Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

§ 45. Verarmung der deutschen Gemeinden im XIV. Jahrhundert 
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Städte an den kaiserlichen Schatz den einmaligen Beitrag von 4o ooo 
Gulden zu entrichten. Im Jahre i3go griff Wenzel zu einer noch viel 
einschneidenderen Enteignung der Juden. Von dem bayerischen Her 
zog, den Bischöfen und den Magistraten einiger bayerischer Städte 
(Nürnberg, Rothenburg u. a.) bestochen, erklärte er nämlich, daß 
angesichts des von den Juden in diesen Städten getriebenen Wuchers 
die christlichen Schuldner von ihren Verpflichtungen gegenüber den 
jüdischen Gläubigern gänzlich frei seien und daß sie statt dessen einen 
bestimmten Teil der geschuldeten Summe an den Kaiser oder an die 
Magistrate zu entrichten hätten. Der Herrscher eines großen Reiches 
gestattete so in aller Form, einen Teil der Bevölkerung zu berauben, 
um sich dann zusammen mit dem anderen Teil an der Beute zu be 
reichern. Die Juden handelten mit Geld, die Herrscher aber mit den 
Juden, und dieser Kreislauf des Handels kam einzig und allein den 
von ihren Verpflichtungen immer wieder befreiten Schuldnern und 
den sich mit ihnen in die Beute teilenden Machthabern zugute. Die 
jenigen aber, die im Besitze des verhaßten Privilegs des Zinsdarlehens 
waren, jagten nur einem Schatten nach. Die Juden Deutschlands waren 
zu völliger wirtschaftlicher Verkümmerung verdammt. 
Nicht weniger gewissenhaft sorgte der hohe „Vormund der Ju 
den*' auch für den Schutz seiner Kammerknechte vor Massenaus 
schreitungen und sonstigen Raubüberfällen. In Prag, der böhmischen 
Residenz Wenzels, kam es während der Osterzeit i38g zu folgendem 
Vorfall. In einer Straße bewarfen jüdische Kinder in übermütigem 
Spiele einander mit Sand, als gerade ein katholischer Priester des We 
ges kam. Eine Handvoll Sand traf zufällig das von diesem getragene 
Sakramenthäuschen. Der Priester lief nun auf den Marktplatz und 
rief laut, daß die Juden seine geistliche Würde entweiht und ihm das 
Sakrament aus der Hand geschlagen hätten. Das von allen Seiten her 
beieilende Volk rüstete sich mit Äxten, Knüppeln und ähnlichen Waf 
fen aus, umstellte die jüdischen Häuser und verlangte, daß sich die 
Juden auf der Stelle taufen ließen. Die Prager Juden waren aber 
unbeugsam und mußten ihre Treue mit ihrem Blut büßen. Im 
Laufe dieses Tages und der darauf folgenden Nacht wurden mehrere 
Hunderte von ihnen in grausamster Weise niedergemetzelt; viele nah 
men sich, dem Beispiel ihres Rabbiners folgend, selbst das Leben. 
Die Synagoge wurde eingeäschert, die Thorarollen sowie die heiligen 
Bücher wurden zerfetzt und zerstampft und auch der Friedhof blieb
	        
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