht entsprechender Waffen-
198 Rückblick und Ausblick
stillstand für uns unannehmbar ist. Mit gebundenen Händen
überliefert sich kein stolzes Volk nach einem solchen Helden-
kampfe seinen Gegnern. Soll wirklich der Waffenstillstand der
Übergang zu einem Verständigungsfrieden werden, so
muß das bereits in den uns gestellten Bedingungen zum Aus-
druck kommen. Tragen diese Bedingungen, die wir noch nicht
kennen, das Merkmal knechtischer Unterwerfung, so ist klar, daß
wir zum jetzigen Zeitpunkt auf einen Rechts frieden nicht zu
hoffen haben. Dann müssen und werden wir weiterkämpfen,
bis die Entente erkennt, daß sie nur die Leiden der eigenen Volks-
genossen zwecklos ins Ungemessene verlängert. Es bleibt abzu-
warten, ob bei den schon jetzt bestehenden wirtschaftlichen Schwie-
rigkeiten unserer Feinde nicht auch dort eine gewisse Kriegs-
müdigkeit aus der Erkenntnis der Zwecklosigkeit weiteren
Kampfes erwachsen wird.
Den Begriff der „Schmach" können wir aus unserer Be-
trachtung ganz ausschalten. Ein Volk, das 444 Jahre der Über-
macht fast der ganzen Welt getrotzt und die Lasten des Kampfes
auch für einen Teil unserer bisherigen Bundesgenossen jederzeit
willig und heldenhaft auf sich genommen hat, dessen Waffenruf
bleibt hoch in Ehren.
Durch die unglückliche, sinn- und ziellose Revolution vom No-
vember 1918 ist unser deutsches Vaterland seinen haßerfüllten Welt-
kriegsgegnern auf Gnade und Ungnade ausgeliefert worden. Die
Untersuchung der Frage, wie es dazu kommen konnte, geht über die
Ziele dieses Buches hinaus. Ich möchte in dieser Beziehung auf die
Arbeiten von Erich Otto Volkmann „Der Marxismus und das
deutsche Heer im Weltkriege" (Reimar Hobbing, Berlin 1925) und
auf die Darlegungen des Generals v. Kühl in seinen verschiedenen
Arbeiten über den Weltkrieg hinweisen. In seiner ausgezeichneten
Arbeit „Entstehung, Durchführung und Zusammenbruch der Offen-
sive von 1918" (Berlin, Deutsche Verlagsgesellschaft für Politik und
Geschichte, 1927) sagt General v. Kühl über das Sinken der Kampf-
kraft an der Westfront: „Es soll keineswegs behauptet werden, der
Krieg sei lediglich durch die Unterwühlung des Heeres verloren wor-
den. Vieles mußte zusammenkommen, um Deutschland trotz seiner
ungeheuren Leistungen zu Fall zu bringen. Daß aber den pazifi-
stischen, internationalen, antimilitaristischen Bestrebungen und der
von der Heimat ausgehenden revolutionären Unterwühlung des
Heeres ein beträchtliches Maß von Schuld an unserem Zusammenbruch
zufällt, ist erwiesen" (S. 212). Im gleichen Sinne habe ich in einem
Aufsatz im „Tag" vom 13. September 1921 ausgeführt: „Wer auch
nur das Geringste dazu beigetragen hat, daß die unübertroffene Man-
neszucht des deutschen Heeres und der deutschen Marine zermürbt
wurde, so daß die Kampfkraft nachließ, dessen Schuld läßt sich in alle
Ewigkeit nicht abwaschen. Er ist mitschuldig an Deutschlands Elend,
und spätere Geschlechter werden und sollen ihm fluchen."
Gehen wir von der Erkenntnis aus, daß 1918 der Weltkrieg für
Deutschland nicht so katastrophal zu enden brauchte, wie es tatsächlich
geschehen ist, so empfinden wir es mit verdoppelter Schwere, daß es
damals, nach Abschluß von fast viereinhalb schweren Kriegsjahren, an
einer straffen Zusammenfassung sämtlicher staatlichen Machtmittel in
der Hand einer zielbewußten Führerpersönlichkeit leider gefehlt hat.
Ein neuer grundlegender Gedanke für die Gestaltung der obersten
Kriegsleitung ist während der ganzen Kriegsdauer deutscherseits nicht
verwirklicht worden. Es war im großen und ganzen immer bei dem
Triumvirat des Obersten Kriegsherrn, der politischen und der mili-
tärischen Leitung geblieben.
Zeichnen wir die Entwicklung noch einmal in großen Zügen.
Mustergültig war in den Wintermonaten 1917/18 der gewaltige
Waffenkampf vorbereitet worden, der von der Großen Schlacht in
Frankreich an bis zum Vorstoß auf Reims taktisch erfolgreich durch-
geführt worden ist. Nach dem Scheitern der vierten großen Offensive
erfolgte der Umschwung: die strategische Initiative ging auf die Ge-
genseite über, bei uns gewannen politische Erwägungen erhöhte
Bedeutung.
Erst mit der Waffenstillstandsforderung der Obersten Heeres-
leitung vom 29. September 1918 setzte eine grundlegende Umformung
der obersten Gewalten ein. Die militärische Leitung selbst ist es ge-
wesen, die nunmehr die Politik herbeirief und ihr die weitere Gestal-
tung der Dinge überließ.
So wurde aus dem Kampf der Waffen ein Kampf der Noten,
ein nervenzermürbender Federkrieg. Für diese schwierigste und un-
dankbarste Phase des Weltkriegsgeschehens war die rein politische
Kriegsleitung des Prinzen Max von Baden die Trägerin der gesam-
ten Verantwortung. Ihr blieb nichts übrig als die Liquidation des
ganzen Krieges.
Wer war Sieger im Weltkriege? Sieger waren die Übermacht'
und die Kriegspropaganda unserer Weltkriegsgegner. Sieger war
der bestechende Zauber der Versprechungen Wilsons, dem das völlig
zermürbte und hoffnungslos gewordene deutsche Volk in allen seinen
Schichten fast widerstandslos erlag. Schließlich ging aus dem Ringen
um die Beendigung des Krieges, aus dem geistigen Kampf der Ideen-
welt des nach alten Grundsätzen arbeitenden Kaisertums und der
demokratischen, idealistischen Gedankengänge Wilsons letzterer als
200
Rückblick und Ausblick
Sieger hervor. Am Anfang des Kriegsjahres 1918 stand Wilson,
stand die Idee der Völkerversöhnung. Am Ende des Weltkrieges stand
wiederum Wilson und führte Deutschland in die Katastrophe von
Versailles hinein.
Wenn wir diese Zusammenhänge klar erkennen und auf uns
wirken lasten, so wissen wir, wo es in unserem deutschen Volke für
die Zukunft die Hand anzulegen gilt. Sollte es wieder einmal zum
Kampfe um Deutschlands Ehre und Sicherheit kommen — zu einem
Kampfe, den das deutsche Volk weder braucht noch wünscht, und zu
dessen Abwendung der deutsche Führer und Reichskanzler alles getan
hat und tun wird, was in seinen Kräften steht, —, so müßte in einer
solchen Auseinandersetzung um die Selbstbehauptung Deutschlands
von allem Anfange an neben dem Kampfe der Waffen der Kampf der
Geister stehen, dem es obliegt, das ganze Volk in einer wissenden und
wollenden Schicksalsgemeinschaft zusammenzuhalten: einig im Wissen
um Schwere und Ernst des Ringens, einig im Wollen, für das Va-
terland das Höchste zu leisten.
Im Weltkriege erlag das deutsche Volk der Ideologie des Präsi-
denten Wilson. Wir erinnern uns der schönen Worte, die Friedrich
Ludwig Iahn dem Freiheitskämpfer Friesen widmete: „Ihn hätte auch
im Kampf keines Sterblichen Klinge gefällt". Und wir erinnern uns
der Worte, mit denen Generalfeldmarschall v. Hindenburg sich in
seinen Lebenserinnerungen zum Glauben an Deutschlands Zukunft
bekannte: „Ich habe das Heldenringen meines Vaterlandes gesehen
und glaube nie und nimmermehr, daß es sein Todesringen ge-
wesen ist."
Wir glauben an Deutschlands Zukunft. Ewig und unerschöpflich
sind die inneren Kräfte unseres Vaterlandes. Die Aufgabe des her-
anwachsenden Geschlechtes ist es, aus der Geschichte und aus den be-
gangenen Fehlern zu lernen. Wenn dies geschieht, mit ehrlicher,
sachlicher Nüchternheit, zugleich mit Ehrfurcht vor den Großtaten
der deutschen Vergangenheit, dann wird auch die Katastrophe des
Weltkrieges dem deutschen Volke noch einmal zum Segen gereichen.
Personenverzeichnis.
A
Adalbert, Prinz von Preußen 174
Albert, König der Belgier 164
Albrecht, Herzog von Württemberg 88
Alfons, König von Spanien 90, 94
Alten, v., General 11
Antrick, M.d.R. 32
Arnim-Boitzenburg, Graf, Präsident
des preußischen Herrenhauses 163
Arz, v., österreichischer General 97
Asquith, engl. Ministerpräsident 81
Augusta Viktoria, deutsche Kaiserin
103, 104, 108, 123
August Wilhelm, Prinz v. Preußen 174
Balfour, engl. Außenminister 81
Darrere, franz. Botschafter in Rom 13
Bartenwerffer, v., Generalmajor 120,
121
Bauer, Oberst 24, 25, 89
Berg, v., Chef des Zivilkabinetts 93,
122, 127, 159
Bergen, Dr. v., Vortragender Rat im
Auswärtigen Amt 112
Bethmann Hollweg, Theobald v.,
Reichskanzler 14, 15, 17, 18, 19,
21, 22, 23, 24, 25, 26, 27, 28, 29,
33, 158
Beyens, Baron, belgischer Gesandter
in Berlin 14
Bismarck, Fürst Otto v., 12, 13, 20,24
Blücher, Fürst von Wahlstatt,. Gene-
ralfeldmarschall 13, 60
Bockelberg, v. (siehe Vollard-Bockel-
berg, v.)
Boehn, v., Generaloberst 154, 155
Bosch, Robert, Großindustrieller 47
Bredt, v. Di-., M.d.R. 34
Brockdorff-Rantzau, Graf, deutscher
Gesandter in Kopenhagen 145
Bülow, Fürst Bernhard v., Reichs-
kanzler 13, 14, 19, 25
Burian, Graf, österreich-ungarischer
Minister des Auswärtigen 97, 103,
105, 106
Bussche-Ippenburg, Freiherr v. dem,
Major 123, 124, 125, 128, 129, 131,
133, 134, 135, 138, 141
Bussche-Ippenburg, Freiherr v. dem,
Unterstaatssekretär 138
C
Capelle, v., Admiral 33
Carnot, Graf, Organisator der „levee
en masse" von 1793 167
Clausewitz, Carl v., General 11, 12
Clemenceau, Georges, französ. Mini-
sterpräsident 47, 48, 67, 99
Cramon, v., General 106
D
Delbrück, Clemens, v., Chef des Zivil-
kabinetts 169, 170, 178, 181
Deutelmoser, Ministerialdirektor 149,
150
Dittmann, M.d.R. 32
Draudt, Major 176
Drews, Wilh., preußischer Minister 180
E
Ebert, Friedrich, M.d.R. 102, 134,
182, 188, 190
Ernst August, Herzog zu Braunschweig
und Lüneburg 184
Ernst Ludwig, Großherzog von Hessen
und bei Rhein 179
Erzberger, Matthias, M.d.R. 29, 30,
146, 182, 185, 186, 187
Eulitz, v., Generalmajor 128
Falkenhausen, Frhr. v., Generaloberst
102
Falkenhayn, v., Generaloberst 15, 17,
18, 21, 24, 89
Ferdinand, König von Bulgarien 104,
174
Foch, Marschall, französischer General,
Oberbefehlshaber der Alliierten
Truppen 60, 86, 151, 153, 154, 182,
187, 189
202
Personenverzeichnis
Foerster, Wolfgang, Oberstleutnant u.
Direktor im Reichsarchiv 16, 21
Franchet d'Esperey, franz. General 152
Friedrich der Große, König von Preu-
ßen 5, 12, 165
Friedrich III., Großherzog von Baden
129, 131, 133
Friedrich Franz IV., Großherzog von
Mecklenburg-Schwerin 184
Friedrich Karl, Prinz von Hessen 179
Friesen, Karl Friedr., Freiheits-
kämpfer 200
G
Gallwitz, v., General d. Artillerie 172
Gamp-Massaunen, Frhr. v., M.d.R.
134
Gontard, v., Generaladjutant 123, 124
Gröber, M.d.R. 102, 134, 146
Groener, Generalleutnant 171,177,180
181, 182, 184, 186
Grünau, Frhr. v., Wirkl. Legationsrat
41, 130, 131, 181, 183, 184
Gündell, v., General d. Jnftr. 182,185
H
Haase, M.d.R. 134, 163
Haeften, v.. Oberst 40, 41, 63, 64, 67,
70, 71, 72, 73, 74, 75, 87, 91, 92,
127, 130, 131, 133, 134, 138, 140,
141, 149, 164, 167, 168
Haußmann, Conrad, M.d.R. 48, 146
Helfferich, Di*. Karl, Staatssekretär
des Innern 73, 74, 85, 148
Hertling, Graf Georg v., Reichskanzler
24, 27, 33, 34, 35, 37, 39, 40, 48,
49, 62, 57, 58, 60, 64, 65, 67, 68,
69, 70, 72, 73, 74, 75, 76, 77, 78,
79, 80, 81, 82, 84, 85, 86, 90, 92,
93, 95, 96, 98, 103, 104, 106, 107,
108, 109, 111, 112, 113, 119, 121,
122, 124, 125
Hertling, Graf Karl v., Rittmeister,
Sohn des Reichskanzlers 27, 49, 64,
65, 69, 70, 76, 78, 90, 122
Heye, Oberst 119, 130, 161, 164
Hindenburg, v. Beneckendorff und v.,
Generalfeldmarsch»ll 15,. 19, 20, 21,
22, 24, 25, 26, 27, 28, 29, 30, 31,
35, 36, 37, 38, 39, 48, 54, 68, 60, 62,
65, 66, 70, 73, 75, 76, 78, 83, 86,
91, 92, 93, 94, 95, 96, 97, 100, 101,
102, 103, 104, 105, 106, 107, 108,
109, 113, 114, 116, 119, 120, 121,
123, 125, 127, 128, 129, 136, 136,
137, 138, 139, 140, 141, 155, 157,
158, 159, 164, 166, 167, 168, 169,
170, 171, 177, 181, 184, 186, 187,
191, 200.
Hintze, v., Staatssekretär des Äußern
77, 82, 84, 85, 86, 87, 92, 93, 94,
95, 96, 97, 101, 102, 103, 104, 105,
106, 107, 109, 110, 111, 112, 113,
119, ,120, 121, 122, 123, 124, 125,
126, 127, 128, 131, 136, 138, 145
Hitler, Adolf, Führer u. Reichskanzler
8, 200
Hoffmann, Max, Generalmajor 164
Hohenlohe-Schillingsfürst, Prinz
Alexander von 162
Hohenlohe-Langenburg, Fürst Ernst zu
112, 175
Hohenlohe, Prinz Gottfried, österreich-
ungarischer Botschafter in Berlin 103
Holtzendorff, v., Admiral 108
House, Oberst 161, 152, 163
I
Iäckh, Professor Dr*. 47.
Iagow, Gottlieb v., Staatssekretär des
Auswärtigen Amtes 15, 26
Iahn, Friedrich Ludwig 200
Joffe, diplomat. Vertreter Rußlands
in Berlin 180
K
Kapp, Di*., General-Landschaftsdirek-
tor 24
Karl XII., König von Schweden 5
Karl, Kaiser von Österreich 65, 97, 105,
106, 171
Kneußl, Ritter v., bayr. General 49
Kühl, v., General d. Jnftr. 59, 62, 115,
198
Kühlmann, Dr. v., Staatssekretär des
Äußern 26, 36, 36, 37, 40, 48, 60,
63, 64, 67, 73, 74, 76, 76, 77, 78,
79, 80, 81, 82, 85, 101, 109
L
Lancken Wakenitz, Frhr. v. der, Chef
der Politischen Abtlg. in Brüssel
86, 102
Lansdowne, Lord, engl. Minister 1°2
Lanfing, Robert, amerik. Staatssekre-
tär des Auswärtigen 46, 161, 168,
181
Personenverzeichnis
203
Ledebour, M.d.R. 163
Lerchenfeld, Graf, bayer. Gesandter
in Berlin 165
Lersner, Frhr. v., Legationsrat 41,
111, 130, 131, 132
Lichnorvsky, Fürst, deutscher Botschaf-
ter in London 93
Liebknecht, Karl, M.d.R. 63
Limburg-Stirum, Graf, Landrat a. D.
40
Linsingen, v., Generaloberst, Oberbe-
fehlshaber in den Marken 183
Lloyd George, engl. Kriegsminister,
dann Ministerpräsident 99, 151
Ludendorff, Erich, General der Inf.
15,16,17,19,20, 21,22,23,24, 26, 26,
30, 31, 32, 35, 36, 38, 40, 41, 47, 48,
53, 64, 68, 59, 60, 63, 64, 65, 67, 68,
70, 71, 72, 73, 75, 76, 84, 85, 86, 87,
88, 89, 90, 91, 92, 93, 94, 95, 96, 97,
99, 101, 104, 107, 108, 109, 111, 112,
113, 114, 116, 119, 120, 121, 122,
123, 125, 126, 127, 128, 129, 130,
131, 132, 133, 134, 135, 137, 138,
140, 141, 148, 149, 155, 157, 158,
159, 160, 161, 164, 167, 168, 169,
170, 171, 176, 177, 180
Ludwig III., König von Bayern 33,
55, 65, 184
M
Marschall, Frhr. v., Generalmajor,
Chef des Militärkabinetts 93, 177
Max, Prinz von Baden, Reichskanzler
122, 126, 127, 129, 130, 131, 132,
133, 135, 136, 137, 138, 139, 140,
142, 145, 146, 147, 148, 149, 150,
159, 160, 161, 162, 163, 164, 166,
166, 167, 168, 170, 171, 172, 174,
176, 176, 177, 178, 179, 180, 182,
183, 184, 186, 190, 199
Menstng, Kapitänleutnant 176
Mertz, v.. Oberst 111
Michaelis, Georg, Reichskanzler 27,
28, 29, 30, 31, 32, 33
Mirbach-Harff, Graf v. 77
Moltke, Graf Helmuth v., General-
Moltke, Helmuth v., Generaloberst 16,
16, 17
Mudra, Bruno v., General 172
N
Naumann, Friedrich, M.d.R. 47
Naumann, Victor, Dr., Schriftsteller 53
Nicolai, Major, später Oberstleutnant
123, 149, 150
Niemann, Major 88, 89, 91, 98, 103,
104, 120, 121, 158, 177
Noske, Gustav, M.d.R. 111, 174, 181
Oberndorfs, Graf Alfred v., deutscher
Gesandter in Sofia, 182
P
Payer, Friedr. v., M.d.R., Vizekanzler
65, 73, 76, 78, 79, 80, 81, 87, 102,
103, 112, 124, 126, 127, 128, 129,
131, 133, 135, 136, 138, 146, 170
Pershing, amerik. General 100
Petain, General, Oberbefehlshaber des
französischen Heeres 161
Pleffen, v., Generaloberst und General-
adjutant des Kaisers 93, 108, 184
Prinetti, italienischer Außenminister
13
R
Radowitz, v., Unterstaatssekretär in der
Reichskanzlei 53, 64, 73, 86, 122,
123, 138
Roedern, Graf, Staatssekretär des
Reichsschatzamtes 122, 123, 124, 125,
126, 127, 131, 138, 140, 146, 188
Romberg, v., Gesandter in Bern 180
Rosenberg, Dr. v., Gesandter 112
Rosner, Karl, Schriftsteller 148
Rupprecht, Kronprinz von Bayern 66,
67, 68, 59, 61, 62, 65, 67, 68, 69, 70,
73, 83, 84, 116, 165, 166, 167
S
Scheer, Admiral 108, 164, 170
Scheidemann, Philipp, M.d.R. 146,
178, 182, 188, 189
Scheuch, Generalleutnant 146, 169,170,
177, 183
Schiller, Friedrich v. 13
Schliessen, Graf v., Generalfeldmar-
fchall 11, 15, 16, 21, 40, 157, 173
Seyda, M.d.R. 134
Simons, Dr. Walter, Wirkl. Geh. Le-
gationsrat 190
204
Personenverzeichnis
Sixtus, Prinz v. Parma 65
Smuts, Ministerpräsident der Süd-
afrikanischen Union 74, 81
Solf, Dr. Wilh., 1918 Staatssekretär
des Auswärtigen 122, 136, 138, 145,
146, 162, 171, 172, 181, 184, 185, 188
Stegemann, Herm., Professor, Schrift-
steller 48
Stein, v., Generalleutnant, General-
quartiermeister, später Kriegsminister
16, 54, 159
Stresemann, M.d.R. 134
Stumm, Ferdinand, Frhr. v., Legati-
onsrat 176
Stumm, W., Frhr. v., Unterstaats-
sekretär im Auswärtigen Amt 112,
124, 138
T
Tirpitz, v., Großadmiral 19, 32, 163
Treutler, v., preußischer Gesandter in
München 175
V
Valentini, v., Chef des Geheimen Zi-
vilkabinetts 24, 26, 33, 39, 109, 158,
159
Vanselow, Kapitän zur See 182
Vollard-Bockelberg, v., Major 89
Volkmann, Erich Otto, Major a. D. 198
W
Wahnschaffe, Unterstaatssekretär 184
Wellington, Herzog von 13
Westarp, Graf, M.d.R. 31, 134
Wetzell, Oberstleutnant 65, 66, 82
Wilhelm II., Deutscher Kaiser 15, 16,
17, 18, 23, 24, 25, 26, 27, 28, 30, 33,
35, 36, 37, 38, 40, 48, 53, 54, 58, 69,
60, 64, 68, 69, 76, 77, 78, 79, 80, 81,
82, 86, 88, 89, 90, 91, 93, 94, 96, 96,
103, 104, 106, 107, 108, 112, 116,
119, 120, 121, 122, 124, 126, 128,
130, 131, 135, 136, 145, 146, 157,
158, 159, 160, 164, 165, 167, 168,
170, 171, 173, 174, 175, 176, 177,
178, 179, 180, 181, 182, 183, 184,
185, 186, 187, 188, 189, 190, 191,
199
Wilhelm, Deutscher Kronprinz 24, 25,
26, 39, 57, 58, 66, 83, 91, 93, 94,
148, 155, 175, 176, 182, 187, 188,
189, 190
Wilhelmine, Königin von Holland 94,
103, 106, 107
Wilson, Sir Henry, englischer General
151
Wilson, Woodrow, Präsident der Ver-
einigten Staaten von Nordamerika
45, 46, 49, 98, 99, 110, 112, 119, 121,
124, 128, 129, 131, 133, 136, 136,
137, 140, 141, 142, 143. 145, 146,
147, 148, 149, 151, 152, 153, 167,
159, 160, 161, 162, 163, 164, 166,
166, 168, 169, 170, 171, 172, 173,
174, 175, 176, 180, 181, 182, 185,
188, 196, 199, 200
Winterfeldt, Detlev v., Generalmajor
40, 64, 72, 78, 87, 103, 106, 107,
112, 119, 122, 138, 182
Wrisberg, v., General 54
Würz, Major 72, 149
8
Zimmermann, Unterstaatssekretär 15,
26
Das Herbeirufen der Politik
29. September bis 3. Oktober 1918
Der 29. September .
Der 30. September ......
Der 1. Oktober ......
Der 2. Oktober ......
Der 3. Oktober..................
Inhaltsverzeichnis.
Vorwort.............................................................3
Einleitung................................................. 5
Politik und Kriegführung bis zur Großen Schlacht in Frank-
reich 1918
Das Problem des Feldherrntums bis zum Weltkriege
Die politische Leitung .
Die Erste O.H.L. .
Die Zweite O.H.L. . . .
Die Dritte O.H.L. .
Die Männer der politischen Leitung
Der Reichstag....................
Der Kompetenzstreit um die Verantwortlichkeit
Die rein militärische oberste Kriegsleitung
Bis zum 29. September 1918 . . .
Zur Vorgeschichte der Großen Schlacht in Frankreich .... 45
Die Große Schlacht in Frankreich . .......................... . 56
Die zweite deutsche Offensive .......................................60
Politisches Zwischenspiel ........... 63
Die dritte deutsche Offensive .......................................65
Die Friedensoffensive des Obersten v. Haeften und die Entlassung
des Staatssekretärs v. Kühlmann . 67
Die vierte deutsche Offensive (Reims) ...............................83
Der Umschwung der Kriegslage .................................... ♦ 85
Der schwarze Tag . . . ...................................90
Die Besprechungen in Spa am 13. und 14. August 1918 ... 91
Vom 15. August bis zum 29. September 1918 .........................98
Inhaltsverzeichnis
Rückblick und Ausblick
Personenverzeichnis
Inhaltsverzeichnis .
Die rein politische Kriegsleitung
Der Notenkampf mit Wilson um den Waffenstillstand (4. Oktober
bis 11. November 1918) ..................................143
In Erwartung der Antwort Wilsons ..............................145
Die erste Note Wilsons.........................................160
Wilsons zweite Note ...........................................162
Wilsons dritte Note.......................................... 168
Die Kaiserfrage ............................................. 173
Die vierte Note Wilsons (der Vorfriedensvertrag
vom 5. November 1918)....................................181
Der Zusammenbruch ........................................... 185