Volltext: Der Weltkrieg und die politischen Gedankengänge Europas [30]

Anziehungskraft des größeren Ansehens und stärkeren Armes 
auch die anderen zufallen, Wenzelskrone und Stefanskrone, 
wenn die Vereinigung eine dauernde und eine glückliche sein 
sollte. Welches Haus es treffen mochte, und alles übrige 
wie und wann lag in Fortunas Händen. 
Und dieses Reich soll, in Stücke zerhackt, von der Bild¬ 
fläche Europas verschwinden, einem fremdnationalen Fana¬ 
tismus zuliebe, der auf eine Idee eingeschworen ist und wie 
Shylock auf seinem Scheine besteht? Nur aufrichtig sein! 
In Wahrheit gibt es keine Ideen, die nach einheitlichem Muster 
folgerichtig angetragen, Brust an Brust mit gleicher Wärme 
fortwirken und alles gleichmäßig durchdringen. Ein Rock läßt 
sich nach dem allerneuesten Schnitt verfertigen, unausgemacht 
bleibt es noch immer, ob auch der Körper wirklich hineinfindet. 
Irgendwo fehlt es gewöhnlich immer, denn etwas Voll¬ 
endetes zu schaffen, ist der Menschheit nicht gegeben. Wir 
alle leben — nach einem schönen Worte Emersons — in einem 
Zustande beständiger Annäherungen. Eine Wirklichkeit, der 
es gelänge, die letzten Ziele idealistischen Strebens zu erreichen, 
würde vielleicht in das Gegenteil der erwarteten Wirkung 
umschlagen. Darum geht durch die Welt, durch alles Leben 
auch beständig ein dualistischer Zug. Sein scharfes Beil spaltet 
alles, was, ewige Harmonien versprechend, ihm in den Weg 
tritt. Und so stürzt wie Tag und Nacht Neues in Altes und 
wirft neue Tage, neue Nächte aus sich heraus. Auch die Ideen 
machen erst durch ihre Wechselwirkung den Menschen fähig, 
sie würdig zu gebrauchen und heilsam fortzubilden. 
Schreiber dieser Zeilen ist kein verstocktes österreichisches 
Bleichgesicht ohne völkische Lebensfrische im Geblüte; willig 
und gerne bekennt er sich zu einer nationalen Gesinnung, die 
das Wehen und Weben geistiger Eintracht zwischen den Volks¬ 
angehörigen Goethes, Gottfried Kellers und Grillparzers 
liebevoll und mit Ehrfurcht genießt; aber in dieser Gesinnung 
kennt er ein Merkmal seiner Menschlichkeit, nicht diese selbst, 
noch weniger aber den Ausdruck einer völkerrechtlich appro¬ 
bierten Staatsidee nach der Art einer schöpferischen Urquelle, 
an der sich ein verworrenes Europa von den Irrtümern seines 
historischen Werdeganges zu reinigen hätte, bevor es an die 
Anbahnung des ewigen Friedenswerkes schreitet. 
Napoleon III. hat zwar den nationalistischen Grundsatz 
zum treibenden Gedanken seiner Politik zu machen versucht; 
in der Gründung des Deutschen Reiches und des Königreiches 
Italien sprechen sogar die fertigen Tatsachen als solche für 
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