Volltext: Der Weltbrand Band 3 (3; 1920)

und drückendste Lage, und auch die Arbeiter waren 
durchaus nicht in einer rosigen Lage, denn sie ver- 
dienten zwar hohe Löhne, hatten dafür aber auch 
enorm hohe Aus- 
gaben. Nur die Ju- 
gendlichen, die noch 
für niemand als für 
sich zu sorgen hat- 
ten, konnten ein üp- 
piges Leben führen 
und führten es na- 
türlich auch. Es war 
grauenhaft, wie die 
Jugend verwilderte, 
am meisten die in 
den großen Städten. 
Vengel von 16 und 
17 Jahren saßen da 
in den Cafes und 
Weinlokalen und 
verpraßten das leicht 
verdiente Geld mit 
ihren „Bräuten". 
Geredet und geschrie- 
ben wurde dagegen genug, aber etwas Durchgrei- 
fendes dagegen zu tun, war unmöglich. Wer sollte 
den jungen Arbeiter, der unter dem schützenden 
Schilde der herrschenden Partei stand, daran hindern, 
sich auszuleben? Die Väter standen im Heeres- 
dienst oder im Hilfsdienst, die Lehrer waren machtlos, 
die Geistlichen desgleichen, und ihre Warnungen und 
Mahnungen wurden verlacht. Die Machtlosigkeit 
der Kirche, der evangelischen nicht nur, sondern auch 
der katholischen, trat 
Von der planmäßigen Räumung im Westen: 
Artillerie- Werkstatt 
Räumungsarbeiten in einer 
in erschreckender Wei- 
se zutage, denn in 
Köln und München 
war das Treiben der 
Jugendlichen nicht 
minder schamlos wie 
in Leipzig oderHam- 
bürg. Um das hier 
zu sagen: Der Glau- 
be, der Krieg mit 
seinen Lasten werde 
die Seele des Volkes 
läutern, seine Reli- 
giosität vertiefen, die 
Sittlichkeit fördern, 
hatte sich als eine 
ungeheure Täu- 
schung erwiesen. Die 
Sittlichkeit des Vol- 
kes, des ganzen Vol- 
kes, nicht nur der Jugendlichen, verschlechterte sich 
von Woche zu Woche, und von der religiösen Be- 
geisterung der ersten Kriegszeit war, in der Heimat 
wenigstens, so gut wie nichts übrig geblieben. Mehr 
aber als alles andere sank der gesetzliche Sinn, der 
bisher das deutsche Volk in besonderer Weise aus- 
gezeichnet hatte. Von den vielen hundert und tausend 
Kriegsgesetzen und Verordnungen mit Gesetzeskraft 
konnten viele nicht 
gehalten werden, 
denn ihre Befolgung 
lief der menschlichen 
Natur allzusehr zu- 
Damit fiel 
die Achtung vor dem 
über- 
Haupt hin oder wur- 
de wenigstens gründ- 
lich erschüttert, und 
auch die Achtung 
vor den Trägern der 
Staatsgewalt wurde 
immer geringer. Wie 
mußte es z. V. auss 
Volk wirken, wenn 
Nichter den Gastwirt, 
an dessen Tische 
sie vermittels des 
Schleichhandels gut 
gespeist hatten, dieses Schleichhandels wegen verur- 
teilten, oder wenn der Staatsanwalt einen Bauern, 
von dem seine eigene Frau Butter oder Eier wider 
das Gesetz einhandelte, unter Anklage stellen mußte! 
Die allermeisten Nichter hätten sich für befangen er- 
klären müssen. Das geschah nun freilich nur in 
einigen Fällen, aber dafür sielen die Strafen, die 
Wucherer und Schleichhändler erhielten, zumeist sehr 
mild aus. Leider hatten die Gerichte dabei das Un- 
glück, daß ihre Sprü- 
che dem Nechtsemp- 
des Volkes 
ent- 
nenllbeltäter, die nur 
unter dem Drucke 
der Not sündigten, 
wurden unverhält- 
nismäßig hoch, die 
großenunverhältnis- 
niedrig be- 
Was machte 
es einem Getreide- 
der 
Rückverlegung einer Artillerie-Werkstatt. 
ver- 
wenn 
oder 
10000 Mark Strafe 
belegt wurde? Die Milde der Gerichte mochte 
im Gesetzesbuchstaben begründet sein — auf das Volk 
wirkte sie höchst verderblich, verwirrte die Gewissen 
und nährte den Argwohn, daß mit zweierlei Maß 
gemessen wurde. Die unabhängige Sozialdemokratie 
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