Volltext: Der Weltkrieg und die politischen Gedankengänge Europas [30]

teidigungsdranges, an dem kein Schein hastet. Vielleicht 
lernt er es verstehen, daß es ein ungleicher Kampf ist, wenn gegen 
die einmütig erkannte Wahrheit und Gerechtigkeit ein von blen¬ 
dender Lüge aufgedunsener Wahn vom Leder zieht. Früher 
oder später geht es mit ihm zu Ende, geht es mit allem zu Ende, 
was nicht echt ist, denn die Wahrheit muß siegen und sie siegt 
auch. 
Beinahe möchte ich behaupten, sie habe schon gesiegt. 
Außer wenig glorreichen Siegen auf kolonialem Boden und 
den entferntesten Punkten Kleinasiens haben unsere Gegner 
mit einer europäischen Bevölkerung von 275 Millionen, jedoch 
mit Einschluß der Kolonien und Japans von 840 Millionen 
Menschen Amerika noch nicht mitgerechnet — gegen einen 
Verband von 148 Millionen Menschen soviel wie gar nichts 
ausgerichtet. Der Rhein ist nicht überschritten, dagegen in 
Ost und West der deutsche Sieg tief ins Feindesland vorge¬ 
tragen; Bulgarien hat den im Bukarester Frieden ihm ange¬ 
tanen Schimpf abgeworfen und ist auf dem besten Wege, an 
Macht und Ansehen bedeutungsvoll zu gewinnen. Von der 
Hagia Sofia steigt der Halbmond auf, siegesgewiß und sorgen¬ 
frei, wie noch nie seit Katharinas II. Tagen. Was aber Öster¬ 
reich-Ungarn betrifft, so kann sein weltgeschichtliches Duell 
mit Rußland der Hauptsache nach als abgeschlossen angesehen 
werden. Der Balkan ist vom russischen Eindringling befreit 
und Österreich-Ungarn, das, falls ein selbständiges Serbien 
wieder aufleben sollte, an dieser gefährlichen Grenze seinen Salat 
anbauen können wird, nach Abzug seines fürchterlichsten Geg¬ 
ners m den Stand gesetzt, seiner kulturellen und wirtschaftlichen 
Mission auf dem Balkan ungestört nachzugehen. Mit zu Boden 
geschlagenen Blicken der Begehrlichkeit nimmt Italien all¬ 
mählich Abschied von den Wahnvorstellungen seiner Unersätt¬ 
lichkeit, von der geheilt kein arglistiger Neid, wie wir hoffen 
wollen, das Aufblühen Triests, der im großen auszubauenden 
Weltstation Österreichs, verfolgen wird. 
Rur eines noch! Viele von uns, dazu wohl auch die be¬ 
sonnensten und ehrlichsten Patrioten unter unseren serbischen 
Gegnern, würden diesem ungezügelten aber entwicklungs¬ 
fähigen Volke eine wenigstens langsam fortschreitende Ent¬ 
wirrung aus unhaltbaren Zuständen gewürfelter Zersplitterung 
wünschen. Ich habe nicht die Aufgabe, einer gewalttätigen 
Eroberungspolitik das Wort zu reden, aber wenn schon auf die 
logischen Zusammenhänge eines fertigen Naturgebietes hin¬ 
zuweisen war, so darf wohl auch an der schwachen Stelle dieses 
34
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.