Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

Die kleineren Zentren und Kolonien im XIII. Jahrhundert 
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Diese waren freilich anderer Ansicht, doch mochten sie ihrerseits zu 
frieden gewesen sein, daß man sie wenigstens in Ruhe ließ. 
Nur die aus den großen Diasporazentren eintreffenden Nachrich 
ten brachten in das Leben der römischen Gemeinde Unruhe und Be 
sorgnis. Es pflegten nämlich nach Rom von überallher jüdische Ab 
ordnungen zu kommen, um mit dem Beistand ihrer „dem Throne 
nahestehenden“ Brüder den Papst zur Milderung neu angeordneter 
Repressalien, zur Dispensierung vom Tragen des vorgeschriebenen 
Kainsmals oder zur Abwendung der durch die Ritualmordprozesse 
her auf beschworenen Gefahren zu bewegen. Diese flehentlichen Bitten 
um Hilfe waren besonders häufig zur Zeit Gregors IX. zu vernehmen, 
als die Inquisition gegen die Ketzer zu wüten begann und die Domini 
kaner die Inquisitionsmethoden auch gegen das jüdische religiöse 
Schrifttum in Anwendung brachten. Die Pariser Talmudverbrennung 
nach der Disputation vom Jahre 12^0 erschütterte aufs tiefste die 
römische Gemeinde, die aus diesem Anlaß, wie erwähnt, sogar einen 
alljährlichen Fasttag festsetzte. In dem Religionskodex („Schibbole 
haleket“) eines italienischen Rabbiners jener Zeit, Zedekia ha’Rofe, 
finden wir in dem auf die Fasttage bezüglichen Teil die folgende 
Notiz: „In unseren Tagen wurde um unserer großen Sünden willen 
die Thora unseres Gottes den Flammen preisgegeben. Im Jahre 5oo4 
der Welt, am Freitag des Wochenabschnitts Chukath (17. Juni 12 44) 
gingen in Frankreich, wie wir dies von den dortigen Rabbinern gehört 
haben, vierundzwanzig Fuhrenladungen Talmudbücher, Halacha- wie 
Haggadaschriften, in den Flammen auf“. In einer der damals in Italien 
gedichteten synagogalen Elegien wendet sich der Verfasser an Gott 
mit dem bitteren Vorwurf: „Sogar die Verbrennung der Gebeine des 
Königs von Edom (Arnos 2, 1) ließest du einst nicht ungesühnt, soll 
denn nun ungestraft bleiben, was man an deiner heiligen Lehre ver 
brochen?“ Eine andere aus der gleichen Zeit stammende Elegie legt 
die Vermutung nahe, daß auch in Rom selbst ein freventlicher An 
schlag auf das jüdische Schrifttum nicht ausgeblieben war: die „Se- 
licha“ erwähnt Thorarollen, die im Hause Gottes in Stücke gerissen 
und mit einem Messer zerschnitten worden sind. Vereinzelte Gewalt 
taten lagen gewiß im Bereiche der Möglichkeit, da um jene Zeit die 
Dominikaner in Rom heimisch geworden waren, und der Ordens 
bruder Nikolaus Donin, der Urheber des Pariser Autodafe, es wohl
	        
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