Volltext: Die Lebensbeschreibung Severins als kulturgeschichtliche Quelle (2 ; 1903)

geheilt werden will, heilt Severin gar nicht, sondern sagt ihm: „Bete 
lieber, daß dir das innere Schauen voll Leben werde“ 1 ). Von der 
Gleichzeitigkeit äußerer und innerer Wunder weiß auch die Nutz 
anwendung, die Eugippius an das Kerzenwunder im n. Kapitel an 
schließt: „O Gnadenmacht des Schöpfers, die Kerzen und Seelen ent 
zündet! Es entbrannte ein Feuer an den Kerzen und strahlte wieder 
im Gemüte: das sichtbare Licht ließ den Stoff des Wachses in Flammen 
schmelzen, aber das unsichtbare löste die Herzen der Bekenner zu 
Tränen“ 2 ). 
Unvermerkt gehen dann weiter die Wundergeschichten erster Art, 
von denen die vita berichtet, in die der zweiten Art über. Die Vorlage 
des Ölwunders in Kapitel 28 bildet zwar die alttestamentliche Erzählung 
von Elisa 3 ), aber die Veranlassung zu dem Wunder entsteht aus den 
Produktionsverhältnissen jener Gegend, die keinen eigenen Ölbau hat. 
Endlich hören wir von anderen Wundern, die der heilige Severin ge 
wirkt hat, die in keinerlei Anlehnung an biblische Wundererzählungen 
sich einfach als sagenhafte Ausschmückungen wirklicher Begebenheiten 
jener Zeit darstellen. Dahin gehört die Erzählung des dritten Kapitels 
von den Schiffen, die die Lebensmittelzufuhr aus Rätien brachten und 
die im Eise des Inn festsaßen, dann aber plötzlich loskamen, „augen 
scheinlich nur durch die Bitten des Knechtes Gottes“ 4 ). Dazu zählt 
auch die Geschichte von der Heuschreckenplage in Küchel an der Salza, 
die den kleinen Acker eines Armen heimsuchte, aber die Saatfelder der 
Reichen verschonte. Die vita sucht diese Tatsache damit zu rechtfertigen, 
daß eben der Arme, statt in der Kirche mit den anderen zu beten, hinaus 
gegangen war, um das Ungeziefer von seinem Felde zu verscheuchen 5 ). 
*) Cap. 35, 2: ora magis, ut optutus vegetetur interior (p. 43, 15). 
2 ) Cap. 11, 5: o clemens potentia creatoris cereos animosque flammantis! accensus est 
ignis in cereis et refulsit in sensibus: visibilis lux naturam cerae liquabat in flammas, at in- 
visibilis corda fatentum solvebat in lacrimas (p. 23, 12). 
3 ) 2. Könige 4, 2—7. 
4 ) Cap. 3, 3: fatentes evidentius rates extra tempus glaciali solutas frigore servi dei pre- 
cibus advenisse (p. 14, 8). Danach ist es nicht richtig, wenn F. Curschmann, Hungersnöte im 
Mittelalter 1900 S. 5 behauptet, die Heiligen des Mittelalters hätten nie ein Wunder gegen die 
Hungersnot vollbracht. 
5 ) Cap. 12, 4: omnibus igitur huiusce modi studiis occupatis quidam pauperrimus opus dei 
coeptum deserens ad agrum propriae segetis invisendi causa egressus est totoque anxius die 
locustarum nubem impendentem qua potuit exturbavit industria (p. 24, 8).
	        
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