Volltext: Katholische Dichtung

VERLAG JOSEF KÖSEL & FRIEDRICH PUSTET MÜNCHEN 
I 
JOHANNES KIRSCHWENG: 
DIE HUNDERT GOTTESRÄUBER 
Der Pfarrer, der eine kleine Paufe gemacht hatte, um die erlofchene Zigarre 
wieder anzuzünden, fuhr fort: „Vier oder fünf Jahre vor dem Weftfälifchen 
Frieden wurde Ihre Stadt da unten von einem Schwedenheer belagert, die 
Belagerung aber, als fie ihren Höhepunkt erreicht hatte, plötzlich abgebrochen. 
Am Tage darauf fand der Dekan von St. Lambert das frifch gefüllte Zibo 
rium feiner Hoftien beraubt. Hundert Stück waren es gewefen, wie er 
fich genau erinnerte. Das ift; noch vielleicht Gefchichte. Das ift noch viel 
leicht verbrieft und verbürgt. Aber was ich weiter erzähle, das ift ficherlich 
Sage, Legende, ein wenig wild, unwahrfcheinlich und phantaftifch, fo wie 
das Volk feine Gefchichte liebt. 
Die hundert Soldaten, die auf völlig ungeklärte Weife in den Belitz der 
Hoftien gekommen waren, fchlolfen lieh zufammen zu einer Schar, die lie 
im gottesläfterlichen Spott Corpus-Domini-Fähnlein nannten. Sie trugen die 
Hoftien in filbernen Kapfeln und waren fchlimmer als alle anderen. Ihr 
Weg führte lie auch in unfere Berge, und als lie davon hörten, daß unfer 
einfames Waldkirchlein koftbare Gefäße und Reliquien belitze, machten fie 
fich auf zum Raub und zur Zerftörung. 
Von diefem Wald aber erzählen die Bauern trotz aller Belehrung und Ver 
warnung ungereimte und abergläubifche Gefchichten. Findet fich auch dafür 
in den Regiftern der Name „Silva, victi terroris“, Wald, in dem der Schrecken 
befiegt wurde. Da nun das Volk erfchrak wie Hühnervolk, unter das der 
Habicht ftößt, nur daß es ihm fall die Sprache verfchlug, da Hand mit einem 
Male ein alter Mann auf, den fprechen gehört zu haben fich das Jungvolk 
gar nicht erinnern konnte, das Haar wuchs ihm aus Ohren und Nafe, 
und feine Augen, die die Erde nicht mehr fahen, blickten in irgendeine Ferne, 
— und fprach mit lauter Stimme: „Der Wald zieht fie in fich hinein, er 
wird fie nicht mehr lallen.“ Über dies dunkle Wort zu meditieren, blieb 
keine Zeit; kaum 'war es gefprochen, da klangen vom Dorfeingang ein paar 
Schiilfe, ein paar Frauenfchreie waren zu hören, das Zufchlagen und Ver 
riegeln der Türen, dann lag das Dorf totenftill und in die Stille hinein 
dröhnte der Schritt der furchtbaren Hundert. Als fie die Flucht bemerkten, 
lachten fie ein ingrimmiges Lachen und riefen in die Straßen hinein. Da 
erfahen fie in einem Garten, nicht genugfam verfteckt, einen Buben, der noch 
faft Kind war, und nachdem fie ihn mit vielem Hoiho, Gefchrei und Knallen 
aus feinem Verfteck Jhervorgezogen, weidlich geängftigt und mit dem Tod 
bedroht hatten, zwangen fie ihn, ihnen den Weg zum Waldkirchlein zu 
weifen. Da er durch Gottes Gnade fein Leben behielt, wenngleich er einen 
großen und furchtbaren Schrecken davongetragen hat, hat er fpäter von dem 
Verlauf des Abenteuers unferem in Gott ruhenden dritten Vorgänger Hiero 
nymus Pfifter berichten können. 
Die Schweden zogen fingend und gröhlend in den Wald hinein, der furcht 
bar fchwieg. Sie fchrien, als ob fie das Schweigen übertäuben wollten, aber 
das Schweigen war ftärker. Ihre Stimmen bekamen einen Ton von Beklem 
mung und Verlegenheit. Sie fragten den Buben, wie denn der Wald heiße, und 
da er fie befchied, es fei der Schreckenswald, da fahen fie ihn groß und köpf-
	        
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