Volltext: Der Naturarzt 1891 (1891)

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tzas kälteste Wasser verwendet, doch nur für wenige Sekunden bis 
höchstens 2 Minuten; 2. seine kurzen, 2—6 Sekunden dauernden kalten 
Halbbäder; 3. seine Abhärtungsmaßregeln, zu denen er in erster 
Linie das Barfußgehcn (im Zimmer 10 bis 20 Minuten; auf nassen Steinen 
2—5 Minuten; im Wasser 3—5 Minuten; im nassen Grase 5—10 Minuten; 
auf srischgefallenem - nie auf gefrorenem— Schnee 1—5 Minuten) rechnet; 
4. fern „Naß in die Kleider", das für die Nerven eine so außerordentliche 
Wohlthat ist, daß es sicher niemand mehr anders macht, der es nur einmal 
probiert hat; 5. seine^Heublumen- (Grasgesäme) Einwicklungen, die unsere . 
Dampfkompressen in ganz idealer Weise ersetzen. Die Diät ist höchst einfach.. 
In Wörishofen giebt es früh und abends Suppe von Kraftmehl oder von 
Brot aus Vollmehl; zu Mittag gemischte Kost, und zwar, wie Kneipp sagt: 
„Nicht wenig, aber gut, denn das Wasser zehrt." Dabei ist Kneipp ein ge 
schworener Feind des Kaffee und achtet auch Bier und Mein, selbst das 
Waffer als Getränk sehr gering: „Der Wein ist mir zu teuer, das Bier zu 
schlecht und das Wasser zu naß." Bezüglich der Kleidung geht Kneipp's 
Anschauung dahin: Keine Wolle, sondern grobe Leinwand als Leibwäsche. 
Alle Kleider müssen weich sein, damit sie den Kreislauf der Säfte nicht 
stören, und lustig, damit nicht die Haut den Ausschcidungsstoffen ausgesetzt 
bleibt, sondern immer und immer wieder Zufuhr frischer Luft erhält. 
Bezüglich der Grundanschaungen steht Kneipp selbstverständlich auf 
demselben Boden wie wir. Nur zwei. Aussprüche von ihm sollen dies kenn 
zeichnen: „Ein guter Wirt (die Natnrheilkraft) wirft die Lumpen-(Krankheit) 
selbst hinaus", und „Wo ein Loch ist (Eiterfistel), da ist ein Fuchs (im innern 
ruhende Krankheit); will ich helfen, so muß ich den Fuchs fangen, und hernach 
fällt das Loch ganz allein zu." 
Zur Würdigung der Kneippkur möge folgender Vergleich dienen: In 
den Schulen des Mittelalters bot der Lehrer den Schülern nur geringe Unter 
stützung; seine hauptsächlichste Thätigkeit bestand darin, abzuhören und mit 
dem Stocke den Lerneifer anzuspornen. Nur wer genug geistige Kraft besaß, 
lernte etwas, dann aber auch etwas Ordentliches. 
Damit vergleiche ich die Kaltwasserbehandlung. Wuchtigen Hieben gleich, 
wirkt das frische Wasser auf den Organismus ein; soll dieser aber seine Aus 
gabe erfüllen, die in ihm lagernden Krankheitsstoffe ausscheiden, so muß er 
ganz allein, unter Aufwand aller seiner Reaktionskräfte die Arbeit besorgen; 
Einwirkungen von außen helfen ihm nicht viel. 
Darnach kam in den Schulen die philanthropische Richtung,' welche die 
Kinder ausbilden wollte, ohne dieselben anzustrengen. Sie sollten gewisser 
maßen alles spielend erlernen. Dem gleicht die Wasserbehandlung unserer 
Tage. Nicht selten rein mechanisch wird durch Dampf und warmes Wasser 
das Blut nach der Haut gelockt und ihm eine Gelegenheit geboten, Unreines 
abzugeben und sich mit dem Sauerstoff der Luft zu verbinden. 
In der Erziehung sah man aber gar bald ein, daß die zu milde Rich 
tung verkehrt war: derartig Erzogene bewährten sich nicht in den Stürmen 
des Lebens, wurden für zu schwach befunden im harten Kampf ums Dasein. 
Und wenn in der Krankenbehandlung Rauße bei der Kritik des unvergleich 
lichen Prießnitz die Befürchtung ausspricht, wir möchten in späteren Jahren 
ins Gegenteil verfallen und der warmen Behandlung einen zu breiten Raum 
gewähren, so ist seine Befürchtung bereits eingetroffen. 
Im Schulwesen ist die Reform schon lange eingeleitet worden. Man 
verlangt sowohl vom Lehrenden als vom Lernenden die Anspannung aller 
Kräfte. So muß es auch bei uns werden. Denn nur der Mensch ist ge 
sund, der auf die Einwirkungen der Außenwelt schnell und kräftig reagiert.
	        
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