Volltext: Oberösterreichischer Preßvereins-Kalender auf das Jahr 1902 (1902)

(120) 
Eine Todte mochte es geahnt haben, 
als sie sterbend noch ein Flehen auf den 
Lippen trug, das man jedoch zurückwies. 
Mutterliebe hat einen reinen Blick und 
schaut in weite Fernen. 
Und doch konnte selbst beim Hochzeits 
mahl Paulin nicht so ganz heiter sein. 
Ihr kam immer wieder ein Bild vor die 
Seele, das Bild der sterbenden Mutter. 
Wohl versuchte sie es, das düstere, gerade 
heute so „störende" Bild zu verscheuchen, 
aber immer wieder stieg es auf, wie eine 
ernste, liebevolle Mahnung ans Kindesherz. 
Einen sah Panlin nicht bei der Hochzeit, 
den Müller Hans. Man hatte ihn gar nicht 
eingeladen. 
Abends fuhr das Brautpaar heim ins 
neue Heim. Sie fuhren vorüber an der 
Mühle. Niemand stand vor dem Hause. 
Nur das Mühlrad rauschte und rauschte. 
Es rauschte so sonderbar und so wehmüthig, 
als ob es die Sprache einer treuen, ver 
kannten Liebe spräche. Und rauschte so klagend, 
als ob eine Mutter um ihr Kind weinte aus 
dem rauschenden Wasser heraus. 
Dass doch die Tröpflein da drinnen im 
Mühlbach nicht zu Thränen der Reue für 
dich werden müssten, irregehendes Kind! 
Schmerzvoll muss man den Frieden wieder 
erkaufen, wenn man ihn so verloren wie du. 
Doch für dich betet noch in Muttertreue das 
Mutterherz. . . . 
Wer den Frieden des Herzens verloren, 
dem kann kein Marmorpalast mit all seinem 
Reichthum und Glanz das verlorene Glück 
wiederbringen. Wohl stand Paulins Heim 
im schönsten Theile des Thales, gerade dort 
am Saume des Waldes, von den rauschenden 
Bäumen überschattet. Sie war doch nicht ganz 
glücklich. Es fehlte etwas, obwohl sie nicht 
recht sagen konnte, was ihr eigentlich abgienge. 
Heinrich war in den ersten Wochen die 
Liebenswürdigkeit selbst. Er gieng mit ihr 
durch Garten und Wald, zeigte ihr alles, 
gieng täglich mit ihr zum Vater. So ver 
scheuchte dieses scheinbare Wohlergehen doch 
das düstere Bild der Mutter. 
Abends wurde es oft spät in die Nacht 
hinein, bis Heinrich seine Frau heimführte. 
Er war Spieler. Früher hatte es Paulin 
nie so recht bemerkt, jetzt dachte sie ganz 
anders darüber. Sie sah, wie leichtsinnig 
Heinrich nicht unbedeutende Summen ein 
setzte. Wochenlang sah sie zu. 
Als sie abends heimkamen, fragte Paulin: 
„Hast du heute gewonnen?" 
„Nein." 
"Wieviel hast du verloren?" 
Heinrich nannte lachend die Summe. 
„ Morgen gewinn ich wieder dasDoppelte." 
Am nächsten Tag verlor er wieder. So 
fünf, sechs Tage nacheinander. 
„Heinrich, es wäre Zeit, wenn du nicht 
so hoch spielen würdest." 
Er schwieg. Paulin kannte es, er sei 
durch ihre Worte verstimmt. 
Nach einigen Tagen musste sie jedoch 
ihre Bitte wiederholen, heute hatte er das 
Doppelte verloren. 
„Heinrich, ich bitte dich, setze nicht so 
viel Geld ein, ich bitte dich...." 
„Paulin, ich weiß, was ich thue. Zudem 
ist das Geld noch lange nicht fertig, das du 
mitgebracht hast. Der Vater gibt uns schon 
noch Geld, wenn wir keines mehr haben." 
„Aber Heinrich, denke doch ..." 
Er wurde ungehalten und sagte, er ver 
biete sich solche Einmischung in seine An 
gelegenheiten. 
So war Heinrich. Hatte er sie aus Liebe, 
oder des Geldes willen zur Frau genommen? 
Oft liefen Rechnungen aus längst ver 
gangener Zeit ein, die noch nicht beglichen 
waren. Alles wurde aus dem Gelde bezahlt, 
das Paulin in die Ehe mitgebracht hatte. 
Einige Tage später erfuhr Paulin sogar 
er sei noch mit einer Schuld von mehreren 
hundert Gulden im Rückstand. Wieder 
wurde sie aus dem Gelde Paulins beglichen. 
Einmal wurde Heinrich sogar im Gasthaus 
von den Gästen der Vorwurf gemacht, er 
habe . Paulin doch nur des Geldes willen 
genommen. Er widersprach nicht einmal; 
das sei überall so: Was der eine an Stand 
zurück sei, müsse es durch klingende Münze 
ersetzen. Der Grafenjäger! 
Paulin wurde überroth, der Glöcklwirt 
aber maß mit finsteren Blick den hoch 
fahrenden jungen Mann. Dabei zog er es 
doch noch vor, zu schweigen. 
Paulin weinte, doch was nützte es. 
Wenn sie weinte, gieng er fort und spielte.
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.