Die militärischen Rüstungen Italiens
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Diese am 1. September 1914 festgelegten Richtlinien behielten auch
für die tatsächliche Durchführung der Operationen ihre Geltung1).
Während Gen. Cadorna seinen Offensivplan in allen Einzelheiten
durcharbeitete, erlangte er am 24. September volle Kenntnis von der
verzweifelten Bekleidungslage des Heeres, die der lybische Krieg verur¬
sacht hatte. Auch der Mangel an großkalibrigem Geschütz, an Maschinen¬
gewehren und an Lastkraftwagen sowie der unerfreuliche disziplinare
Zustand vieler Regimenter ließen es ihm unmöglich erscheinen, das Heer
bei herannahendem Winter ins Feld zu führen. So legte er sich gemein¬
sam mit dem Kriegsminister ein Sanierungs- und Ausbauprogramm zu¬
recht, dessen Dauer er mit 51/2 Monaten bemaß.
In den Monaten der Sachaufrüstimg des italienischen Heeres wähnte
sich sein Generalstabschef dauernd dadurch beunruhigt, daß Österreich-
Ungarns Heer schon mobilisiert war und daß es mit der russischen und
der serbischen Front entnommenen Truppen plötzlich über das noch nicht
kriegsbereite Italien herzufallen vermöchte. Selbst die zuweilen äußerst
gespannte Lage der k. u. k. Streitkräfte auf diesen beiden Kriegsschau¬
plätzen, die Cadorna doch bekannt gewesen sein mußte, konnte dieses
Schreckensgespenst nicht aus seinem Arbeitszimmer bannen. Um nun sein
Vaterland gegen einen Überfall aus Tirol oder aus dem Küstenlande zu
schützen, richtete er gleich zu Beginn des Weltkrieges nahe der öster¬
reichischen Grenze eine „vorgeschobene Besetzung" (occupazione avan¬
zata) ein, in die Gebirgsformationen, darunter auch solche, die bisher an
der französischen Grenze gestanden waren, und Truppen der zunächst
gelegenen Garnisonen verlegt wurden. Ende August wurden diese Grenz¬
sicherungen im Friaul verstärkt, und um die Monatswende Oktober-
November die Grenzbefestigungen bei weiterem Reservistenaufgebot mit
Be Satzungen versehen2 ).
Eine zweite Maßnahme betraf die Verbesserung der Mobilmachung
und des Aufmarsches. Bisher hätten sich diese beiden Vorgänge, für
deren Durchführungsdauer ein Monat vorgesehen war, in enger Wechsel¬
wirkung abzuspielen gehabt, wobei die Truppenkörper wegen der zum
Teil exterritorialen Ergänzung erst im Versammlungsraum ihre Schlag¬
fertigkeit erlangen sollten. Nach dem neuen Mobilisierungsverfahren, das
am 1. März 1915 in Kraft trat und die möglichste Geheimhaltung der
Mobilmachung bei Beschleunigung des darauf folgenden Aufmarsches zum
Ziele hatte, sollten die Regimenter grundsätzlich in den Garnisonsorten
1) Cadorna, La guerra, I, 95 f£.; Ital. Gstb.W., I, Beilagenheft, Beilage 50.
2) Ital. Gstb. W., I, Text, 156.