Volltext: Der Wasserfreund 1861 (1861)

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überwältigt und so aus ihm ungeahnet schnell der wärmste 
Verehrer und Vertheidiger dieser Heillehre wurde, wie seiner 
Zeit durch einen ähnlichen Blick in das Gebiet der Wahrheit 
aus dem Saulus ein Paulus sich gestaltete. Herr Helfer 
mag dieses Ereigniß, das seiner wissenschaftlichen nicht nur, 
sondern überhaupt menschlichen Umgestaltung zu Grunde lag, 
selbst hernach erzählen, wenn er mit dem guten Rühle'schen 
Ehepaar an dem im Gebirge meist üblichen Abendkaffee, heute 
mit dem Kirmeskartoffelkuchen gewürzt, zusammen sitzen wird. 
Werfen wir aber vorher noch einen Blick ans diejenige Pe 
riode seines Lebens, die jenem Ereignisse vorausliegt und die 
für uns nicht blos in somatischer Hinsicht, d. h. in Bezug 
auf die Behandlung und Entwickelung seines Körpers von 
Jugend auf, von Interesse ist, sondern uns auch die nöthige 
Aufklärung über die etwas sonderbare Perfahrungsweise und 
den aufgeregten Zustand geben wird, in dem wir ihn oben 
zuerst kennen gelernt haben. 
Sequenz Paul Helfer war der Sohn und das einzige 
Kind eines Dorfschullehrers; der Vater hatte früh, sehr früh 
— wie leider so oft geschieht — geheirathet, deshalb nach 
der ersten besten Schulstelle zugegriffen und unter den vielen 
so schlecht bezahlten derartigen Anstalten wohl eine der schlech 
testen errungen. Durch und durch genügsam aber wie er 
war und begabt mit der seltenen und kostbaren Eigenschaft, 
aus Wenigem Viel machen zu können, wäre er glücklich in 
seinem Dörfchen und auf seinem magern Stellchen gewesen, 
hätte nicht der Einfluß seiner über alle Maaßen von ihm ge 
liebten Ehehälfte ihm bisweilen Ausgaben und damit Ver 
legenheiten aufgenötigt, die dann oft recht hart auf ihn 
drückten. — Mancher Andere in seiner Lage — bei einem Ge 
halte von 150 Thalern haar außer einigen wenigen Holz- 
und Getreidedeputaten und im Besitze eines zwar sehr recht 
schaffenen, auch häuslichen, aber etwas, besonders in gewissen 
Beziehungen eitlen Weibes — würde schier verzweifelt sein, 
wenn so von Zeit zu Zeit aus der nahen Stadt von Buch 
druckern, Buchhändlern, Leihbibliothekaren u. s. w. verhältniß- 
mäßig bedeutende Rechnungen eintrafen, die unmöglich gleich 
befriedigt, sondern nur nach und nach ratenweise abgemacht 
werden konnten und die daher rührten, daß Frau Helfer, 
eine Cantorstochter aus der Stadt, schon als Mädchen den 
schöngeistigen Kreisen dieser Stadt angehört, viel gelesen und 
selbst gedichtet hatte und in die Meinung verfallen war, daß 
sie ihre Geistesprodukte auch der Welt nicht vorenthalten dürfe. 
Sie hatte, da ihre Arbeiten, die sie drucken ließ, leider selten 
so viel Absatz fanden, daß die Kosten des Druckes re. dabei 
gedeckt worden wären, schon in ihrem väterlichen Hause eine 
ziemlich nachtheilige Einwirkung auf die Casse des zu nach 
giebigen, seit lange verwittweten Vaters ausgeübt und dieß 
mochte der Grund gewesen sein, daß dieser Vater eher und 
leichter, als vielleicht außerdem, den Bewerbungen des so 
jungen schmachtenden Seminaristen nachgegeben und ihm die 
Tochter hinaus aufs Land mit gegeben hatte. Hier sah nun 
zwar der installirte Herr Lehrer Helfer bald zu seinem Schrecken 
ein, welche theure geistige Mitgift er von seinem Eheweibchen 
erhalten; aber gewohnt, im Leben jedes Ereigniß als die 
nothwendige Folge des Vorausgegangenen hinzunehmen, 
sah er mit stiller Resignation aus dem Bett heraus seine 
Frau oft Nächte lang schreiben und die Produkte in die 
Stadt wandern, und wenn darauf eine unausbleibliche Drucker 
oder Buchhändlerrechnung einging und er schließlich nach plagevollem 
Verantw. Nedacleur: Dr. Meinert. 
Hierzu eine artistische Beigabe: Prießnitz in 
Tage Abends im einsamen Bette dieses Ereignisses gedachte, zog er 
philosophisch und unter den Worten: sequens ex antecesso, d. h. 
„Mußte die nothwendige Folge des Vorhergegangenen sein", das dicke 
Bette über die Schlafmütze und ergab sich dem Unvermeidlichen und 
dem Schlafe. — Als ihn nach einigen Jahren die geliebte dichtende, 
mehr über als auf der Erde wandelnde Gattin dock — zu seinem gro 
ßen aber trotz der dadurch vermehrten Sorgen freudigem Erstaunen — 
mit einem Söhnchen — unserm Dr Helfer — beschenkte und ihm das 
Knäblein mit derselben zärtlichen Verzeiyungsbitte entgegenhielt, mit 
der sie ihm die Stadtrechnungen zu bringen gewohnt war: „Paul, bist 
Du auch nicht bös?" da schloß er Weid und Kind zärtlich und mit 
den Worten in seine Arme: „8equen8 ex antecesso“ und war von 
nun an auch der resignirteste Vater, wie er bisher der geduldigste Ehe 
mann gewesen. Das Söhnchen aber erhielt den Namen „Sequenz 
Paul", aus Vorliebe für seinen Grundsatz, vielleicht aber auch. weil das 
Schicksal zeigen wollte, daß der Mensch zum Theil wenigstens die Er 
eignisse selbst gestalten und der Schöpfer der folgenden Ereignisse wer 
den kann. Sequenz war offenbar vom Schicksal erkohren, selbstthätig 
in seinen Lebensgang einzugreifen und dadurch dessen besondere Ge 
staltung selbst mit herbeizuführen. Und dieses will in der That viel 
sagen bei einem Kinde, welches gleich von frühester Jugend an körper 
lich so verweichlicht und später geistig so überangestrengt wurde, daß 
man alles andere, als die Entwickelung eines kräftigen, selbstständigen 
Characters bei .ihm hätte erwarten sollen. Wenn Frau Helfer des 
Morgens, aber in Folge ihrer häufigen nächtlichen Pcoductionen 
etwas spät, aufgestanden war, wurde das Söhnchen. es mochte noch 
schlafen oder nicht, in seiner kleinen Wanne warm gebadet; da ein 
Thermometer nicht zur Hand war, kam es dabei natürlich auf ein 
Paar Grad mehr nicht an, denn Frau Helfer ging von der Ansicht aus, 
daß hierbei etwas mehr nicht so viel schaden könne, als etwas weniger, 
indem das Badewasser dann nicht so schnell verkühle. In dem Bade 
selbst mußte selbstverständlich das Jüngelchen nach Jahr und Tag bald 
sitzen, da das Wännchen für ibn viel zu kurz zum ferneren Liegen 
darin und die Tiefe der Wanne nur eine unbedeutende war, zur Ver 
meidung des vielen Wasserstoffes, Heizungsmaterials und mancher son 
stigen außerdem entstehenden Belästigungen. So kam es, daß Sequenz, 
wie viele tausend andere Kinder, welche täglich von der zärtlichen Mut 
ter warm gebadet werden, mit dem Unterkörper allein und fortwährend 
im warmen Wasser saß, während das Oberkörperchen, vom Nabel an, 
der Stubenlust ausgesetzt war und nur von Zeit zu Zeit mit dem 
Schwamm aus dem Badewasser überspült wurde Frau Helfer hatte 
nie gehört oder gesehen, daß es anders als so gemacht würde und was 
ihr dagegen einst der alte Hirte des Dorfes sagte, als er in Geschäften 
bei ibrem Manne war, das leuchtete ihr so wenig ein, weil ihre Ge 
danken immer in überirdischen Regionen schwebten — daß alles geblie 
ben war nach wie vor. Der Hirte hatte nämlich, als er wartend auf 
den Herrn Schullehrer in der Wohnstube gerade die Badeprozedur der 
Frau Helfer und ihres Söhnchens mit angesehen, gemeint: Da wird's 
viel Husten im Leben geben, wenn nicht noch Schlimmer's. — Wie so, 
Döken ? hatte Frau Helfer gefragt. — Nun, wenn Sie dem lieben Weh 
heiß Wasser vorsetzen, geht's nut Ekel davon, und sich brtn baden 
würde es gleich gar nicht. — Aber, Döken, wir sind doch kein Vieh 
— wie sieht das auch manchmal aus! So kann man doch den Men 
schen nicht aufwachsen lassen! — D.: Im Miste freilich nicht, aber 
das Vieh beschmutzt sich auch nur im Stalle und auch nur da, wo die 
Menschen es liederlich abwarten. Im Freien badet es sich im kalten 
Wasser, wo es welches trifft, und blei t deshalb und weil's keine Klei 
der und Schuh anhat, gesünder als der Mensch, der sich seine Haut in 
jeder Art verweichlicht und deshalb mit der Zeit wohl krank werden 
muß. — Fr. H.: Lieber Döken, Ihr mögt wohl ein recht guter Hirte 
und Viehwirth sein, aber von der Menschenpflege, nehmt mir's nicht 
übel, scheint Ihr nicht viel zu verstehen; wie aber noch dazu das warme 
Bad dem Kinde den Husten zuziehen soll, begreife ich nicht. — D.: 
Weis auch nicht, wie's zusammenhängt, aber das hab' ich in meinem 
langen Leben oft beobachtet, daß solche Leute, die sich immer recht ein 
packten, in den warmen Bädern herumreis'ten und zu Hause wie oft 
die Woche in warmen Wannen saßen, auch fast immer rechte Hustarier 
waren; wahrscheinlich verkälteten sie sich leichter und's warf sich auf 
die Lunge bei ihnen. — Fr. H.: Und Er glaubt wirklich, daß einem 
Kinde ein so nothwendiges warmes Bad schaden könne? D-: Hm! 
nothwendig ist es erstens nicht und zweitens schaden muß cs, denn 
die Haut stirbt nach und nach fast ab darin. — Fr. H: Ach er wird 
doch nicht klüger sein wollen, als der Arzt aus ber Stadt, der mir nie 
davon gesagt hat, daß ein warmes Bad schaden könne! — Und damit 
war die Unterhaltung abgebrochen worden. (Fortsetzung folgt.) 
Druck von L i e p sch & R e i chardt in Dresden. 
Ausübung des fiebererzeugenden Halbbades.
	        
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