Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

Osteuropa und der jüdische Orient 
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zubeschwören. Das Haupt der Regentschaft, der Bischof und spä 
tere Kardinal Zbigniew Oiesnicki, war nämlich einer der führenden 
Geister der gesamteuropäischen klerikalen Bewegung und erblickte 
seine Aufgabe darin, ihr in Polen zum größtmöglichen Triumph zu 
verhelfen. Die Hoffnungen der Klerikalen sollten indessen zuschanden 
werden, als die Regierung Polens der Großfürst von Litauen, Ka 
simir der Jagellone (1447—1492), übernahm, der ein ausgespro 
chener Freund des italienischen Humanismus war und die Befreiung 
seines Reiches von dem Drucke der weltlichen und kirchlichen Ma 
gnaten anstrebte. Sein wohlwollendes Verhalten gegenüber den Ju 
den bekundete er schon als Großfürst von Litauen. Er ließ hier in 
weitherzigster Weise die liberale Judenverfassung des Witold zur Gel 
tung kommen, setzte sich stets für die Rechte und die Autonomie 
der Juden wie der Karäer ein (so wurde den Karäern von Troki im; 
Jahre i44i das „Magdeburger Stadtrecht“ oder die Freiheit der 
Selbstverwaltung gewährleistet) und nahm überdies zur Erhöhung der 
Staatseinkünfte gern die Dienste unternehmungslustiger jüdischer Fi 
nanzmänner und Zollpächter in Anspruch. Zum König Polens gewor 
den, beschloß Kasimir, der judenfeindlichen Geistlichkeit, die seinen 
Vater Jagello einst dazu verleitet hatte, den Juden die Bestätigung 
ihrer Vorrechte vorzuenthalten, kraftvoll entgegenzutreten. Indessen 
sollten noch einige Jahre vergehen, bis es ihm gelang, den ihm von 
der Partei des Krakauer Bischofs Oiesnicki geleisteten Widerstand zu 
brechen. Im Jahre i453 erging endlich auf Ansuchen der jüdischen 
Gemeinden Groß- und Kleinpolens hin ein die Privilegien der Juden 
bestätigender Erlaß, in dem der König in demonstrativer Weise kund 
tat: „Es ist unser Wunsch, daß die Juden, die wir im eigenen Inter 
esse sowie in dem des Staates unter besonderen Schutz nehmen, 
sich während unserer glücklichen Regierung wohl und sicher füh 
len“. Der Freibrief Kasimirs des Jagellonen, der alle den Juden ehe 
dem verbürgten Rechte und Freiheiten (Niederlassungsrecht und Han 
delsfreiheit, Gemeindeautonomie und autonome Gerichtsbarkeit, Un 
antastbarkeit von Leben und Besitz, Schutz vor verleumderischen An 
schuldigungen und vor Überfällen) aufs neue bestätigte, schien gleich 
sam ein herausfordernder Protest gegen die kanonischen Beschrän 
kungen, die erst kurz vorher für Polen auf dem Konzil von Kalisch 
und für die gesamte katholische Christenheit auf der großen Baseler 
Kirchen Versammlung erneuert worden waren.
	        
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