Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

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§ 23. Die Judenhetzen unter den Habsburgern 
von Deutschland zu führen, versah Rabbi Meir faktisch die einem 
solchen Amte zukommenden Funktionen. Plötzlich sollte über den 
greisen Volksführer das Unheil hereinbrechen. Als nämlich die Aus 
wanderung aus Deutschland einsetzte, faßte auch R. Meir den Plan, 
nach einem überseeischen Lande (wohl nach Palästina) zu ziehen. 
Unauffällig für die Behörden verließ er mit seinen Angehörigen Ro 
thenburg und kam wohlbehalten in der Lombardei an. Hier hielt er 
Rast in Erwartung einer nachkommenden Auswandererschar, mit der 
zusammen er sich einzuschiffen gedachte. Der Zufall wollte es jedoch, 
daß er hier von einem getauften Juden aus dem Gefolge des aus Rom 
heimkehrenden Baseler Bischofs wiedererkannt und denunziert wurde. 
Der Bischof versäumte nicht, die „Flucht“ des Rabbiners den Orts 
behörden anzuzeigen, die Rabbi Meir auf der Stelle festnahmen, um 
ihn dem Kaiser Rudolf auszuliefern. Der Flüchtling wurde hierauf in 
der Burg von Ensisheim im Elsaß eingekerkert (1286). Die jüdischen 
Gemeinden boten dem Kaiser 20000 Mark als Lösegeld für den 
Rabbiner an, doch wollte sich der Habsburger mit dieser Summe nicht 
zufrieden geben, und so blieb Rabbi Meir sieben Jahre lang in Haft. 
Es wird erzählt, daß er selbst den Gemeinden untersagt hätte, eine 
höhere Summe zu bieten, um den erpresserischen Praktiken der 
Machthaber keinen Vorschub zu leisten. Die Gefangenschaft hinderte 
ihn nicht, seine Forschungsarbeit fortzusetzen und den schriftlichen 
Verkehr mit den Gemeinden aufrechtzuerhalten; manche seiner Jün 
ger harrten in Treue an seiner Seite aus und erleichterten ihm die 
Drangsale der Deportation. Er starb im Jahre 1293. Die Behörden 
verweigerten den Juden die Herausgabe der Leiche ihres Seelenhirten. 
Erst vierzehn Jahre später gelang es einem frommen Manne namens 
Süßkind Wimpfen, die Gebeine des Rabbi Meir loszukaufen und sie 
auf dem jüdischen Friedhof zu Worms beizusetzen, wofür er sich von 
der Gemeinde die Gunst ausbedang, nach seinem Tode neben dem 
heiligen Manne ruhen zu dürfen. 
Die ganze Regierungszeit des Kaisers Rudolf ist von Ritualmord 
prozessen und von den damit zusammenhängenden Blutgerichten er 
füllt. Im Jahre 12 83 wurde zur Osterzeit in Mainz die Leiche eines 
Christenkindes gefunden, und wiederum waren es die Juden, die da 
für büßen mußten. Der Volksmund wollte wissen, eine Amme hätte 
das Kind an die Juden verschachert. Ein Ritter, ein Anverwandter 
des ermordeten Säuglings, zog mit der Leiche auf den Schultern
	        
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