Volltext: Diplomatische Geheimakten aus russischen, montenegrinischen und sonstigen Archiven (Band II 1929)

werde aber die Erhaltung des Friedens das Ziel der russischen Politik 
bleiben. Eine solche Politik werde nicht leicht sein, denn man werde 
in der nächsten Zeit mit vielen unsicheren Faktoren rechnen müssen. 
Daß die Serben einen ooup de tete machen würden, glaube er nicht. 
Auch könne er mir auf das bestimmteste versichern, daß auf den Kron¬ 
prinzen von Serbien hier sehr energisch in beruhigendem Sinne einge¬ 
wirkt werde. Die Erbitterung gegen Österreich-Ungarn in Serbien sei 
aber eine derartige, daß man sich auf heftige Ausbrüche dieser Stim¬ 
mung wohl gefaßt machen müsse. Wer bürge nun dafür, daß Öster¬ 
reich-Ungarn nicht einen solchen Anlaß als Vorwand ergreifen werde, 
um die Situation durch' ein Einrücken in Serbien noch mehr zu kom¬ 
plizieren? Herr Iswolski fuhr fort, seine Besorgnisse für die nächste 
Zukunft würden noch dadurch erheblich verstärkt, daß wir anschei¬ 
nend geneigt seien, von vorneherein alles gutzuheißen, was Österreich- 
Ungarn zu tun gedenke. Eine solche Haltung Deutschlands gehe aller¬ 
dings weit über das Maß von Verpflichtungen hinaus, welche uns, wie 
er bisher angenommen habe, durch unseren Bündnisvertrag mit Öster¬ 
reich-Ungarn auferlegt seien. 
Ich entgegnete dem Minister, er könne zunächst versichert sein, daß 
auch' unsere Politik in erster Linie auf Erhaltung des Friedens gerichtet 
sei. Bis jetzt fehle jedes Anzeichen dafür, daß Österreich-Ungarn es zu 
einem kriegerischen Konflikt treiben wolle. Jedenfalls würde es uns 
gewiß fernliegen, Öl ins Feuer zu gießen, vielmehr würden wir, wenn 
sich die Notwendigkeit dazu ergeben sollte, unsere Stimme zweifellos 
zugunsten des Friedens erheben. Augenblicklich aber handele es sich 
nur darum, daß russischerseits von uns eine Handlungsweise gegenüber 
Österreich-Ungarn verlangt werde, die in der Tat mit einer strengen und 
loyalen Auffassung des Bündnis Verhältnisses schwer vereinbar erscheine. 
Wir hätten uns im Prinzip mit dem Konferenzgedanken einverstanden 
erklärt, vorausgesetzt, daß unser Verbündeter diesen Gedanken akzep¬ 
tiere. Es heiße aber doch sehr weit gehen, uns zuzumuten, daß gerade 
wir für die Diskussion der von Österreich-Ungarn für undiskutierbar 
erklärten bosnischen Frage in der Konferenz eintreten und somit dazu 
beitragen sollten, Österreich-Ungarn gewissermaßen als Angeklagten vor 
dem europäischen Gerichtshof zur Verantwortung zu ziehen. 
Gegen diesen Vergleich protestierte der Minister lebhaft, indem er 
auf den Berliner Kongreß hinwies, in welchem Rußland keineswegs 
als Angeklagter erschienen sei, aber seine Teilnahme nicht verweigert 
hätte, trotzdem es nach einem siegreichen Feldzug und gestützt auf 
einen mit der Türkei bereits abgeschlossenen Vertrag auf einem besseren 
Rechtsstandpunkt gefußt habe, als jetzt Österreich-Ungarn. Ich be¬ 
schränkte mich darauf zu erwidern, daß die gegenwärtige Lage Öster¬ 
reich-Ungams mit der Lage Rußlands im Jahre 1878 wohl kaum 
verglichen werden könne. Was die andere Frage betreffe, führte ich 
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