Volltext: Diplomatische Geheimakten aus russischen, montenegrinischen und sonstigen Archiven (Band II 1929)

nur mit engstem, genau vorher festgelegtem Programm abgehalten wer¬ 
den, so daß sie lediglich als Registrierungsmaschine sich darstellt. In 
der Konsulta schiene man sehr zu wünschen, daß eine italienische Stadt 
zum Ort der Prozedur gewählt wird. Tatsächlich würde schließlich eine 
der vielen italienischen Provinzhauptstädte ganz geeignet sein. Gegen 
Paris wäre man, wenn auch natürlich nicht offen, selbst in St. Peters¬ 
burg, schon weil die Repräsentanten der alten Monarchie nicht gute 
Gäste der radikalen Republik sein könnten. An London denke wohl 
auch niemand im Ernst. Berlin halte sich klugerweise so zurück, daß 
schon aus diesem Grunde unsere Hauptstadt nicht in Betracht käme. 
In Konstantinopel säße der zu Exekutierende, in Wien der Verbrecher, 
so bliebe wohl nur Florenz oder Neapel übrig. 
Ich1 möchte annehmen, daß Herrn Murawiews Tage hier gezählt sind. 
Er ist unleugbar ein bedeutender Mensch, und wird seine Regierung 
kaum auf lange Zeit diese Kraft hier brach liegen lassen. Meine Frage, 
ob er nicht einmal seinem Vetter Iswolski folgen würde, verneinte der 
Botschafter, er habe nicht Lust, den für lange Zeit ganz verfahrenen 
Wagen der russischen Politik aus dem Schlamm zu ziehen. Ob die 
Trauben sauer sind? Oder ob Herr Murawiew noch immer einen Meu¬ 
chelmörder fürchtet? Denn als ehemaliger Oberstaatsanwalt und Justiz¬ 
minister scheint er auch jetzt noch einer der von den russischen Revo¬ 
lutionären am tiefsten gehaßten Männer zu sein. Freilich hat er sich 
schon diesen Sommer auf einige Zeit nach Petersburg gewagt, wie 
auch die strenge Bewachung der hiesigen russischen Botschaft und des 
Botschafters selbst nachgelassen hat. Monts. 
Nr. 44o. 
Der Botschafter in Petersburg Graf von Pourtales 
an den Reichskanzler Fürsten von Bülow.1) 
Ausfertigung. 
Nr. 483. St. Petersburg, den i. November 1908. 
Nach meiner gestern vormittag erfolgten Rückkehr vom Urlaub hatte 
ich noch am Abend eine lange Unterredung mit Herrn Iswolski, der: 
mich zu sich hatte bitten lassen. Ich fand den Minister in einer ge¬ 
drückten und elegischen Stimmung. Seine Äußerungen klangen in bittere 
Klagen darüber aus, daß seine auf Herstellung möglichsten Einverneh¬ 
mens zwischen den Mächten gerichteten Bemühungen verkannt und seine 
Arbeit zur Erhaltung und Festigung des Friedens durch Österreich- 
Ungarns Vorgehen in einer Weise gestört worden seien, welche ernste 
Gefahren für die nächste Zukunft in sich berge. Rußlands Stellung im 
gegenwärtigen Augenblick sei eine äußerst schwierige. Nach wie vor 
!) Die große Politik Bd. 26 (I. Hälfte) Nr. go85 S. 235 ff. 
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