Volltext: Der Weltkrieg und die politischen Gedankengänge Europas [30]

Mitte, leider niemals schaffen konnten und sehr zu ihrem 
Schaden entbehren müssen, nämlich die guten Grenzen. Diese 
guten Grenzen waren es, die sich einstens dem monarchischen 
Herrschaftsgedanken als fertiges Geschenk der Natur darboten, 
und dessen Vorwärtsstreben solange Gefolgschaft leisteten, 
bis sie, die guten Grenzen, eben erreicht waren. 
Dasselbe hat der sichere Instinkt der Völker erraten; 
schweigend setzten sie alle ihre Unterschrift unter das selbstver¬ 
ständliche Programm einer immanenten Reichspolitik. Frei¬ 
lich verstand dieses Programm zunächst jeder in seiner Weise 
und suchte es in seiner Weise zu gebrauchen. Ottokar II. von 
Böhmen herrschte ebenso wie Matthias Corvinus vorüber¬ 
gehend in Wien. Wenzel I I. suchte nicht minder die ungarische 
Krone für sein Haus zu gewinnen, wie schon der Österreicher 
Albrecht die böhmische für seine Kinder. Der Luxemburger 
Sigismund begründete in derselben Absicht eine böhmisch¬ 
ungarische Dynastie, wie Kaiser Max endlich die österreich sch- 
ungarische. Aber nicht von ihnen und ihrer persönlichen 
Geschicklichkeit war es abgehangen, wo in diesem entwicklungs¬ 
geschichtlichen Vorgänge einerseits der richtige Haltpunkt, 
anderseits die richtigen Unterstützungspunkte sich zu erkennen 
geben mußten und von welchem Kernpunkte er demnach seinen 
Ausgang zu nehmen hatte. 
Es wird sich niemand in der Welt gekränkt fühlen, wenn in 
so ernstem Zusammenhange auf die unleugbare Tatsache hin¬ 
gewiesen wird, daß sich die Hauskrone Österreichs an symbolisch- 
historischem Glanze mit der Krone des Heiligen Stefan nicht 
messen kann. Die ungarische Krone ist eben die mystische 
Wiederbringung des Ganzen der ungarischen Volksseele und 
ihrer innersten Erzitterungen, während die Krone Österreichs 
erst unter beständiger Beteiligung der alten deutschen Kaiser¬ 
krone zu ihrem Machtumfang gelangen konnte. Sie lag fort- 
<m im Schatten der Kaiserkrone und hielt sich lange in ihm ver¬ 
borgen. Sie ist eben nicht autonomen Ursprungs, sondern 
anima des animus domini, der nach dem Zerfall der karolin¬ 
gischen Universalmonarchie die zu Boden gestürzte Macht 
eines kaum erst entstandenen, christlich gefärbten Hoheits¬ 
gedankens auf seine breiten germanischen Schultern gehoben 
und in seiner Art weitergebildet hat. Wer sie, die Krone Öster¬ 
reichs, aus den markgräflichen Würden an der Donau, Mur 
und Drau zusammengeschöpft, durch Tirol und sonst reichlich 
zugefallenes Lehngut bis an die Adria verstärkt, durch die 
Kaiserkrone gedeckt, in Händen hatte, dem mußten gemäß der 
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