§ 38. Rabbinismus und konservative Philosophie (Crescas)
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weniger Erfolg beschieden gewesen sein als dem gegen das Frei-
denkertum der Gebildeten. Der Cherem des Jahres i3o5 verbannte
die weltliche Wissenschaft und die Philosophie endgültig aus der
Schule, in der nunmehr der Talmud uneingeschränkt herrschte. Der
großartige Versuch des Maimonides, die Fluten des „talmudischen
Meeres“ einzudämmen, um für die weltlichen Wissenschaften freien
Spielraum zu schaffen, war mißlungen. Rosch, seine Söhne und
seine zahlreichen Jünger spannten über ganz Spanien ein Netz von
Jeschiboth nach deutschem Vorbilde, in denen die allumfassende Syn
these des Maimonides durch kleinliche scholastische Analyse ver
drängt wurde. Zu den Untersuchungen und „Responsen“ der Ge
setzeslehrer des vorhergehenden Jahrhunderts von der Art eines
Raschba gesellten sich nunmehr die halachischen Entscheidungen
des Rosch („Piske ha’Rosch“) und seiner Schule. Auf diese Weise
häufte sich eine so große Menge von neuen Gesetzesinterpretationen
und Rechtsentscheidungen maßgebender Rabbiner an, daß eine er
neute Kodifikation des geltenden jüdischen Rechts in Ergänzung des
Kodex des Maimonides zur unabweisbaren Notwendigkeit wurde. So
kommt denn im XIV. Jahrhundert eine ganze Literatur der „Sammler
von Gesetzesformulierungen und Rechtsentscheidungen“, der soge
nannten „Posskim“, zur Entfaltung. Das systematisch vollendetste
Werk dieser Literatur war der vom Sohne des Rosch, Jakob ben
Ascher (gest. um i34o), zusammengestellte Kodex „Turim“ („Rei
hen“). Aus diesem Kodex wurden alle staats-, sakral- und agrarrecht
lichen Gesetze, soweit sie das unabhängige Leben in Palästina voraus
setzten und daher in dieser Zeit nur noch rein theoretisches Interesse
hatten, gänzlich ausgeschieden, statt dessen aber viele auf rabbinische
Entscheidungen und Volksbräuche sich gründende Vorschriften als
geltendes Recht aufgenommen. Der umfangreiche Kodex „Turim“ be
steht aus vier Teilen. Der erste („Orach-chaim“) behandelt die den
Gottesdienst, den Sabbat sowie die Feier- und Fasttage betreffenden
Vorschriften; der zweite („Jore dea“) die Speisegesetze, die Vorschrif
ten über das Viehschlachten und das häusliche Leben; der dritte
(„Eben eser“) das Familienrecht: Ehe, Ehescheidung u. dgl. regelnde
Gesetzesvorschriften, der vierte („Choschen mischpat“) endlich das
Zivil- und Strafrecht. Die die Riten betreffenden Gesetzespartien sind
somit im Kodex „Turim“ im Vergleich zum Kodex des Maimonides
mit viel größerer Ausführlichkeit dargestellt, während der dogma