Die geistigen Strömungen im XIII. Jahrhundert
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versteigen und so die Grundfesten der Offenbarung selbst erschüttern.
Zwar erkenne er die großen Verdienste des Maimonides auf dem Ge
biete der Gesetzeskunde an, müsse aber zugleich seiner Betrübnis dar
über Ausdruck geben, daß der Philosoph durch seinen „Führer“ dem
Judentum nicht wenig geschadet hätte; darum treffe auch den Über
setzer des verfänglichen Buches ins Hebräische, Samuel ibn Tibbon,
eine schwere Schuld. So müsse er denn das Verhalten des gottesfürch-
tigen Salomo aus Montpellier und seiner Gesinnungsgenossen uneinge
schränkt billigen.
Die Zuspitzung der Gegensätze erfüllte den schon einmal als Frie
densvermittler hervorgetretenen Ramban mit schwerer Besorgnis, und
er trat daher mit einem neuen Versöhnungsvorschlag an die Öffentlich
keit : er schlug vor, den Bannfluch gegen den Religionskodex des Mai
monides aufzuheben, die Verbreitung des philosophischen „Führers“
hingegen, der die unreifen Geister nur verwirren könne und auch von
dem Verfasser selbst nur für wenige Auserlesene bestimmt sei, zu
unterbinden. Dem gleichen Gedanken gab der Dichter Meschullam da
Piera in folgenden Versen Ausdruck:
„Meide, o Meister, den ,Führer' — enthalte dich der Betrachtung,
Huld’ge allein der ,Erkenntnis' 1 ) — und Gottes Geist wird dir nah sein“.
Indessen vermochten Kompromisse die erhitzten Gemüter nicht mehr
zu beschwichtigen. Die Leidenschaften waren entfesselt, und der
Kampf nahm ein überaus schmähliches Ende.
Als nämlich der Fanatiker Salomo aus Montpellier von dem durch
die Maimonisten gegen ihn verhängten Gegencherem Kunde erhielt,
geriet er in rasenden Zorn und entschloß sich zu einem unerhörten
Schritte. Um jene Zeit (i233) war die auf Antrieb des Papstes Gre
gor IX. aus einem zeitweiligen in ein permanentes Tribunal verwan
delte katholische Inquisition gerade damit beschäftigt, die Überreste
der ketzerischen Albigenser in der Provence aufzuspüren und sie der
Strafe zuzuführen. Besonderen Eifer legten hierbei die dominikani
schen Inquisitoren in Toulouse und Montpellier an den Tag. Die Ver
folger des jüdischen Freidenkertums kamen nun auf den Gedanken,
daß ihre Ziele im großen und ganzen mit denen der kirchlichen
Ketzerverfolger übereinstimmten. So gingen denn Salomo und sein
Mitstreiter Jona Gerondi, wie die damaligen Streitschriften wissen
1) Gemeint ist das erste Buch des Kodex „Mischne-Thora“: „Das Buch der
Erkenntnis“.