Italien zur Zeit der Frührenaissance
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Neapel, zusammen, dessen besondere Gunst er gewann. Auf Anregung
des königlichen Mäzens begab er sich in einer wissenschaftlichen Mis
sion nach Rom, um dort bald zum Mittelpunkt der gebildeten Welt
zu werden. Man schätzte Kalonymos namentlich als Kenner des ara
bischen wissenschaftlichen und philosophischen Schrifttums und als
Übersetzer vieler Werke dieser Literatur ins Hebräische. Er übertrug
nämlich etwa dreißig Schriften aus dem Arabischen, darunter die des
Averroes, Alfarabi, Galen und Euklid. Außerdem übersetzte er ins
Lateinische das Werk des Averroes „Umsturz des Umsturzes“ (De-
structio destructionis), das eine Entgegnung auf das berühmte Buch
des Al-Ghazali „Umsturz der Philosophen“ darstellte. Kalonymos be
schränkte sich indessen nicht allein auf Übersetzungen, sondern be
währte sich auch als ein selbständiger Schriftsteller von ausgesproche
ner Eigenart. Eine reife Frucht seiner vielseitigen Lebenserfahrung
war die Sittensatire „Der Prüfstein“ („Eben bochan“), in dem der
Verfasser bald in ernsterem, bald in humorvollem Tone die Laster,
die Abgeschmacktheiten und die Modetorheiten seiner Zeitgenossen
geißelt. Besonders schlecht kommen dabei die reichen Heuchler weg,
die ihre anrüchigen Taten durch Scheinheiligkeit zu verschleiern su
chen, sowie die „mit ihrem Wissen Schacher treibenden“ Rabbiner.
Hin und wieder bedenkt er mit seiner ätzenden Ironie auch den rab-
binischen Judaismus selbst. Er bedauert es, nicht als Mädchen geboren
zu sein, weil er dann der Befolgung vieler talmudischer Ge
bote und Vorschriften enthoben wäre und sich auch nicht über die
rabbinische Scheinweisheit den Kopf zerbrechen müßte. Ein anderes
humoristisches Werk des Kalonymos, sein kleiner „Traktat über den
Purim“ („Massecheth Purim“), parodiert in geistreicher Weise den
Talmud. Mit scheinbarem akademischen Ernst, hinter dem sich unter
drücktes Lachen verbirgt, wird hier die Frage erwogen, wie man sich
am „Hamanfeste“ einen regelrechten Rausch antrinken solle. Die
Grundvoraussetzungen für die Lösung dieser Frage werden in der
Form von Mischnalehrsätzen dargelegt, während ihre Erörterung
im verschnörkelten Stile der Gemarakasuistik gehalten ist und um
so komischer wirken muß, je ulkiger das behandelte Problem ist.
Diese auf den ersten Blick harmlos scheinende Parodie stellte mit
großem Geschick die Schattenseiten des Talmudismus bloß, und so
hatten die gestrengen Rabbiner der späteren Zeit ihre guten Gründe,
den Verfasser für seinen Faschingsscherz scharf zu tadeln.