Volltext: Der Naturarzt 1863 (1863)

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oder einfache Mehlspeise und gekochtes Obst. Nach 2 Uhr 
wieder in's Freie bis vor 3 Uhr. Vor 4 Uhr abermals in 
die feuchte Wickelung bis nach 6 Uhr, wo wieder das abge 
schreckte Halbbad bis zum leichten Schüttelfrost gegeben, dann in's 
Bett zurück; nach der Wiedererwärmung den feuchten Rumpf 
umschlag über Nacht; als Abendbrod: süße Milch oder ge 
kochtes Obst mit altbacknem Hausbrod. Wasser als Getränk 
den Tag über: nicht unter 2 Schoppen. 
Nachdem ich die Leute insgesammt getröstet und aufge 
muntert hatte, ja den Muth nicht zu verlieren, denn das 
Wasser werde seine Wirksamkeit als Heilmittel auch hier be 
währen, reiste ich mit dem letzten Bahnzuge um 7 Uhr wei 
ter. Es vergingen 8, 14 Tage, 3 Wochen — die Berichte 
meldeten keine Veränderung im Typus der Paroxhsmen, wohl 
aber daß dieselben nicht mehr so heftig und so lange dauernd 
seien, sie enthielten aber auch Klagen über die Kur, welche in 
dem kalten Winter dem empfindlichen reizbaren Jungen just 
nicht recht gefallen wollte. Nach dem vierten Wochenbericht 
ließ ich das morgentliche Halbbad mit einer nassen Abreibung 
und nachherigen Kopf- und Rückgralsbegießung von 12" 
Wasser vertauschen, das abendliche Halbbad von 18" bis zum 
Schüttelfrost aber blieb. Der fünfte Bericht meldete end 
lich eine Veränderung im Typus der Paroxysmen, 
nämlich daß dieselben jetzt erst um 10 Uhr Vormittags kä 
men, dafür aber Abend bis 10 Uhr dauerten Seit Beginn 
des Leidens hatte der Kranke seinen Schulbesuch aussetzen 
müssen, sowohl wegen seiner eigenen Unfähigkeit, als auch 
wegen des üblen Eindrucks, den ein solches Leiden auf dessen 
jugendliche Umgebung machte. Es war nun Freude in Is 
rael, denn die Krankheit hatte einen „Rücker" gethan, wie 
man hier zu Lande zu sagen pflegt und die Leute sahen ein, 
daß die Cur „wirkte"; namentlich war der Eindruck auf 
den Kranken selbst ein dynamisch-günstiger, da bislang die 
Unveränderlichkeit des Leidens sein Gemüth stark deprimirt 
und er bereits auch schon an dem günstigen Erfolg einer 
Wasserkur gezweifelt hatte. Nun hoffte auch er auf Wieder 
genesung, hatte Hoffnung, bald den so lange unterbrochenen Schul 
besuch wieder beginnen zu können. Der Typus der Chorea 
änderte sich von jetzt an allmählig so, daß die Anfälle bei 
Tage immer später eintraten und Abends bis in die Nacht 
hinein währten, wo der Kranke dann in der Zwischenzeit leich 
ten Schlafes genoß, aber immer wieder mit dem ersten Glocken 
schlage erwachte und seine dämonischen Capriolen begann. 
Diese Veränderung war schon ein großer Gewinn für den 
Kranken, denn nun konnte man ihn den Confirmations-Unter- 
richt, sowie auch die Schule wieder besuchen lassen, ja, als 
die Anfälle bei Tage ganz ausblieben und nur noch Nachts 
kamen, und auch da bereits sich auf blos 2—3malige Besuche 
beschränkten, so widerstrebte ich nicht, einzuwilligen, daß man 
ihn den feierlichen Act der Confirmation in der Kirche mit 
machen lasse, obwohl ich mir nicht verhehlen konnte, daß die 
voraussichtlich große gemüthliche Aufregung vor wie während 
des Actes mächtig auf den Kranken einwirken müsse. Es 
ging aber Alles wider Erwarten ganz gut vor 
über, die Feierlichkeit wurde durch keinen Paroxysmus ge 
stört. Ich ließ jetzt den Patienten Anfangs Mai zu mir in 
die Schweiz kommen, und fing neben der bisherigen nur hier 
und da etwas modificirten hydriatrischen Behandlung nun 
auch die methodische Uebung der Muskeln mit ihm 
an (namentlich wandte ich neben einer Anzahl activer auch 
mehrere duplucirte passive Bewegungen, wie sie die schwedische 
Schule lehrt, bei ihm an), was sichtbar von guten Folgen 
war, denn die Anfälle setzten schon gegen Ende Monats auf 
3—4 Nächte g anz aus und nach weiteren 2—3 Wochen be 
schränkte sich die Chorea auf einen einzigen Paroxysmus 
während der Nacht, einen Fall einer ganzen Woche, dauerte 
dqnn aber länger, einmal von 2 Uhr Morgens bis gegen 
5 Uhr früh. Da der Kranke seine sicheren Vorboten hatte, 
in welcher Nacht der Anfall kommen werde, so ließ ich ihn 
in selbiger gar nicht in's Bett gehen, sondern in einem klei 
nen Zimmer angekleidet sich auf 2 neben einander auf 
dem Boden befindliche Matratzen, mit einer Wolldecke bedeckt, 
legen, während an den Wänden herum ebenfalls Matratzen 
angebracht waren, denn ich hatte die Bemerkung gemacht, daß 
je seltener der Besuch der Chorea war und je länger ein Pa 
roxysmus dauerte, desto toller auch die Sprünge, welche den 
Kranken mehrere Fuß hoch in die Höhe, desgleichen mit Macht 
an die Wände schleuderten, daß mir, dem jedesmaligen stillen 
Beschauer, so einsam in der Nacht, ob des Dämonischen dieses 
Anblickes , fast grauste. Anfang Juli ließ ich den Kranken 
mit guten Rathschlägen, bezüglich seines diätetischen Verhal 
tens, versehen, nach Hause gehen, wo er dann zur Nachkur 
im Freien noch Flußbäder so lange es die Witterung erlaubte, 
nehmen und die gymnastischen Uebungen fortsetzen mußte Im 
Ganzen noch dreimal zeigte sich daheim die Chorea bei ihm 
und Anfangs September war laut brieflicher Nachricht der 
allerletzte unbedeutende nächtliche Anfall vorge 
kommen. 
Es sind seit dieser Zeit volle 7 Jahre verfloffen, aus 
dem Jungen ist ein stattlicher junger Mann mit geraden Glie 
dern geworden, der bislang einer guten Gesundheit sich er 
freute, das väterliche Handwerk erlernte, und damit sich sein 
Brod verdiente. Jede Oster- und Michaelis-Messe ist er in 
Leipzig streng beschäftigt, was mit nicht geringer geistiger und 
körperlicher Aufregung verbunden ist, sonstiger diätetischer 
Nachtheile nicht zu gedenken! Den Sommer über hält er eine 
Bude mit Geißlinger Beinwaaren in Baden-Baden, wo er 
Jedem gerne Bescheid geben wird, der von ihm die eigene 
Schilderung seines Leidens wünschen sollte. Sein Name ist: 
Albert Kauzmann, Beinwaarenfabrikant aus Geißlingen. 
(Fortsetzung — Mittheilung des zweiten Falles — folgt.) 
Aus dem hydro-diätetischen Verein zu Dresden. 
Wie wir schon im vorigen Jahrgange („der Wassersreund") S. 266. 
bei Gelegenheit eines Artikels über obengenannten Verein versprochen, 
verfehlen wir hiermit nicht, unsere von nun an regelmäßigen Mitthei 
lungen über diese theils alt, theils jung zu nennende Pflanzstätte der 
Naturheilkunde zu beginnen. Als alt d. h. schon länger wirkend kann 
man sie deswegen bezeichnen, weil die Gründung der fragl. Gesellschaft 
schon am 1. Dezember 1835 unter demselben Namen erfolgte, wiewohl 
später eine Zeit lang den Titel „Verein von Wasserfreunden" anneh 
mend; neu ist dagegen der Verein in seinem jetzigen Charakter, der 
vom l. Oetober 1862 datirt, wo er sich gewissermaaßen neu constitu- 
irte, den ursprünglichen Namen des „hydro-diätetischen" Vereins wie 
deraufnahm und neue Statuten einführte, welche wir in einer der näch 
sten Nummern ebenfalls vorführen werden. Der neue Charakter des 
Vereins besteht darin, daß er, während er sich f r ü h e r in feiner Thä 
tigkeit hauptsächlich darauf beschränkte, seinen Mitgliedern und durch 
diese eingeführten Gästen Beispiele aus dem Leben von der nütz 
lichen Wirksamkeit des Wasserheilverfahrens vorzuführen und daran 
gegenseitige Besprechungen zu knüpfen, jetzt diese Art von Wirksamkeit 
welche man die praktische zu nennen pflegt, zwar nicht aufgab, aber 
doch neben, ja vor ihr, auch der T heorre d. h. der lehrmäßigen Vor 
führung der Grundsätze der Naturheilmethode eine besondere Aufmerk 
samkeit zuwendete. Daran hat nun der Verein, nach unserm Dafür 
halten, sehr wohlgethan; denn der dermalige Bildungszustand bringt
	        
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