Volltext: Katholische Dichtung

VERLAG JOSEF KÖSEL & FRIEDRICH PUSTET MÜNCHEN 
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JULIANA VON STOCKHAUSEN: 
NORDLAND 
„Ja, Trondhjem, da find noch alte Häufer, ach, und die Chriftkirche!“, hatte 
man uns wieder und immer wieder gefagt. 
Ich fieberte diefem Erlebnis entgegen; ich lehnte mich nach einer großen 
Geftaltung des nordifchen Mittelalters, nach einer gewaltigen Äußerung der 
chriftlichen Seele. Ich war fo begierig, hoch im Norden endlich eine große 
Architektur zu fehen. Es gibt ja hier fo wenig Derartiges. Das Schloß in Oslo 
ift kaltes Empire; Fefte Akershus ein gleichermaßen klotziger und unbefeelter 
Haufen Stein; die wenigen Kirchen find Kinder eines nüchtern pedantifchen 
neunzehnten Jahrhunderts. Was ich bis jetzt befaß, war nur die tiefe Erinne 
rung an die Ruinen der Domkirche in Hamar. 
Dort hatte der gewaltige Säulenbogen mich fragen laffen, ob es überhaupt 
diefem Volke gegeben fei, fein Wefen in Bauten aus Stein zu bannen, ob es 
nicht Vorausfetzung gewefen war, daß fremde Mönche hierher kamen, um 
einen Dom zu geftalten, und ob das Kunftwerk diefes Baues nicht notwendiger 
weife zum Steinbruch werden mußte, als diefe Mönche, vertrieben, außer 
Landes gingen. Sollte es dem Norweger genügen, fich feine Wohnftätte aus 
dunklem Holze zu fchaffen, angefüllt mit einer buntgemalten, gefchnitzten 
Kleinkunft; follte es höchfter Ausdruck feines architektonifehen Gefühles fein, 
Stabkirchen zu errichten? Genügt es wirklich feiner Seele, fich in dem kraulen 
Rankenwerk einer Portalfchnitzerei zu offenbaren? 
Nirgends in diefem Lande voll Stein find fteinerne Bauten, die Zeugnis geben 
von geftaltender, künftlerifcher Kraft. Auf keinem diefer Berge türmen fich 
Burgen, die von eines Gefchlechtes wildem Trotz und ftarrem Willen künden. 
Nirgends liegen Schlöffer verfchwenderifch und anmutig in ein fanftes Tal 
gebettet. 
Freilich, diefes Volk war immer arm; das Land ift karg. Aber war nicht 
Frankreich geradezu verhungert, ausgefogen und verelendet, als dort das 
Rokoko die füßeften Träume aus Stein fchuf? War das Deutfchland des fieb- 
zehnten Jahrhunderts nicht durch die fchauerlichften Kriege verwüftet, und 
doch blühte auf den Trümmern feiner Städte das überwältigende Pathos des 
Barock! 
Unklar dämmerten Zufammenhänge in mir auf! 
Ich dachte darüber nach, daß diefes nordifche germanifche Volk wohl fernab 
und unberührt von den Erfchütterungen Europas dahingelebt habe. Kein 
fremder, kein bildnerifch füdlicher Tropfen kam in fein Blut; kein lateinifcher 
Geift klärte die dunkle, nordifche Woge. Was vielleicht der katholifehen Idee 
geglückt wäre: Verbindung, Geift und Blutmifchung mit der großen Welt her- 
zuftellen, das wurde allzu früh zerriffen. Der Drang einzelner nach Expanfion 
zerging in vereinzelten Abenteuerfahrten. Was im Lande blieb, war Bauern 
volk, und Bauern geftalten weder ein Reich noch eine große Kunft. Diefem 
nüchternen und arbeitfamen Stamme genügten feine fchweren Höfe, feine 
hölzernen Kirchen. Seine Sippen fanden Befriedigung darin, in langen Winter-
	        
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