Volltext: Der Wasserfreund 1861 (1861)

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Menschen? Sie ist es, meine Herren, welche in ihrer Beant 
wortung recht eigentlichen Aufschluß über den cosmischen und 
zwar ethischen, sittlichen Zweck des Menschenkörpers giebt. 
Denn sie zeigt uns den Zwang zur Arbeit und Anstrengung 
für den Menschen, sein Bedürfniß des Verkehrs mit den ver 
schiedensten Stoffen, Wesen und Orten oder Gegenden des 
Erdballes, aber auch die Nothwendigkeit für ihn, seinen Blick 
über die Dauer des Körpers hinaus schweifen zu lassen. Und 
was findet er dort bei den Hinweisungen des Körpers auf 
Untergang und Tod, bei seinen Betrachtungen gewissermaaßen 
am eignen Grabe? Wenn irgendwo, meine Herren, so findet 
er gerade hier — im Wesen und in den Folgen des Stoff 
wechsels — die herrlichsten, sichersten Andeutungen für die 
Möglichkeit nicht blos, nein für die Nothwendigkeit und Wirk-' 
lichkeit einer geistigen Fortdauer nach dem Untergang seines 
Körpers! 
Was ist also die nächste Folge des Stoffwechsels für 
den Menschen? Wir Alle, meine Herren, empfinden sie täglich, 
Keiner kann sich ihr entziehen, er müßte denn selbst Hand an 
sich legen, aber jedenfalls die Erfahrung machen wollen, daß 
Niemand durch Selbstmord um die Aufgaben dieses Lebens her 
umkommen kann, sondern sie. in veränderter Weise, und viel 
leicht dann um so schwieriger zu lösen, wiederfinden wird. 
Die erste Folge des Stoffwechsels ist die des Kampfes 
des Menschen um seine irdische, seine leibliche Existenz. Indem 
die eine Seite des Stoffwechsels — die Auflösung und Aus 
scheidung — uns tagtäglich, ja stündlich Theile unseres Kör 
pers entzieht, nöthigt sie uns zugleich, wenn wir unsere Ge 
sundheit, ja unser Leben erhalten wollen, nicht blos an den 
Ersatz des Verlornen durch Beschaffung von Speisen und 
Getränken, sondern auch auf eine Erhaltung der Gleich 
mäßigkeit im Stoffwechsel zu denken d. h. dafür zu 
sorgen, daß nicht äußere uns umgebende, namentlich in der 
Veränderlichkeit der Atmosphäre — besonders des Wärme- 
und Feuchtigkeitszustandes darin — liegende, uns leicht ge 
fährlich werdende Einflüsse ein Schwanken im Stoffwechsel, 
bestehe er im zu großen oder im zu geringen Vorsichgehen, her 
beiführen. Die körperliche Einrichtung des Stoffwechsels be 
dingt also nicht blos die Sorge für unsern Unterhalt durch 
Nahrungsmittel, sondern auch die für Beschaffung von Be 
kleidung und Wohnung, der veränderlichen Witterung gegen 
über. - Nun, daß mit der Sorge in dieser doppelten Hin 
sicht dem Menschen ein großes Feld der Thätigkeit, einer Thä 
tigkeit voller Mühen und Plagen ja biswerlen der bittersten 
Kämpfe und Anstrengungen, aber andererseits auch die Ge 
legenheit geboten, ja aufgezwungen ist, seine Geistesanlagen 
in der verschiedensten Richtung auszubilden und zu vervollkom- 
men, — wer würde es leugnen wollen oder leugnen kön 
nen? Blicken Sie um sich, meine Herren, in dem Kreis der 
Ihnen bekannten Persönlichkeiten und prüfen Sie, welche unter 
diesen als die geistig am mehrsten Vorgeschrittenen, nicht ein 
seitig, sondern nach allen Richtungen hin Entwickelten erschei 
nen. ^ Sind es etwa die, welche, im Reichthum aufgewachsen, 
die Sorge um Nahrung, Kleidung und Wohnung nie kennen 
gelernt haben, oder die, welche körperlich verkümmert oder mo 
ralisch untergegangen einer Thätigkeit in jenen Richtungen sich 
nicht hingeben wollten oder konnten und deshalb der öffent 
lichen oder privaten Versorgung im milden oder strengen Sinne 
verfielen? Gewiß diese Alle gehörten niemals zu den geistig 
Entwickeltsten, wenigstens nicht im Allgemeinen; Ausnahmen 
hiervon bilden große Seltenheiten! Vielmehr werden Sie bei 
solchem Umsichschauen fast immer die größte geistige Energie, 
den besten Fortschritt nnd namentlich moralisches Wachs 
thum da vertreten finden, wo Arbeit und Anstrengung sich mit 
verdientem günstigen Erfolge paart. Werden Sie mir also 
nun beipflichten, meine Herren, wenn ich sage, daß in der Ein 
richtung des Stoffwechsels bei unserm Körper der ethische, der 
sittliche Zweck des Schöpfers nicht zu verkennen ist, daß unsere 
geistige Vervollkommung von Ihm gewollt erscheinen muß 
und daß diese körperliche Einrichtung also einen Beweis für 
unsere geistige Bestimmung enthält, wie er weder biblisch noch 
philosophisch begründet werden kann? Ich hoffe sicher, meine 
Herren, Sie werden es; ich hoffe aber auch, Sie werden in 
Ihrem künftigen Berufe nicht versäumen, von dieser Seite 
aus den Glauben an sich selbst und seine hohe Aufgabe und 
Pflicht in der Brust des Kindes zu begründen! 
Die zweite sittliche Folge des Stoffwechsels und der 
ganzen Körpereinrichtung für den Menschen: der durch die 
Nothwendigkeit der Ausgleichung des Verlornen und des 
Schutzes für Gleichmäßigkeit im Stoffwechsel herbeigeführte 
Verkehr mit den Mitmenschen, der Besuch anderer Gegenden, 
das Kennenlernen anderer, als der stets ihn umgebenden 
Dinge, Stoffe und Verhältnisse — verstärkt und fördert nur 
die schon in der ersten Folge vom Schöpfer gewollten geistigen 
Fortschritte und brauchen wir uns daher dabei nicht weiter 
aufzuhalten. 
Desto mehr müssen wir aber bei der dritten oben ange 
führten Folge verweilen: bei dem Blicke, den der Stoffwechsel 
dem Menschen auf sein körperliches Ende aufnöthigt! Der 
Stoffwechsel, meine Herren, bewegt sich, wie Ihnen Allen aus 
der Erfahrung sattsam bekannt ist, bei einem naturgemäßen 
körperlichen Lebensverlauf durch drei große Phasen. Er hat 
eine Periode der Schnelligkeit, — in der Jugend —, eine 
Periode des stetigen, gleichmäßig verharrenden Zustandes — 
in den Jahren des mittleren Alters —, und eine solche der 
Verlangsamung, Verringerung und des endlich gänzlichen 
Stillstandes — im Greisenalter und am Schluffe des Lebens. 
Jedem drängt sich diese Beobachtung am Besten an sich selbst 
auf und destomehr, je,älter er wird; er weiß dann, daß er 
einst wuchs, daß er einst blühte und Frucht trug (oder 
wenigstens hätte blühen und Fruchttragen sollen und können), 
er fühlt auch sein allmäliges Vergehen! Aber was fühlt 
er auch ganz sicher, wenigstens der im treuen Dienste der 
Natur verharrende und darin altgewordene Mensch? Er fühlt 
siegesfreudig und selbstbewußt, meine Herren, daß von dem 
stetigen Verlaus des Stoffwechsels (in den mittlern Jahren) 
an und während des Rückganges desselben die erlangte geistige 
Erstarkung dieselbe bleibt, ja noch wächst! Wie die ganzen 
Jahre des Stoffwechsels entlang, bei dem fortwährenden Unter 
gang einzelner Theilchen seines Körpers, der Geist oder die 
geistige Anlage doch nicht mit unterging, sondern, trotz Ver 
fall und Tod ringsum, erstarkte und von jedem ausscheidenden 
Stofftheilchen als unvergängliches und wachsendes Wesen sich 
trennte, so fühlt er — der sich und seinen Stoffwechsel stets 
aufmerksam verfolgende Mensch — daß auch am Tage des 
gänzlichen Aufhörens dieser Ausscheidung und dieses Ansatzes, 
unberührt dadurch, sein Geist über die Trümmer des letzten 
körperlichen Prozesses sich erheben könne, werde, müsse! 
Die Betrachtung seines eignen Stoffwechsels giebt also 
dem Menschen die freudigste Sicherheit und Bürgschaft seiner 
geistigen Fortdauer. Was ein Leben lang siegreich aus stetem 
Untergang hervorging, kann auch beim letzten Untergang nur 
siegen und sich emporschwingen zum geistigen Reiche. Wer 
sein tägliches Sterben, meine Herren, zu überblicken richtig
	        
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