Wechsel in der Obersten Heeresleitung.
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Der Gesamtverlauf der russischen Operationen bis Anfang September
war ein hartnäckiges Ringen um jeden Fußbreit Voden und Schuh der
„Räumung" von Gebietsteilen, die schließlich doch aufgegeben werden
mußten; nichts sollte dem Feinde in die Hände fallen- was ihm für die
Kriegführung irgendwie dienen konnte.
Vom ausschließlich militärischen Gesichtspunkte können gegen solche
Art Kriegführung Bedenken geltend gemacht werden, denn sie verbrauchte
die Kräfte des Heeres in reiner Abwehr, obgleich der Raum zum Aus¬
weichen vorhanden war. Bei rechtzeitiger Zurücknahme der Front konnte
das russische Heer entscheidendem Zugriff der Mittelmächte so gut wie
ganz entzogen werden. Auch eine große deutsche Operation nördlich des
Njemen wäre bei frühzeitigem Aufbau eines starken russischen rechten Flü¬
gels wahrscheinlich bald zum Stehen gekommen, da sie durch schlechtere rück¬
wärtige Verbindungen allzusehr in Nachteil geraten mußte. Sie hätte
damit zu rein frontalem Abringen im Stellungskriege geführt, wobei das
russische Heer als vollgültiger Machtfaktor in starker Abwehrstellung und
bedrohlicher Nähe der Grenzen Deutschlands erhalten geblieben wäre, bereit,
zu gegebener Zeit wieder zur großen Offensive vorzubrechen. Das könnte
jeden Teilerfolg ausgeglichen haben, den die Mittelmächte inzwischen auf
anderen Kriegsschauplätzen zu erringen imstande gewesen wären.
Für die Entscheidung der grundlegenden Frage, wie der Krieg im
großen zu führen sei, waren aber — wie schon eingangs erwähnt — nicht
militärische Gesichtspunkte allein maßgebend, sondern neben Rücksichten auf
Wünsche der Westmächte letzten Endes außen- und innenpolitische Verhält¬
nisse und damit der Zar und seine Regierung. Cs läßt sich auch nicht ver¬
kennen, daß das angewandte Verfahren den ganzen Sommer über sehr
starke deutsche Kräfte gebunden hat, die bei raschem Rückzüge in die
Njemen—Bug-Linie für andere Kriegsschauplätze freigeworden wären. Im
übrigen hat die russische Heerführung die viele Hunderte von Kilometern um¬
fassenden Rückzugsbewegungen mit Geschick durchgeführt, und zwar plan¬
mäßig in der von ihr selbst bewußt gewählten Richtung mit der Masse durch
den beengten Raum zwischen Osowiec und den Nokitno-Sümpfen. Versagt
hat die Widerstandskraft der Truppe aber doch nur deshalb, weil es ihr
allzusehr an Offizieren, ausgebildetem Ersatz, Waffen und Munition man¬
gelte und damit schließlich auch die Moral litt. Es ist bemerkenswert,
daß die Geschützverluste an die Mittelmächte, abgesehen von dem in den
Festungen, vor allem in Przemysl, Nowogeorgiewsk und Konnte ange¬
häuften unbespannten, vielfach auch unbeweglichen und veralteten Gerät,
von Mitte Mai bis Ende August insgesamt die Zahl von vielleicht