Volltext: Der Naturarzt 1891 (1891)

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Pfarrer Aneipp uttfc seine Aur. 
Von E. Köhler, Naturheilkundiger, Braunschweig? 
Wörishofen, ein Bauerndorf auf der Schwäbisch-Bairischen Hochebene^ 
zählt gegen 1100 Einwohner; landwirtschaftliche Schönheit geht ihm völlig ab. 
Da es nicht an der Bahn liegt, so ist es ziemlich unbequem zu erreichen (am 
besten mit Geschirr von Türlheim — an der Linie Buchloe-Memmingen — 
aus). Rechnet man dazu. daß der Ort gar nichts thut für Wege, so daß die 
Kranken gezwungen sind, bei schlechtem Wetter, Gefangenen gleich, auf ihren 
Zimmern zu bleiben, daß die Wohnungen kaum den bescheidensten Anforde 
rungen entsprechen, die Verpflegung viel zu wünschen übrig läßt, für Unter 
haltung und Zerstreuung gar nichts gethan wird — so wird man gewiß staunen, 
wenn man hört, daß Wörishofen am 26. Februar 1891 über 350 Kurgäste 
zählte. Unter 300 war die Zahl selbst zu Weihnachten nicht gesunken. 
Was ist's nun, das die Kranken aus allen Gegenden der Welt hierher 
lockt? Einzig und allein der Name Kneipp übt eine so große Zugkraft 
auf alle Leidenden aus und hat bei Armen und Kranken einen so guten Klang. 
Dabei ist Hochwürden die Bescheidenheit selbst. Fast ängstlich hat er es ver 
mieden, an die Oeffentlichkeit zu treten, und nahezu 30 Jahre hat er gewartet, 
bevor er sein epochemachendes Werk „Meine Wasserkur" der Mitwelt übergab. 
Besonders rühmenswert aber finde ich sein offenes und freundliches Entgegen 
kommen gegen alle, die sein Heilverfahren kennen lernen wollen. Mit einer 
Uneigennützigkcit ohnegleichen erlaubt er, daß in den Sprechstunden seine Kuren 
studiert werden; wo es nur irgend angeht, giebt er belehrende Bemerkungen 
für seine Schüler, zu denen jetzt schon über 100 approbierte Aerzte gehören. 
Hält man dazu, was er für die Armen thut — sowohl deren kostenfreie Be 
ratung, wie auch durch direkte Unterstützung — wie uneigennützig er auch 
die Reichsten behandelt, so erhält man das Bild eines edlen Mannes und 
hehren Priesters. 
Seinem Wesen entspricht auch seine persönliche Erscheinung. Ein 
außerordentlich kräftiger, 70 Jahre alter, freundlicher Herr in weißem Haar, 
das schwarze Käppchen auf dem Kopf, die Zigarre in der Hand, sitzt er, um 
geben von 5—8 Aerzten und ebensoviel Priestern am Tische, hört von den 
vor ihm stehenden Leidenden den Krankenbericht, stellt einige kurze, treffende 
Fragen und diktiert dann zwei Herren, die links und rechts von ihm sitzen, 
abwechselnd die Kurverordnungen. Das geht mit einer Ruhe und Sicherheit, 
die Vertrauen erweckt, mit einer Raschheit, die erstaunlich ist. Auf solche 
Weise allein ist es auch nur möglich, die große Zahl der Hilfe- und Ratsuchenden 
<in der Regel 60—70 in einer Sprechstunde (am 23. Februar 1891 über 150) 
zu befriedigen. Wenn sich manche Zeitungen über die Art und Weise der 
Krankenberatung, wie sie Kneipp üöt, lustig machen, so verstehen sie eben die 
Verhältnisse nicht zu beurteilen. 
Welche Mittel aber sind es, durch welche Kneipp so große Erfolge 
zeitigt, daß ihm die Kranken in Scharen zuströmen? Es sind die denkbar 
einfachsten Wässeranwendungen: Abwaschungen, Bäder, Güsse, Packungen, ver 
bunden mit einer Anzahl von Hausmitteln, wobei natürlich alle Gifte streng 
verpönt sind. Der Kneipp, wie er uns in Wörishofen gegenübertritt, ist ein 
ganz anderer als der, welchen man sich in der Regel aus seinen Büchern kon 
struiert. Ich halte es darum für eine Sünde gegen unsere Sache, für eine 
Sünde gegen unsere Kranken, wenn wir uns ablehnend gegen Kneipp ver 
halten. Sein Verfahren ist der redlichen und aufrichtigen Prüfung wert, und 
wer sich dieser Mühe unterzieht, wird gar manche Goldkörner entdecken. 
Als solche sind zu betrachten 1. seine Güsse, zu denen er nur
	        
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