Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

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Italien zur Zeit der Frührenaissance 
war, oder zu Dante, der mit seiner Beatrice einen Madonnenkultus 
trieb, bedeutete die Liebe Immanuel .nichts als eine alltägliche Tragi 
komödie. In seiner Jugend ließ er sich sogar zu poetischen Scherzen 
von der Art des folgenden hinreißen: „Dem Paradiese zog’ ich die 
Hölle vor, denn wo die Tugend gebietet, steht ihr die Langeweile als 
treue Gefährtin zur Seite. Lieber ist mir die Hölle mit der liebreizen 
den Sünderinnen Schar. Mit ihnen geteilt, wird die Hölle zum Eden, 
ohne sie der Eden zur brennenden Hölle“. Später erblickte er aller 
dings selbst in seinem dichterischen Paradiese nur eine Ausgeburt der 
Hölle. In der Lyrik des Immanuel wird ganz wie bei Heine das Lied 
der Liebe und Leidenschaft immer wieder von bitterstem Sarkas 
mus, von Verhöhnung der eigenen, eben zum Ausdruck gebrachten 
Überschwenglichkeit abgelöst. Seine hervorragende Begabung hielt 
Immanuel nicht vor Vergeudung seiner Schaffenskraft zurück. Gleich 
der Mehrzahl der damaligen Dichter, schrieb auch er vieles nur zur 
Unterhaltung und Erheiterung seiner Gönner. Die Sammlung „Mach- 
beroth“ ist aus den heterogensten Elementen auf gebaut: auf von echt 
lyrischem Geiste getragene Sonette folgen leicht hingeworfene Szenen 
aus dem Alltag, auf leichtsinnige Plaudereien tiefernste Belehrung, 
auf gewagte Anekdoten im Geschmack eines Boccacio wehmütige Ele 
gien und erbauliche Meditationen. Die Gedichte sind durch eine pro 
saische Rahmenerzählung verbunden, in der Dichtung und Wahrheit 
unmerklich ineinander fließen. Die Sammlung schließt mit dem Ge 
dicht „Hölle und Paradies“ („Ha’tofeth weha’eden“), das seinem 
Stoffe nach an Dantes „Göttliche Komödie“ erinnert, unter deren 
Einfluß es auch entstanden zu sein scheint. In dieser Dichtung kommt 
der Satiriker Immanuel voll zur Geltung. Neben den ungläubigen 
griechischen und arabischen Philosophen versetzt er in seine Hölle die 
verknöcherten, das weltliche Wissen verachtenden Talmudisten, die 
Scheinheiligen, Geizhälse, Kurpfuscher und die Plagiatoren unter den 
Schriftstellern. Zum Unterschiede jedoch von Dante, der allen Nicht 
katholiken den Eintritt in das Paradies verwehrt, räumt Immanuel 
den sittlich hochstehenden und die Einzigkeit Gottes anerkennenden 
Andersgläubigen ohne Bedenken Plätze im Eden ein. 
Der jüdische Dichter soll nach den Mutmaßungen mancher Ge 
schichtsschreiber mit dem großen Florentiner auch persönlich be 
kannt gewesen sein; es steht jedenfalls fest, daß sie in der Person des 
italienischen Rechtsgelehrten Bosone da Gubbio einen gemeinsamen
	        
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