Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

§ 38. Rabbinismus und konservative Philosophie (Crescas) 
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nes Glaubens entdecken und dürfe sie keineswegs anderswo zu fin 
den hoffen. Die in den Tiefen des Judaismus wurzelnde Philosophie 
lehre im Gegensatz zu der aristotelisch-maimonidischen, daß die 
höchste Vollkommenheit nicht im Denken oder in der Erkenntnis, 
sondern in der tätigen Liebe zu Gott beschlossen liege, daß allein 
die sittliche, nicht aber die intellektuelle Vervollkommnung den Men 
schen Gott, dem Urquell des Guten, näher bringe. Von den zwei 
biblischen Geboten: „Erkenne deinen Gott 4 * und „Liebe Gott mit dei 
nem ganzen Herzen“ gibt Crescas, im Gegensatz zu der rationalisti 
schen Schule, dem zweiten den Vorzug. Ferner behauptet er, daß die 
göttliche Vorsehung sich nicht nur auf die Gesamtheit, auf die Ge 
schicke ganzer Völker, sondern auch auf die der Einzelindividuen, 
auf das Leben jedes einzelnen Menschenwesens erstrecke. Indessen 
sei die Prädestination nicht grenzenlos: vorausbestimmt seien ledig 
lich das äußere Geschehen, nicht aber die inneren Willens- und Ge 
dankenregungen der Vernunftwesen, weshalb denn auch ein das Gute 
anstrebender und das Böse von sich weisender Mensch für den von 
ihm bekundeten guten Willen, unabhängig von dessen Wirkungen 
nach außen, der Belohnung teilhaftig werden könne. An Stelle der 
dreizehn maimonidischen Grunddogmen des Judaismus zählt Crescas 
deren nur acht auf: das Dogma von der Erschaffung der Welt mit 
samt der Materie, das von der Unsterblichkeit der Seele, von der Ver 
geltung im Jenseits, von der Auferstehung der Toten, von der ewigen 
Unabänderlichkeit der Thora, von der überragenden Bedeutung Moses' 
im Vergleich zu allen anderen jüdischen Gesetzeslehrern und von dem 
Kommen des Messias; in einer bizarr anmutenden Laune fügte Cres 
cas in sein Glaubensbekenntnis auch noch den folgenden mythischen 
Punkt als achten ein: den von der Offenbarung des heiligen Geistes 
durch die Vermittlung des vom Hohepriester einst benutzten Orakels 
„Urim und Tumim“ (Band I, § i3). Sein philosophisches Werk 
schrieb Crescas erst nach der Katastrophe vom Jahre i3gi zu Ende, 
bei der, wie erwähnt, sein einziger Sohn umgekommen war. Um die 
selbe Zeit verfaßte er in spanischer Sprache einen polemischen Trak 
tat über die Dogmen des Christentums, in dem er Glaubenslehren wie 
die der Erlösung von der Erbsünde, die Menschwerdung Gottes und 
das Dreifaltigkeitsdogma bekämpfte. Das Buch scheint vor allem jene 
Juden im Auge gehabt zu haben, die im Schreckensjahre i3gi zum 
Scheine die Taufe angenommen hatten, dann aber Gefahr liefen,
	        
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