Volltext: Religion und Rechtspflege

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sticismus, mag er noch so fromm thun, noch der superweise 
Materialismus, mag er noch so viel von sittlichen Grundsätzen 
faseln — gibt diese. 
Es wird insbesonders nothwendig werden, die Frage jetzt schon 
ganz ernst zu behandeln, ob nicht alle mit der Religion im 
Zusammenhange stehenden Einrichtungen des öffentlichen Verkehres ganz 
abzuschaffen, und was dort, wo solche werthlos geworden sind, an 
deren Stelle zu setzen sei. 
Da ist es in erster Reihe der Eid, der in Frage kommt; denn 
er ist eben eine mit dem Bestände der Religion zusammenhängende 
Institution, und unser ganzes öffentliches wie privates Verkehrsleben 
erhält schließlich durch die Institution des Eides seine sittliche Befesti 
gung und religiöse Weihe. 
Der Fürst leistet den Krönungseid, die Organe des Staates 
leisten einen Eid, daß sie die Gesetze beobachten werden, die Richter 
schwören, nach ihrem besten Gewissen zu urtheilen, das beschworue 
Zeugniß wird als wahr angenommen, die Beurkundung durch den 
Notar hat vollen Glauben, weil dieser beeidet ist, jede Hebamme und 
jeder Polizist wird in Eidespfficht genommen. 
Es nützt aber nichts, die Augen zu verschließen, um die drohende 
Gefahr nicht zu sehen, sie kommt trotzdem; man kann auch nicht solcher 
Gefahr, die wie eine allgemeine Epidemie sich überall hin verbreitet, 
aus dem Wege gehen, sondern muß mannhaft und beherzt sie zu 
besiegen trachten. 
In unserer rasch lebigen Zeit wird die vor wenigen Jahren von 
einem unserer tüchtigsten Juristen*) aufgeworfene Frage, wie sich der 
Haupteid in der Zukunft gestalten werde, ehevor sie praktisch gelöst 
wird, von der viel wichtigeren Frage verdrängt werden — wie wird 
sich die Rechtspflege ohne Eid gestalten? 
Es ist notorisch, daß eine große Zahl in der Gegenwart gar 
keinen Werth auf den Eid legt, und daß ebenso, wo man den Man 
gel aller religiösen Grundlage kennt, auf die eidliche Bekräftigung 
solcher Personen kein Gewicht gelegt werden kann. 
*) Glaser: „Gegenwart und Zukunft des Hciuptcides", allg. äst. Gerichts- 
Zeitung 1866, Nr. 19—28.
	        
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