Volltext: Der Weltkrieg der Dokumente

1879 
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dieser letzten Worte mild und nichts weniger als drohend gewesen 
sei, machte er doch auf Bismarck einen sehr tiefen Eindruck. Er blieb 
dabei, Deutschland habe sich überhaupt nur aus Gefälligkeit für 
Rußland auf die ganze orientalische Frage eingelassen. Russische 
Drohungen in der Presse oder gar aus dem Munde des Kaisers 
Alexander könnten Deutschland nötigen, diese Unparteilichkeit zwi 
schen beiden Nachbarn aufzugeben, aber gewiß nicht zu Gunsten 
der drohenden Seite 1 . Der Kanzler ließ den Schweinitzschen Bericht 
dem Kaiser vorlegen und ihn auf die Folgen vorsichtig aufmerk 
sam machen, die bei der großen Undankbarkeit Rußlands ein Thron 
wechsel in Rußland für Deutschland haben würde. Die Bezie 
hungen zu Österreich und England müßten daher sehr schonend 
behandelt werden. Wir könnten uns nach den Erfahrungen seit 
1875 unmöglich so weit für Rußland engagieren, daß es nachher 
nur von seinem Belieben abhängen würde, uns vollständig in 
Europa zu isolieren. Kaiser Wilhelm sollte aber nicht den Eindruck 
gewinnen, als beabsichtige Bismarck eine plötzliche Wendung der 
deutschen Politik 1 2 . 
An dem gleichen 15. August 1879, an dem Bismarck diese 
Weisungen von Kissingen nach Berlin gehen ließ, schrieb der Zar 
einen Brief an Kaiser Wilhelm I., der für die Entwicklung der 
deutsch-russischen Beziehungen eine ausschlaggebende Bedeutung 
gewinnen sollte 3 . Dieses Schreiben steigerte Bismarcks Besorg 
nisse aufs äußerste. Der Zar beklagte sich über die russenfeind 
liche Haltung der deutschen Diplomatie, die mit allen Freund- 
schaftsstraditionen der beiden Mächte in vollstem Widerspruche 
stehe. Deutschland unterstütze überall die Österreicher. Ein solches 
Verhalten könne traurige Folgen zeitigen und die Nationen gegen 
einander aufbringen, wie es die Presse der beiden Länder bereits 
zu tun beginne. Ein Interesse Deutschlands, dasjenige Rußlands 
zu opfern, könne er nicht anerkennen und erinnerte wiederum 
an die russischerseits Deutschland 1870 geleisteten Dienste. „Ich 
würde mir nicht erlaubt haben, Sie daran zu erinnern, aber die 
Dinge nehmen eine zu ernste Wendung, als daß ich Ihnen die 
Befürchtungen verhehlen dürfte, die mich erfüllen, und deren Folgen 
für unsere beiden Länder unheilvoll werden könnten. Möge Gott 
uns davor bewahren und Sie erleuchten.“ 
Dieser Brief bildete zweifellos eine ausdrückliche Bestätigung 
der Eindrücke, über die der Botschafter v. Schweinitz am 8. August 
berichtet hatte 4 . Bismarck war durch seinen Wortlaut stark betroffen. 
Kaiser Wilhelm hatte den Brief nach Gastein geschickt, wo Bis 
1 Qr. Pol. Nr. 444. 
2 Qr. Pol. Nr. 445. 
8 Gr. Pol. Nr. 446. 
4 Siehe o. S. 54 (Or. Pol. Nr. 443).
	        
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