Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

Deutschland im XIII. Jahrhundert 
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der „jüdischen Einkünfte“ in den kaiserlichen Besitzungen der das 
Reichskanzleramt bekleidende Erzbischof von Mainz betraut; hierbei 
floß der zehnte Teil aller Eingänge dem Schatze des Erzbischofs zu, 
der auf diese Weise an der Erhöhung des kaiserlichen Einkommens 
ein unmittelbares Interesse hatte. Der Druck der Steuerlast wurde so 
unerträglich, daß die Juden aus Mainz und anderen rheinländischen 
Städten in das an Deutschland grenzende Polen und noch weiter, in 
„überseeische Länder“ überzusiedeln begannen. Darauf gab Rudolf 
den Befehl (1286), daß Grundbesitz, Häuser und Vermögen der ohne 
seine Genehmigung auswandernden Juden zugunsten des kaiserlichen 
Schatzes eingezogen würden. „Alle Juden sind samt und sonders — 
so begründete er seine Maßnahme — unsere Kronknechte und ge 
hören mitsamt ihrem Vermögen einzig und allein uns oder denjeni 
gen Fürsten, denen wir sie nach lehensherrlichem Rechte abgetreten 
haben; wenn also manche Juden ohne unsere besondere Genehmigung 
davonlaufen, um sich jenseits des Meeres anzusiedeln, sich so der Ge 
walt ihres gesetzlichen Herrn entziehend, so ist es Rechtens, daß 
all ihr Hab und Gut, bewegliches wie unbewegliches, unser werde“. 
Im Zusammenhang mit dem auf den Juden lastenden Steuerdruck 
und mit dem an diese Hörigen des Kaisers ergangenen Aus 
wanderungsverbot kam es zu einem tragischen Vorfall, dessen Held 
der geistige Führer des deutschen Judentums, Rabbi Meir aus Rothen 
burg, war. Dieser Jünger der Tossafistenschule hatte auf seinen Wan 
derungen durch die verschiedenen jüdischen Kulturzentren Deutsch 
lands und Frankreichs viele traurige Ereignisse jener Zeit aus nächster 
Nähe miterlebt. Als Schüler des R. Jechiel wohnte er im Jahre 12 4o 
der religiösen Disputation in Paris bei, die in der öffentlichen Ver 
brennung des Talmud ihren Abschluß fand. Dort eben stimmte der 
jugendliche Talmudgelehrte sein berühmtes Trauerlied: „Frage nun, 
du vom Feuer verzehrte“ (oben, § 4) an. Bald darauf kehrte er nach 
Deutschland zurück, wo er den der Talmudwissenschaft in Frank 
reich versetzten Schlag wieder wettzumachen suchte. In dem kleinen 
fränkischen Städtchen Rothenburg ob der Tauber gründete er eine 
Talmudschule, die zu einer neuen Pflanzstätte des Rabbinismus in 
Deutschland werden sollte. Von hier aus ergingen an alle Gemeinden 
maßgebende Entscheidungen über Fragen der religiösen Praxis und 
des bürgerlichen Rechts, hier erstand der deutschen Judenheit ihre 
höchste Gerichtsinstanz. Ohne offiziell den Titel eines Oberrabbiners
	        
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