Volltext: Der Völkerkrieg Band 1 (1 / 1914)

170 
Während des Aufmarschs 
dieser Hinsicht sind gleichfalls wahrhaft glänzende Ergebnisse zu verzeichnen. Alle partei 
politischen Gegensätze waren auf einmal beseitigt, der Ruf des Landesherrn einigte alle 
Nationalitäten des weiten Reiches mit einem Schlage zu dem gemeinsamen Ziele." 
Augenblicksbilder von der österreichisch-ungarischen Mobilmachung 
Die belgischen und französischen Fremdenverfolgungen haben überall ein starkes Gefühl 
der Vergeltungslust erzeugt. Trotzdem werden Russen, Franzosen und Engländer nicht 
im geringsten belästigt. Indessen macht sich der Zorn über die Greuel, die gegen Deutsche, 
Oesterreicher und Ungarn verübt wurden, wenigstens in einem Boykott der Sprachen 
und Waren der Franzosen und Engländer geltend. Französischer Champagner ist ver 
pönt wie Gift; man will kein französisches oder englisches Wort mehr hören oder sehen. 
In Budapest durchzogen Demonstranten die Hauptstraßen und zertrümmerten alle 
Firmentafeln, auf denen ein französisches oder englisches Wort zu sehen war. Salon de 
Coiffure — die Tafel lag in Splittern auf der Erde; English tailor — die Tafel 
wurde zertrümmert; Pharmacie frangaise — ein Stein flog ins Fenster und fegte klirrend 
die Aufschrift weg. Nun beeilten sich die Geschäftsleute, ihre verfänglichen Titel zu 
ändern, wobei sich allerlei Kurioses zutrug. So änderte ein Geschäftsmann auf der 
Andrassystraße das English spoken in American spoken ab. Auch die Stadt tat das 
ihrige. Sie verlieh dem „Waitzer Boulevard" den Namen „Kaiser-Wilhelm-Ring", taufte 
die „Serbengasse" in „Bulgarengasse" und die „Parisergasse" in „Berlinergasse" um. 
Die Monarchie hat sogar in den Nationalitäten, deren angeblicher Haß gegen 
ihren Bestand ihren Zerfall hätte fördern sollen, gute Freunde gefunden. So ist 
beispielsweise das rumänische Element absolut reichstreu; aber auch die 
slawischen Nationalitäten marschieren begeistert in den Krieg gegen Serbien 
und besonders gegen Rußland. In der slowakischen Gegend von Hölak in Ober 
ungarn meldete sich ein slowakischer Bursche dreimal bei der Behörde mit der Bitte, 
ihn an die Front der gegen Rußland kämpfenden Truppen zu schicken. Er wurde immer 
als unbrauchbar abgelehnt; da riß ihm schließlich die Geduld, heimlich schmuggelte er 
sich in einen Militärzug hinein und rollte dem sehnsüchtig begehrten Kampfe entgegen. 
Ganz rasch und unerwartet kam die Mobilisierung im Tirol. Nach einem Brief, 
den die „Neue Zürcher Zeitung" Ansang August aus Tirol erhielt, hatten die Behörden 
noch 24 Stunden vorher die Bevölkerung durch Maueranschläge beruhigt, in denen es 
hieß, noch werde fürs Tirol keine Mobilisation angeordnet werden. Dann kam plötzlich 
der Gegenbefehl, der alle Militärpflichtigen vom 18. bis zum 42. Jahr sofort unter die 
Waffen rief und in der gleichen Nacht wurden in den abgelegenen Höfen und Weilern 
die Einwohner durch den an ihre Türe klopfenden Gendarm aus dem Schlafe geschreckt, 
um den Mobilisationsbefehl zu vernehmen. „Es gibt nicht wenige Familien, in denen 
sämtliche männliche Mitglieder und der Herr und der Knecht fort müssen und die Frau 
mit einer Stube voller Kinder, dem Vieh im Stalle — die Pferde sind größtenteils 
schon requiriert worden — und aller Feldarbeit allein zurücklassen. Aus den Bahn 
höfen gibt es herzzerreißende Abschiede. Die ledigen Burschen, mit ihrem Nelken- und 
Rosmarinstrauß aus dem grünen Hütl und im Knopfloch, sind guter Dinge und voller 
Begeisterung, selbst wenn ein Dirndl mit tränenden Augen ihnen das Geleit gibt. Die 
verheirateten Männer schauen schon ernster, so lange sie noch die schluchzende Frau und 
die Kinder vor sich haben; späterhin wird die altbewährte tirolische Tapferkeit und 
Waffenfreudigkeit schon die Oberhand gewinnen. Die meisten sind als Kaiserjäger ein 
gereiht, viele werden nach Serbien dirigiert. In Mals folgte ich, zum Bahnhof 
hinuntergehend, einem Trüppchen junger Einberufener. Sie waren aus einem alten 
Hause mit Stützpfeilern, Portalsäulen und Wendeltreppe herausgekommen. Vielleicht
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.