Volltext: Der Völkerkrieg Band 1 (1 / 1914)

Oesterreich-Ungarn wahrend der Mobilmachung 
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hatten sie dort Abschied genommen; als sie die Gasse hinuntergingen, sah ich ein 
junges Mädchen durch den Garten laufen, hinter ihr her flatterte einem großen weißen 
Vogel gleich die Flügelhaube einer Klosterfrau durch die Gebüsche. Dann neigten sich 
die Alte und die Junge über das Gartengeländer und sahen den die Hüte schwenkenden 
Burschen nach, bis sie an einer Wegbiegung verschwanden. 
Dabei herrscht zauberisches Sommerwetter. Von südlich tiefblauer Färbung spann 
sich der Himmel über die dunkelbewaldeten Berge, die hellen Matten, die früchte 
beladenen Obstbäume, die weißen Bauerngehöfte und braunen Stadel, an denen vorüber 
rauschende Bäche zu Tal fließen. In der Morgen- und Spätnachmittagsbeleuchtung, 
bevor der leise Sonnendunst sich über die Ferne legt, oder wenn er geschwunden ist, 
schauen der Ortler, die Kämme der Tschenglser Hochwand, die Schneeberge des Münster 
tals und des Unterengadins wie aus weißem Marmor gemeißelt in das grüne Tal und 
abends steht der wechselnde Mond in zauberischem Glanze über der Ortlergruppe. So 
war es in all diesen Tagen, gleichsam als ob das Tirol noch einmal all seine Reize vor 
seinen scheidenden Söhnen entfalten wollte. Wie mancher von ihnen wird als teure und 
anfeuernde, vielleicht auch als letzte Vision auf dem Schlachtfelde dies zauberische 
Heimatsbild vor seinem inneren Blicke erstehen sehen . . ." 
Das neue Oesterreich 
von Oswald v. Römstedt 
Eine prachtvolle Stimmung herrscht in Oesterreich. Alle die kleinlichen Sorgen sind 
vergessen, aller politische Zank hat aufgehört. In das Hoch und Heil der Deutschen, in 
das Eljen der Madjaren klingt freundlich und freudig das Slawa der Tschechen. Von 
schwerer Krankheit ist Oesterreich genesen, in neuer Kraft dehnt und streckt sich dieses 
alte Reich. Wer diese glorreichen Tage der Auferstehung in Wien und in den Pro 
vinzen miterlebt hat, fühlt, daß sich eine neue, bessere Zeit vorbereitet. Der Wille, die 
herbe Entschlossenheit auszuhalten, bis das große Ziel erreicht ist, spricht aus jedem 
Worte und aus jeder Tat. Selbst die Zaghaftesten sind jetzt mutig geworden, seitdem 
sie sahen, daß Oesterreich sich wiedergefunden hat, seit sie Zeugen der Begeisterung aller 
Nationen und des Zusammenschlusses aller Parteien waren. Der moralische Sieg, 
den Oesterreich-Ungarn über seine Verkleinerer bereits errungen hat, muß die mili 
tärischen Operationen günstig beeinflussen. 
Und wirklich: es klappte alles bis zur kleinsten Kleinigkeit. Die Mobilmachung hat 
sich mit einer Schnelligkeit und Exaktheit vollzogen, die gerade in diesem Lande der be 
ständigen Völkerwanderungen überraschen mußte. Und als Schlag auf Schlag die Er 
eignisse sich überhasteten, als aus dem österreichisch-serbischen Kriege der Krieg des 
Zweibundes gegen alle seine Hasser und Neider wurde, als der partiellen Mobilisierung 
die allgemeine folgte, da steigerte sich mit der Größe der zu leistenden Aufgabe die Kraft 
und Entschlossenheit derjenigen, die an ihrer Lösung mitzuarbeiten berufen sind, der 
Soldaten, die den Feinden entgegenziehen, und der Männer und Frauen, die zu Hause 
bleiben müssen. Denn auch diese wissen, daß sie für Krieg und Sieg zu arbeiten haben. 
Nicht nur durch Werke charitativer Fürsorge und durch die Bereitstellung aller jener 
Kriegsleistungen, die mit den Fortschritten der Technik des Krieges an Bedeutung ge 
winnen, sondern auch durch eine den Zwecken des Krieges dienende und ihn erleich 
ternde Regelung der nationalen Wirtschaft, die aus eine neue Grundlage gestellt 
werden muß. 
Daß die militärischen Vorbereitungen in Oesterreich-Ungarn in bester Hand lagen, 
weiß man. Nun hat es sich aber zugleich gezeigt, daß auch die zivile Verwaltung auf 
der Höhe ihrer Aufgaben steht. Mit ungewöhnlicher Energie und Geschicklichkeit hat sie
	        
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