Volltext: Von der Kleinstadt und ihren Bewohnern ; 1

Derartige Ubergangsgebilde finden wir noch vielfach innerhalb der alten Stadt¬ 
gräben. Im Umkreise der Stadt kommen natürlich bei regerer Bauentfaltung 
auch stadtnahe Bauernhöfe in eine nicht mehr ländliche Umgebung. Aber auch 
die verschiedenen anderen Bürgergruppen stehen mit dem Bauernlande teils in 
wirtschaftlichen, teils in familiären Beziehungen. Von den Gastwirten war 
schon die Rede; die Fleischhauer, die noch da und dort das Recht zum Auskochen 
haben, holen sich ihr Viehzeug von den Bauern. Da hat jeder Fleischhauer am 
Lande draußen seinen eigenen Einkaufsbezirk, sein „Gäu", in welchem er von 
Dorf zu Dorf, von Hof zu Hof fährt. Sehr oft ist der Fleischhauer auch noch 
Viehhändler. Die vielseitigen Beziehungen zwischen den Bürgern der Kleinstadt 
und den Bauern treten besonders deutlich an S o n n t a g e n in Erscheinung. 
Am frühen Vormittage, nach dem Gottesdienst, können wir am Stadtplatze Bauern 
viel zahlreicher als Kleinstädter antreffen. In den Gasthäusern kennt man 
Bauern recht deutlich daran, daß sie sehr oft auch in der Wirtsstube den Hut 
am Kopfe sitzen haben. Da werden Handelsgeschäfte abgeschlossen, aber auch 
Kaufleute aufgesucht, um notwendige Einkäufe zu besorgen. Dabei bringt man 
selbst wieder Butter oder Eier, und um „Martini" eine Gans mit, welche ein 
solcher Kaufmann mit ausgedehnter Landkundschaft abzunehmen hat. Im Spät- 
herbste weiß gar mancher oft kaum, was er mit den zahlreichen angebotenen 
Gänsen anfangen soll. Roch reger werden diese Wechselbeziehungen zwischen 
Stadt und Land besonders in den Kleinstädten, welche gut besuchte Wochen¬ 
märkte haben. So steht der Dienstag in Ried, vor allem aber der Samstag in 
Wels Bauern aus weiten Gebieten des Landes zusammenströmen. An solchen 
Tagen erkennt man ebenso wie bei Vieh- und Jahrmärkten die Wichtigkeit der 
mit dem Raume oft so verschwenderisch umgehenden Straßenmärkte. Erst nach 
den Lebensmittel„gewerben" (Brauer, Wirte, Fleischhauer, Bäcker) und Kauf¬ 
leuten (Tuchschneider) kommen in den Kleinstädten Altbaierns die anderen Ge¬ 
werbe und da auch wieder vorerst die, welche wie die Lederer, Wagner und 
Schmiede Beziehungen zu einem ländlichen Kundenkreise, oder wie die Binder 
zum Braugewerbe haben. Gewerbe, welche eine größere Kunstfertigkeit voraus¬ 
setzen, spielen in Altbaiern eine viel geringere Rolle als etwa in Schwaben und 
Franken. Auch von den Industrien finden nur die Lederindustrien, die Ziegeleien, 
sowie die Fabriken für landwirtschaftliche Maschinen eine größere Verbreitung. 
Somit ist die ländlich - bäuerliche Rote ein Hauptmerkmal unserer 
Kleinstädte. 
Und doch nimmt das mit dem Bauernlande so eng verknüpfte Wirtschaftsleben 
des Kleinstädters in Altbaiern nur eine, wenn auch sehr wichtige Stelle ein. 
Den Kleinstädter kennzeichnet auch noch eine eigene Artung des Gemein¬ 
schaftslebens, die in verschiedenen Gruppenbildungen in Erschei¬ 
nung tritt. 
Die ständische Gliederung tritt in unseren Kleinstädten viel weniger 
klar auf, als in den Gebieten anderer deutscher Stämme. Man müßte noch am 
ehesten den Kleinstädter als Ganzes als einen eigenen „Stand" bezeichnen. 
Einen Kastengeist, ein gehobenes Standesbewußtsein gab es vor nicht allzulanger 
Zeit nur bei den Brauherren. Ihnen folgte die kleine Zahl der größeren 
Kaufleute, die Tuchschneider. Die Brau- und Gasthofbesitzer fühlten sich auf der 
Grundlage eines oft nicht unbedeutenden Vermögens als weit über den anderen 
Bürgern, zumal über den Gewerbetreibenden stehend. Ganz im allgemeinen hatte 
das Zunftwesen in Schwaben und Franken eine größere Bedeutung als in Alt¬ 
baiern. Daher sind auch seine Nachklänge hierzulande leiser. Bei den Frauen, 
so vor allem bei den Bräuerinnen, finden wir zwar noch starke Formen eines 
gehobenen Standesdünkels, der sich oft auf keinen großen Geldsack mehr zu stützen 
189
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.