Volltext: Oberösterreichischer Preßvereins-Kalender auf das Jahr 1902 (1902)

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als ob er mit der Herrschaft nur so ver 
trant umgienge und ihr Liebling sei. .. . 
Und das galt viel beim Glöcklwirt. 
Geld besaß Heinrich wenig, nur das Häus 
chen am Wald war sein Eigen, er hatte 
es von einem Verwandten geerbt und war 
so in das Dorf gekommen. 
Weil er Geld brauchte, um „standes 
gemäß" leben zu können, wie er Tag für 
Tag sagte, gieng er auf Suche um eine 
reiche Braut, und roch gar bald beim 
Bürgermeister den Braten, bis ihm das 
gebratene Täubchen gesichert ward. 
So hatte der Vater in seinem Hoch 
muth und Eigendünkel sein Kind und das 
Kind sich selbst verkauft. 
Die Mutter hatte alles vorhergesehen, 
wie kein Segen auf solcher Ehe liegen 
könne; aber was nützte alles Bitten und 
Flehen, wenn die Ohren taub waren und 
nicht hören wollten? Und jetzt, nachdem 
erst ein Jahr seit der Hochzeit vergangen, 
war der Friede schon langst fort, wenn er 
überhaupt je dagewesen. 
Tag für Tag saß Heinrich im Wirtshaus, 
spielte und trank. 
Als die Zeit herankam, da er einen 
Sprössling erhalten sollte, war dies sein 
einziges Gespräch im Wirtshaus. Wenn 
es ein „Prinz" sei, müsse aus dem schon 
noch etwas Höheres werden als ein Grafen 
jäger. Dafür werde gesorgt. Er müsse in 
die Stadt und ein „Studierter" werden. 
So redete der Prahler und schien selbst 
nicht zu wissen, wie thöricht er rede. Der 
Herr im Himmel oben aber hörte die Worte. 
Als er heimkehrte spät abends vom 
Gasthaus, dem er nicht einmal an diesem 
Tage ferne bleiben konnte, lag der Spröss 
ling in der Wiege. Es war ein Mädchen. 
Einen Buben hätte er wollen; seine 
Miene verdüsterte sich. 
Er beugte sich nieder und sah sein 
Kind an, düster, ohne Freude, ohne Vater 
liebe. Die Mutter weinte. Warum weinte 
sie? 
„Das Kind ist blind," schluchzte sie. 
Ein Fluch war die Antwort des Vaters. 
Sollte da- noch Glück und Friede im 
Heim wohnen können, wenn man die Gottes 
gabe mit einem Fluch empfängt. Und der 
Herr droben hörte den Fluch des Vaters. 
Immer mehr wich auch die letzte Liebe. 
Wie bereute Paulin, was sie der Mutter 
in der Sterbestunde angethan! Doch jetzt 
war es zu spät, viel zu spät. 
So vergrub sie ihr Leid in die Tiefen 
des eigenen Herzens. Der Glöcklwirt kam 
wohl fast täglich, aber er war so stumm, 
man sah es ihm an, dass auch sein Herz 
von Reue erfüllt war. Es war aber zu 
spät. Heinrich kümmerte sich nicht um sein 
Kind, nicht um sein Weib. Die Herrschaft 
war fort, sonst hätte sie ihn doch entlassen. 
So blieb er aber. In der Arbeit war er 
tüchtig, dazu verstand er es, gut zu stehen ... 
Täglich Spiel und Trunk. Das Geld 
schwand. Oft musste der Glöcklwirt seiner 
Tochter geben, sie hätte beinahe nicht ge 
nug gehabt, sich und das Würmchen zu 
nähren. 
Oft saßen beide stumm beisammen, der 
Vater und die Tochter. Dann schauten sie 
sich an und die Blicke verstanden sich. Wenn 
Paulin weinte, tröstete der Vater. 
„Seiruhig, Paulin, es wird schon wieder 
recht werden, vertrau auf Gott." 
War denn der Wirt jetzt ein anderer 
geworden, dass er von Gott redete, wo er 
früher so ganz anders gesprochen hatte? 
Der Ernst des Lebens mit seinen bittern 
Stunden wird für gar manchen zum 
Schutzengel, ihn auf den rechten Weg zu 
führen. Im Himmel oben aber betete für 
die Irrenden eine Gattin, eine Mutter. 
„Wir hätten halt doch der Mutter 
folgen sollen, das alles wäre nicht ge 
kommen," sagte Paulin. 
Der Vater nickte: 
„Ja, der Mutter hätten wir folgen 
sollen, die hat es gut gemeint." 
Dabei glänzte groß und ernst sein Auge 
und eine Thräne fiel auf die Wange. 
Und täglich wurden seine Haare mehr 
und mehr weiß, nur selten kam er in die 
Gaststube, dafür gieng er öfters in die 
Kirche hinüber und in den Friedhof. 
Auch die Leute hatten böse Zungen, 
viele machten sich lustig über Paulin und 
den Glöcklwirt, obwohl sie zuerst keine 
andere Ehe besser befunden und „von Herzen
	        
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