Volltext: Wie steht es mit Polen? [49]

die drei Mächte auch so zu verteilen, daß die ihnen auferlegten 
Verpflichtungen gegen das polnische Volk einen vernünftigen 
Sinn hatten, d. h. daß Rußland, Österreich und Preußen im 
Sinne des Kongresses die mit besonderen Lerrenrechten aus¬ 
gestatteten Verwalter je eines Teils von Polen wurden. Aber 
die Wirklichkeit sah anders aus. Die Teilungsmächte standen 
ganz verschieden zu den Polen. 
Da war zunächst Rußland, vertreten durch Kaiser Alexander I. 
Man hört häufig noch heute, infolge der eigentümlichen Rätsel, 
die der Charakter dieses Herrschers den Historikern aufgegeben 
hat, die Meinung vertreten, Kaiser Alexander habe sich zu dem 
Versuch, in Polen einen modernen Verfassungsstaat aufzurichten, 
durch seine phantastisch-idealistischen Neigungen, vor allem aber 
durch den Einfluß seines polnischen Vertrauensmannes, des 
Fürsten Adam Czartoryski, bestimmen lassen. Das trifft schwer¬ 
lich zu. Kaiser Alexander wollte nichts anderes, als das Pro¬ 
gramm seiner Großmutter, der Kaiserin Katharina, weiter und 
zu Ende führen, d. h. Polen als selbständige Macht aus dem 
Wege räumen und Rußland den engsten Anschluß an Westeuropa, 
ja die Vorherrschaft in Europa verschaffen. Linter seinem weichen, 
liebenswürdigen Wesen, verbunden mit einem Anfluge schwärme¬ 
rischer Phantastik, die er mit vollendeter Kunst als Maske zu 
tragen wußte, verbarg sich viele kühle Berechnung und innerliche 
Lärte, dazu die große Verschlagenheit der russischen Art. Er 
wußte, daß er seinen polnischen Plan durch eine direkte Einver¬ 
leibung Polens nicht würde ausführen können. Darüber hatte 
ihn sein Amgang mit Czartoryski, an dem er seine psychologischen 
Studien über das Polentum machte, genügend belehrt. Scheinbar 
bezwungen durch die Äberredungsgabe seines polnischen Freundes, 
hielt er den Gedanken fest, Polen die Form eines modernen 
Verfassungsstaates zu geben, der nur durch Personalunion mit 
Rußland verbunden wurde. Dadurch erreichte er viel. Persön¬ 
lich erschien er in der Glorie des liberalen, aufgeklärten Lerrschers, 
der die absolutistische Regierungsweise nur da aufrecht erhielt, 
wo er dazu gezwungen war. Weiter besiegte er so den Wider- 
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