Volltext: Der Naturarzt 1891 (1891)

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Lung finden, eine vorausgehende Untersuchung nichr den mindesten praktischen Wert hat, daß 
daher die „Gefichtsausdruckskunde", selbst wenn etwas daran wäre, völlig überflüssig und 
wertlos ist. Wer Kühnes Sprechzimmer betritt, ist „belastet", ob etwas mehr oder weniger, 
ob mehr links- oder mehr rechtsseitig, ist nebensächlich, die Kurvorschrift für Alle steht schon 
vorher fest, wozu also die „Untersuchung"? Diese hätte nur dann emigen Wert, wenn Kühne 
einmal zu jemand sagen könnte: „Sie sind nicht belastet, daher gesund, brauchen also keine 
Kur, gehen Sie heim und preisen Sie Ihren Schöpfer!" Wie bemerkt, kommt aber ein 
Gesunder nickt hin, da es wohl niemandem einfallen wird, aus reinem Vergnügen eine Kur 
zu machen, und eine Kuhnekur schon gar nicht. Ist aber wirklich jemand, der sich sein Leb- 
Q tag immer außerordentlich wohl fühlte, also von Kranksein weit entfernt ist, einmal etwa 
als Reisebegleiter rc. mit zu Kühne gekommen, so hat dieser in der für ihn äußerst 
Zweckmäßigen Einrichtung einer sog. „Vorbeugungskur" immer das Mittel in der Hand, auf 
die Vornahme einer Kur zu dringen. Also: Wer immer sich dort sehen läßt, muß Kur 
machen und immer dieselbe. So mußte während meines Aufenthaltes in Leipzig ein mit 
dem kranken Vater gekommenes junges Mädchen von blühendem Aussehen und strotzender Ge 
sundheit ungeachtet der Versicherung, sich ganz und vollkommen wohl zu fühlen, auch eine 
§,Vorbeugungskur" machen und fleißig „reiben". Wahrscheinlich hat bte Kur gegen die nicht 
vorhanden gewesene Krankheit auch — geholfen. 
Käme nun einmal jemand mit einer äußerlichen Verletzung zu Kühne, so müßte dieser 
— wenn anders er nicht von vornherein als Charlatan gelten will— doch den speziellen 
Schaden besehen und nicht das Gesicht oder den Hals und müßte unter Umständen das 
Blut stillen, Wunden heften oder vernähen, das ausgerenkte Glied wieder in die richtige 
Lage bringen, Bandagen anlegen u. s. w, d. h. — wenn er dies alles kann, was ich für 
meine Person zu bezweifeln so frei bin. 
In dem Augenblicke, als die „Gesichtsausdruckskunde" als überflüssig und wertlos 
erkannt wird, fällt auch der so sehr gerühmte Vorteil in nichts zusammen, daß bei Kühne 
die den Frauen so peinliche körperliche Untersuchung entfällt. Allerdings fällt dort eine 
Untersuchung fort, wo eine solche überhaupt nicht stattfindet, denn die Kuhnesche Unter 
suchung mittels Gesichtsausdruckskunde ist in Wirklichkeit eine Nichtunter- 
suchung. Wenn ein Mediziner jedem Kranken dasselbe Rezept verschreibt, ein Naturarzt 
alle Kranken nach derselben Schablone behandelt, so brauchen auch sie keine Untersuchung 
^ vorzunehmen. Es wird gewiß jeder fühlende Mensch den warmen Wunsch hegen, daß ein 
Verfahren gefunden werde, welches Frauenleiden beseitigt ohne vorherige lästige und im 
höchsten Grade unangenehme Untersuchung. Vorläufig wird jedoch letztere kaum zu umgehen 
sein, in keinem Falle aber lediglich durch eine Nichtuntersuchung ersetzt werden können. 
Obwohl kein Freund des Messers, würde ich doch warnen, sich allzuviel auf Kühnes „ope- 
ratwnslose Hellkunst" zu verlassen und dadurch vielleicht die richtige Zeit zu verpassen, von 
einer kundigen Hand, wenn auch erst nach gründlicher Untersuchung, rasch und eventuell auch 
ohne Operation geheilt zu werden. Wie nun jemand, nachdem die Gestchtsausoruckskunde 
weiter für die Kurmaßnahmen, noch für den schließlichen Erfolg, auch nur den geringsten 
Wert besitzt und jeder mit den 5 Kuhneschen Heilfaktoren: Dampf-, Rumpf- und Reibebäder, 
Diät und frische Lust genau dasselbe erzielt, ob er sich nun auf die Gesichtsausdruckskunde 
ersteht oder nicht, für die Erlernung dieser überflüssigen Kunst auch noch zahlen kann, ist 
mr unfaßbar. 
In meinen weiteren Ausführungen folge ich nunmehr dem Kuhneschen Buche, von 
dem ich schon hier bemerken will, daß es ungemein fesselnd und vortrefflich geschrieben ist. 
Es ist nicht leicht, von dem Zauber dieser Darstellung und Schreibweise, der wirklich blenden 
den Beweisführung nicht gefangen genommen zu werden. 
Was Kuh.^e von der Lebensweise Vieler als krankmachende Ursache, ferner von der 
Schädlichkeit medizinischer Behandlungsweise sagt, ist vom Standpunkie eines Anhängers der 
Naturheilkunde aus so wahr und richtig, daß man diesen Teil des Buches sofort unterschreiben 
Zaun. Anders wird das Bild, wo er auf sein eigenes System zu sprechen kommt. Nach 
Kühne rührt jede K.ankheitsäußerung von dem Vorhandensein von Fremdstoffen im mensch- 
^ liehen Körper her. Diese Fremdstoffe können angeboren oder später erworben sein. Sie 
können längere Zeit im Körper ruhen, so daß das Befinden nicht oder nur wenig gestört ist, 
können aber auch aus irgend einem Anlasse aufrührerisch wcrd.n, in Gährurg geraten und 
in diesem Zustande F.eber und verschiedene Krankheitserscheinungen hervorrufen. Das 
Krankheitsbild mag aber welches immer sein: die eü-zige und alleinige Ursache ist stets und 
immer das Vorhandensein von Fremdstoffen, io daß Kahne nur eine einzige Krankheit an- 
mimmt, die lediglich in verschiedener Form zu Tage ritt. 
Diese Theorie hat tuel Bestechendes für sich, indem thatsächlich mancherlei im Körper 
zurückgebliebene Stoffe, Schlacken u. s. w. als Ursache vieler Krankheiten gelten können. 
Manche verlegen diese Stoffe ins Blut und folgern, daß viele -oder alle Krankheiten durch 
nicht mehr reines Blut entstehen. Kühne spricht sich nicht deutlich aus, wo nach seiner 
Meinung die Fremdstoffe ihre Ablagerungsstätte haben, ob in den Blutgefäßen, MuSkelrr
	        
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