Volltext: Der Wasserfreund 1861 (1861)

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doch mindestens für den unverschämtesten Charlatan halten!— 
Aber, bin ich denn unter Gebildeten oder haben mich die Ge 
bildeten der großen, reichen, in Poesien und geistigen Genüssen 
aller Art schwärmenden Stadt, welche ich verlassen, haben sie 
mich hören wollen, als ich mit den nüchternsten und bescheiden 
sten Worten sie auf die Nothwendigkeit und Vernunftgemäßheit 
einer andern Körperbehandlungsweise aufmerksam machte? Hat 
man mich, nachdem ich nun einmal die Ueberzeugung von der 
erhabenen Wahrheit der Wasserheilkunde nicht mehr von mir 
bannen konnte und mit der ganzen Kraft meiner Seele mich 
zu ihrem Dienste weihen mußte, hat man mich und meine 
Schriften nicht verächtlich bei Seite geworfen und meine ange 
kündigten Vorträge unbesucht gelassen? Hat man mich etwa 
unterstützt in meiner geistigen Noth, als mir, dem Armen, die 
Versuchung nahe trat und sprach: Greife wieder nach dem 
Giftbecher und Gold sollst Du auf seinem Boden finden, genug, 
um Deinen alten Eltern, die ihr Alles aufwendeten, um Dir 
durch das medizinische Studium hindurch zuhelfen, den Hunger 
am hohen Lebensabend etwas erträglicher zu machen?! — 
Nein, nichts, nichts, nichts thaten die sogenannten Gebildeten 
für mich! nicht einmal die Mühe nahmen sie sich, nur ober 
flächlich die junge Wissenschaft kennen zu lernen, die jährlich 
schon vielen Tausenden das Leben rettete und auch mein Dasein 
erhielt, als ich unbewußt an einem ihrer Altäre mit dem Tode 
rang. O! Ihr Astergebildeten, die Ihr Euch weise und reich 
dünkt im Besitz morgenländischer Kenntnisse, Schätze und Ge 
nüsse, wie arm seid Ihr am Wissen des Nächstliegenden, an 
Kenntnissen Eures Leibes und leiblichen Wohles! 
Nun wohl! Ihr wolltet das Evangelium der neuen 
ärztlichen Heilslehre nicht von mir hören! Was blieb mir 
übrig, als mich an die Angehörigen der Unwissenheit zu wen 
den? — Aber was hätte ich da hoffen können, mit dm nüch 
ternen Worten der Wissenschaft! Wäre ich im gewöhnlichen 
Style des Ausdrucks auch nur im Entferntesten verstanden oder 
nur gehört worden?! Schnell wirkend mußte das Experiment 
sein, das mich in meiner Lage belehren soll, ob ich auf diesem 
Wege zur Selbstständigkeit gelangen und das Brod noch zu 
rückgeben könne, das die armen alten Eltern noch mit solchen 
Entbehrungen dem Sohne zur Erhaltung auf dem einmal ein 
geschlagenen Lebenswege reichten! Was mache ich mir Bedenken 
über eine pomphafte, durch Worte, gleich Spiritusfusel, besieg 
ende Ankündigung, unter Verhältnissen, wo ich es mit fast 
lauter Menschen zu thun habe, die dem Eindrücke des Augen 
blicks um so mehr folgen, je stärker und seltener Art er ist, 
und die noch so am Wunsche und Glauben des Wunderbaren 
hängen, daß sie dadurch, ohne es zu wissen, zu den willfährig 
sten Werkzeugen der Selbstsucht werden?! Allerdings muß 
auch ich nach Erringung des leidigen nöthigen Geldes trach 
ten — aber bei Gott auch nur des nöthigsten! — Gilt es 
mir nicht in der Hauptsache, wirklich Gutes zu stiften, Kennt 
nisse zu verbreiten, die vielleicht außerdem nicht angenommen 
würden? Und, wenn auch die Form meiner Versprechungen 
auffallend, sind etwa die Versprechungen selbst unwahr? Sage 
ich Lügen? Nein; ich werde halten und ausführen, was ich 
versprochen und die Alten sollen jünger und die Unschönen 
sollen schöner und die Kranken sollen schneller gesund werden 
durch mich — wenn sie nur selbst wollen, d. h. die nöthige Ge 
duld und Ausdauer, Vertrauen und Muth zur Wasserkur haben! 
Es ist geschehen — mit Ueberlegung, in guter Absicht 
geschehen Punktum! Ich kann nicht mehr anders! Gott 
helfe mir! Amen! 
Dieser, nicht ohne innere starke Erregung stattfindenden 
Selbstunterhaltung unsers Freundes Helfer folgte jetzt die na 
turgemäße Abspannung; er gab sich scheinbar einer Gedanken 
vertiefung hin, die aber offenbar das Bedürfniß der körperlichen 
Natur war und bald in einen kurzen, aber stärkenden Schlummer 
überging. Auf künstliche Anspannung und Exaltation unserer 
Nerven und nicht bloß dieser, sondern aller unserer einzelnen 
Organe, durch Nerven und Blut, folgt — so will es die 
gütige Mutter Natur — Abspannung und Erschlaffung, damit 
die niemals ruhende Lebenskraft in uns inzwischen wieder Zeit 
habe, zur Ausgleichung der durch die Erregung nothwendig 
herbeigeführten körperlichen Veränderungen und Verluste. 
Kräftigen Körpern, namentlich mit starken, gesunden Nerven, 
schadet eine einzelne Erregung nicht, vielmehr kann sie, durch 
die darauf eintretende heilsame Beförderung besonders der Aus- 
scheidungsthätigkeit des Körpers — worauf die Ergänzungs- 
thätiakeit der Berdauorgane von selbst folgt — einen nahenden 
Krankheitszustand oft ganz allein beseitigen; desto nachtheiliger 
aber wirkt solche Erregung auf schwache Constitutionen; da 
bringt sie nur zu oft das Gegentheil hervor von den Erfolgen 
anr starken und meist gesunden Körper. 
Herr Helfer aber gehörte zu der Mittelsorte zwischen 
beiden genannten Individualitäten, unter die leidlich guten 
Körper, unter die jetzt Gott sei Dank schon ziemlich große 
Zahl derjenigen, welche, durch verschiedene Arten von Körper 
leiden und vergeblich dagegen versuchte medizinische Abhülfe 
oder auch bisweilen durch gütigen Zufall ohne solche vorherige 
Leiden dem Genius der Wasserheilmethode in die Arme ge 
trieben. seit Jahren schon angefangen haben, nach den Regeln 
dieser Heilskunde ihre ganze Lebensweise einzurichten, und die 
in Folge dessen zu fühlen anfangen und von Jahr zu Jahr 
die deutlichere erfreuliche Wahrnehmung machen," daß sie aus 
den Banden chronischen Krankseins sich nunmehr erheben. Er 
gehörte zu den zwei Drittheilen des europäischen Menschenge 
schlechts, welche von Haus aus, d. h. von Vater und Mutter, 
schon nicht die beste körperliche Ausstattung ins irdische Pilger 
leben mitbringen, die dann unter falschen, wenn auch von 
lauter Zärtlichkeit aber auch Unwissenheit dictirten Erziehungs 
grundsätzen als Treibhauspflanze aufwachsen, hierzu endlich 
selbst, bewußt oder unbewußt, in guten unb in bösen Thaten, 
durch ihre Lebensweise den Schlußstein zum Siechthunr hinzu 
fügen und die nun in einem halb gesunden halb kranken Leben 
dahin vegetiren, bis entweder unter der Unzahl der zur 
Aufhülfe angewendeten medizinischen Mittel oder unter dem 
sich in Folge mangelnder natürlicher Unterstützung des Körpers 
in seiner Selbstheilungsanstrengung anhäufenden Krankheitsstoffe 
das bischen Körperkraft vollends zusammenbricht, oder ihre 
Gesundheit nach und nach erstarkt, wenn — durch günstige 
Gestirne geleitet — sie frühe genug auf die eignen Heilan 
strengungen ihres Körpers aufmerksam wurden, sie nicht durch 
Medieamente, Blutentziehungen, Verweichlichungen re. hemmten, 
sondern namentlich durch eine naturgemäße Pflege und Kräf 
tigung der Ausscheidungsorgane zu begünstigen wußten. Unser 
Freund Helfer war so glücklich, der letzten: Kategorie chronisch 
Kranker anzugehören. Ein Ereigniß von der entscheidendsten 
Wichtigkeit für sein ganzes künftiges Leben, in körperlicher wie 
geistiger Beziehung, warf ihn, wenn auch wider seinen Willen, 
aber so energisch dem bis dahin verhaßten Wassergeiste zu 
Füßen, daß er von da an, tief gerührt vor: dessen himmlischer 
Milde gegen ihn, den fast absichtlich blinden Verächter, an 
eine gründliche Prüfung der Grundsätze der Wasserheilkunde 
ging, dabei, wie nicht anders mögliche von der Wahrheit, die 
aus diesen Sätzen all überall glänzend sprudelt, bald völlig
	        
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