Volltext: Diplomatische Geheimakten aus russischen, montenegrinischen und sonstigen Archiven (Band II 1929)

weiter aus, bezüglich deren wir uns den Wünschen des Herrn Iswolski 
gegenüber ablehnend verhalten müßten, nämlich die Frage von Kompen¬ 
sationen für die kleinen Balkanstaaten, so werde unsere Haltung in 
dieser Frage uns nicht nur durch unser Verhältnis zu Österreich-Ungarn, 
sondern auch durch unseren Wunsch, die Türkei in ihrem jetzigen 
Besitzstände erhalten zu sehen, und durch unsere Friedensliebe diktiert. 
Durch die Annexion Bosniens und der Herzegowina sei 
in Wirklichkeit der status quo auf der Balkanhalbinsel 
nicht verändert worden. Kompensationen an Serbien und Monte¬ 
negro seien aber nur auf Kosten der Türkei denkbar. Ein Beginn der, 
Aufteilung der Türkei würde aber in unseren Augen eine große Gefahr 
für den Frieden Europas bedeuten. 
Auf unsere allgemeine Haltung zu Rußland und Österreich-Ungarn 
übergehend, bat ich darauf den Minister, mich ihm gegenüber ganz 
offen aussprechen zu dürfen. Wenn er in Berlin für seine Wünsche 
einer kühleren Aufnahme begegnet sei, als er vielleicht erwartet habe, 
so wundere mich1 das nicht. Ich könne ihm nicht verschweigen, daß 
die Haltung Rußlands während der letzten Jahre in unseren leitenden 
Kreisen einige Enttäuschung hervorgerufen habe. Daß unsere Politik 
nicht durch irgendwelche antirussische Stimmung oder Vorurteile von 
vorneherein beeinflußt werde, wisse er ebenso gut wie ich. Seine Ma¬ 
jestät der Kaiser, unser allergnädigster Herr, habe vom Beginn seiner 
Regierung an stets gezeigt, welchen Wert er auf die Pflege der tradi¬ 
tionellen Beziehungen zu Rußland lege. Wiederholt habe allerhöchst- 
derselbe Rußland die Hand entgegengestreckt, in die Rußland nur ein¬ 
zuschlagen brauchte. Auch Euere Durchlaucht seien bekanntlich stets 
ein Freund Rußlands gewesen. Ebenso ist der Herr Staatssekretär von 
Schoen von freundschaftlichen Gefühlen für Rußland beseelt. Dieser 
Stimmung in unseren leitenden Kreisen habe Rußland unsere äußerst 
wohlwollende Haltung während des japanischen Krieges und während 
der Revolution zu verdanken, eine Haltung, die bis an die äußersten 
Grenzen des Zulässigen gegangen und oft auf heftigen Widerspruch 
seitens der öffentlichen Meinung in Deutschland gestoßen sei. Seine 
Majestät der Kaiser, unser allergnädigster Herr, sei bei dieser Haltung 
von dem Wunsche beseelt gewesen, Rußland zu zeigen, daß es in Stun¬ 
den der Not von Deutschland nicht nur nichts zu fürchten habe, son¬ 
dern auf Freundschaftsdienste zählen könne. Seine Majestät hatten dabei 
gehofft, daß die russische Politik dieser Haltung später Rechnung 
tragen und auf diese Weise die alten vertrauensvollen Beziehungen zwi¬ 
schen Petersburg und Berlin wiederhergestellt werden würden. 
In dieser Hoffnung sehe sich unser allergnädigster Herr jetzt ge¬ 
täuscht. Rußland habe sich seit dem japanischen Kriege schrittweise 
gerade derjenigen Macht genähert, welche zum großen Teil die Schuld 
an den russischen Mißerfolgen im fernen Osten trage. Durch seinen 
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