Volltext: Der Naturarzt 1884 (1884)

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Hauptorgan unterstützen, dann könnte man sicher mehr leisten, aber ich erlebe es alljährlich, 
daß Personen, denen ich durch physiatrische Behandlung das Leben gerettet, oder die zer 
rüttete Gesundheit wieder restituirt habe und die nun voll Eifer und Begeisterung sich 
unserer Heilslehre zugewandt haben, nach 2, höchstens 3 Jahren den „N.-A." wieder ab 
bestellen oder nicht mehr bezahlen, so das; die Auflage dieses ältesten Organs der Natur 
heilkunde seit 14 Jahren nickt über das erste Tausend hinauskommt, was für Unsereins 
gerade nickt ermutigend wirkt, denn niemand thut gern leeres Stroh dreschen! Nichts desto 
weniger bin ich noch nicht wankend geworden und habe nach wie vor dem „N.-A." meine 
Kräfte gewidmet. 
Herrn C. Griebel in Meran. Sie schreiben unter anderem: Sollten Sie noch 
im Lause dieses oder bis Mitte nächsten Jahres nach hier kommen, so sind Sie wiederholt 
eingeladen, mein Gast zu sein ; ich werde wahrscheinlich nach Ablauf des hiesigen Pacht 
vertrags nach Deutschland zurückkehren, da meine Gesundheit infolge streng durchgeführter 
naturgemäßer Lebensweise fast nichts mehr zu wünschen übrig läßt und ich im lieben 
Vaterland wohl noch segensreicher auf dem Felde der Hygieine glaube wirken zu können, 
als im glaubensstarken Tyrol; das Land ist schön, aber die Menschen lassen manches zu 
wünschen übrig, nicht etwa, daß auck hier Fenier und Anarchisten ihre Lieblingsbeschäftigung 
„Mord und Totschlag" betreiben. Nein! Hierzu ist der Tyroler doch noch zu brav, aber 
eine furchtbare Untugend beherrscht ihn, nämlick: Nichtworthalten und glaubt er 
diese Untugend namentlich dem Ketzer gegenüber mit vollem Recht ausüben zu dürfen! 
Neben dieser schönen Eigenschaft besitzt der hiesige Insasse noch die des möglichst guten Lebens 
bei möglichst wenig Arbeit! Daß er unter gutem Leben steten Genuß von viel Wein, 
viel Tabak, viel Fleisch, viel schlechte Lust versteht, bekundet sein Gesundheitszustand, denn 
nirgends habe ich so viele Fälle von Rheumatismus, Gicht, Lungenentzün 
dung und Schwindsucht beobachtet, als in dem gottgesegneten Burggrafenamt Meran, 
wohin so viele Lungenkranke verschickt werden, um daselbst zu genesen. Und woher kommt 
dies wohl? Einzig durch die Lebensweise! Wie glücklich und gesund könnten 
die Menschen in dem herrlichen Klima, welches alle Bedingungen eines Paradieses bietet, 
leben, wüßten sie überhaupt zu leben, naturgemäß zu leben! aber dieses Nichtwissen 
ist ihr und auch der vielen nicht nur hier, sondern auch anderwärts Genesung suchenden 
Kranken Unglück. Der Glaube an den unfehlbaren Ablaß erstreckt sich, ähnlich wie zu 
des seligen Tezels Zeiten auf die kirchlichen, so jetzt auf die gesundheitlichen 
Sünden! A l l e s Ü b e l k o m m t v o m B a u ch e! Für ihn sündigt man täglich, 
stündlich und ist die Sündenlast zu groß, verursacht sie körperliche und wohl auch seelische 
Schmerzen und Leiden, so wallfahrtet man zum Tempel des Äskulap und holt sich für 
Geld den unfehlbaren Ablaßzettel, das geheiligte Rezept! Welche Worte sprach Huß auf 
dem Scheiterhaufen das alte Mütterchen mit dem Reisigbüschel erblickend? O heilige Ein 
falt ! Doch der Glaube bewirkt ja oft Wunder, leider nicht bei Krankheit; hier 
bedarf es der That und zwar der geklärten That! Seht auf uns, ihr verirrten Mode 
menschen, die ihr krank und hilflos dennoch auf die Medizin schwört! Auch wir wandelten 
den bequemen Weg, den diese Dame als allein zum Glück führend bezeichnet, bis wir end 
lich in ein Labyrinth von Sumpf und Schlamm gerieten, dem uns nur ein gütiges Ge 
schick entrissen! Seht auf uns! Zwar ist der Weg, den jetzt wir wandeln, schmal und steil, 
aber wir wandeln ihn mit Freuden, denn er führt uns auf die höchsten Gipfel des Erd 
balles , von wo aus man nun des Lebens wahre Güter: Gesundheit, Freiheit, 
Glück erblickt. So ungefähr dachte ich, als ich vor einigen Tagen unermüdet auf 2000 
Meter hohem Bergesgipfel angelangt, mein früheres Leiden, meine jetzige Elastizität über 
dachte, bei wolkenlosem Himmel die imposante Gebirgswelt mit ihrer reinen Luft bewunderte, 
unter mir die meist unbewußt sündigenden Menschen, zu denen nvch vor etlichen Jahren 
auch ich zählte. Haben Sie Lust und Zeit, den Alltagsstaub auf einige Tage von sich ab 
zuschütteln, so kommen Sie nach dem schönen Land Tyrol; ich werde Sie auf 3000 Meter 
zählende Höhen führen, wo wir der Allmacht Gottes um vieles näher sind und wenn wir 
alsdann bei wünschenswertester Frische wieder ins Thal zurückgekehrt sein werden, so 
sollen Sie auch den Stuhl sehen, der dem mäßigen Modemenscken, trotz aller Krastgenüsse 
„alle i/* Stunde Fleisch, Wein" zum je ^-ständigen Ruhepunkte dienen mußte. Jetzt ist 
es schöner! Mit gesinnungsfreundlichem Gruße rc. Antwort: Wohl Ihnen, daß Sie Ihr 
guter Stern, wie mich vor mehr als 30 Jahren, den rechten Weg des Heils finden ließ, 
nachdem alle approb. Wissenschaft sich an Ihnen zu Schanden kurirte! Es ist wohl möglich, 
daß ich anfangs Oktober Sie im schönen Tyrol werde besuchen können, dann wollen wir 
unsere Lebenserfahrungen austauschen, ob aber meine Carotiden mich 3000 Meter ohne 
Anstand werden steigen lassen, bezweifle ich fast und muß dann halt nolens volens auf 
diesen hohen Genuß leider verzichten! Vule!
	        
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