Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

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§ 64. Polen und Litauen unter den Jagellonen 
ersehen, daß die Juden in Grodno auf bestimmten Straßen eigene 
Häuser und „Plätze“ (Grundstücke), ein „Gotteshaus“ (Synagoge) 
und eine „Sammelstätte“ (Friedhof) besaßen. Gegen Entrichtung 
einer Sondersteuer an den Fürsten durften sie in ihren Häusern gei 
stige Getränke „ausschenken“ und konnten gleich allen anderen Bür 
gersleuten auf den Straßen sowie in ihren Markt-„Buden“ (Läden) 
Waren feilbieten. Daneben betätigten sie sich auch als Handwerker 
und durften gegen Zahlung einer bestimmten Grundsteuer liegende 
„Gründe“, Äcker und Wiesen besitzen. Somit treten uns die Juden 
in der Urkunde vom Jahre i38g als Warenhändler, Schankwirte, 
Handwerker und Grundbesitzer, jedoch nicht als Kreditgeber entge 
gen, woraus zu entnehmen ist, daß in dem damaligen patriarchali 
schen Litauen für das jüdische Kreditgeschäft noch wenig Raum 
war. Von Fremdstämmigen waren im Lande neben den Juden die 
Russen und die Tataren vertreten, während die Deutschen mit ihren 
bürgerlichen Institutionen noch nicht nach Litauen vorgedrungen wa 
ren. Um diese Zeit tauchten hier auch die aus der tatarischen Krim 
zugewanderten Karäer auf. Nach der karäischen Überlieferung sollen 
sie aus der Krim nach Troki und Luzk auf eine besondere Auffor 
derung des Großfürsten Witold übergesiedelt sein, der sie mit wei 
testgehenden Vorrechten ausgestattet haben soll. 
Die Lage der Juden im Großfürstentum Litauen war somit viel 
günstiger als im eigentlichen Polen. Die aus Deutschland nach 
Polen ziehenden jüdischen Auswanderer wandten sich zum Teil 
nach Litauen, um dort festen Wohnsitz zu nehmen. Neben der fer 
nen Krim bildete Litauen für die von West nach Ost verlaufende 
jüdische Emigrationsbewegung das am weitesten vorgeschobene Wan 
derungsziel, da das moskowitische Rußland den Juden fast gänzlich 
verschlossen blieb. 
§ 64. Der Widerstreit der klerikalen und liberalen Politik 
unter den Jagellonen 
Der politische Einfluß, zu dem die Geistlichkeit unter Wladislaw 
Jagello in den polnischen Stammlanden gelangt war, drohte nach 
dessen Tode, als infolge der Minderjährigkeit des Thronerben die 
Regierung in den Händen eines Regentschaftsrates mit dem Krakauer 
Bischof an der Spitze lag (i434—i444), schwerstes Unheil herauf -
	        
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