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Die Lage um die Jahreswende 1914/15
des Stellungskampfes geschlagen wurde: zuerst im polnischen Weichsel¬
lande, dann am Dunajec. Unwillkürlich wandte sich Conrads Blick immer
mehr gegen Osten, den Karpathen und dem Dniester zu, wo — trotz der
Ungunst des Geländes und der Witterung — noch die Möglichkeit zu
freierer Entfaltung der Kräfte zu winken schien.
Nicht weniger als Conrad war Potiorek dem Bewegungskriege zu¬
geneigt, wie die stets aufs neue aufgenommenen Angriffe bewiesen. Und
nicht weniger als Conrad lebte auch Potiorek dem Angriffsgedanken, wie
es seine zweimalige, wenn man will, dreimalige Offensive gegen den
zähen, kriegsgewohnten Feind dartat — wobei allerdings auch die schwie¬
rigen Ab wehr Verhältnis se im Südosten des Reiches einen gewissen Zwang
auferlegten. Diese Schwierigkeiten hatten, wie die Schilderung der
Ereignisse zeigte, keinen geringen Anteil daran, daß die vom Feldzeug¬
meister gewählte Angriffsrichtung abseits der großen, welthistorischen
Heerstraße über Belgrad lag.
Von den strategischen Elementen des Durchbruches und der Um¬
fassung gaben beide Feldherrn, in den Einleitungsfeldzügen fast ausnahms¬
los der Umfassung den Vorzug, was bei Conrad noch insofern zu ver¬
merken ist, als er bei Friedensübungen und Kriegsspielen auch der anderen
Lösungsmöglichkeit strategischer Aufgaben weitgehende Aufmerksamkeit
zu schenken gewohnt war. Dabei spielte allerdings weder bei Conrad,
noch bei Potiorek der von Schlieffen so nachdrücklich vertretene Gedanke
doppelseitiger weitausholender Umgehung („Cannae") eine nennenswerte
Rolle. Sie begnügten sich in der Regel mit Angriffen gegen einen Flügel
des Feindes, gegebenenfalls mit Flankenstößen. In beiden Fällen hatten
die Frontgruppen die feindlichen Kräfte durch entschiedenes Zugreifen
festzuhalten. Wenn ein so eingeleitetes Manöver zu einem reinen Stirn¬
kampf ausartete, was infolge der Gegenmaßnahmen des Feindes verhält¬
nismäßig leicht geschah, so kam bei der Führung noch immer der Gedanke
schrittweisen Zurückdrängens der feindlichen Linien weit mehr zur
Geltung, als der, sie zu durchbrechen. Ergaben sich aber einmal Lücken
in der feindlichen Front — wie etwa itA Einleitungsfeldzug gegen Ru߬
land — dann war das Streben abermals mehr auf die Umfassung offener
Frontteile, als auf ein Durchgreifen in den Rücken des Feindes gerichtet.
Eine gewisse Hast, lieber lokale Erfolgsmöglichkeiten rasch abzuschließen
als Aktionen auf weite Sicht zu wagen, mag hiefür Erklärung bieten.
Diese Beschränkung in den Kampfzielen war vor allem durch das
fast immer wenig günstige Kräfteverhältnis bestimmt. Weitausholende
Umfassungen hätten eine so tiefgreifende Schwächung der Frontgruppen