Volltext: Illustrierte Kriegsbeilage Nr. 27 1916 (Nr. 27 1916)

Sonntag, 2. Zuti 
Länder endlich an seinen Bestimmungsort gelangt. Darin 
schrieb der junge Franzose unter anderem folgendes: 
„Da ich von Dir ging, versprach ich Dir, Treue 
und Freundschaft zu halten. Das kann nun nicht mehr 
sein! Was ich für Dich fühlte, ist von mir gefallen wie 
brennender Zunder. Du bist ein Deutscher, ich ein Fran¬ 
zose; das sagt Dir und mir genug. Du bist klug genug, 
zu wissen, daß Feuer und Wasser sich nicht vereinigen 
lassen, und daß dieser Krieg uns geschieden hätte, auch 
wenn ich es Dir nicht ausdrücklich geschrieben. Was 
Eine Kriegserzählung von Wilhelm Lennemann. 
(Nachdruck verboten.) 
Die Kompagnie hatte blutige Stunden hinter sich. 
Sie lag jetzt im Unterstand; nur wenige Leute hielten 
in den Gräben Wache. Den ganzen Nachmittag waren 
die Stellungen von glühendem Eisen überschüttet worden. 
Herrisch und mit feurigen Schlägen hatten die Granaten 
gegen ihre Gräben gedonnert. In immer kürzeren Zwischen¬ 
pausen hatten die Geschosse brüllend die Erde aufgewühlt; 
ein Heulen, ein Trommeln war's gewesen; Vulkane spien 
Feuer, die Luft brannte, die Erde krumpfte sich auf; 
aber die Tapferen hatten ausgehalten, ob auch die Gräben 
fast zugeschüttet wurden, ob auch die Nerven unserer 
Soldaten fast zu zerreißen drohten. 
Und dann war der feindliche Sturm gekommen! 
Wie eine Erlösung! Mit einem befreienden Hurra hatten 
die Grauen ihn begrüßt. 
Durch die Saat der Maschinengewehre und durch 
rasendes Schnellfeuer war der Feind vorgestürzt, blind¬ 
lings, gepeitscht von Haß und Wut. 
Bis an ihre Gräben heran flogen die Stürmenden 
in taumelndem Wirbel. Handgranaten flammten, Bajo¬ 
nette und Messer taten ihre Schuldigkeit. Der Sturm 
wurde abgeschlagen; zurück flutete die Welle — gebrochen 
und gelichtet. 
Im Nachstoß waren sie den Flüchtenden zwanzig, 
dreißig Schritte ins Gelände gefolgt; noch manch einen 
hatte es niedergerissen im erbitterten Kampfe Mann 
gegen Mann. 
Nun ruhten sie hüben und drüben aus von Blut 
und Brand. 
Der deutsche Gefreite Heinrich Hermes saß auf einer 
Kiste. Seine Augen brannten, in den Ohren klopfte und 
surrte es, ein Zucken ging ihm hin und wieder vom 
Oberarm bis in die Fingerspitzen. Sein ganzes Inneres 
befand sich in heftigster Erregung. Er entsetzte sich vor 
sich selbst, vor den wilden Kräften, die während des 
Kampfes mit ungestümer Gewalt in ihm aufgestiegen 
waren. 
War das der Barbarismus, den ihnen die Feinde 
vorwarfen? 
Lange sann er, und immer noch ließ ihn die ent¬ 
setzliche Erregung keinen Gedanken zu Ende 
denken, bis ihm plötzlich ein Brief des Ge- 
orge Lulie einfiel. Nun stieg wieder ein 
Gefühl menschlicher Empfindung und ruhiger 
Ueberlegung in ihm auf und glättete die 
krausen und wirren Wellen seiner auf¬ 
gewühlten Seele. Nun wußte er, daß nichts 
denn die Kraft der Selbsterhaltung den \ 
Kämpfer zu Vorgehen und Handlungen MMM 
treibt, die ihn nach dem Kampfe oft seelisch j 
erschüttern. Was menschlich in ihm empfand ;*%•-- jjgi.- 
und dachte, war nicht getötet. Noch hatte er 
sich in Zucht und Gewalt; noch glühte er 
für alles Schöne und Gute; noch leitete ihn '-''.'MM 
das Wort: Edel sei der Mensch, hilfreich ; 
Und mit einem Male fiel ihm der Brief 
seines Freundes, oder vielmehr seines ge¬ 
wesenen Freundes ein, der Brief jenes j 
Mannes, der nun sein persönlicher Todfeind 
sein wollte. Ein ganzes Jahr sc¬ 
hatte Hermes mit George ßnbä in seinem 
elterlichen Hause gewohnt. George war der 
Sohn eines Pariser Professors und sollte in Deutsch¬ 
land seine deutschen Sprachstudien vollenden. Gemeinsam 
hatte Heinrich mit dem Franzosen gearbeitet; und weil 
sie jung waren, schien eine wirkliche Freundschaft ihre 
Seelen umschlungen Zn haben. 
Dann war wie ein böser Wirbelwind der Krieg in 
ihre Träume gefahren. Auch George ßu6e war betrübt. 
„Lieber Freund", hatte er zum Abschied gesagt, „was 
augenblicklich unsere Völker trennt, soll uns beide für 
immer nicht scheiden. Auf Wiedersehen nach dem Kriege!" 
Aber nun hatte Hermes vor acht Tagen einen Brief 
aus der Heimat erhalten, dem war ein Brief George 
Lub6s beigelegt. Der war auf Umwegen durch neutrale 
Aus dem Marackenspitak in Wardnöitz. 
(X Buchhändler F. Zöhrer des katholischen Preßvereines.) 
mich zu diesem Briefe drängt, ist folgendes: Mein Vater, 
der ein wahrhafter Patriot ist, hat mir den Befehl 
gegeben: Schlage ihn tot, deinen deutschen Freund! 
Erwürge ihn, zerreiße ihn, je eher desto besser; sei es 
wo es sei und wie du ihn triffst! Ich will dich umarmen 
und Frankreich wird es dir danken! 
Und ich weiß, wenn ich gerecht gegen mein Vater¬ 
land sein will, darf ich hinfort keinen Unterschied 
machen zwischen Dir und einem anderen Feind. Ich 
zerschneide hiermit das Band, das uns verbunden; ich 
will Dir ein Fremder sein, wie auch Du mir hinfort 
einer sein sollst. Ich muß Dich töten, wie auch Du mich 
nicht schonen wirst, wenn uns der Zufall zueinander
	        
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