Volltext: Der Naturarzt 1891 (1891)

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Fehlt dem Organismus dies Vermögen, so muß es ihm wieder angewöhnt 
werden. Dies kann aber nur geschehen, wenn wir bei unseren Einwirkungen 
die normalen physiologischen Vorgänge nachzuahmen suchen. Durch einen k u r z e n aber 
kräftigen Nervenreiz lösen die Kneipp'schen Kurformen da, wo die Kräfte 
noch nicht ganz erloschen sind, die entsprechenden Reaktionserscheinungen in den 
Centralorganen aus. Uebt man den Körper oft und wiederholt in gleicher 
Weise, so lernt derselbe endlich von selbst wieder richtig zu funktionieren; zu 
gleich aber wird er gegen äußere Einflüsse von Tag zu Tag widerstands 
fähiger. 
Es ist besonders Dreierlei, was die Kneipp-Kür zum Siege führen wird: 
1. Sie verbindet die Heilfaktoren: Luft, Licht, Bewegung und Wasser zu 
einem einheitlichen Ganzen, so daß dieselben in schönster Harmonie ihre Heil 
kräfte entfalten können. Die Kneipp'schen Kurformen werden nur dann ange 
nehm empfunden, wenn man sich in frischer sonniger Luft gut warm gelaufen 
hat, und wirken nur dann in erwünschter Weise und in einer für den Kranken 
wohlthuenden Art, wenn derselbe nachträglich wieder kräftig marschiert. So 
sind die „Kneipper" gezwungen, einen großen Teil des Tages im Freien sich 
bewegend zuzubringen. 
2. Die Kurformen nehmen nur sehr wenig Zeit — höchstens fünf Mi 
nuten — in Anspruch; heutigen Tags ein ungeheurer Vorzug. 
3. Die Güsse sind so billig herzustellen, daß auch der Aermste die Kosten 
erschwingen kann. 
Darum müssen wir uns näher mit Kneipp beschäftigen, sollten wir ihm 
näher treten und seine Methode studieren und erproben. 
Der größte Teil der Kneipp'schen Kur ist von größtem Werte; damit 
soll aber nicht gesagt sein, daß alles, was für die naturgemäße Krankcn- 
behandlung von Vorteil ist, auch von Kneipp angewendet wird. 
Redaktionszusatz. Der Redakteur des ,,Naturarzt" hat seiner 
Stellung zu Kneipp und seiner Kur wiederholt andeutungsweise Ausdruck ge 
geben und betont endgiltig nochmals dieses: Kneipp ist sicher ein naturärzt 
liches Naturgenie, wie Prießnitz und Schroth es waren. Als Schriftsteller 
und Vortragender spricht er zum Fassungsvermögen und Herzen des Volkes 
wie selten Einer. Daß er Priester ist, wie Prießnitz ein Bauer und Schroth 
ein Fuhrmann waren, läßt seinen Nimbus bei vielen etwas heller strahlen; 
denn das Außergewöhnliche zieht an. Wäre er gewöhnlicher Arzt oder Laien 
arzt, hätte er die Berühmtheit sicher nicht erlangt. Wir freuen uns seiner 
unerhörten Erfolge für Massenausbreitung unserer Ideen und freuen uns auch, 
daß die Warmwasser- und Dampf-Partei in unseren Reihen durch Kneipp 
wieder zu — Prießnitz hingeführt wird. Kneipp's Heilkräutlein gehen uns, 
die wir Männer und keine Kinder, die ein Spielzeug für ihre glaubensseltge 
Phantasie brauchen, sind, nichts an. Wir wollen Kneipp nur als neuen In 
terpreten der Wasserheilmethode geschätzt, nicht aber als Schöpfer einer 
neuen Heilmethode überschätzt wissen. Das wäre eine Sünde gegen unsere 
großen Toten! Das kalte Wasser, die Kürze der Prozeduren, das teilweise 
Nichtabtrocknen, das Barfußgehen re. haben ihre Wiege auf demGräfen- 
berge, nicht in Wörishofen. Kneipp vertritt ein einseitiges System, vereinfacht 
aber die Heilformen bedeutend. Er ist das Ideal eines Arztes, wie ich cs in 
der Dr. Schindler-Biographie zu zeichnen versucht. Das ist und bleibt unsere 
objektive Würdigung für alle Zeit.
	        
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