Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

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Die kleineren Zentren und Kolonien im XIII. Jahrhundert 
gische Polizeiaktion in Szene setzten, wies Karl die Stadtbehörden an, 
die Juden nicht zu belästigen und die ihnen verbürgten „Privilegien“ 
nicht anzutasten. Gegen Ende des XIII. Jahrhunderts wurde indessen 
der auf die römische Gemeinde ausgeübte klerikale Druck so un 
erträglich, daß selbst der Papst Nikolaus IV. den Hilferufen der Be 
drückten sein Ohr leihen mußte. In einem an den römischen Vikar im 
Jahre 1291 gerichteten päpstlichen Breve („Orat mater ecclesia“) 
heißt es wörtlich: „Die Synagoge (Gemeinde) der Juden in Rom 
unterbreitet uns eine Beschwerde über das verurteilungswürdige Ver 
halten mancher Kleriker, die ihnen (den Juden) Feindseligkeit ent 
gegenbringen, sie unausgesetzt durch schwer erfüllbare Forderungen 
bedrängen, ihnen Schimpf antun und sie auch materiell schädigen. 
Die Bedrängten flehen nun unsere apostolische Gnade um Schutz an. 
In der Überzeugung, daß sich die christliche Liebe nicht in den 
Juden zugefügten Schmähungen und Beleidigungen äußern dürfe, 
gemahnen wir daran, daß sie unter unserer gnädigen Protektion ste 
hen und daß niemand befugt ist, sie zu bedrücken und zu mißhan 
deln. Durch dieses apostolische Schreiben beauftragen wir dich, dal 
auf zu achten, daß man die Juden nicht in gesetzwidriger Weise be 
lästige und daß die Zuwiderhandelnden der verdienten Kirchenstrafe 
zugeführt werden“. Dieser vom Papste gegen seine eigenen Kleriker 
zugunsten der Juden erlassene Befehl ist vielleicht auf die Fürsprache 
seines jüdischen Leibarztes Maestro Ga jo zurückzuführen, eines der 
gelehrtesten Mitglieder der damaligen römischen Gemeinde. 
Schwere Gewitterwolken ballten sich über der römischen Gemeinde 
in den sturmbewegten Jahren des Pontifikats Bonifazius’ VIII. zu 
sammen (1295—i3o3). Dieser hochmütige Hohepriester, dessen cae- 
sarische Aspirationen nur zur Erniedrigung der päpstlichen Gewalt 
führten, bekundete seine judenfeindliche Gesinnung schon bei der 
Besteigung des apostolischen Stuhles. Bei seinem feierlichen Einzug 
in Rom zog ihm unter den anderen Abordnungen nach altem Brauch 
auch eine Deputation der jüdischen Gemeinde entgegen, die ihn an 
der Tiberbrücke mit Psalmengesang empfing und ihm ehrerbietigst 
eine reichgeschmückte Thorarolle darbot; Bonifazius wies jedoch die 
Gabe mit einer brüsken Handbewegung zurück und wiederholte den 
Ausspruch, den schon einmal bei ähnlicher Gelegenheit Innocenz II. ge 
tan (Band IV, § 5i), daß nämlich das Alte Testament zwar aller Ehren 
wert sei, seine heutigen Bekenner aber nur Verachtung verdienten.
	        
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