Volltext: Der Sammler 17. jahrg. 1921 (1921)

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Bei unseren Voreltern war die Voraussage 
durch Lose sehr häufig. Tacitus erzählt in seiner 
Germania, die Deutschen hätten Holzstäbchen von 
„verschiedener Länge" mit eingeschnittenen, ge 
heimnisvollen Zeichen (Runen), die sie auf ein 
weißes, am Boden liegendes Kleidungsstück 
„warfen", worauf nach der Lage der längeren 
öderen kürzeren Stäbchen in einer Streitsache 
entschieden oder die Voraussage ermittelt wurde. 
Von Runa (Geheiinzeichen) stamint unser Aus 
druck, etwas ins Ohr räumn und andere ähn 
liche Worte. Der Ausdruck „unter die Haube 
kommen" stammt aber erst aus dein Mittelalter, 
nachdem damals die Ledigen barköpfig gingen, 
die Frauen dagegen Hauben trugen. 
Rach altgermanischem Glauben gab es 
Schicksalsgöttinnen, Nornen, und zwar sowohl 
gute als auch böse, welche schon bei der Geburt 
des Menschen dessen Schicksal und die Dauer des 
Lebens bestimmten. Erinnerungen an diese Nornen 
haben sich bis in unsere Zeit in Kindermärchen 
von den guten und bösen Frauen (Dornröschen 
u. a.) erhalten. 
In späterer Zeit, als durch die ägyptischen 
Astronomen die Himmelskörper bereits als Fix 
sterne und Planeten unterschieden wurden, schrieb 
man den letzteren den größten Einfluß auf die 
Schicksale jedes einzelnen Menschen zu. Man 
zählte damals sieben Planeten unb zwar Mond, 
Merkur, Venus, Sonne, Mars, Jupiter und Saturn. 
Die Erde betrachtete man als Mittelpunkt des 
Systems und setzte an deren Stelle die Sonne. 
Das Jahr, die Monate, jeder Wochentag, selbst 
jede Stunde erhielt einen Planeten als Regenten. 
Von der Stunde der Geburt, beziehungsweise vom 
Regenten dieser Stunde hing nun das Schicksal 
des betreffenden Menschen, aber auch die Eigen 
schaften seines Körpers und Geistes ab. In den 
meisten Kalendern unserer Zeit wird noch einer 
der oben angeführten sieben Himmelskörper als 
„Jahresregent" angegeben. Eine ganz hervorra 
gende Rolle spielte in der Astrologie (Sterndeu 
terei) der Mond, dem der größte Einfluß aus dis 
Geschichte der Menschen eingeräumt wurde. Heute 
aber noch gibt es Leute, welche sich nur bei „zu 
nehmendem Mond" die Haare schneiden oder 
Zähne, ziehen lassen oder auch selbst nur die 
Fingernägel und Hühneraugen cheschneiden (bei 
abnehmenden Monde). Dem Mond wird ferner 
besondere Einwirkung bei verschiedenen Krank 
heiten zugeschrieben. Wer im Schlafe vom Monde 
sich bescheinen läßt, wird „mondsüchtig", Wasser, 
welches durch einige Zeit den Strahlen des Voll 
mondes ausgesetzt war, verursacht im Glauben 
mancher Gegend böse Krankheiten, kann aber auch 
außerordentliche Geistes- oder Körperkräfte ver 
leihen. Ein Kind, das an einem Sonntage, auf 
den zugleich der Neumond fällt, geboren wird, 
ist ein „Neusonntagskind", ausgerüstet mit ganz 
besonderen geheimnisvollen Eigenschaften und 
Geisteskräften; doch sollen solche Menschen meist 
körperlich zart und schwächlich sein und sich keiner 
langen Lebensdauer erfreuen*). Die Zahl sieben 
(sieben Planeten) wird heute noch als geheimnis 
volle, als heilige Zahl, manchmal aber auch als 
„Jude" (77 doppelter Jude) bezeichnet, wie es 
auch eine „böse sieben" geben soll. 
Alte Geschichtsschreiber erzählen uns, daß sich, 
schon bei unseren heidnischen Vorfahren die 
Frauen der größten Achtung erfreuten. In Sagen 
und Märchen wird Uns von weisen Frauen er 
zählt, welche die Gabe der Weissagung, sowie 
die Kunst der Traumdeutung besaßen. Sie wußten 
Mittel zur Hilfe gegen Krankheiten und zur 
Heilung von Wunden, die sie verbanden. Das 
Christentum mußte die Gabe der Weissagung 
sowie die Traumdeutung als Teufelswerk be 
trachten, der alte Götteaglaube wird zum Aber 
glauben, die alten Götter und Göttinnen werden 
zu Dämonen, Zwergen, Berg-, Fluß- und Wald- 
geistern, zu Elfen, Feen, Nymphen und NUen, 
die heidnischen Pciesterinnen zu Hexen, Truden 
u. dgl. Doch ist der Glaube an Menschen, ins- 
besonders Frauen, die geheimnisvolle Zauber 
kräfte oder Heilkünste (Wenden für Krankheiten) 
besitzen, auch in unserer Zeit noch nicht ganz 
verschwunden, noch bestellt der Glaube an Wahr 
sagerei und Kartenaufsckffagen, noch sucht man 
aus den Linien der Hand das Schicksal eines 
Menschen zu erforschen. Für die Erforschung der 
Zukunft, was Liebe und Heirat anbelangt, waren 
schon seit jeher die „Rauhnächte" sehr wichtig, 
auch heute noch schüttelt in der Thomasnacht 
manches Mädchen einen jungen Baum, spricht 
dabei einen Vers und horcht, aus welcher Rich 
tung zuerst das Gebell eines Hundes hörbar wird; 
von dorther wird der Freier kommen. Wie vor 
Jahren wird heute noch in den Rauhnächten 
Blei gegossen, werden Holzscheite von einem Orte 
zum anderen getragen und wird beobachtet, ob 
es paarweise ausgeht oder man schleudert den 
Schlappschuh (Pantoffel) über den Kopf nach 
rücklings. Ist die Spitze des Schuhes zur Tür 
gerichtet, dann steht innerhalb Jahresfrist ein 
Verlassen des Hauses oder der- Heimat bevor. 
Ueber Ursprung der Rauhnächte und die große 
Zahl von weiteren Gebräuchen und Sitten zur 
Zeit derselben ist schon so viel veröffentlicht wor 
den, daß es unnötig ist, auf dieses Gebiet noch 
einzugehen. 
Beim bajuwarischen Zweig der Deutschen, 
zu den, ja auch wir Öesterreicher gehören, hieß 
einst ein Festtag auch „Dult"; heute wird dieses 
Wort gerade in Bayern statt Jahrmarkt gebraucht. 
Die Märkte wurden ja in alten Zeiten stets an 
Sonn- und Festtagen und zwar in vielen Orten 
*) Der Schreiber dieser Zeilen hatte vor mehr als 
vierzig Jahren ein Kind in der Klasse (Schule), von welchem 
dessen abergläubische Mutter sagte, es sei ein Neusonntags 
kind und. zugleich behauptete, es werde nicht alt werden'. 
Tatsächlich war dieses Mädchen ein sehr zartes, aber dabei 
außerordentlich talentiertes Kind, welches im 13. Lebens 
jahre an einem Halsübel erkrankte und daran starb (Zufall).
	        
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